Transkript
BERICHT ZUM SCHWERPUNKT
Update zu Nahrungsmittelund Medikamentenallergien
Neuigkeiten und hilfreiche Leitlinien
Neue, für die Praxis hilfreiche, deutschsprachige Leitlinien zum Management IgE-vermittelter Nahrungsmittelallergien und zur allergologischen Diagnostik von Überempfindlichkeitsreaktionen auf Arzneimittel stehen jetzt zur Verfügung. Über Nahrungsmittel- und Medikamentenallergien berichteten Experten am Seminar AllergoUpdate 2016 in Köln.
Bei den IgE-vermittelten Nahrungsmittelallergien müssen 2 Formen unterschieden werden (1): L Primäre, vorwiegend frühkindliche Nahrungsmit-
telallergien nach gastrointestinaler Sensibilisierung auf vorwiegend stabile Nahrungsmittelallergene, meist Glykoproteine L Sekundäre, vorwiegend pollenassoziierte Nahrungsmittelallergien nach Sensibilisierung gegenüber Aeroallergenen mit anschliessenden Kreuzreaktionen auf strukturverwandte, häufig instabile Allergene pflanzlicher Lebensmittel.
Nahrungsmittelallergien bei Kindern
Nach wie vor sind Kinder häufiger von Nahrungsmittelallergien betroffen als Erwachsene, berichtete Prof. Dr. Kirsten Beyer, Klinik für Pädiatrie, CharitéUniversitätsmedizin, Berlin. Beispielsweise entwickeln in Europa 0,5 Prozent aller Kinder in den ersten 2 Lebensjahren eine Kuhmilchallergie. Dabei handelt es sich meist um eine vorübergehende Allergie. 57 Prozent der Kinder mit IgE-vermittelter Kuhmilchallergie entwickeln innerhalb von 12 Monaten eine Toleranz. In Deutschland entwickelt jedes 50. Kind in den ersten 2 Lebensjahren eine durch doppelblinde, plazebokontrollierte Provokation nachgewiesene, klinisch relevante Hühnereiallergie – in Griechenland jedoch nur jedes tausendste Kind. Die Hälfte der betroffenen Kinder verliert die Krankheit innerhalb eines Jahres wieder. Unklar ist, wieso die Kinder plötzlich klinisch tolerant werden und Hühnerei wieder ohne jegliche Symptome essen können, obschon die spezifischen IgE-Antikörper nach wie vor vorhanden sind. In Deutschland haben 0,5 Prozent aller Kinder in den ersten beiden Lebensjahren bereits eine klinisch manifeste Erdnussallergie. In frappantem Kontrast zur Kuhmilch- oder Hühnereiallergie werden nur 22 Prozent betroffener Kinder gemäss einer australischen Studie innerhalb von 3 Jahren klinisch tolerant. In der Regel behalten die meisten Betroffenen ihre Erdnussallergie bis ins
Jugend- oder Erwachsenenalter, sagte die Referentin. Die 3 frühkindlichen Nahrungsmittelallergene Erdnuss, Milch und Hühnerei sind für die meisten schweren anaphylaktischen Reaktionen im Kindesalter verantwortlich (1).
Nahrungsmittelallergien bei Erwachsenen
Im Unterschied zu Kindern seien Erwachsene vorläufig noch relativ selten von Erdnussallergien betroffen, denn es handle sich hier um eine relativ neue Erkrankung, sagte die Referentin. Bei den Pollen-assoziierten Nahrungsmittelallergien machen in Zentral- und Nordeuropa besonders die mit Birken- und Baumpollen assoziierten Erkrankungen Probleme. Häufigstes Symptom sei die Kontakturtikaria der Mundschleimhaut, die früher als orales Allergiesyndrom bezeichnet wurde. Schwere anaphylaktische Reaktionen mit respiratorischen und kardiovaskulären Symptomen kommen relativ selten vor. Am häufigsten lösen bei Erwachsenen Weizen, Soja, Sellerie, Haselnuss und Schalentiere Nahrungsmittelanaphylaxien aus (1). Um die Diagnose einer Nahrungsmittelallergie zu sichern oder – viel häufiger – um eine klinische Toleranz zu beweisen, seien in der Regel nach wie vor kontrollierte orale Provokationen notwendig, so die Referentin. Auch das Ausschliessen einer Nahrungsmittelallergie sei für betroffene Kinder und Erwachsene enorm wichtig, weil die Lebensqualität aufgrund des sicheren Wissens, nicht allergisch zu reagieren, wesentlich steige. Sogar das sichere Wissen um eine bestehende Allergie wirke sich günstig auf die Lebensqualität aus. Bei positivem oralem Provokationsresultat erhält der Patient seine allergenfreie Diät und muss allergenhaltige Nahrungsmittel komplett meiden. Die Referentin betonte, dass es nach negativer Provokation wichtig sei, dass der Patient das Allergen fortan regelmässig zu sich nehme, also mehrmals pro Woche allergenhaltige Produkte konsumiere.
