Transkript
INTERVIEW
Aktuelle Entwicklungen in der Dermatologie
Interview mit Prof. Dr. Lars French, Direktor der Dermatologischen Klinik, Universitätsspital Zürich
Lars French
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Welche aktuellen Entwicklungen in der Diagnostik dermatologischer Erkrankungen halten Sie für besonders wichtig? Prof. Dr. Lars French: Im Bereich der Diagnostik profitieren wir extrem von den Entwicklungen der molekularbiologischen Technologien. Die heute mögliche, sehr schnelle Sequenzierung des gesamten Genoms von Patienten zu einem Preis, der auf unter 1000 Franken gesunken ist, spielt eine grosse Rolle für die personalisierte Medizin. In der Dermatoonkologie ist die personalisierte Medizin heute das tägliche Brot. Unsere Klinik ist eines der führenden Zentren zur Behandlung des Melanoms. Der Tumor jedes Melanompatienten wird hier so analysiert, dass eine personalisierte Behandlung durchgeführt werden kann. Und wenn ein Patient mit metastasiertem Melanom nicht mehr auf die Behandlung anspricht, werden erneut Metastasen biopsiert und die Sequenzierung durchgeführt. So erfahren wir innerhalb einer Woche, welches neue Medikament zusätzlich beim inzwischen veränderten Tumor eines Patienten verwendet werden muss. Weil sich das Melanom und seine Metastasen im Verlauf der Zeit extrem stark ändern, ist es nötig, dass die Therapie sich schnell den Veränderungen des Tumors anpasst.
Welche aktuellen Entwicklungen im Bereich der Medikamente erscheinen Ihnen besonders wichtig? Neue Medikamente sind immer seltener für alle Patienten gleich. Dagegen stehen mehr und mehr auf die Krankheit abzielende Medikamente zur Verfügung. Das hat den Vorteil, dass weniger Patienten, die keinen Nutzen aus einer Behandlung ziehen werden, aber potenzielle Nebenwirkungen entwickeln könnten, damit therapiert werden. Nachteilig ist, dass die Behandlung aufwendig und teuer ist. Allerdings können wir Kosten sparen, wenn wir einem Patienten ein teures Medikament nicht geben, weil wir jetzt voraussagen können, dass er nicht darauf ansprechen würde. Bisher musste man beispielsweise 6 Monate – bei Medikamentenkosten von vielleicht 50 000 Franken – abwarten, bis feststand, ob der Patient anspricht oder nicht. Die finanziellen Ressourcen können nun also gezielt dort eingesetzt werden, wo man bei den Patienten einen maximalen
Nutzen erreichen kann. Bei der Entwicklung neuer Medikamente sehe ich die Hauptproblematik darin, dass in unserer Gesellschaft immer stärker reguliert wird. Das ist mit zusätzlichen Kosten verbunden, die sich beim Preis neuer Medikamente oder neuer Technologien bemerkbar machen. Politiker wollen unter anderem geringe Kosten, aber auch hohe Qualität. Die Regulierung sollte aber gerade in einem Bereich wie der Medizin, wo manches nicht kontrollierbar ist, in vernünftigem Rahmen bleiben. Das Nullrisiko ist nicht erreichbar. Es sollte also differenziert überlegt werden, wie viele Mittel investiert werden sollen, um beispielsweise eine schwere Nebenwirkung zu vermeiden. Wenn wir auf allen Strassen Tempo 30 einführen würden, gäbe es weniger Verkehrstote – aber das ganze System würde blockiert.
Wie entwickelt sich der Bereich der medizintechnisch-apparativen Therapie? Im Bereich der Licht- und Laserapparate gibt es laufend Verbesserungen, die uns erlauben, gezielter und mit weniger Nebenwirkungen zu behandeln. Beispielsweise ist jetzt die Entfernung mehrerer Farben bei Tätowierungen möglich. Fortschritte gibt es auch bei der Elektrochemotherapie für lokale Metastasen. Wenn beispielsweise viele Melanommetastasen nur an einem Bein, aber nicht an anderen Körperstellen vorhanden sind, können betroffene Patienten manchmal noch mehrere Monate bis Jahre überleben. Ihre Lebensqualität wird aber durch die nekrotischen Metastasen stark beeinträchtigt. Mit Elektrochemotherapie können wir in solchen Fällen gute Erfolge erzielen und die Lebensqualität stark verbessern.
