Transkript
BERICHT ZUM SCHWERPUNKT
Sauerstoff für die Wundheilung
Möglichkeiten der lokalen Sauerstofftherapie chronischer Wunden
Damit die Behandlung chronischer Wunden erfolgreich zur Abheilung führt, gilt es – unter Berücksichtigung der Patientenanliegen – die Wundursachen zu behandeln und das Wundbett optimal vorzubereiten. Bei vielen Wundursachen ist letztlich die Unterversorgung mit Sauerstoff für die chronische Wunde verantwortlich. In allen Phasen der Wundheilung ist der Sauerstoffbedarf stark erhöht. Entsprechend spielt die Sauerstofftherapie bei chronischen Wunden eine wichtige Rolle. Darüber sprach PD Dr. Severin Läuchli, Dermatologische Klinik, Universitätsspital Zürich, am Europäischen Wundkongress 2016 in Bremen.
Die Grunderkrankung (z.B. chronische venöse Insuffizienz, periphere arterielle Verschlusskrankheit, Diabetes, Abdrücken von Blutgefässen bei Dekubitus) bewirkt eine Gewebehypoxie und beeinträchtigt dadurch die Versorgung der Wunde mit Blutsauerstoff. Die Sauerstoffdiffusion aus den Kapillaren, die auch unter normalen Bedingungen nur über sehr kurze Strecken (30 bis 40 Mikrometer) gewährleistet ist, wird zum Beispiel bei chronischer venöser Insuffizienz durch pathologische Kapillarveränderungen stark behindert. Obschon die Raumluft eigentlich genügend Sauerstoff enthält, können sich chronische Wunden nicht ausreichend damit versorgen, weil der Feuchtigkeitsfilm auf der Wunde dem Sauerstoff den Zugang zur Wunde verwehrt (1). Die Sauerstoffversorgung von chronischen Wunden kann durch Behandlung der Grunderkrankung und durch systemische oder lokale Sauerstofftherapien verbessert werden.
Systemische Sauerstofftherapie chronischer Wunden
Wenn die Sauerstoffzufuhr zum Körper systemisch erhöht wird, speichert und transportiert das Blut
Blick auf die Industrieausstellung am Europäischen Wundkongress 2016 in
Bremen.
(Foto: Jan Rathke, Messe Bremen)
mehr Sauerstoff (1). Dazu kann eine hyperbare oder eine normobare Sauerstofftherapie verwendet werden. Bei der sehr aufwendigen hyperbaren Sauerstofftherapie in einer begehbaren oder den ganzen Körper einschliessenden Druckkammer wird reiner, 100-prozentiger Sauerstoff in Intervallen während bestimmter Zeiträume systemisch verabreicht, wobei die Druckerhöhung den Sauerstoffpartialdruck in der Lunge und die Sauerstoffkonzentration im Blut erhöht. Bei der Wundbehandlung mit Sauerstoff in einem Ganzkörper-Druckkammersystem können folgende positiven Effekte postuliert werden: O Verlängerung der Sauerstoffdiffusionsstrecke im
Gewebe O Förderung der Blutgefässneubildung im hypoxi-
schen Gewebe O antibakterielle Wirkung über reaktive Sauer-
stoffspezies (ROS) O Stimulation des Immunsystems. Allerdings sei die Evidenz der Wirksamkeit dieser Wundbehandlungsmethode nicht eindeutig, so der Referent.
Lokale Sauerstofftherapie chronischer Wunden
Bei der topischen hyperbaren Sauerstofftherapie wird ein Druckkasten oder eine Manschette um die Extremität mit der Wunde angebracht. Dann wird annähernd reiner Sauerstoff mit Überdruck in den Druckkasten oder die Manschette geblasen. Etwas weniger wirksam sei die normobare kontinuierliche topische Sauerstoffzufuhr über 24 Stunden pro Tag, sagte der Referent. Beispielsweise liefert das Natrox™-Sauerstoffzufuhrsystem pro Stunde 12 bis 14 ml reinen, befeuchteten Sauerstoff topisch direkt an die Wundoberfläche. Bei Kombination mit einem sauerstoffdichten Okklusivverband kann die kontinuierliche topische Sauerstoffzufuhr den Wundheilungsprozess fördern (1).
SZD 4/2016
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Sauerstoff für die Wundheilung
Methoden der lokalen Sauerstofftherapie
chronischer Wunden
L Topische hyperbare Sauerstofftherapie
L Kontinuierliche topische Sauerstoffzufuhr ohne Überdruck
L Sauerstoff freisetzende Wundauflagen
L Topischer Einsatz eines Sauerstofftransporters (topische Hämoglobintherapie)
Aus speziellen Wundauflagen kann Sauerstoff lokal freigesetzt werden, wenn zwei Komponenten von okklusiven Hydrogelen auf die Wunde aufgebracht werden und miteinander reagieren. Die Zweikomponenten-Wundauflage Oxyzyme™ besteht aus einem Wundkontaktgel und einem Sekundärgel. Der in die Wundauflage diffundierende Luftsauerstoff produziert durch eine biochemische Reaktion Wasserstoffperoxid, das zur Wundoberfläche diffundiert und dort wieder in Sauerstoff umgewandelt wird. Zudem wird in der Wundauflage Jod gebildet, das desinfizierend wirkt. Iodozyme™ enthält eine höhere Jodidkonzentration und eignet sich zur Behandlung infizierter Wunden. Noch in Entwicklung befinden sich Wundauflagen, die direkt aus Depots (Membranbläschen) Sauerstoff freisetzen können (1).
