Transkript
FORTBILDUNG
Lichen planus und lichenoide Dermatosen
Von Dr. Marguerite Krasovec A. Rahmann, FMH Dermatologie und Venerologie, Schlieren ZH Nach einem Vortrag der Autorin an den 2. Zürcher Dermatologischen Fortbildungstagen
Lichenoide Dermatosen sind Hautkrankheiten mit ähnlichem histologischem Muster und gemeinsamem proinflammatorischem Mechanismus. Die lichenoide Gewebereaktion ist häufig und findet sich bei unterschiedlichen Dermatosen. Das histologische Korrelat der lichenoiden Entzündung ist die Interface-Dermatitis, die auf den Bereich zwischen Epidermis und Dermis fokussiert.
Abbildung 1: Lichen planus mit lichenoiden Papeln volar am Handgelenk.
Abbildung 2: Lichen planus mit Nagelbefall.
Histologisch sind zu finden: apoptotische Keratinozyten im Stratum basale, Vakuolisierung der Junktionszone, bandförmiges Entzündungsinfiltrat. Zur lichenoiden Entzündung kommt es durch eine Reaktion zwischen Immunzellen (antigenspezifische T-Lymphozyten, zytotoxische CD8+ Zellen) und Antigenen der basalen Keratinozyten (bzw. deren Epitopen), keratinozytären Proteinen oder Anteilen von Medikamenten oder Viren, die durch Keratinozyten prozessiert wurden. Im Zuge dieser Entzündung gehen Keratinozyten zugrunde, was sich histologisch durch «civatte bodies» in der Epidermis und «colloid bodies» in der Dermis zeigt. Letztere bestehen aus C3- und Ig-Ablagerungen. Drei Mechanismen spielen beim Untergang der Keratinozyten eine Rolle: Fas/CD95- und Fas/CD95-Ligandvermittelte Apoptoseprozesse, Granzym-B und Perforin sowie TNF-α/TRAIL. Es wird vermutet, dass lichenoide Entzündungen beginnen, wenn ein initialer Reiz (z.B. Köbner-Phänomen) Keratinozyten und epidermale Langerhans-Zellen dazu stimulieren, Typ-I-Interferon zu produzieren. Interferonregulierte Chemokine steuern die Entzündung aller Interface-Dermatitiden. Es wurde festgestellt, dass die basal-epidermale Expression des interferonregulierten Chemokins CXCL-10 das gemeinsame Merkmal aller lichenoiden Dermatosen darstellt.
Lichen planus
Der Lichen planus (LP) ist eine entzündliche Erkrankung der Haut mit einer Prävalenz von rund 2 Prozent. Charakteristische Veränderungen sind lichenoide Papeln, die symmetrisch verteilt an den Prädilektionsstellen zu finden sind: Handgelenke volar (Abbildung1), lumbosakral, Füsse. Die Läsionen verursachen übli-
cherweise einen starken Juckreiz. Ein isomorpher Reizeffekt (Köbner-Phänomen) ist bekannt. Die Mundschleimhaut ist bei 40 bis 75 Prozent, die Genitalgegend bei 20 Prozent mitbetroffen. Der Verlauf des Lichen planus ist undulierend mit spontaner Abheilung innerhalb von 1 bis 2 Jahren. Die Nägel sind in rund 6 bis 10 Prozent der Fälle befallen (Abbildung 2). Bei Kindern kommt der Lichen planus selten vor, und er kann sich nur durch eine Nagelanomalie manifestieren. Es gibt viele Varianten von Lichen planus (Tabelle 1). Die palmo-plantare Form kann mit einem hyperkeratotischen
Tabelle 1:
Varianten von Lichen planus
• Exanthematisch • Erythrodermatisch • Follikulär • Palmo-plantar • Ulzerativ • Guttata • Lineär • Anulär
• Verrukös • Hypertrophisch • Atroph • Erosiv • Bullös • Pigmentosus-inversus • Actinicus
6 [medicos ] Nr. 4•2012
