Transkript
BERICHT ZUM SCHWERPUNKT
Update zur atopischen Dermatitis
Aktuelles zur Therapie
Wie soll die bei Patienten mit atopischem Ekzem sehr häufig vorhandene Staphylokokkenbesiedlung der Haut behandelt werden? Ist mit einem erhöhten MRSA-Risiko zu rechnen? Können Gräserpollen bei Sensibilisierten das atopische Ekzem verschlimmern? Ist bei Patienten mit atopischer Dermatitis eine spezifische Immuntherapie möglich? Antworten dazu gab Prof. Dr. Thomas Werfel, Klinik für Dermatologie, Allergologie und Venerologie, Medizinische Hochschule Hannover, in Köln am Seminar Allergo-Update 2016. Zudem berichtete er über wesentliche aktuelle Änderungen, die in der deutschsprachigen Leitlinie «Neurodermitis» vorgenommen wurden. Auch die Schweizerische Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (SGDV) ist als Fachgesellschaft an dieser Leitlinie beteiligt.
In der neuen Fassung der Leitlinie «Neurodermitis» werden Antihistaminika (H1-Rezeptorblocker) nicht mehr regelhaft empfohlen (1). Vor längerer Verwendung von sedierenden Antihistaminika bei Kindern wird gewarnt. Die Wichtigkeit von Basistherapeutika wird betont. Der Einsatz einer dem Hautzustand angepassten Basistherapie (z.B. fette Salbengrundlage auf trockener Haut oder hydratisierende Öl-in-Wasser-Emulsionen bei weniger trockener Haut) wird auch bei fehlenden Zeichen von Entzündung empfohlen. Eine angemessene Hautreinigung (unter Einschluss von Bädern) wird empfohlen. Bei fehlendem Ansprechen auf die topische Kortikosteroidtherapie wird eine individuelle Abklärung empfohlen (verminderte Adhärenz bei Kortisonangst, ungeeignetes Vehikel, Allergie gegen Glukokortikosteroide, fort-
Das Allergo-Update 2016 fand im Veranstaltungszentrum «Gürzenich» statt. Der traditionsreiche Kölner Veranstaltungsort ist nach der Patrizierfamilie von Gürzenich benannt und befindet sich im Zentrum der Kölner Altstadt.
Foto: Lienhard
bestehende Triggerung der atopischen Dermatitis durch Schubfaktoren). Eine zeitlich begrenzte Intervalltherapie mit geeigneten topischen Glukokortikosteroiden (z.B. Fluticasonpropionat, Methylprednisolonaceponat) oder mit topischen Calcineurininhibitoren (Pimecrolimus, Tacrolimus) über die Phase der Abheilung hinaus (proaktive Therapie) wird empfohlen. Im Anschluss an die Akuttherapie kann gemäss der neuen Fassung der Leitlinie eine mehrmonatige (in der Regel zunächst 3-monatige) proaktive, intermittierende Nachbehandlung mit topischen Glukokortikosteroiden (1- bis 2-mal pro Woche) beziehungsweise mit topischen Calcineurininhibitoren (2-mal pro Woche) an zuvor erkrankten Arealen empfohlen werden (1).
Behandlung bei Staphylokokkenbesiedlung
Bei Patienten mit atopischer Dermatitis sind die betroffenen Hautstellen sehr häufig mit Staphylokokken besiedelt. In den Läsionen bricht die mikrobielle Vielfalt zusammen, und Staphylokokken vermehren sich stark. Dafür sind wahrscheinlich die verminderte Hautbarriere und die Entzündung verantwortlich. Die effektivste Methode, um die Staphylokokkenbesiedlung auf der Haut zu vermindern, sei die Behandlung mit antiinflammatorischen Medikamenten, also topischen Glukokortikosteroiden oder Calcineurininhibitoren, betonte der Referent. Adjuvant könne überdies mit Antiseptika (Triclosan, Chlorhexidin, Silber, antiseptischen Textilien, Bädern mit Kaliumpermanganat) nachgeholfen werden. Prof. Werfel empfahl, nur die vom Ekzem betroffenen Hautstellen und nicht die gesamte Haut mit Antiseptika zu behandeln, denn es sei nicht klar, ob Antiseptika, die über
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lange Zeit auf die Haut gegeben würden, durch eine Beeinflussung des Hautmikrobioms Schaden anrichten könnten. Fest steht, dass die systemische Therapie mit Antibiotika nur bei sichtbarer Superinfektion des atopischen Ekzems hilfreich ist. Gemäss älteren Studien muss bei Patienten mit atopischer Dermatitis nicht mit einem erhöhten Risiko einer MRSA-Besiedlung der Haut gerechnet werden. Es ist allerdings Vorsicht am Platz, denn in einer neuen deutschen Studie kam eine MRSA-Besiedlung bei atopischer Dermatitis deutlich häufiger vor (in 3,2%) als zum Beispiel bei Psoriasis (in 0,6%) oder bei chronischer venöser Insuffizienz (in 0,7%) (2).
