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BERICHT
Urtikaria bei Kindern
Nicht sedierende Antihistaminika sind erste Wahl
Die Wahrscheinlichkeit, im Laufe des Lebens eine Urtikaria zu entwickeln, beträgt rund 20 Prozent. Auch Kinder sind von den juckenden Quaddeln häufig betroffen. Therapie der ersten Wahl sind die nicht sedierenden Antihistaminika der zweiten Generation. Bei Abklärung und Behandlung ist eine sorgfältige Differenzialdiagnose wichtig. Wenn die Symptome mehr als 6 Wochen bestehen, ist von einem chronischen Verlauf auszugehen, der weitere Abklärungen erfordert.
RENATE BONIFER
Die Urtikaria bei Kindern hat viele Parallelen zur Erwachsenenurtikaria. Während sie jedoch bei Kindern und Jugendlichen eher ein akutes Phänomen ist, beginnen die chronischen Formen der Nesselsucht oft erst ab dem 30. bis 40. Lebensjahr. Dabei gilt als klassischer Leitbefund die zumeist juckende Quaddel. Sie ist oft mit einem zentral abgeblassten Erythem verbunden, und zwar an fast jeder Stelle des Körpers. «Die Urtikaria tritt praktisch überall auf, wo wir Haut haben», erklärte Prof. Dr. Andreas Bircher, Leiter der Allergologischen Abteilung des Universitätsspitals Basel, an der Fortbildung «Pädiatrische Dermatologie» in Basel.
Differenzialdiagnose
Als wichtigste Differenzialdiagnose sind makulöse und papulöse Exantheme vor allem im Initialstadium abzugrenzen. Auch die Minor-Form des Erythema exsudativum multiforme ist hier erwähnenswert.
Ursachen
Bei der allergischen Urtikaria stehen Nahrungsmittel und Medikamente an erster Stelle. Sind neben der Haut weitere Organe betroffen, mit Symptomen wie zum Beispiel Jucken an der Mundschleimhaut, Bronchospasmen, Koliken oder Kreislaufschwierigkeiten, und ist zudem die Urtikaria akut rezidivierend, sollte an einen IgE-vermittelten Mechanismus oder an eine Pseudoallergie gedacht werden. Hingegen kann die physikalische Urtikaria bekanntermassen durch Faktoren wie Kälte, Licht, Druck, Vibrationen oder Wärme ausgelöst werden. Auch anstrengungsinduzierte, cholinergische oder wasserinduzierte Formen gehören in dieses Spektrum. Halten die Symptome weniger als 6 Wochen an, kann man in der Praxis von einer akuten Urtikaria aus-
gehen. In solchen Fällen sollte nach möglichen Triggern gefahndet werden, wie Grunderkrankungen, bestimmte Ernährungsgewohnheiten oder Medikamente. Auch an mögliche Infektionen sollte gedacht werden.
Chronische Urtikaria
Besteht die Urtikaria länger als 6 Wochen, ist von einem chronischen Verlauf auszugehen. Hier sollten Beginn, Verlauf, Umstände, assoziierte Symptome, Infektionen beziehungsweise andere Erkrankungen, bekannte Allergien oder Medikamente bei der Analyse berücksichtigt werden. Zur Basisabklärung gehört anschliessend die Untersuchung der Schilddrüse, aber auch die Suche nach möglichen Parasiten. Bleibt beides erfolglos, kann nach chronischen Infekten, möglichen Autoimmunerkrankungen oder Additivaintoleranzen gesucht werden. Die Erstellung eines Gesamt-IgE sei hingegen zu unspezifisch, um brauchbare Hinweise auf Allergien zu bekommen, sagte Bircher. Unter den physikalischen Triggern, die in Zusammenhang mit einer chronisch induzierbaren Urtikaria stehen, sind Dermografismus, Kälte und Wärme (hier ist vor allem die Kerntemperatur gemeint) recht häufig. Dagegen spielen Druck, Vibrationen, Licht oder Wasser als Auslöser eine eher untergeordnete Rolle. Als einzige wirklich gefährliche Form gilt die Kälteurtikaria (Eiswürfeltest), da sie beim Schwimmen zu einer Hypotonie führen kann.
