Transkript
DAS AKTUELLE INTERVIEW
Eindrücke einer praktizierenden Dermatologin vom 21. EADV-Kongress in Prag
Interview mit Dr. Marguerite Krasovec Rahmann, FMH Dermatologie, wissenschaftliche Beirätin von [medicos]
[medicos]: Sie besuchen die EADV-Kongresse häufig – waren in den letzten Jahren Veränderungen feststellbar? Dr. Marguerite Krasovec Rahmann: Ich gehe seit über zehn Jahren, etwa alle zwei Jahre, an die EADVKongresse, letztmals Ende September 2012 in Prag. Insgesamt war das Niveau der Kongresse gut, die Präsentationen sind qualitativ homogen geworden, was wahrscheinlich nicht zuletzt auf die Beurteilung der Präsentationen durch die Zuhörer in Form von Feedbackformularen zurückzuführen ist.
Wie beurteilen Sie die Organisation und das Programm des 21. EADV-Kongresses in Prag? Der Kongress war sehr gut organisiert, und das Programm war reichhaltig und diversifiziert. Wahrscheinlich wegen zukünftiger neuer Therapien wurden gewisse Themen im Programm vermehrt und wiederholt berücksichtigt, wie beispielsweise Psoriasis, Hauttumoren (z.B. aktinische Keratosen, Basaliom, Melanom) oder Rosazea. Die Industrieausstellung war modern und technisch raffiniert. Man konnte sich 3-D-Videos anschauen, auf Displays Fragen beantworten und statt stapelweise Papier einzusammeln, auf Touchscreens instruktive Schematas abrufen. Auch die Posterausstellung fand nicht mehr auf den traditionellen Stellwänden in Papierform statt, sondern es konnten E-Poster auf den Bildschirm geladen und in aller Ruhe im Sitzen studiert werden.
Welche Veranstaltungen besuchten Sie am Kongress? Mein Hauptinteresse galt am Kongress den Hauttumoren, speziell den neuen medikamentösen Therapien beim Melanom und Basaliom. Zudem besuchte ich einen zweiteiligen Kurs von insgesamt sechs Stunden, der unter dem Titel «Spotlights and pearls in dermatovenereology» neue, für die tägliche Praxis wichtige, klinisch relevante Informationen zu einem breiten Spektrum von dermatologischen und venerologischen Themen lieferte. Bei den Geschlechtskrankheiten sind Syphilis und Gonorrhö wieder auf dem Vormarsch, und die Gonokokkenresistenzen bereiten weltweit grosse Probleme. In meiner eigenen Praxis sehe ich allerdings fast keine Patienten mit Gonorrhö oder anderen sexuell übertragbaren Krankheiten, ausser Männer mit Condylomata acuminata.
Dr. Marguerite Krasovec Rahmann, Schlieren (ZH)
Ich nahm zudem an einem sehr guten Kurs zum Thema Haar- und Kopfhauterkrankungen teil. Der «Haarpapst» Prof. Dr. Jerry Shapiro aus Vancouver, Kanada, der in seiner Klinik täglich 70 bis 90 Patienten sieht, sprach über vernarbende Alopezien und zeigte sehr nützliche Therapieschemata. Dr. Bianca Maria Piraccini aus Bologna befasste sich in ihrem Vortrag mit der Alopecia areata und berichtete, dass ihr Team bei akuten, frischen Fällen (erste Wochen bis Monate) häufig Triamcinolon intraläsional spritzt (mit der DermojetLuftdruckpistole). Auch systemische Kortikosteroidinjektionen (intramuskulär) werden in Bologna oft eingesetzt. Als weiteres für die dermatologische Praxis wichtiges, aktuelles Thema wurde am Kurs die Dermoskopie des behaarten Kopfbodens (mit 10-facher Vergrösserung) besprochen. Ich besuchte zudem eine sehr gute Veranstaltung, die den Titel «Test yourself in clinical dermatology – advanced cases» trug. Von drei Experten wurden 15 klinische Fälle vorgestellt, wobei das Publikum nach Meinungen und Beurteilungen zu Diagnose, Differenzialdiagnose, Abklärungen und Therapieoptionen gefragt wurde. Der Andrang der Ärzte, die ihr Wissen testen wollten,
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Das aktuelle Interview
war sehr gross, der Saal war voll. Es fiel auf, dass Dermatologinnen und Dermatologen aus gewissen arabischen Ländern klinisch sehr begabt sind. Aufgrund des grossen Patientenguts bekommen sie offenbar auch «seltene Diagnosen» wesentlich häufiger zu sehen als Ärzte in Europa. Die Europäer waren allerdings bei komplexeren Fällen (z.B. Immunfluoreszenz bei bullösen Dermatosen) besser.
