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BERICHT
Aktuelles zur atopischen Dermatitis
Proaktive Therapie und neues Interesse an alten Behandlungen
Aus ärztlicher Sicht gibt es drei zentrale Hauptinformationen für Patienten mit atopischer Dermatitis und bei Kindern auch für deren Eltern: Erstens gilt es, die trockene Haut nicht zu vergessen. Zweitens sollten akute Entzündungsschübe rasch und energisch therapiert werden. Drittens sollte auch die subklinische chronische Entzündung längerfristig effektiv behandelt werden. Über aktuelle Aspekte der Behandlung von Patienten mit atopischer Dermatitis sprach Prof. Dr. Dr. Thomas Bieber, Klinik für Dermatologie und Allergologie, Universitätsklinikum Bonn, in Mailand am World Allergy & Asthma Congress 2013, organisiert von der European Academy of Allergy and Clinical Immunology (EAACI) und der World Allergy Organization (WAO).
Im Verlauf der letzten 3 Jahrzehnte nahm die Inzidenz der atopischen Dermatitis in industrialisierten Ländern um das 2- bis 3-Fache zu (1). Bei Kindern beträgt die Prävalenz hinsichtlich des ganzen Lebens 15 bis 30 Prozent. Bei 45 Prozent der betroffenen Kinder beginnt die atopische Dermatitis bereits in den ersten 6 Lebensmonaten, bei 60 Prozent im 1. Jahr und bei 85 Prozent vor dem 5. Geburtstag. Das Ziel der modernen Therapie der atopischen Dermatitis besteht darin, diese chronische, mit akuten Entzündungsschüben rezidivierende Hautkrankheit möglichst gut unter Kontrolle zu bringen.
Reaktiv oder proaktiv behandeln?
Um dieses Behandlungsziel zu erreichen, genügt es nicht, lediglich reaktiv zu handeln, indem die akuten Entzündungsschübe behandelt werden. Vielmehr sei es unerlässlich, zusätzlich auch längerfristig proaktiv zu behandeln, betonte der Referent. Studien zur Compliance von Patienten mit atopischer Dermatitis haben aufgedeckt, dass die Betroffenen oft erst sehr spät nach Beginn eines Entzündungsschubes – durchschnittlich
erst nach 6 bis 7 Tagen – mit der antiinflammatorischen Therapie beginnen (1). Es ist also wichtig, den Patienten einzuschärfen, dass sie nicht lange mit der entzündungshemmenden Behandlung eines neuen akuten Ekzemschubes zuwarten sollen. Der behandelnde Arzt sollte den Patienten klarmachen, dass sie so lange antiinflammatorisch behandeln sollten, bis das akute Ekzem fast völlig abgeheilt ist. Schliesslich sollten Betroffene verstehen, dass die Behandlung damit noch nicht erledigt ist, sondern dass noch während längerer Zeit proaktiv weiterbehandelt werden sollte, um auch die subklinische chronische Entzündung zu kontrollieren oder zu stoppen. Zur proaktiven Erhaltungstherapie eignen sich sowohl topische Glukokortikoide als auch topische Calcineurininhibitoren (Pimecrolimus, Tacrolimus). Es reichen meist 1 oder 2 Behandlungen pro Woche aus, wobei Emollienzien nicht fehlen dürfen (1). In leichteren Fällen kann eine 3-monatige proaktive Erhaltungstherapie genügen. In mittelschweren Fällen sind oft 6 Monate und in schweren Fällen 9 bis 12 Monate nötig.
Vitamin-D-Supplementierung bei atopischer Dermatitis?
Mehrere Studien stützen das Konzept, wonach VitaminD-Supplementierung bei atopischer Dermatitis sowohl prophylaktisch als auch therapeutisch nützlich sein kann. Es wird angenommen, dass die immunmodulatorischen Eigenschaften von Vitamin D die Aktivität der atopischen Dermatitis günstig beeinflussen können. In einer aktuellen Studie wurde gezeigt, dass bakterielle Hautinfektionen – hauptsächlich mit Staphylococcus aureus – bei Kindern mit niedrigem Vitamin-D-Serumspiegel häufiger sind (2). Bei Neigung zu häufigen Hautinfektionen können die klinischen Krankheitszeichen durch Vitamin-D-Supplementierung gebessert werden, berichtete der Referent. Die Zusammenhänge sind aber komplizierter, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Es gebe nämlich spezielle Untergruppen von Patienten mit atopischer Dermatitis, bei denen der Schweregrad der Erkrankung mit besonders hohen Vitamin-D-Spiegeln korrelierte, so der Referent. Diese Patienten weisen Filaggrinmutationen auf und reagieren möglicherweise empfindlicher auf UV-B-Strahlung, sodass sie entsprechend
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Aktuelles zur atopischen Dermatitis
mehr Vitamin D schon bei geringeren UV-B-Dosen produzieren.