Antihistaminika
Als Therapie der ersten Wahl werden Antihistaminika der zweiten Generation, wie zum Beispiel (Levo-)Cetirizin, (Des)loratadin, Fexofenadin oder Bilastin, empfohlen. Dagegen seien die alten, sedierenden
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Urtikaria bei Kindern
Tabelle:
Für Kinder zugelassene orale1 Antihistaminika der 2. Generation
Substanzen Bilastin2 Cetirizin3
Desloratadin3
Produkte Bilaxten® Zyrtec®, Triofan® Allergie und Generika Aerius® und Generika
Form T S, T
S, LYO, T
Ebastin
in der Schweiz nicht im Handel
S, LYO, T
Fexofenadin
Levocetirizin
Loratadin
Mizolastin Rupatadin2
Telfast®, Fexofenadine Zentiva® Xyzal® und Generika Claritine® und Generika
in der Schweiz nicht im Handel in der Schweiz nicht im Handel
T
S, T
S, T
T T
Tagesdosis für Kinder ≥ 12 Jahre: 20 mg 1 ×/Tag 2–5 Jahre: 2,5 mg 2 ×/Tag
6–11 Jahre: 5 mg 2 ×/Tag ≥ 12 Jahre: 10 mg 1 ×/Tag 1–5 Jahre: 1,25 mg 1 ×/Tag
6–11 Jahre: 2,5 mg 1 ×/Tag ≥ 12 Jahre: 5 mg 1 ×/Tag 2–5 Jahre: 2,5 mg 1 ×/Tag
6–11 Jahre: 5 mg 1 ×/Tag ≥ 12 Jahre: 10 mg 1 x/Tag 6–11 Jahre: 30 mg 2 ×/Tag4 ≥ 12 Jahre: 120 mg4 oder 180 mg 1 ×/Tag 2–5 Jahre4: 1,25 mg 2 ×/Tag ≥ 6 Jahre: 5 mg 1 ×/Tag 2–11 Jahre: 5 mg 1 ×/Tag ≥ 12 Jahre: 10 mg 1 ×/Tag ≥ 12 Jahre: 10 mg 1 ×/Tag ≥ 12 Jahre: 10 mg 1 ×/Tag
1Topische Antihistaminika werden, gemäss den gegenwärtigen Guidelines für die Behandlung der Urtikaria, nicht empfohlen. 2Gemäss «European Medicine Agency paediatric investigation plan» 3In einigen Ländern für die Behandlung der chronischen idiopathischen Urtikaria bei Kindern > 6 Jahre geprüft. 4Zulassung nur für allergische Rhinitis T: Tablette; S: Lösung; LYO: Lyphilisat/Sublingualtablette Quellen: SGDV-Fortbildung vom 7. November 2013 und www.swissmedic.ch, Stand: 15. Januar 2014
Antihistaminika eigentlich nicht mehr im Gebrauch, erklärte Bircher. Die für Erwachsene empfohlene Tagesdosiserhöhung dieser Medikamente (bis zu 4-fach) sei als Second-Line-Therapie für Kinder nicht überprüft. Ebenso seien die meisten Third-Line-Empfehlungen off-label für die Kleinen. Bei den für Kinder zugelassenen Antihistaminika müssten die Altersangaben beachtet werden (Tabelle), wer unter Einjährige behandle, sei immer im Off-Label-Bereich, so Bircher.
Manche Kinder entwickeln auch unter normal dosier-
ten Antihistaminika eine Stimulation des Appetits.
Dies kann eine rasche Gewichtszunahme zur Folge
haben. Deswegen sollte man die Eltern darauf hin-
weisen, ihr Kind bei Heisshungerattacken etwas zu
bremsen.
L
Renate Bonifer
SGDV-Fortbildung «Pädiatrische Dermatologie», 7. November 2013, Universitätsspital Basel
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