Topisches Hämoglobin bei chronischen Wunden
Hämoglobin als Sauerstofftransporter aller Säugetiere kann Sauerstoff aus der Luft binden und ihn durch das Wundexsudat, das eigentlich eine Sauerstoffbarriere darstellt, bis zum hypoxischen Wundgrund schleusen. Auch ausserhalb von Erythrozyten transportiert Hämoglobin Sauerstoff. Das Hämoglobinspray Granulox® enthält in physiologischer NaCl-Lösung hochgereinigtes Hämoglobin, das aus Schweineerythrozyten gewonnen wird. Aufgrund von Studien erhöht das gelöste Hämoglobin in Flüssigkeiten den Sauerstofftransport um mehr als das Achtfache. Nach dem Aufsprayen der roten Lösung kann die Wunde mit atmungsaktiven Wundauflagen, welche die Luftzufuhr sicherstellen, abgedeckt werden. Zu Granulox® liegen zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten vor (2 randomisierte, kontrollierte, klinische Studien, Pilotstudien, Fallberichte, Poster, Review-Artikel). Überdies konnte gezeigt werden, dass die Behandlung mit dem Hämoglobinspray bei wesentlich schnellerer Abheilung kosteneffektiv ist. In einer an der dermatologischen Klinik der Karls-Universität, Prag, durchgeführten prospektiven, randomisierten, einfach verblindeten, klinischen Studie wurde nachgewiesen, dass die Heilungstendenz chronischer venöser Ulcera cruris (seit 3 Monaten bis 6 Jahren bestehend) durch Granulox® ohne unerwünschte Wirkungen begünstigt wird (2). Im Behand-
lungszeitraum von 13 Wochen nahm die Wundfläche in der Granulox®-Gruppe (36 Patienten) um durchschnittlich 53 Prozent von 18,6 cm2 auf 10,2 cm2 ab. Bei 32 Patienten wurde eine positive Heilungstendenz und zusätzlich in einem Fall der vollständige Wundverschluss nach zwölf Wochen erreicht. In der Vergleichsgruppe ohne Hämoglobinspray (36 Patienten) resultierte eine leichte Zunahme der durchschnittlichen Wundfläche (von 17,5 cm2 auf 20,2 cm2). Eine weitere, in Mexiko durchgeführte, klinische Studie zeigte bei chronischen Wunden mit verschiedener Ätiologie (diabetisches Fussulkus, Ulcus cruris venosum, mixtum und arteriosum), dass die Behandlung mit dem Hämoglobinspray die Abheilungsraten wesentlich verbessern kann (3). 93 Prozent der chronischen Unterschenkel- und Fusswunden heilten bei Verwendung des Hämoglobinsprays ab (in der Kontrollgruppe nur 7%).
Erweiterung des Therapiekonzepts von TIME zu MOIST
Das bewährte TIME-Konzept der Wundbettvorbereitung besteht aus vier Aspekten: O Tissue removal (Débridement zur Entfernung von
Nekrosen und Fibrin) O Infection control (Silberverbände, Wundantisep-
tika, Antibiotika nur bei manifester Wundinfektion) O Moisture balance (Wundauflagen stellen ein opti-
males Feuchtigkeitsgleichgewicht her) O Edge advancement (Förderung der Epithelialisie-
rung). Allerdings fehlt im klassischen TIME-Konzept der Aspekt der lokalen Sauerstoffzufuhr, der wesentlich zur verbesserten Wundheilung beiträgt. Das von einer Expertengruppe vorgeschlagene Akronym MOIST fasst neu ein ergänztes Konzept der Wundbettvorbereitung zusammen: O Moisture balance (Auswahl geeigneter Wundauf-
lagen) O Oxygen (topische Sauerstoffzufuhr) O Infection control (Silberverbände, Wundantiseptika) O Supplemental treatments (spezifische Wundthe-
rapeutika, Wachstumsfaktoren, Hautersatz) O Tissue removal (Débridement, Wundauflagen).
Alfred Lienhard
Referenzen: 1. Kröger K et al.: Lokale Therapieoptionen für die Verbesserung
der Sauerstoffversorgung in Wunden. Wund Management 2016; 10: 7–12. 2. Arenbergerova M et al.: Einfluss von topischem Hämoglobin auf die Heilung von Patienten mit Ulcus cruris venosum. Hautarzt 2013; 64: 180–186. 3. Arenberger P et al.: Clinical results of the application of a hemoglobin spray to promote healing of chronic wounds. GMS Krankenhyg Interdiszip 2011; 6(1): Doc 05.
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