SZD 2/2016
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Update zu Nahrungsmittel- und Medikamentenallergien
Allergologische Testung bei Verdacht
auf Arzneimittelüberempfindlichkeit
Eine Testung ist angezeigt, wenn:
L die Symptome mit einer Arzneimittelüberempfindlichkeit vereinbar sind
L das Zeitintervall zwischen Beginn der Arzneimittelzufuhr und Auftreten von
Symptomen passt
L bei typischem Auslöser (Arzneimittel) die Reaktion (Befund und Symptome)
passt
L der Zusammenhang nicht sicher erscheint
(nach Prof. Dr. Knut Brockow)
Notfalltherapie bei Anaphylaxie
Für den Notfall brauchbare Zäpfchen gebe es nicht, die einzige effektive Notfallbehandlung sei die Adrenalininjektion, so die Referentin. Sie machte darauf aufmerksam, dass neuerdings bei Kindern die Zulassungsgrenze des Adrenalin-Autoinjektors EpiPen® Junior gesenkt wurde. Bei kleinen Kindern unter 15 kg Körpergewicht sei bislang nur eine Offlabel-Verwendung des Autoinjektors möglich gewesen. Jetzt ist der genannte Autoinjektor (0,15 mg Adrenalin zur intramuskulären Injektion) bereits ab 7,5 kg Körpergewicht zur Verwendung zugelassen. Zudem soll neu bei Kindern und Jugendlichen ab 25 kg der Autoinjektor für Erwachsene (EpiPen® mit 0,3 mg Adrenalin) verwendet werden. Erfreulicherweise habe sich die professionelle Anaphylaxiebehandlung gemäss Leitlinien in den letzten Jahren verbessert, berichtete Prof. Beyer. Die Daten des europäischen Anaphylaxieregisters belegen, dass im Jahr 2011 lediglich 12 Prozent der Kinder und Jugendlichen bei schweren anaphylaktischen Reaktionen mit Atemwegs- oder Kreislaufsymptomen korrekt Adrenalin intramuskulär erhielten (2). Bis zum Jahr 2014 verdoppelte sich diese Rate auf 25 Prozent. Es fehlen aber immer noch 75 Prozent, bis alle Patienten im Notfall gemäss Leitlinien behandelt werden.
Leitlinien zu Arzneimittelallergien
Prof. Dr. Knut Brockow, Klinik und Poliklinik für Dermatologie und Allergologie, Technische Universität München, stellte die aktuelle «Leitlinie Allergologische Diagnostik von Überempfindlichkeitsreaktionen auf Arzneimittel» vor, an der auch die Schweizerische Gesellschaft für Allergologie und Immunologie (SGAI) mitgearbeitet hat (3). Überempfindlichkeitsreaktionen auf Arzneimittel manifestieren sich entweder innerhalb von 1 bis 6 Stunden nach Arzneimittelzufuhr (Sofortreaktionen mit Anaphylaxiesymptomen) oder nach mehr als 6 Stunden (Spätreaktionen, vorwiegend mit Exanthemen). Es wird empfohlen, die allergologische Abklärung innerhalb von 4 Wochen bis 6 Monaten nach Abheilung der Symptome durchzuführen (3).
Es gibt typische zeitliche Intervalle zwischen der ersten Arzneimittelzufuhr und dem erstmaligen Auftreten von Symptomen der Überempfindlichkeitsreaktion (3): L Urtikaria, Asthma, Anaphylaxie treten in der Regel
bis 1 Stunde (gelegentlich bis 6 Stunden, selten bis 12 Stunden) nach Exposition auf. L Ein makulopapulöses Arzneimittelexanthem tritt 4 bis 14 Tage (häufig ungefähr 1 Woche, bei Wiederholungsreaktionen 1 bis 4 Tage) nach Beginn der Zufuhr auf. L Eine akute generalisierte exanthemische Pustulose (AGEP) tritt 1 bis 12 Tage (im Fall von Aminopenizillinen meist 1 bis 3 Tage) nach Beginn der Zufuhr auf. L Stevens-Johnson-Syndrom (SJS) und Toxische epidermale Nekrolyse (TEN) treten 4 bis 28 Tage (im Fall von Allopurinol sogar bis 50 Tage) nach Beginn der Zufuhr auf. L Drug reaction with eosinophilia and systemic symptoms (DRESS) tritt 2 bis 8 Wochen nach Beginn der Zufuhr auf. Typische Auslöser von verschiedenen Exanthemvarianten sind: L Makulopapulöses Exanthem: Betalaktame, Sulfonamide, Chinolone, Antiepileptika. L AGEP: Aminopenizilline (am häufigsten), Chinolone, Chloroquin, Sulfonamide, Makrolide. L Verzögerte Reaktionen an Injektionsstellen: Heparine, Etanercept, Interferone. L SJS und TEN: Allopurinol (in Deutschland häufigster Auslöser), Antiepileptika, Sulfonamide, Nevirapin, Oxicame. L DRESS: Antiepileptika, Allopurinol, Sulfonamide, Dapson, Abacavir
Ein Fragebogen zur Erfassung aller bei der Abklärung von Medikamentenüberempfindlichkeiten relevanten Informationen ist in verschiedenen Sprachen im Internet erhältlich unter: www.eaaci.org/organisation/ eaaci-interest-groups/ig-on-drug-allergy/resources. html (Demoly-ENDA-Questionnaires for Drug Allergy IG). Wenn eine Arzneimittelüberempfindlichkeit aufgrund von Anamnese und Symptomen unwahrscheinlich ist, wird keine allergologische Diagnostik empfohlen. Ist eine Arzneimittelüberempfindlichkeit dagegen möglich oder wahrscheinlich – aber nicht bereits klinisch eindeutig – können Haut-, In-vitround Provokationstests eingesetzt werden (3). AL L
Referenzen:
1. Worm M et al.: Leitlinie zum Management IgE-vermittelter Nahrungsmittelallergien. Allergo J Int 2015; 24: 256–293.
2. Grabenhenrich LB et al.: Anaphylaxis in children and adolescents: The European Anaphylaxis Registry. J Allergy Clin Immunol 2016 (Epub ahead of print).
3. Brockow K et al.: Leitlinie Allergologische Diagnostik von Überempfindlichkeitsreaktionen auf Arzneimittel. Allergo J Int 2015; 24: 94–105.
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