Transkript
FORTBILDUNG
Epidermolysis bullosa
Hereditäre blasenbildende Dermatosen
Die Epidermolysis-bullosa-Gruppe bildet ein heterogenes Spektrum von seltenen, hereditären, blasenbildenden Dermatosen. Neuerdings stehen in spezialisierten Zentren genaue molekulare Diagnoseverfahren zur Verfügung. Diese helfen bei der Bestimmung der Prognose, bei der genetischen Beratung und bei der pränatalen Diagnostik. Die Zusammenarbeit in internationalen Netzwerken hat die Forschung stark vorangetrieben. Kausale Therapieansätze befinden sich derzeit in Entwicklung, berichtete Prof. Dr. Leena Bruckner-Tuderman, Universitäts-Hautklinik Freiburg, Deutschland, an den 2. Zürcher Dermatologischen Fortbildungstagen.
Über 30 phänotypisch oder genotypisch unterschiedliche Formen von vererbter Epidermolysis bullosa sind bekannt (1). Die klinischen Bilder reichen von lokalisierter Blasenbildung an Händen und Füssen bis zu generalisierter Blasenbildung an Haut und Mundschleimhaut sowie Schäden an inneren Organen (1). Derzeit sind 17 Gene bekannt, deren Mutationen für die Epidermolysis bullosa verantwortlich sein können. Es gibt sowohl rezessiv als auch dominant vererbte Formen. Die Epidermolysis bullosa mit Hautfragilität bleibt lebenslang bestehen. Für alle Patienten stellen die Schmerzen eine wesentliche Belastung dar. Bei der Epidermolysis bullosa kann es zum Verlust der normalen Hautfunktionen kommen, und in extremen Fällen kann die Erkrankung einen letalen Verlauf nehmen.
Die vier Haupttypen der Epidermolysis bullosa
Grundsätzlich können bei der Epidermolysis bullosa zwei Ursachen der Hautfragilität unterschieden werden: ● Defekt der Zell-Zell-Adhäsion, sodass die epidermalen
Zellen nicht zusammenhalten: intraepidermale Blasenbildung; ● Defekt der dermo-epidermalen Adhäsion, sodass sich die gesamte Epidermis von der Dermis trennt: subepidermale Blasenbildung.
Ähnliche Blasenbildungen kommen auch bei erworbenen, nicht genetisch bedingten Epidermolysen vor (z.B. verursacht durch Autoimmunprozesse, Infektionen, Arzneimittelreaktionen, toxische Reaktionen, Lichtdermatosen, Mastozytose). Die aktuell gültige, vereinfachte Klassifikation teilt die vererbte Epidermolysis bullosa in vier Haupttypen ein (2): ● Epidermolysis bullosa simplex (EBS) mit intraepider-
maler Blasenbildung; ● junktionale Epidermolysis bullosa (JEB) mit Spaltbil-
dung entlang der Basalmembran (Blasenbildung in der Lamina lucida); ● dystrophe Epidermolysis bullosa (DEB) mit Spaltbildung unterhalb der Basalmembran in der oberen Dermis (Blasenbildung im Sub-lamina-densa-Bereich); ● Kindler-Syndrom als Spezialfall mit Spaltbildung in mehreren Ebenen des Basalmembranbereichs (Intralamina-lucida-Bereich und Sub-lamina-densa-Bereich).