Stecken in Urea unerwartete Wirkkräfte?
Als Inhaltsstoff von Emollienzien ist Urea bekanntlich nützlich zur Hydrierung des Stratum corneum. Neuerdings wurde gezeigt, dass Urea darüber hinaus auch die Produktion von antimikrobiellen Peptiden (AMP) verstärken und die Barrierefunktion der Epidermis verbessern kann (3). Dass Urea angeborene Immunmechanismen in der Haut aktiv induziere, sei eine sehr wichtige Entdeckung, sagte der Referent. Bei Patienten mit atopischer Dermatitis ist die AMP-Produktion gestört und die Kolonisierung mit Staphylococcus aureus entsprechend verstärkt. Urea ist also keineswegs nur ein passiver Befeuchtungsstoff in der kernlosen Hornschicht der Epidermis. Vielmehr reguliert Harnstoff zusätzlich in den kernhaltigen Epidermisschichten als aktiver Wirkstoff die Genexpression (3). Durch topische Anwendung von Urea konnte bei 21 gesunden Freiwilligen die Barrierefunktion verbessert und zugleich die AMP-Expression (LL-37, Beta-Defensin 2) verstärkt werden. Durch 2 Ureatransporter (UT-A1 und UT-A2) wird Urea in Keratinozyten eingeschleust. Durch Regulation der epidermalen Genexpression erhöht Urea die Spiegel von Transglutaminase 1, Involucrin, Loricrin und Filaggrin, von epidermalen Lipidsyntheseenzymen sowie von Cathelicidin/LL-37 und Beta-Defensin 2. In einem Mausmodell der atopischen Dermatitis normalisierte die topische Anwendung von Urea sowohl die Barrierefunktion als auch die AMP-Expression (3).
Ist der veraltete Steinkohlenteer zu Unrecht verpönt?
Die topische Anwendung von Steinkohlenteer ist eine uralte, fast vergessene Therapieform bei atopischer Dermatitis. Der molekulare Wirkmechanismus von Steinkohlenteer, der aus mehr als 10 000 verschiedenen organischen Verbindungen besteht, war bisher unbekannt. Kürzlich wurde entdeckt, dass Steinkohlenteer
an AHR (Aryl-Hydrocarbon-Rezeptoren) bindet. Diese
Xenobiotikarezeptoren werden dadurch aktiviert (4).
Keratinozyten metabolisieren und entgiften polyzyk-
lische aromatische Kohlenwasserstoffe durch CYP450-
Enzyme, die durch Aktivierung von AHR-Rezeptoren
induziert werden. Mit menschlicher Haut von gesunden
Freiwilligen und von Patienten mit atopischer Dermati-
tis konnte nachgewiesen werden, dass Steinkohlenteer
den AHR-Signalpfad aktiviert und dadurch die epider-
male Differenzierung stimuliert, die Filaggrinproduk-
tion verstärkt und den Signalpfad des Th2-Zytokins
Interleukin 4 hemmt.
Mehr als 25 Prozent der Patienten mit atopischer Der-
matitis weisen eine Filaggrin-Haploinsuffizienz bei
heterozygoter Mutation eines der beiden Filaggringene
auf. Es konnte gezeigt werden, dass Steinkohlenteer
die ungenügende Filaggrinexpression in den Keratino-
zyten wiederherstellen und die durch Th2-Zytokine wie
IL-4 vermittelte Herunterregulierung der Expression
weiterer Hautbarriereproteine (z.B. Hornerin, Lori-
crin, Involucrin) wieder aufheben kann (4). Die Sicher-
heit von Steinkohlenteer und die Frage des kanze-
rogenen Risikos sind aber immer noch nicht völlig
geklärt, obschon es sich um die älteste aller dermato-
logischen Behandlungen handelt. Allerdings fand
eine grosse Studie bei 13 200 Patienten mit Psoriasis
oder Ekzem kein erhöhtes Krebsrisiko bei Steinkohlen-
teerbehandlung (5).
G
Alfred Lienhard
Referenzen:
1. Bieber T. Atopic Dermatitis. Ann Dermatol 2010; 22: 125–137.
2. Samochocki Z et al. Vitamin D effects in atopic dermatitis. J Am Acad Dermatol 2013; 69: 238–244.
3. Grether-Beck S et al. Urea uptake enhances barrier function and antimicrobial defense in humans by regulating epidermal gene expression. J Invest Dermatol 2012; 132: 1561–1572.
4. van den Bogaard EH et al. Coal tar induces AHR-dependent skin barrier repair in atopic dermatitis. J Clin Invest 2013; 123: 917–927.
5. Roelofzen JH et al. No increased risk of cancer after coal tar treatment in patients with psoriasis or eczema. J Invest Dermatol 2010; 130: 953–961.
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