Lichen planus und lichenoide Dermatosen
Ekzem verwechselt werden. An den Plantae kann sich der LP mit Erosionen manifestieren. Der Lichen hypertrophicus/verrucosus (Abbildung 3) ist eine lokalisierte Variante von LP mit sehr hartnäckigen, scharf begrenzten, braun-roten Plaques an den Vorderseiten der Unterschenkel. Auf einem LP hypertrophicus können Keratoakanthome entstehen. Wegen der Chronizität der Entzündung besteht die Gefahr einer Entartung in ein Carcinoma spinocellulare. Bei ausgedehnten Formen muss an eine HIV-Infektion gedacht werden. Differenzialdiagnosen von LP hypertrophicus sind: Lichen
Von Lichen planopilaris (LPP, Lichen follicularis, Abbildung 5) gibt es mehrere klinische Varianten, zum Beispiel das Lasseur-Graham-Little-Syndrom mit vernarbender Alopezie der Kopfhaut, nicht vernarbender Alopezie von Achseln und Pubis sowie follikulären Papeln am Stamm. Die lichenoide Pseudopelade Brocq (Abbildung 6) gilt als Endzustand eines LPP. Bei postmenopausaler frontaler fibrosierender Alopezie mit androgenetischem Muster (auch frontale LPP genannt) ist progressiver Haarverlust fronto-temporal und der Verlust der Augenbrauen zu finden.
Abbildung 3: Lichen verrucosus mit Plaques an den Vorderseiten
der Unterschenkel.
Abbildung 5: Lichen planopilaris.
Abbildung 6: Lichenoide Pseudopelade Brocq.
Abbildung 4: Lichen planus actinicus, durch Licht provoziert.
vidal, Psoriasis vulgaris, Keratosis lichenoides chronica. Der Lichen planus actinicus (Lichen planus tropicus) ist eine saisonal verlaufende, durch Licht provozierte Variante des LP (Abbildung 4). Er tritt an lichtexponierten Stellen (z.B. Stirn, Unterlippe, Handrücken) auf. Die Krankheit kommt bei den Hauttypen III bis IV, gehäuft bei Frauen, vor. Personen aus dem Mittleren Osten, aus Afrika und Indien erkranken häufiger an LP actinicus. Die Prävalenz wird im Libanon auf 14 Prozent, im Irak auf 30 Prozent und in Ägypten auf 40 Prozent geschätzt. Antimalariamittel sind die Therapie der Wahl bei LP actinicus. Es besteht eine Assoziation zwischen Lichen planus und viraler Hepatitis B und C. Ein Hepatitis-C-Virusinfekt kommt bei LP 5,4-fach gehäuft vor, besonders im Mittelmeerraum und in Japan. In der Schweiz leiden etwa 70 000 Personen an einer chronischen Hepatitis C. Die Prävalenz unter Drogenkonsumenten beläuft sich aktuell auf 42 Prozent. LP ist mit anderen Autoimmunkrankheiten assoziiert: primär-biliäre Zirrhose, Colitis ulcerosa, Lupus erythematodes, Alopecia areata, Vitiligo. Bekannt ist auch die Trias: Myasthenia gravis, Thymom und LP. Ebenso die Trias: Castleman-Tumor, Pemphigus vulgaris und LP. Mehrfach wurde berichtet, dass LP nach Impfungen (Hepatitis B, Influenza, Masern-Mumps-Röteln, Diphtherie-Tetanus-Pertussis-Polio) provoziert wurde.
In Tabelle 2 sind Medikamente aufgelistet, die einen LP auslösen oder lichenoide Exantheme verursachen können. Diese Exantheme sind klinisch zum Teil nicht eindeutig lichenoid, sondern ekzematiform, psoriasiform oder fotodistribuiert. Die Verteilung ist grossflächig, symmetrisch, am Rumpf und an den Extremitäten. Die Mundschleimhaut ist kaum betroffen. Histologisch finden sich vermehrt apoptotische Keratinozyten und eosinophile Granulozyten.
