Transkript
BERICHT
Allergen-Immuntherapie mit einer einzigen Spritze?
Der Schweizer Weg in die Zukunft der SIT
Die spezifische Immuntherapie (SIT), ob subkutan als SCIT oder sublingual als SLIT durchgeführt, wird bislang nur wenig verwendet, und viele Patienten brechen die jahrelange Behandlung vorzeitig ab. Gefragt sind weniger zeitaufwendige Formen der Immuntherapie, doch der Weg von der Forschung in den klinischen Alltag ist steinig. Über innovative Formen der SIT debattierten PD Dr. Thomas Kündig, Dermatologische Klinik des Universitätsspitals Zürich, und Prof. Dr. Albrecht Bufe, Abteilung für Experimentelle Pneumologie, Ruhr-Universität Bochum, am 8. Deutschen Allergiekongress 2013 in Bochum.
Wird bald eine einzige Spritze zur spezifischen Immuntherapie ausreichen? Bevor Thomas Kündig seine Argumente und Forschungsergebnisse darlegen konnte, waren 82 Prozent der Zuhörer pessimistisch und stimmten Nein. Doch während der Debatte zwischen den beiden Kontrahenten kippte die Stimmung, und zum Schluss legten 56 Prozent ein optimistisches Ja ein. Nur noch 44 Prozent blieben skeptisch beim Nein.
Herkömmliche SIT sieht allzu harmlos aus
Das Immunsystem habe ein enorm potentes Gedächtnis, das der Menschheit das erfolgreiche Überleben ermöglicht habe, sagte Thomas Kündig. Ein einziger Antigenkontakt reiche aus, um sich lebenslang ins immunologische Gedächtnis einzubrennen. Gegen aggressive Mikroorganismen baut das Immunsystem ein starkes, gegen harmlose Erreger dagegen nur ein schwaches immunologisches Gedächtnis auf. Aggressive Keime replizieren intensiv und das Immunsystem reagiert auf die hohe «Dosis» entsprechend stark. Dazu kommt, dass sich aggressive Keime ausbreiten, während harmlose Keime träg an Ort und Stelle liegen bleiben und keine starke Immunantwort nötig machen. Ähnlich verhält es sich mit einem subkutan gespritzten Allergenextrakt, der grösstenteils subkutan liegen bleibt und von dem
nur ein geringer Anteil in drainierende Lymphknoten gelangt. Aggressive Keime bringen zudem Pathogen Associated Molecular Patterns mit sich (z.B. bakterielle DNA, virale RNA), die eine starke Immunantwort induzieren. Die herkömmliche Allergen-Immuntherapie bringt dagegen als Adjuvans Alum mit sich. Thomas Kündig richtete an seine Zuhörer die rhetorische Frage: «Kennen Sie irgendeinen Keim, der mit Alum daherkommt?» Aggressive Keime dringen durch die Haut oder die Schleimhäute in den Körper ein, also dort, wo dendritische Zellen Wache schieben. Bei der herkömmlichen Immuntherapie wird das Allergen dagegen ins Fettgewebe gespritzt. Weil dort nur wenige Immunzellen zu finden sind, erstaunt es nicht, dass eine schlechte Immunreaktion resultiert. Wenn aber wie bei der ILIT direkt in Lymphknoten gespritzt wird, könne mit 3 intralymphatischen Allergeninjektionen etwa der gleiche Effekt erzielt werden wie mit 60 subkutanen Injektionen, sagte Thomas Kündig.
Innovative SIT gleicht einem aggressiven Erreger
Das Immunsystem hält die konventionelle subkutane SIT also bloss für einen harmlosen Einschleichversuch eines Allergens und reagiert nur schwach darauf. Um das Immunsystem stärker zu stimulieren, müsse aus dem Allergen ein Gebilde «gebastelt» werden, das wie ein aggressiver Keim aussehe, sagte Thomas Kündig. Mit seiner Arbeitsgruppe konnte er zeigen, dass dies tatsächlich gelingt und dass dann wirklich nur eine einzige Spritze ausreicht. Das Hausstaubmilbenallergen Der p 1 wurde an VLP (virus-like particles) gebunden, die sich aus einem Bakteriophagenprotein gebildet hatten (1). Um einen besonders starken Stimulus für B-Zellen zu erzielen, wurden die Epitope auf der Oberfläche der Partikel geometrisch angeordnet. Bei 24 gesunden Freiwilligen wurde das als Keim verkleidete Allergen 3-mal subkutan oder intramuskulär injiziert. «Schon nach der ersten Spritze sahen wir, dass die IgG gegen das Allergen angestiegen waren», berichtete Thomas Kündig.
ILIT noch nicht reif für die breite Anwendung
Seinen ersten Einwand stellte Prof. Bufe unter das Motto «Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer». Zwar anerkannte er, dass die Arbeitsgruppe von Thomas Kündig nachweisen konnte, dass die innovative ILIT
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Allergen-Immuntherapie mit einer einzigen Spritze?
