Transkript
BERICHT ZUM SCHWERPUNKT
Chronische Urtikaria
Neue Leitlinie und neue Therapie
Die chronische spontane Urtikaria ist häufig, sie wird aber oft nicht diagnostiziert, und sie wird zu wenig behandelt. Nicht selten versagen die zur Urtikariatherapie zugelassenen Antihistaminika. Nicht ungewöhnlich sind Patienten mit stark beeinträchtigter Lebensqualität, bei denen alle bislang verfügbaren Therapieoptionen erfolglos blieben. Jetzt gibt es eine neue Behandlungsmöglichkeit, die nach Ansicht von Prof. Dr. Marcus Maurer, Charité Universitätsmedizin, Berlin, eine Revolution in der Urtikariatherapie darstellt. Heute sei es möglich, die in der neuen internationalen Guideline erhobene Forderung nach kompletter Beseitigung der Urtikariasymptome therapeutisch zu erfüllen. Mit Omalizumab (Xolair®) könne das Therapieziel der raschen und kompletten Symptomkontrolle auch bei Patienten erreicht werden, deren chronische Urtikaria auf Antihistaminika nicht angesprochen habe, so Prof. Maurer, der im Rahmen des EAACI-Kongresses 2014 (European Academy of Allergy and Clinical Immunology) ein Satellitensymposium der Firma Novartis als Chairman leitete.
Prof. Dr. Marcus Maurer in Siegerpose: «Xolair® kann als Revolution in der Urtikariatherapie bezeichnet werden.»
Aktuell werde die Urtikaria schlicht und einfach definiert als eine Gruppe von Krankheiten, die sich durch juckende Quaddeln und/oder Angioödeme bemerkbar macht, berichtete Dr. Clive Grattan, Norfolk & Norwich University, Norwich, UK. Die Urtikaria muss abgegrenzt werden von Quaddeln und/oder Angioödemen, die als Symptome anderer Erkrankungen auftreten (z.B. bei der Anaphylaxie, bei autoinflammatorischen Syndromen, beim hereditären Angioödem oder bei der Urtikaria-Vaskulitis mit Gefässwandnekrosen in der Biopsie). Urtikaria kommt bei Frauen häufiger vor als bei Männern (2:1) und betrifft alle Altersgruppen mit einem Häufigkeitsgipfel bei den 20- bis 40-Jährigen. Meistens handelt es sich um eine spontane Urtikaria, die häufig ohne ersichtliche Ursache kommt und wieder verschwindet. Akute Formen sind häufiger als chronische, mehr als 6 Wochen bestehende Formen. Der chronischen spontanen Urtikaria wird in der aktuellen internationalen Guideline die chronische induzierbare Urtikaria gegenübergestellt (1). Bei den induzierbaren Urtikariaformen wird zwischen physikalischer Urtikaria, cholinergischer Urtikaria, Kontakturtikaria und aquagener Urtikaria unterschieden. Zur physikalischen Urtikaria gehören beispielsweise der symptomatische urtikarielle Dermografismus (Urticaria factitia) und die kälteinduzierte Urtikaria nach Kältekontakt (kalte Gegenstände, Luft, Wind, Flüssigkeiten).
Bis anhin in 30 Prozent der Fälle therapierefraktär
Die Urtikaria kann lange Zeit Beschwerden verursachen, bis die Erkrankung von selbst wieder verschwindet. Eine Behandlungsdauer von 10 und mehr
Jahren ist nicht ungewöhnlich. Auch heute noch kann die Heilung nicht beschleunigt herbeigeführt werden, aber die Symptome können beseitigt werden, solange es noch nicht zur Spontanheilung gekommen ist. Nachbeobachtungen haben gezeigt, dass die Hälfte der Patienten mit chronischer spontaner Urtikaria nach 6 Monaten noch Symptome aufweist, 30 Prozent weisen nach 3 Jahren, 10 Prozent nach 5 Jahren und 8 Prozent auch noch nach 25 Jahren Symptome auf, so Dr. Grattan. Wenn sich Quaddeln und Angioödeme bemerkbar machen, dauert die chronische spontane Urtikaria in der Regel länger als bei Patienten, die nur Quaddeln aufweisen. Die Erstlinientherapie mit Antihistaminika der zweiten Generation in Normaldosierung hilft etwa der Hälfte der betroffenen Patienten. Trotz 4-facher Antihistaminikadosierung bleibt ein Drittel symptomatisch. Mehr als 30 Prozent können also nicht mit Antihistaminika behandelt werden. «Das ist ein hoher Prozentsatz», betonte Dr. Grattan. Bei Patienten mit therapierefraktärer, chronischer spontaner Urtikaria sei besonders die Schlaflosigkeit der «Killer» der Lebensqualität.
Aktuelle Neuauflage der internationalen Urtikaria-Guideline
Die Diagnose ist bei chronischer spontaner Urtikaria einfach zu stellen, wenn die Patienten gründlich zu 23 in der aktuellen internationalen Guideline genannten Aspekten befragt werden (1). Als Blutuntersuchungen würden routinemässig lediglich ein Blutbild und eine Blutsenkung beziehungsweise ein CRP empfohlen, berichtete Prof. Dr. Elias Toubi, Bnai-Zion Medical Center, Haifa, Israel. Nur wenn die Anamnese auf eine zugrunde liegende Ursache hindeutet (z.B.
