Transkript
Aktuelles aus Fachzeitschriften
Heuschnupfen: Die unterschätzte Volkskrankheit
Weltweit leiden über 500 Millionen Menschen an allergischer Rhinokonjunktivitis
Bei der verharmlosend als «Heuschnupfen» be-
zeichneten Erkrankung kommt es nach Allergen-
exposition zu einer IgE-vermittelten Entzündung
der Nasenschleimhaut. Eine allergische Binde-
hautentzündung ist ebenfalls oft mit von der
Partie.
Als Goldstandard in der Diagnose und Therapie der allergischen Rhinitis gelten die 160 Seiten langen ARIA-Guidelines. Das Akronym steht für «Allergic Rhinitis and its Impact on Asthma» und weist bereits im Titel der Leitlinien auf eine wichtige Assoziation hin: Allergische Rhinitis und Asthma bronchiale gehen oft Hand in Hand. Bei der Klassifizierung der allergischen Rhinitis verzichtet man heute auf die früher übliche kausale Einteilung in saisonal (Pollen) und perennial (Milben) zugunsten einer symptombezogenen Einteilung, die Ausprägung und Dauer der Krankheit berücksichtigt (siehe Kasten) (1). In den letzten 40 Jahren haben allergische Erkrankungen drastisch zugenommen. Derzeit leiden bis zu 20 Prozent der Bevölkerung an einer allergischen Rhinitis. Insbesondere in der Altersgruppe der 6- bis 7-Jährigen ist weltweit eine Zunahme in der Inzidenz der Pollenallergie zu verzeichnen (1). Diese begleitet die Allergiker oft jahrzehntelang. Die allergische Rhinitis stellt nicht nur einen Risikofaktor für die Entwicklung von Asthma bronchiale dar; immer mehr Studien untersuchen ihre direkten negativen Auswirkungen auf Leistungsfähigkeit und Lebensqualität. Neben der Krankheitslast rücken immer mehr die indirekten Kosten der Erkrankung ins Visier der Experten, welche beispielsweise durch Fehltage oder einen Leistungsabfall am Arbeitsplatz entstehen. Zu diesem Produktivitätsverlust tragen neben der Erkrankung selbst vor allem die Selbstmedikation mit sedierenden systemischen Antihistaminika bei, so die Autoren der ARIALeitlinien (2). Bei einer kürzlich als Poster vorgestellten Patientenbefragung in Grossbritannien stellte sich heraus, dass über die Hälfte der Patienten mit mittelschwerer bis schwerer allergischer Rhinitis einen Produktivitätsverlust von über 40 Prozent am Arbeitsplatz feststellen (3). Fast alle
Merksätze
● Common things occur commonly! Häufigste allergische Erkrankung: Lebenszeitprävalenz von mehr als 20 Prozent.
● Die Prävalenz nimmt weiter zu.
● Komorbiditäten beachten: Asthma bronchiale, atopisches Ekzem, Nahrungsmittellallergien erfragen!
● Ohne adäquate Therapie leidet die Lebensqualität.
● Enorme indirekte Kosten entstehen durch Fehltage und Produktivitätsverlust.
● Leidensdruck und Schweregrad der Beeinträchtigung werden oft unterschätzt.
Befragten (96%) gaben an, Medikamente einzunehmen. Drei Viertel nahmen sogar mindestens zwei Medikamente ein, um die nasalen Symptome effektiver zu bekämpfen und zusätzlich den Augen Linderung zu verschaffen. In einer weiteren Untersuchung in fünf europäischen Ländern wurde gezeigt, dass zwei Drittel der Patienten mit allergischer Rhinokonjunktivitis an einer mindestens mittelschweren bis schweren Form leiden (siehe Kasten, Klassifizierung). Ein Drittel der Betroffenen berichtete zudem von einer Komorbidität, etwa Asthma bronchiale. Weiteres Ergebnis der Studie: Eine Episode allergischer Rhinitis geht bei Asthmatikern in drei Viertel der Fälle mit einer Verschlechterung der Asthmasymptomatik einher (4). Die Belastung, die Patienten aufgrund ihrer allergischen Rhinitis verspüren, geht weit über die bekannten lokalen Symptome Juckreiz, Niesen, Rhinorrhö und nasale Obstruktion hinaus. Zu den Parametern, die den Einfluss auf die Lebensqualität messen, gehören neben Dauer und Schweregrad der Symptome auch direkte negative Auswirkungen der Allergie auf den Schlaf oder auf Alltagsaktivitäten. Patienten, die unter persistierenden Symptomen leiden, empfinden erwartungsgemäss eine stärkere Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität als Patienten mit nur intermittierenden Beschwerden. Zudem konnte in
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Heuschnupfen: Die unterschätzte Volkskrankheit
Kasten:
ARIA-Klassifizierung der allergischen Rhinitis
Intermittierend < 4 Tage/Woche oder < 4 Wochen
Leicht ● Normaler Schlaf ● Keine Beeinträchtigung ● von tägl. Aktivitäten ● Normale Leistung in Schule/Beruf ● Keine lästigen Symptome
Persistierend > 4 Tage/Woche oder > 4 Wochen
Mittel/schwer ● Schlafstörungen ● Beeinträchtigung ● bei tägl. Aktivitäten ● Probleme in Schule/Beruf ● Beeinträchtigende Symptome
Zudem sind die Kosten der allergischen Rhinitis für Patienten und Gesellschaft enorm: Allein die direkten Medikamentenkosten wurden für die USA mit 3,4 Milliarden Dollar pro Jahr beziffert. Rechnet man indirekte Kosten durch Folgeerkrankungen und Arbeitsausfall hinzu, lagen diese Kosten in den USA im Jahr 2005 bei 11,4 Milliarden Dollar (5). ●
Anka Stegmeier-Petroianu
Studien gezeigt werden, dass Patienten insgesamt ihre Erkrankung als schwerwiegender einschätzen als ihr behandelnder Arzt. Auch aus dieser Diskrepanz resultiert eine relativ hohe Unzufriedenheit der Betroffenen mit den ihnen verschriebenen Therapien: Nur einer von drei Patienten zeigte sich in einer italienischen Studie vom Behandlungserfolg überzeugt (6). Das erklärt, warum trotz Leidensdruck und Einbussen bei Lebensqualität und Produktivität die Patientencompliance zu wünschen übrig lässt, so das Ergebnis einer amerikanischen Untersuchung (5).
Literatur:
1. Brozek JL et al.: Allergic Rhinitis and its Impact on Asthma (ARIA) guidelines: 2010 revision. J Allergy Clin Immunol. 2010; 126(3): 466–476.
2. Bousquet J et al.: Allergic Rhinitis and its Impact on Asthma (ARIA) 2008 update (in collaboration with the World Health Organization Allergy. 2008; 63 Suppl 86: 8–160.
3. Pitman R: Episode Pattern and Healthcare Utilisation in Patients with Seasonal Allergic Rhinitis. Poster EAACI 2012.
4. Canonica GW: A survey of the burden of allergic rhinitis in Europe. Allergy. 2007; 62 Suppl 85: 17–25. Studienfinanzierung: GlaxoSmithKline.
5. Meltzer EO et al.: The economic impact of allergic rhinitis and current guidelines for treatment. Ann Allergy Asthma Immunol. 2011; 106 (2 Suppl): S12–16. Studienfinanzierung: Meda.
6. Ciprandi G et al.: Patient-related factors in rhinitis and asthma: the satisfaction with allergy treatment survey. Curr Med Res Opin. 2011; 27(5): 1005–1011.
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