(3 intralymphatische Injektionen in 8 Wochen) klinisch gleich wirksam ist wie die Standard-SCIT (50 bis 80 subkutane Injektionen in 2 bis 5 Jahren) (2). Doch habe es sich bei dieser Publikation erst um eine Proofof-concept-Studie gehandelt (Phase-I/II-Studie), und Thomas Kündig sei bislang weltweit der einzige Arzt, der diese Therapie beherrsche. Das zweite Gegenargument betraf die Risiken der ILIT, die noch zu wenig bekannt seien. «Ihr seid noch nicht so weit, um diese Therapie sicher auf den Markt zu bringen», gab Prof. Bufe seinem Vorredner zu verstehen. Der dritte Einwand lautete, dass der Wirkmechanismus der ILIT noch unbekannt sei. Bei der konventionellen SIT wisse man dagegen, dass und wie sie wirke, sagte Prof. Bufe. Er vertrat die Ansicht, dass der Wirkmechanismus der SCIT und der SLIT einerseits sowie der ILIT andererseits nicht vergleichbar sei. Die SLIT wirke breiter, antiinflammatorisch und immunmodulatorisch. Die ILIT wirke dagegen wahrscheinlich vakzinatorisch, indem Gedächtniszellen induziert würden. Es stelle sich die Frage, ob dies für eine Allergen-Immuntherapie ausreichend sei. Die SIT sei die einzige kausale Therapie allergischer Erkrankungen in allen Altersgruppen, so Prof. Bufe. Bei Kindern mit allergischer Rhinitis sei sie sogar bezüglich Asthma sekundär präventiv wirksam. Die klinische Effektivität sowohl der SCIT als auch der SLIT sei umfangreich belegt. Das Nebenwirkungsprofil sei hinlänglich bekannt und beherrschbar.
Schweizer und Schweden testeten die ILIT erfolgreich
Die Schweizer seien mit der ILIT nicht mehr auf weiter Flur allein, konterte Thomas Kündig. Inzwischen führten auch 3 medizinische Zentren in Schweden die intralymphatische Allergen-Immuntherapie erfolgreich durch, berichtete er. Im Februar dieses Jahres wurde aus Schweden eine plazebokontrollierte Doppelblindstudie publiziert, welche die in Zürich mit der ILIT bei Graspolleninduzierter Rhinokonjunktivitis erreichten Resultate bestätigte. Die Injektion in Inguinallymphknoten sei einfach durchführbar und nicht schmerzhaft, so der Referent. Durch ILIT mit Graspollen- oder Birkenpollenextrakt (im Abstand von jeweils 4 Wochen 3 inguinale intralymphatische Injektionen von ALK Alutard, 1000 SQ-U Pollen enthaltend) erreichten die Schweden bei allergischer Rhinitis eine signifikante Symptombesserung, im Vergleich zu fehlender Symptombesserung bei PlazeboILIT (3). Es gebe also bereits 2 Arbeitsgruppen, die zu den gleichen positiven Resultaten gekommen seien, sagte Thomas Kündig. Die Zürcher Arbeitsgruppe führte zudem mit dem rekombinanten Hauptallergen von Katzenhaar (Fel d 1) bei insgesamt 20 Katzenhaarallergikern eine plazebokontrollierte ILIT-Doppelblindstudie durch (innerhalb von 2 Monaten 3 intralymphatische Injektionen) (4). Mit der speziell konzipierten Vakzine konnte in der Verumgruppe ein starker Anstieg der IgG4-Antikörper mit positiver Korrelation zur IL-10-Produktion nachgewie-
sen werden. Die Antwort regulatorischer T-Zellen wurde
stimuliert, und die nasale Toleranz nahm als primärer
Endpunkt der Studie 74-fach zu (4).
Die Risiken der Allergen-Immuntherapie seien in erster
Linie von der verabreichten Allergendosis und weit
weniger vom Verabreichungsort abhängig, sagte Thomas
Kündig. In Lymphknoten seien fast keine Mastzellen zu
finden – erheblich weniger als in der Dermis und Sub-
kutis, betonte er. Deshalb komme es bei der Injektion in
Lymphknoten zu geringeren lokalen Nebenwirkungen.
Die systemischen Nebenwirkungen seien abhängig von
der Gewebedurchblutung. Wer einen Lymphknoten auf-
schneidet, kann sich davon überzeugen, dass er weiss und
sehr schlecht durchblutet ist. Das Allergen in einen
Lymphknoten zu injizieren, bedeutet also, es an einen be-
züglich Nebenwirkungsrisiko sicheren Ort zu platzieren.
Bei subkutaner Injektion wird auch im drainierenden
Lymphknoten eine Immunantwort induziert. Immuno-
logisch gebe es in Bezug auf den Wirkmechanismus
keinen Unterschied, wenn die Injektion direkt in den
Lymphknoten erfolgt. Das Allergen wird aber effizien-
ter platziert, sodass eine höhere Dosis erreicht wird. Es
gibt keinen Zweifel, dass höhere Dosis bessere Wirkung
der Immuntherapie bedeutet. Die Wirkung der Immun-
therapie auch durch Verbesserung des Adjuvans zu
steigern, sei von verschiedenen Arbeitsgruppen vorge-
schlagen worden, so Thomas Kündig.
Nur 4 Prozent der Allergiker entscheiden sich derzeit
für eine SIT. Mehr als 95 Prozent werden dagegen sym-
ptomatisch behandelt, wobei die Progression der All-
ergie nicht verhindert werden kann. Es sei nun endlich
an der Zeit, die bereits 100-jährige herkömmliche SIT
effektiver und für betroffene Allergiker attraktiver zu
machen, sagte Thomas Kündig.
G
Alfred Lienhard
Referenzen:
1. Kündig T et al. Der p 1 peptide on virus-like particles is safe and highly immunogenic in healthy adults. J Allergy Clin Immunol 2006; 117: 1470–1476.
2. Senti G et al. Intralymphatic allergen administration renders specific immunotherapy faster and safer: a randomized controlled trial. Proc Natl Acad Sci USA 2008; 105: 17908–17912.
3. Hylander T et al. Intralymphatic allergen-specific immunotherapy: An effective and safe alternative treatment route for pollen-induced rhinitis. J Allergy Clin Immunol 2013; 131: 412–420.
4. Senti G et al. Intralymphatic immunotherapy for cat allergy induces tolerance after only 3 injections. J Allergy Clin Immunol 2012; 129: 1290–1296.
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