Welcher Vortrag war für Sie ein besonderes Highlight? Ein Highlight war der ausgezeichnete Plenarvortrag, in dem Prof. Dr. Martin Röcken, Dermatologische Universitätsklinik Tübingen, darlegte, wie Entzündung die Tumorgenese fördert. Es gibt zahlreiche Beispiele für den Einfluss von Entzündungen auf die Entstehung von Tumoren, etwa die Tatsache, dass aus einem chronischen Ulkus ein Carcinoma spinocellulare entstehen kann oder dass ein chronischer Lichen ruber entarten kann. Für die Prophylaxe ist es deshalb wichtig, die Entzündung zu stoppen. Dasselbe gilt für das chronische Ulcus cruris und für verschiedene entzündliche Dermatosen mit Entartungstendenz. Intensive entzündungshemmende Therapie ist in solchen Fällen also angezeigt. Und wenn die Abheilung ausbleibt, sollte eine Biopsie durchgeführt werden, um eine bereits erfolgte Entartung zu diagnostizieren.
Was trug die Schweiz zum Kongress bei? Die Schweizer gelten als gute Referenten und werden häufig als Referenten zu EADV-Kongressen eingeladen. Obschon die Schweiz ein kleines Land ist, wurden für den Kongress in Prag überproportional viele Schweizer als Redner engagiert. Zudem war Prof. Dr. Luca Borradori, Dermatologische Universitätsklinik, Inselspital Bern, als Präsident des wissenschaftlichen Programmkomitees für die gesamte Programmgestaltung des Kongresses zuständig. Obwohl die EADV als europäische Dermatologenorganisation den Kongress durchführt, ist es keineswegs ein rein europäischer Kongress, sondern es kommen auch Referenten und Teilnehmer aus vielen anderen Teilen der Welt, zum Beispiel aus Ägypten, Indien oder Brasilien.
Gehörte neben der klassischen Dermatologie auch die ästhetische Dermatologie zum Kongressprogramm? Im Kongressprogramm waren besonders Behandlungen mit Laser oder Botulinumtoxin stark vertreten. In einigen Vorträgen kam auch der neue Trend des Body Sculpturing (Fettreduktion mit Radiofrequenz, Laser usw.) zur Sprache.
Gab es bei den Kongressthemen weitere neue Trends in der Dermatologie? Immer mehr werden Smartphones und Tabletcomputer mit ihren unzähligen Apps den Alltag auch in der dermatologischen Praxis verändern. Zu diesem neuen Trend stand ein Plenarvortrag von Prof. Dr. Daniel Mark Siegel, Präsident der American Academy of Dermatology, Brooklyn, auf dem Programm. Ein DropBox-Link ermöglichte es den Zuhörern, den Vortrag und zusätz-
liche Informationen direkt auf das eigene Smartphone
oder Tablet herunterzuladen. Viele neue Tools stellen
für den unmittelbaren Gebrauch in der Sprechstunde
grosse Datenbanken, Systeme zur Entscheidungsunter-
stützung, Referenzwerke und die Krankengeschichten
der Patienten weltweit auf dem Smartphone oder Tablet
zur Verfügung.
Die Dermatologie, die besonders stark auf der Erfas-
sung des Krankheitsbildes im wörtlichen Sinn beruht
und von Farbfotografien abhängig ist, kann von den
neuen Möglichkeiten, die Smartphones und Tablets an-
bieten, besonders viel profitieren. Auch ein Workshop
befasste sich am Kongress mit dem starken Trend der
Teledermatologie. Prof. Dr. Peter Elsner, Universitäts-
klinikum Jena, sprach über «ipad dermatology – tech-
nology driving medical innovation», Prof. Dr. Rainer
Hofmann-Wellenhof, Medizinische Universität Graz,
über «Smart phone dermatology: Will this be a game
changer?», Prof. Dr. Daniel Mark Siegel, Brooklyn, über
«WWW references to smooth your way into telederma-
tology» und Prof. Dr. Günter Burg, Zürich, über «Der-
mokrates – experience with internet-based CME for der-
matologists».
Es kommt in meiner Praxis immer wieder vor, dass
Patienten mit dem iPhone ihre Hauterkrankung foto-
grafieren und das Foto bei der Anmeldung übermitteln.
Das kann bei der Triageentscheidung helfen, ob der
Patient rasch einen Termin benötigt oder ob es mit der
Konsultation weniger eilt. Es ist aber gefährlich, eine
Diagnose nur aufgrund des Fotos stellen zu wollen. Als
Arzt sollte man grundsätzlich die Patienten persönlich
untersuchen. Was passiert, wenn bei der fotografischen
Ferndiagnose ein Fehler vorkommt? Die Frage der
Tarmed-Abrechnung für solche Fernkonsultationen ist
ebenfalls noch offen.
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Das Interview wurde von Alfred Lienhard, Redaktor [medicos], geführt.
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