Wie ist Ihre Einstellung zur Lasermedizin und zur Ästhetischen Dermatologie? Unsere Klinik ist im Laserbereich sehr engagiert. Wir übernehmen hier eine Ausbildungsfunktion und wollen Patienten mit schweren dermatologischen Problemen behandeln. Wenn bei ästhetischen Behandlungen seltene Nebenwirkungen aufgetreten sind (z.B. Granulomentwicklung auf Hyaluronsäure), kümmern wir uns gerne als gesuchte Anlaufstelle um die betroffenen Patienten von nah und fern. Es soll hier
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aber nicht ein eigentliches universitäres Zentrum für Ästhetische Dermatologie mit Priorität bei der Behandlung schwerer dermatologischer Krankheiten aufgebaut werden. Unsere Räumlichkeiten können auch nicht mit dem Wellbeing-Ambiente von ästhetisch-dermatologischen Praxen in Konkurrenz treten. Begrenzt erbringen wir Selbstzahlerleistungen. Für die Klinik besteht eine grosse ökonomische Herausforderung darin, dass Laserapparate wegen Veränderungen und Verbesserungen etwa alle 4 Jahre ersetzt werden müssen. Um die teuren Apparate zu amortisieren, müssen viele Behandlungen durchgeführt werden.
Ist die dermatologische Versorgung der Bevölkerung in der Schweiz optimal, oder gibt es Verbesserungsbedarf? Weltweit gesehen ist die dermatologische Versorgung in der Schweiz auf höchstem Niveau. Die sehr gut ausgebildeten niedergelassenen Dermatologen decken die gesamte Dermatologie ab. Das Fortbildungsangebot ist sehr gut. Auch die Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Dermatologen und dem universitären Zentrum ist sehr gut.
Welche neuen Herausforderungen zeichnen sich für die Zukunft ab? Ich sehe hauptsächlich Herausforderungen bei der Finanzierung. Bei den Verhandlungen zur TarmedRevision steht zur Diskussion, ob der Handlungstarif durch einen Zeittarif ersetzt werden soll. Das geht in Richtung eines fixen Lohns bei fixer Arbeitszeit und letztlich in Richtung einer Verstaatlichung der Medizin, wobei Effizienz und Qualität nicht mehr gewährleistet wären. Die Dermatologie ist ein spezialisiertes Fach mit 2000 Krankheiten und mit medizinischer und chirurgischer Dermatologie. Das vorgeschlagene Modell bringt die Gefahr mit sich, dass dieses sehr vielseitige Fach auf die kosmetische Dermatologie als Selbstzahlerfach eingeschränkt würde. Ein Blick nach Deutschland zeigt, dass die Handlungen in der Dermatologie sehr schlecht bezahlt werden und dass ein Grossteil der Dermatologen nur ästhetische Dermatologie anbietet und nur Selbstzahlerleistungen erbringt. Weil beispielsweise die Hautkrebsprophylaxe oder alte Patienten mit blasenbildenden Dermatosen zu wenig einbringen, werden solche Bereiche vernachlässigt. So wird die Versorgung eines Teils der Bevölkerung schlechter. Das läuft darauf hinaus, dass lediglich Selbstzahler noch eine qualitativ gute dermatologische Versorgung erhalten. Politiker wollen in der Schweiz die Effizienz der medizinischen Versorgung erhöhen. Wir bemühen uns sehr, die Effizienz vor allem mit technologischen Mitteln, aber auch mit standardisierten Prozessen und optimalem Qualitätsmanagement zu steigern. Aber es gibt Grenzen der Effizienzsteigerung. Es gibt auch
Grenzen bei der Anpassung des Einkommens. Sicher hat es Exzesse gegeben bei gewissen Ärzten, die unvernünftig verdient haben. Man muss aber vorsichtig sein bei der Beschränkung der Ärzteeinkommen. Es wäre schade, wenn dadurch ein Zweiklassensystem entstehen würde mit Topversorgung von Selbstzahlern und Minimalversorgung von Patienten, die sich das Selbstzahlersystem nicht leisten können. Jedenfalls kann man nicht Ärzte, die mit 32 Jahren den Facharzt erworben und 14 Jahre in die Aus- und Weiterbildung investiert haben, um sich als Fachspezialist ein berufliches Topniveau zu erarbeiten, für ein Jahreseinkommen von lediglich 150 000 Franken (Schätzung aufgrund des Zeittarifs) arbeiten lassen. Bisher fehlte den Dermatologen eine gute Lobby für die Tarifverhandlungen. Auf diesem Gebiet ist jetzt Professionalisierung nötig.
