Transkript
BERICHT
Wie weiter in der Dermato-Allergologie?
Neue richtungsweisende Forschungsresultate
Liegt die Zukunft der Hyposensibilisierung auf
der Haut? Spielen bei der atopischen Dermati-
tis auch Autoimmunreaktionen eine Rolle? Ist
der atopische Marsch – vom atopischen Ekzem
über die allergische Rhinitis bis zum atopischen
Asthma – mehr eine Hypothese als eine Tatsa-
che? Steht die personalisierte, stratifizierte Prä-
vention und Therapie der Neurodermitis vor
der Tür? Wohin die Dermato-Allergologie der-
zeit steuert, erklärte Prof. Dr. Thomas Bieber,
Klinik für Dermatologie und Allergologie, Uni-
versität Bonn, im Schlussreferat der Tagung
DDG KOMPAKT 2012 in Berlin.
Früher hatten Dermatologen den Eindruck, dass in der Haut die Langerhans-Zellen als «Bösewichte» für all den Ärger mit der Haut – wie Kontaktekzem, atopische Dermatitis und vieles mehr – verantwortlich seien, weil diese Zellen die Sensibilisierung bewirken und die allergische Reaktion auslösen. Inzwischen hat sich diese Vorstellung als falsch erwiesen. Neuerdings geht man von mindestens 2 (möglicherweise 3) verschiedenen dendritischen Zellarten mit unterschiedlichen Aufgaben aus. Die Langerhans-Zellen erscheinen jetzt in neuem Licht, weil sie wahrscheinlich mehr Toleranz induzieren als Ärger in Form von Sensibilisierungen verursachen. Für die allergische Reaktion (Effektorphase) sind dagegen andere Zellen zuständig, die Entzündungen auslösen. Wieso also nicht Nutzen aus den tolerogenen Eigenschaften der Langerhans-Zellen der Haut ziehen? Mit den Langerhans-Zellen der Mundschleimhaut wird dies ja im Rahmen der sublingualen Immuntherapie (SLIT) bereits erfolgreich praktiziert. Der Arbeitsgruppe von PD Dr. Thomas Kündig, Dermatologische Klinik, Universitätsspital Zürich, gelang es, im Rahmen einer kürzlich publizierten, plazebokontrollierten Doppelblindstudie (insgesamt 132 Patienten mit Graspollen-induzierter Rhinokonjunktivitis) mit lediglich 6 epikutanen Allergenapplikationen in Pflasterform eine Hyposensibilisierungswirkung zu erzielen (1). Vor und während der Graspollensaison wurden allergenhaltige Pflaster
nach Vorbehandlung der Haut (oberflächliches Epitheltrauma durch Klebebandabrisse) in wöchentlichen Abständen während jeweils 8 Stunden aufgeklebt. In der Pollensaison des folgenden, therapiefreien Jahres war eine statistisch signifikante Reduktion der Rhinokonjunktivitissymptome im Vergleich zur Plazebogruppe feststellbar (1).
Ist Autoimmunität bei der Neurodermitis beteiligt?
Um Antworten zu dieser Frage zu finden, beteiligte sich Thomas Bieber an der Durchforstung der gesamten verfügbaren Literatur. Die systematische Reviewarbeit ergab starke Hinweise, dass Autoimmunphänomene im Sinne von spezifischen, gegen körpereigene Proteine gerichteten IgE-Antikörpern tatsächlich bei einer Subgruppe von Patienten eine Rolle spielen (2). Vermutlich korreliert dieses Phänomen mit dem Schweregrad der Krankheit. Der Referent gab dafür eine einfache Erklärung, denn je schwerer eine Neurodermitisform ist, desto mehr macht sich die Entzündung breit und desto mehr kratzt sich der Patient. Kratzen bedeutet Schädigung der Keratinozyten. Deren Zelltrümmer werden von lokalen dendritischen Zellen aufgenommen und zu Lymphknoten transportiert. Dort wird gegen die Bruchteile der Keratinozyten eine Th2-Antwort in Gang gesetzt. Es resultieren spezifische IgE-Antikörper, die gegen Strukturen der eigenen Epidermis gerichtet sind.
Gibt es den atopischen Marsch wirklich?
Eine Subgruppe von Patienten mit Neurodermitis ist mit einem beträchtlich erhöhten Risiko behaftet, später an allergischer Rhinitis und Asthma zu erkranken. Dies ergab die neueste Studie zur Thematik des atopischen Marsches, welche die berühmte «tasmanische Kohorte» während 40 Jahren untersuchte (3). Wer sehr früh ein atopisches Ekzem hatte und dann noch eine Rhinitis entwickelte, wies im Erwachsenenalter ein stark erhöhtes atopisches Asthmarisiko auf. Welches Kind wird eine Neurodermitis entwickeln? Welches Kind kann mit spontaner Remission des atopischen Ekzems rechnen? Welches Kind wird mit hoher Wahrscheinlichkeit den atopischen Marsch mitmachen? Derzeit stehen die Biomarker, die schon möglichst früh eine prognostische Aussage erlauben, noch nicht zur Verfügung. In absehbarer Zukunft wird es aber wahrscheinlich möglich sein, den klinischen Phänotyp der atopischen Dermatitis aufgrund von genetischen
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Bericht
Markern und von weiteren Biomarkern in Subtypen mit unterschiedlichen Verläufen und Prognosen aufzuteilen. Im Sinne einer personalisierten, stratifizierten Medizin sind dann neue Strategien für die gezielte Prävention und Therapie gefragt. Bei den Guidelines wird die Herausforderung darin bestehen, für verschiedene Subtypen jeweils eigene Richtlinien zu entwickeln. ●
Alfred Lienhard
Redaktioneller Bericht ohne Sponsoring.
Referenzen:
1. Senti G et al. Epicutaneous allergen-specific immunotherapy ameliorates grass pollen-induced rhinoconjunctivitis: A double-blind, placebo-controlled dose escalation study. Journal of Allergy and Clinical Immunology 2012; 129: 128–135.
2. Tang TS et al. Does «autoreactivity» play a role in atopic dermatitis? Journal of Allergy and Clinical Immunology 2012 (March 10, Epub ahead of print).
3. Martin PE et al. Childhood eczema and rhinitis predict atopic but not nonatopic adult asthma: A prospective cohort study over 4 decades. Journal of Allergy and Clinical Immunology 2011; 127: 1473–1479.
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