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Chronische Urtikaria
Tabelle:
UAS7 zur Erfassung der Krankheitsaktivität bei chronischer spontaner Urtikaria (nach Referenz [1])
Punktzahl 0 1 2
Quaddeln Keine Quaddeln Leicht: weniger als 20 Quaddeln pro 24 Stunden Mässig: 20 bis 50 Quaddeln pro 24 Stunden
3 Intensiv: mehr als 50 Quaddeln pro 24 Stunden oder grosse konfluierende Areale mit Quaddeln
Pruritus Kein Pruritus Leicht: Pruritus vorhanden, aber nicht störend Mässig: Pruritus störend, aber ohne Beeinträchtigung der Alltagsaktivitäten oder des Schlafs Intensiv: schwerer Pruritus, der die Alltagsaktivitäten oder den Schlaf beeinträchtigt
Gesamtpunktzahl: während 1 Woche Summe der Tagespunktzahlen von 0 bis 6 (mögliche Maximalpunktzahl: 42)
Infekt; Typ-I-Allergie; pseudoallergische Reaktion auf nichtsteroidale Entzündungshemmer, Nahrungsmittelzusatzstoffe oder Nahrungsmittel; Malignom; Autoantikörper), sind zusätzliche Abklärungen angezeigt (1). Die Guideline fordert dazu auf, bei allen Patienten den Schweregrad der Erkrankung zu beurteilen. Auch in der Praxis eignet sich dazu der UAS7 (Urticaria Activity Score 7), der die Krankheitsaktivität erfasst und bei der Abschätzung des Ansprechens auf die Therapie behilflich ist (siehe Tabelle). Weil die chronische Urtikaria die Lebensqualität stark beeinträchtigen kann, regt die neue Guideline an, auch in der Praxis die Lebensqualität zu erfassen. Mit dem CU-Q2oL (Chronic Urticaria Quality of Life Questionnaire) steht ein validierter Fragebogen zur Verfügung, der speziell zur Beurteilung der Lebensqualität für Patienten mit chronischer spontaner Urtikaria entwickelt wurde .
Omalizumab als neue Urtikariatherapie
Die neue Leitlinie steckt das Therapieziel bei chronischer Urtikaria hoch. Die Behandlung soll die Beschwerden nicht bloss lindern, sondern komplett beseitigen. Um das Therapieziel der kompletten Beschwerdefreiheit schneller zu erreichen, wurde das empfohlene Behandlungsschema gestrafft. Es besteht nun nur noch aus 3 statt wie bis anhin aus 4 Behandlungsstufen (1). Die Therapie mit täglicher Einnahme eines nicht sedierenden H1-Antihistaminikums der zweiten Generation in Standarddosierung bildet als First-LineBehandlung die erste Stufe (Kasten). Bei Symptompersistenz sollte nicht länger als 2 Wochen zugewartet werden, bis die Dosis in der zweiten Stufe bis zur 4-fachen Dosis erhöht wird (off label use). Wenn die Symptome trotz Dosissteigerung des Antihistaminikums persistieren, wird nach 1 bis 4 Wochen als dritte Therapiestufe die zusätzliche Verwendung von Omalizumab (Xolair®), alle 4 Wochen als subkutane Injektionen von 300 mg, empfohlen (1). Der Nutzen von Montelukast (Singulair®, Generika) als alternative Add-on-Therapie in der dritte Stufe sei gering, sagte der Referent. Ciclosporin A als weitere Alternative sei zwar gut dokumentiert, werde aber
Kasten: Beispiele nicht-sedierender H1-Antihistaminika der zweiten Generation
L Bilastin (Bilaxten®) L Cetirizin (Zyrtec®, Generika) L Desloratadin (Aerius®, Generika)
L Fexofenadin (Telfast®, Generika) L Levocetirizin (Xyzal®, Generika) L Loratadin (Claritine®, Generika)
aufgrund der potenziellen Nebenwirkungen von vie-
len Ärzten gemieden.
Omalizumab binde als rekombinanter humanisierter
monoklonaler Antikörper an IgE, wobei sich IgE-Hexa-
mere bildeten, erläuterte Prof. Dr. Christian Vester-
gaard, Aarhus University Hospital, Aarhus, Dänemark.
Die Bindung von IgE an hochaffine IgE-Rezeptoren
auf Basophilen und Mastzellen wird verhindert.
Durch Reduktion von freiem IgE werden IgE-Rezep-
toren auf den Zielzellen herunterreguliert.
In 3 Phase-III-Studien wurde Omalizumab bei insge-
samt 975 Patienten mit antihistaminikaresistenter,
chronischer spontaner Urtikaria getestet. In der
ASTERIA-I-Studie dauerte die Behandlung 24 Wo-
chen, in der ASTERIA-II-Studie 12 Wochen. An der
GLACIAL-Studie (24 Wochen) beteiligten sich Patien-
ten, deren Symptome sich trotz Therapie mit der
4-fachen Antihistaminikadosis sowie zusätzlich
H2-Antihistaminika und/oder Leukotrienrezeptor-
antagonisten nicht ausreichend gebessert hatten.
Insgesamt befreite die Add-on-Behandlung mit
Omalizumab in den 3 Studien 34 bis 44 Prozent der
Patienten komplett von Quaddeln und Juckreiz. Bei
52 bis 66 Prozent blieben höchstens noch geringe
Urtikariasymptome zurück (UAS7 ≤ 6). Die drama-
tische Besserung trete mit dieser sicheren, gut tole-
rierten Behandlung sehr rasch ein, berichtete der
Referent. Es handle sich aber nicht um eine kurative
Therapie, denn nach Behandlungsstopp kehrten die
Symptome allmählich zurück.
L
Alfred Lienhard
Referenz: 1. Zuberbier T et al. The EAACI/GA2LEN/EDF/WAO Guideline for
the definition, classification, diagnosis, and management of urticaria: the 2013 revision and update. Allergy 2014; 69: 868–887.
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