Die «dermoepidermal junction» besteht aus einem molekularen Netzwerk, das durch zahlreiche Strukturproteine gebildet wird, welche interagieren und die Adhäsion der beiden Hautschichten gewährleisten. Durch Mutationen können die Komponenten dieses Netzwerkes verändert sein. Bei Patienten mit EBS bilden sich Blasen in der Regel in der untersten, basalen Epidermisschicht. Es gibt aber drei seltene Ausnahmen mit Blasenbildung höher in der Epidermis (suprabasaler Subtyp). Auf diese drei Ausnahmen, die eine neuere Gruppe von schweren oder tödlichen Erkrankungsformen bilden, trifft eigentlich die Bezeichnung «simplex» keineswegs zu. Für die lethale akantholytische EBS sind Mutationen des Desmoplakingens verantwortlich, für die Plakophilin-1-Defizienz Mutationen des Plakophilin-1-Gens (Tabelle). Der häufigste EB-Typ und zugleich der häufigste Subtyp von EBS ist die lokalisierte EBS (Tabelle). Im amerikanischen nationalen Epidermolysis-bullosa-Register weist die Hälfte aller erfassten Patienten eine EBS auf. In zwei Dritteln dieser Fälle handelt es sich um eine lokalisierte EBS (1). Üblicherweise bilden sich dabei die Blasen traumabedingt an den Handflächen und Fusssohlen. Die junktionale EB (JEB) wird sehr häufig von Haarverlust begleitet. Die schwere, durch Lamininmutationen verursachte Herlitz-Form verläuft innerhalb von zwei Jahren tödlich. Bei der dystrophen EB (DEB) gibt es
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Tabelle:
Epidermolysis bullosa (EB): 4 Haupttypen und zahlreiche Subtypen
EB-Haupttyp EB simplex (EBS)
EB-Subtyp
Suprabasale Subtypen Lethale akantholytische EBS Plakophilin-1-Defizienz EBS superficialis (EBSS)
Basale Subtypen EBS, lokalisiert (EBS-loc) EBS, Dowling-Meara (EBS-DM) EBS, andere generalisierte (EBS, -gen nDM) EBS mit «mottled pigmentation» (EBS-MP) EBS mit Muskeldystrophie (EBS-MD) EBS mit Pylorusatresie (EBS-PA) EBS, autosomal rezessiv (EBS-AR) EBS, Ogna (EBS-Og) EBS, «migratory circinate» (EBS-migr)
Durch Genmutationen betroffene Proteine
Desmoplakin Plakophilin ?
Keratin 5, Keratin 14 Keratin 5, Keratin 14 Keratin 5, Keratin 14
Keratin 5 Plectin
Plectin, α6β4-Integrin Keratin 14 Plectin Keratin 5
Junktionale EB (JEB)
JEB, Herlitz (JEB-H) JEB, generalisiert non-Herlitz (JEB-nH gen) JEB mit Pylorusatresie (JEB-PA) JEB, inversa (JEB-I) JEB, «late onset» (JEB-lo) LOC-Syndrom
Laminin 332 Laminin 332, Kollagen Typ XVII
α6β4-Integrin Laminin 332 ?
Laminin-332-α3-Kette
Dystrophe EB (DEB)
Dominante DEB, generalisiert (DDEB-gen) Dominante DEB, akral (DDEB-ac) Dominante DEB, prätibial (DDEB-Pt) Dominante DEB, pruriginosa (DDEB-Pr) Dominante DEB, nur Nägel (DDEB-na) Dominante DEB, bullöse Dermolysis des Neugeborenen (DDEB-BDN) Rezessive DEB, schwer und generalisiert (RDEB-sev gen) Rezessive DEB, andere generalisierte (RDEB, generalisiert mitis; RDEB-O) Rezessive DEB, inversa (RDEB-I) Rezessive DEB, prätibial (RDEB-Pt) Rezessive DEB, pruriginosa (RDEB-Pr) Rezessive DEB, centripetalis (RDEB-Ce) Rezessive DEB, bullöse Dermolysis des Neugeborenen (RDEB-BDN)
Kollagen Typ VII Kollagen Typ VII Kollagen Typ VII Kollagen Typ VII Kollagen Typ VII Kollagen Typ VII Kollagen Typ VII Kollagen Typ VII Kollagen Typ VII Kollagen Typ VII Kollagen Typ VII Kollagen Typ VII Kollagen Typ VII
Kindler-Syndrom
Kindlin-1
(nach Jo-David Fine, National Epidermolysis Bullosa Registry, Nashville, USA. Referenzen: [1,2])
leichte und schwere Formen. Die Blasen, die sich bei leichten Traumen gebildet haben, hinterlassen bei der Abheilung Narben. Bei schwerem Krankheitsverlauf entstehen bereits im Alter von 20 bis 40 Jahren Spinaliome. Die meisten Betroffenen sterben an metastasierenden Spinaliomen. Die Therapieforschung ist bei diesen sehr schweren Formen aktuell weit fortgeschritten, berichtete die Referentin.