Gräserpollen können bei Sensibilisierten das atopische Ekzem verschlimmern
Bei manchen Patienten verschlechtert sich das atopische Ekzem trotz vorhandener Sensibilisierung gegen saisonale inhalative Allergene (z.B. Gräserpollen) im Winter. Könnte aber die Sensibilisierung gegen saisonale Allergene, besonders bei hohem spezifischem IgE-Antikörpertiter, klinisch doch manchmal eine Rolle spielen? Eine aktuelle eigene Studie hat Prof. Werfel davon überzeugt, dass Sensibilisierungen auf Pollenallergene klinisch tatsächlich relevant sein können. In Hannover wurden Patienten mit atopischer Dermatitis und Graspollensensibilisierung im Winter in die Pollenprovokationskammer gesetzt, wobei randomisiert zwei Gruppen gebildet wurden. An 2 Tagen wurde während jeweils 4 Stunden entweder eine Exposition mit Graspollen (4000 Dactylisglomerata-Pollen pro Kubikmeter) oder mit pollenfreier Raumluft durchgeführt (3). Als anschliessend die Haut an den Tagen 3, 4 und 5 untersucht wurde, konnten zur Überraschung des Studienleiters deutliche Unterschiede festgestellt werden. Es kam zu Flare-up-Reaktionen, die initial etwas urtikariellen Charakter hatten und anschliessend ekzematisch wurden. Weil die Patienten in der Pollenprovokationskammer mit T-Shirts leicht bekleidet waren, konnte der Einfluss der Bekleidung erfasst werden. Die frühen Flare-up-Reaktionen waren an der luftexponierten Haut zu sehen. Erst später erfassten die Reaktionen auch textilbedeckte Haut. Offenbar dringen Graspollenallergene direkt durch die unbedeckte Haut und lösen Flare-up-Reaktionen aus. In anderen Hautarealen kann es später – wahrscheinlich auf hämatogenem Weg – ebenfalls zu Reaktionen kommen. Insgesamt weist die Untersuchung auf einen klinisch relevanten Zusammenhang zwischen Pollensensibilisierung und atopischer Dermatitis hin, so Prof. Werfel. Aufgrund dieser Studie könne man spekulieren, dass antiallergische Therapien bei der atopischen Dermatitis durchaus nützlich sein könnten. In der Untersuchung gab es allerdings keine Kontrollgruppe von nicht sensibilisierten Patienten mit
atopischer Dermatitis, die ebenfalls mit Pollen provoziert worden wären. Es sei aber nicht wahrscheinlich, dass Graspollenexposition bei allen Patienten mit atopischer Dermatitis – also auch bei Nichtsensibilisierten – das Ekzem verschlechtern kann. Eine aktuelle Cochrane-Metaanalyse fasste die Resultate mehrerer Studien zur spezifischen Immuntherapie (SIT) bei der atopischen Dermatitis zusammen (4). Dabei resultierte eine statistisch signifikante Verbesserung des Schweregrades des Ekzems (gemessen mit dem SCORAD-Score). Insgesamt wurde bei geringfügigen Nebenwirkungen ein schwacher Effekt der SIT auf die atopische Dermatitis festgestellt. Die SIT ist nach wie vor nicht für die Indikation «atopische Dermatitis» zugelassen. Jedoch steht ein gleichzeitig vorhandenes atopisches Ekzem bei Patienten mit einer zugelassenen Indikation der SIT (allergische Rhinokonjunktivitis und/oder mildes allergisches Asthma bronchiale) der Einleitung einer Immuntherapie nicht im Weg. Ängste, dass sich die atopische Dermatitis unter einer SIT verschlimmern könnte, seien unbegründet, so der Referent. Wenn es im Einzelfall dennoch während der Hyposensibilisierung zu einer deutlichen Ekzemverschlechterung kommen sollte, sei die Therapie abzubrechen, auch wenn sie im Hinblick auf die Rhinokonjunktivitis nützt.
Steroidentzugssymptome bei Patienten mit atopischer Dermatitis
Probleme mit dem Steroidentzug nach langer Glukokortikosteroidtherapie bei entzündlichen Hautkrankheiten kommen nicht selten und überwiegend bei Frauen entweder im Gesicht oder im Genitalbereich vor (5). Betroffene berichten subjektiv über brennende und stechende Empfindungen an der Haut. Klinisch gibt es einen Subtyp mit Ödem und Erythem, der bei Patienten mit atopischer Dermatitis häufiger vorkommt, und einen zweiten Subtyp mit Erythem, Papeln und Pusteln. In der Regel sollten Kortikosteroide ab Klasse II in diesen Regionen maximal während 10 Tagen ununterbrochen angewendet werden. Im Gesicht sind bei atopischer Dermatitis topische Calcineurininhibitoren vorzuziehen. AL L
Referenzen: 1. Werfel T et al.: S2k-Leitlinie Neurodermitis [atopisches Ekzem;
atopische Dermatitis] – Kurzversion. J Dtsch Dermatol Ges 2016; 14: 92–106. 2. Daeschlein G et al.: Risk factors for MRSA colonization in dermatologic patients in Germany. J Dtsch Dermatol Ges 2015; 13: 1015–1022. 3. Werfel T et al.: Exacerbation of atopic dermatitis on grass pollen exposure in an environmental challenge chamber. J Allergy Clin Immunol 2015; 136: 96–103. 4. Tam H et al.: Specific allergen immunotherapy for the treatment of atopic eczema. Cochrane Database Syst Rev 2016 (Epub ahead of print). 5. Hajar T et al.: A systematic review of topical corticosteroid withdrawal («steroid addiction») in patients with atopic dermatitis and other dermatoses. J Am Acad Dermatol 2015; 72: 541–549.
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