Tabelle 2:
Diese Medikamente können einen Lichen planus auslösen oder unterhalten
• Betablocker • ACE-Hemmer • NSAR • Antimalariamittel • D-Penicillamin • Lithium • Ca-Kanal-Blocker • Antidiabetika • Thiazide • Spironolacton
• Gold • Allopurinol • Imatinib • Interferon alpha • Protonenpumpenhemmer
[medicos ] Nr. 4•2012
7
Lichen planus und lichenoide Dermatosen
Therapie des kutanen Lichen planus
Die Therapie des kutanen Lichen planus besteht grundsätztlich aus topischen und systemischen Kortikosteroiden. Systemisch wird Prednison per os oder Triamcinolon i.m. verabreicht. Die Therapie mit dem Vitamin-ASäure-Derivat Acitretin ist wirksam und evidenzbasiert, insbesondere bei LP palmo-plantaris, hypertrophicus und actinicus. Die Fototherapie (PUVA, PUVA + Retinoide per os) kann bei generalisierten Fällen durchgeführt werden. Ciclosporin wird unter anderem bei plantarem LP und LP actinicus eingesetzt. Es gibt einzelne Berichte über Effekte des neuen Retinoids Alitretinoin bei Lichen planus und Lichen planus der Nägel.
Oraler Lichen planus
Der orale Lichen planus (OLP) wird in mehrere klinische Formen unterteilt: retikulär, papulös, en plaque (Abbildung 7), atroph, erosiv, ulzerativ und bullös. Übergänge beim gleichen Patienten sind möglich. Der OLP ist häufiger als der kutane LP. Das Geschlechtsverhältnis bei der Häufigkeit (Frauen:Männer) beträgt 2,3:1. Durchschnittlich sind Frauen im 57. Lebenjahr betroffen. Der Verlauf des OLP ist chronisch. Isoliert kommt er in 15 bis 35 Prozent der Fälle vor. Es sollte auch an den Befall anderer Schleimhäute gedacht werden (z.B. Konjunktiva, Larynx, Ösophagus). Bei Ösophagusbefall sind Übergänge in ein Ösophaguskarzinom möglich. Aufgrund neuerer Untersuchungen besteht möglicherweise eine Assoziation mit der Hashimoto-Thyreoiditis.
Abbildung 7: Oraler Lichen planus
«en plaque».
Der erosive OLP ist symptomatisch und muss behandelt werden. Betroffen sind ältere Patienten, der Verlauf ist chronisch-rezidivierend. Die WHO hat 1997 den oralen LP als «premalignant condition» bezeichnet. Deswegen wird empfohlen, einen OLP alle sechs Monate zu kontrollieren. Insbesondere bei jahrelang bestehenden atroph-erosiven Plaqueformen besteht ein erhöhtes Entartungsrisiko (Carcinoma spinocellulare). Das Risiko wird auf 0,4 bis 5,6 Prozent geschätzt. Das Karzinom kann multifokal auftreten. Von Karzinomen sind vermehrt Männer betroffen. Mögliche Ursachen und Kofaktoren eines OLP sind: Medikamente, Candidiasis, Hepatitis C, Rauchen, Kontaktallergie auf Amalgam und auf Pfefferminzöl, Traumata, Zahnplaque, Stress.
Therapie des oralen Lichen planus
Ein asymptomatischer, nicht erosiver OLP wird nicht be-
handelt, sondern kontrolliert. Bei symptomatischen
und erosiven Formen sind topische Kortikosteroide die
Therapie der ersten Wahl. Bei fehlender Besserung wer-
den systemische Steroide empfohlen. Bei hartnäckigen
erosiven Formen kommt Tacrolimus topisch zum Ein-
satz (off label use). Topische Retinoide wie Tretinoin
wirken bei atrophen und erosiven Formen. In letzter
Linie werden OLP-Läsionen mit dem CO2-Laser zer-
stört.
●
Korrespondenzadresse: Dr. Marguerite Krasovec A. Rahmann FMH Dermatologie und Venerologie Uitikonerstrasse 9 8952 Schlieren ZH Tel. 044-730 40 00 E-Mail: dr-krasovec@bluewin.ch
Interessenkonflikte: keine
8 [medicos ] Nr. 4•2012