Kindler-Syndrom und APSS
Das Kindler-Syndrom ist eine progrediente Erkrankung. Bei kleinen Kindern bilden sich traumainduziert Blasen. Später hört die Blasenbildung auf, aber es kommt nun zu Pigmentanomalien (Hypo- und Hyperpigmentierungen). Bei jungen Erwachsenen ist dann eine massive Hautatrophie zu finden. Weitere Symptome sind: Fotosensitivität, Schleimhautbeteiligung, Keratodermien, Spinaliome, Kolitis.
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Das APSS (Acral Peeling Skin Syndrome) ist eine neu entdeckte, autosomal rezessiv vererbte Hautkrankheit, die klinisch bei Kindern der EBS ähnelt. Verantwortlich sind Mutationen des Gens für die Transglutaminase 5. Mehr als 10 Prozent der Patienten mit EBS-Diagnose weisen in Wirklichkeit ein APSS auf, so die Referentin. Die Unterscheidung ist wichtig im Hinblick auf die Prognose und die Genetik.
Diagnostik der Epidermolysis bullosa
Wenn bei Neugeborenen die Familienanamnese erhoben wird, stellt sich häufig heraus, dass bisher niemand in der Familie von einer derartigen Krankheit betroffen war. Im Rahmen der Diagnostik ist eine Hautbiopsie für das Immunfluoreszenz-Mapping erforderlich. Die Biopsie soll am Rand der Blase oder bis 1 cm neben der Blase entnommen werden, denn für die Bestimmung des Blasenniveaus ist es wichtig, dass das Blasendach erhalten bleibt. Zudem sollen für die Differenzialdiagnose und wegen Komplikationen Abstriche und Serologien auf der Suche nach bakteriellen und viralen Infektionen durchgeführt werden. Schliesslich soll für die Mutationsanalyse EDTA-Blut abgenommen werden. Die molekulare Diagnostik ist wichtig, um eine gezielte Therapie durchführen zu können, um die Prognose korrekt zu bestimmen, um eine genetische Beratung zu ermöglichen und um die pränatale Diagnostik zu planen. Kürzlich gelang es in einer Kooperation zwischen dem Kinderspital Zürich und der Universitäts-Hautklinik Freiburg, eine völlig neue EB-Form zu charakterisieren (3). Bei einem in Zürich geborenen Kind mit schwerem nephrotischem Syndrom und schwerer Dyspnoe bei interstitieller Lungenkrankheit bildeten sich zwei Monate nach der Geburt zusätzlich Hautblasen. In der Hautbiopsie konnte das völlige Fehlen von Integrin-alpha-3 nachgewiesen werden. Dabei handelt es sich um die Untereinheit eines Transmembranrezeptors, der Signale zwischen Zellen und ihrer Mikroumgebung vermittelt. Die Mutationsanalyse ergab eine homozygote Mutation im Integrin-alpha-3-Gen. Das Fehlen des Proteins Integrin-alpha-3 beeinträchtigt die Struktur und Funktion der Basalmembran in der Haut, in den Nieren und in der Lunge. Auch bei zwei weiteren Patienten konnte in internationaler Zusammenarbeit gezeigt werden, dass solche Mutationen eine syndromale EB-Form mit Beteiligung von Haut, Nieren und Lungen verursachen.
Therapie der Hautfragilität und der Epidermolysis bullosa
Derzeit ist noch keine kausale Therapie verfügbar. Deshalb steht das Krankheitsmanagement ganz im Zentrum: ● Schutz vor Traumatisierung der Haut ● moderne Wundbehandlung mit nicht haftenden
Materialien; keinesfalls dürfen Pflaster verwendet werden, da die Haut pflasterunverträglich ist ● Schmerzbehandlung ● multidisziplinäre Betreuung zur Vermeidung von Komplikationen und zur Behandlung mitbetroffener Organe (z.B. Ösophagusstenose mit Schluckstö-
Kasten:
Behandlung von Blasen
• Blasen steril punktieren. Seitliche Punktion von Blasen ist in der Regel nicht schmerzhaft.
• Blasen können auch eingeschnitten werden, damit nachlaufende Blasenflüssigkeit die Blasen nicht weiter vergrössert und damit sich die Blasen nicht verschieben.
• Das Blasendach in der Regel belassen, um Infektionsschutz zu erreichen. Die Haut wächst auch unter der Blasendecke gut nach.
• Manchmal wird bei aufgeweichter Blasenregion die Entfernung der Blasendecke nötig.
