Transkript
ERSTAUNLICHE FÄLLE AUS DER PRAXIS
Der krasse Fall
Roher Knoblauch auf der Haut gegen Hexenschuss
Feinschmecker stehen auf Knoblauch als Gewürz. Auch als perorales Phytotherapeutikum hat Allium sativum viele Anhänger. Bei innerlicher Verwendung ist Knoblauch sicher, Allergien kommen eher selten vor. Aber bei äusserlicher Anwendung auf der Haut ist Knoblauch gefährlich. Frischer Knoblauch wirkt auf die Haut irritierend. Er löst akut-toxische und chronische, kumulativ-toxische Kontaktekzeme aus, berichtete Dr. Christine Worlicek, Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Klinikum der J. W. Goethe-Universität Frankfurt, an der Tagung DDG KOMPAKT 2012 in Berlin.
Das kommt nicht gut – zerkleinerten, rohen Knoblauch bei lumbalen Rückenschmerzen auf die Haut aufzulegen, mit einer Küchenfolie abzudecken und einwirken zu lassen.
Eine 66-jährige Frau türkischer Abstammung wollte mit der Gewürzapotheke ihren Hexenschuss kurieren und schnitt deshalb grosse Mengen rohen Knoblauchs in kleine Stückchen, legte diese links gluteal auf die Haut, deckte mit einer Folie ab und liess die «Heilpackung» über Nacht einwirken. Am nächsten Morgen erwachte sie mit starken Schmerzen. Das behandelte Hautareal hatte sich in eine riesige Blase von 15 × 20 cm Grösse verwandelt. Bei der ärztlichen Untersuchung war das Dach der breigefüllten Blase zur Hälfte eröffnet. Es bestand eine sehr schmerzhafte, stark entzündete Erosion. Diagnostisch handelte es sich um ein toxisches Kontaktekzem, für das Isothiocyanate verantwortlich sind. Diese in Knoblauch enthaltenen Sulfurverbindungen besitzen ein hohes Potenzial für toxische Hautirritationen. Neben akuten toxischen Kontaktekzemen wie im Fall-
26
beispiel kommen chronische, kumulativ-toxische Varianten besonders bei Hausfrauen und Köchen vor. Oft bestehen seit Monaten unklare, schmerzhafte, hyperkeratotisch-rhagadiforme Hautveränderungen an den distalen Fingerkuppen, kombiniert mit Nagelveränderungen. Die Behandlung im Fallbeispiel des akuten toxischen Kontaktekzems mit ausgeprägtem Lokalbefund und erhöhtem CRP (5,05 mg/dl) umfasste: ● systemische Antibiotikatherapie (4-mal täglich 300 mg
Clindamycin) ● intensive antiseptische Lokaltherapie ● im Verlauf Wechsel auf steroidhaltige Externa.
Dadurch konnte eine rasche Abheilung und Reepithelisierung erreicht werden.
Knoblauchallergien sind nicht häufig
Der Hauptinhaltsstoff von Knoblauch, das Alliin, hat
Allium sativum zu einem beliebten, weitverbreiteten
peroralen Heilmittel gemacht. Im Körper findet ein
enzymatischer Abbau von Alliin zu Allicin, Diallyldisul-
fid und Allylpropyldisulfid statt. Bei diesen drei organi-
schen Schwefelverbindungen handelt es sich um flüch-
tige, übel riechende Öle, die beim Kochen zersetzt
werden. Sie sind für das mittel- bis hochgradige Sensi-
bilisierungspotenzial von Knoblauch verantwortlich. Es
kommen allergische Kontaktekzeme und IgE-vermit-
telte Typ-I-Nahrungsmittelreaktionen vor (z.B. Urtika-
ria, Quincke-Symptomatik, anaphylaktischer Schock).
Es gibt auch Fälle von oralem Allergiesyndrom, von Rhi-
nokonjunktivitis, die durch Knoblauchpulver ausgelöst
wird, sowie von allergischem Asthma bronchiale. Beson-
ders zu erwähnen sind fotoallergische Reaktionen,
zum Beispiel ausgelöst durch Diallyldisulfid, das in
Lippenstift enthalten sein kann. Insgesamt kämen
allergische Reaktionen auf Knoblauch eher selten vor,
sagte die Referentin.
●
Alfred Lienhard
Bericht ohne Sponsoring.
[medicos ] Nr. 2•2012