Welchen Beitrag leisten die Zürcher Dermatologischen Fortbildungstage (ZDFT) zur Fortbildung in Dermatologie? Ich hatte als Chefarzt in Zürich den Auftrag, für die niedergelassenen Dermatologen ein gutes Fortbildungsangebot bereitzustellen. Weil die Niedergelassenen zunehmend unter Zeitdruck stehen, erschien es nicht mehr vernünftig, dass sie jeweils für eine zweistündige Fortbildung während des ganzen Donnerstagnachmittags in der Praxis fehlen. Deshalb beschloss ich, die Fortbildung zu bündeln – dieses Jahr ganztags von Mittwoch bis Freitag. Weil der Lerneffekt in der Muttersprache grösser ist, werden die ZDFT auf Deutsch durchgeführt. Die SGDV bewertet die Teilnahme an den 3 Tagen mit 24 Kreditpunkten. Dieses Fortbildungskonzept hat sich bewährt. Dieses Jahr fanden die ZDFT zum fünften Mal statt und wurden von 193 niedergelassenen Dermatologen und Assistenzärzten besucht. Fast die Hälfte der praktizierenden Dermatologen der Schweiz nimmt jedes Jahr an unserer überregionalen, praxisbezogenen Fortbildung teil. Organisiert werden die ZDFT in Zusammenarbeit mit der Dermatologischen Klinik des USZ, der Zürcher Dermatologen Gesellschaft und der Bruno-Bloch-Stiftung. Finanziert wird die Fortbildung durch Teilnehmerbeiträge und die Industrie (Aussteller, Sponsoren). Alle Referenten – auch auswärtige und aus dem Ausland – verzichten auf ein Honorar und erhalten nur die Reiseauslagen vergütet.
Welche internationalen Kongresse empfehlen Sie Dermatologen zur Fortbildung zusätzlich zum nationalen Fortbildungsangebot? Derma Update in Wiesbaden und Berlin bietet unter der wissenschaftlichen Leitung von Prof. Thomas Schwarz, Kiel, und Prof. Thomas Luger, Münster, jedes Jahr eine kurze, zweitägige Fortbildung auf höchstem Niveau. Dieses Jahr findet Derma Update am Freitag, 13. und Samstag, 14. November 2015,
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in Wiesbaden sowie am Freitag, 27. und Samstag, 28. November 2015, in Berlin statt. Beim EADVKongress wurde das Programm in den letzten Jahren laufend verbessert. Das sehr breite Angebot an parallel stattfindenden Sessions macht aber die Auswahl schwierig. Etwas problematisch ist, dass die Qualität der Vorträge von Referenten aus verschiedenen europäischen Ländern nicht einheitlich ist. In 3 Tagen an den ZDFT lernt man – meiner Meinung nach – wesentlich mehr als in 3 Tagen am EADV-Kongress. Auch wichtig ist jedoch am EADV-Kongress der Austausch mit Kollegen aus anderen Ländern. Spitze finde ich die Journées dermatologiques de Paris, die von manchen Dermatologen der Romandie besucht werden und dieses Jahr vom 8. bis 12. Dezember 2015 stattfinden. Die Münchner Fortbildungswoche für praktische Dermatologie und Venerologie, die alle 2 Jahre stattfindet, ist auch sehr gut, aber inzwischen so gross geworden, dass man sich im Angebot fast etwas verliert. Ein Vorteil kleinerer Fortbildungsveranstaltungen besteht darin, dass sie wertvolle persönliche Gespräche zwischen Zuhörern und Referenten ermöglichen.
Wie beurteilen Sie das Anliegen praktizierender Dermatologen, sich durch Netzwerkbildung wie PsoriNet besser zu positionieren, zum Beispiel bezüglich systemischen Psoriasisbehandlungen mit Biologika? Ich begrüsse es, wenn sich praktizierende Dermatologen in Netzwerken zusammenschliessen, um zusammenzuarbeiten und zu zeigen, dass in ihrer Praxis
zum Beispiel die Behandlung der Psoriasis qualitativ hochstehend ist. Das Netzwerk sollte aber nicht nur ein Marketinginstrument sein, sondern es sollte auch die Verpflichtung bestehen, die Patienten in Register einzutragen. Das SDNTT (Swiss Dermatology Network for Targeted Therapies) ist ein Register für alle gezielten Therapien (nicht nur bei Psoriasis), bei dem verschiedene dermatologische Kliniken zusammenarbeiten. Eine Kooperation von SDNTT und PsoriNet ist erwünscht. Derzeit erhalten schätzungsweise 50 Prozent der Psoriasispatienten, bei denen eine systemische Therapie oder ein Biologikum indiziert wäre, diese Medikamente nicht. Die Behandlung von Psoriasispatienten kann also durchaus noch verbessert werden. Die dermatologischen Universitätskliniken können das aber nicht allein bewältigen, sondern es braucht dazu auch engagierte Niedergelassene, die medizinische Dermatologen bleiben und nicht in die ästhetische Dermatologie abwandern wollen. Systemische, personalisierte Melanomtherapien gehören in eine Universitätsklinik, aber systemische Psoriasistherapien wie Biologikabehandlungen gehören auch in die Praxen. Es ist gut, wenn Ärzte der Universitätskliniken und besonders auch Patienten und Hausärzte wissen, welche Dermatologiepraxen Erfahrung mit systemischen Psoriasistherapien haben. Netzwerke wie PsoriNet sind da nützlich.
L
(Das Interview wurde am 25. Juni 2015 von Alfred Lienhard in Zürich geführt.)
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