(nach Netzwerk Epidermolysis bullosa, Referenz [4])
rungen, Ernährungsproblemen und Gewichtsverlust; Anämie; Osteoporose; schmerzhafte, fragile Mundschleimhaut und Zahnprobleme (starke Karies; Nieren- und Herzprobleme).
Neue Therapieansätze in Entwicklung
Derzeit ist die Entwicklung innovativer, gezielter Therapien – besonders für die sehr schwere dystrophe EB – voll im Gang. Bei allen Subtypen von dystropher EB ist Kollagen Typ VII entweder verändert oder überhaupt nicht vorhanden. Aus Mausexperimenten ist bekannt, dass nicht ein 100-prozentiger Ersatz von Kollagen Typ VII in der Haut nötig ist. Es reicht aus, wenn 35 Prozent des normalen Kollagengehalts in der Haut vorhanden sind. Verschiedene Therapiestrategien werden derzeit erforscht: ● Gentherapie: Isolation von Hautstammzellen aus
einer Hautbiopsie des Patienten, Anreicherung der Stammzellen in der Kultur, Reparatur der kultivierten Stammzellen mit dem normalen Kollagen-Typ-VIIGen, Transplantation der reparierten und zu Keratinozytentransplantaten expandierten Zellen auf die Haut. ● Proteintherapie: Injektion des fehlenden Proteins (rekombinantes humanes Kollagen Typ VII) in die Haut oder intravenös; ● Zelltherapie: Injektion von Fibroblasten, die normales Kollagen VII produzieren. Demnächst wird mit ersten Zelltherapiestudien an Menschen begonnen; ● Orale Medikamente (small molecules); ● Knochenmarktransplantation: Bei 7 Kindern mit schwerer generalisierter, rezessiver, dystropher EB (RDEB) und fehlendem Kollagen Typ VII konnte im Rahmen einer Studie in fünf Fällen eine klinische Besserung mit Neusynthese von Kollagen Typ VII in der Haut erreicht werden. Zwei Kinder starben an Komplikationen der Knochenmarktransplantation. Die Studie erbrachte den Nachweis, dass transplantierte Knochenmarkzellen in die Haut einwanderten,
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sich dort niederliessen und Kollagen Typ VII produzierten. Es handelt sich aber um eine gefährliche Therapie, sagte die Referentin. ● Zelltherapie unter Verwendung von Rückmosaiken: Viele Patienten haben neben grossen Hautarealen, in denen sich bei mechanischer Belastung immer wieder Blasen bilden, auch Flecken, in denen es nie zur Blasenbildung kommt. Hier handelt es sich um Rückmosaike (revertant mosaicism), also kleine Hautflecken, in denen die normale Hautfunktion plötzlich spontan wiederhergestellt wird (Selbstheilung durch spontane Rückmutation) (6). Ein neuer Behandlungsansatz könnte darin bestehen, spontan geheilte Hautzellen aus den Arealen, in denen sich nie Blasen bilden, zu entnehmen. Diese Zellen könnte man in der Kultur expandieren, daraus Hauttransplantate herstellen und diese auf kranke Hautareale transplantieren. Demnächst wird überprüft, ob dieser innovative
Therapieansatz, der ohne Genmanipulationen aus-
kommt, tatsächlich funktioniert.
●
Alfred Lienhard
Redaktioneller Bericht ohne Sponsoring.
Referenzen:
1. Fine JD. Inherited epidermolysis bullosa. Orphanet Journal of Rare Diseases 2010; 5: 12 (open access).
2. Fine JD et al. The classification of inherited epidermolysis bullosa (EB) : report of the third international consensus meeting on diagnosis and classification of EB. J Am Acad Dermatol 2008; 58: 931–950.
3. Has C et al. Integrin α3 mutations with kidney, lung and skin disease. N Engl J Med 2012; 366: 1508–1514.
4. Netzwerk Epidermolysis bullosa (EB): www.netzwerk-eb.de
5. Wagner JE et al. Bone marrow transplantation for recessive dystrophic epidermolysis bullosa. N Engl J Med 2010; 363: 629–639.
6. Kiritsi D et al. Revertant mosaicism in a human skin fragility disorder results from slipped mispairing and mitotic recombination. J Clin Invest 2012; 122: 1742–1746.
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