Transkript
FORTBILDUNG
Atopische Dermatitis
Neues zur Pathogenese und Therapie
Die Vererbung und die Pathogenese sind bei der atopischen Dermatitis komplex. Neben Störungen der Hautbarriere sind auch Störungen der Immunität beteiligt. Neuerdings findet zudem die Rolle des Mikrobioms (Mikroflora) der Haut vermehrt Beachtung. Das Mikrobiom von Patienten mit atopischer Dermatitis unterscheidet sich hochsignifikant vom Mikrobiom Gesunder. Wenn die Haut wirksam behandelt wird, kann sich das Mikrobiom wieder normalisieren. Über Neues zur Pathogenese und zur Therapie der atopischen Dermatitis berichteten Experten in Berlin an der Tagung DDG KOMPAKT 2012.
Bis anhin standen sich zwei unterschiedliche Auffassungen zur Pathogenese der atopischen Dermatitis gegenüber. Ist es der Barrieredefekt, der bei trockener, empfindlicher Haut über den Juckreiz-Kratz-Zirkel zur Entzündung führt? Oder trifft eher die immunologische Interpretation zu, die Allergien und eine durch T-Lymphozyten vermittelte Hautentzündung in den Mittelpunkt stellt? Neue Forschungen sprechen für ein Sowohl-als-auch. Bei geschwächter Hautbarriere können bereits subtoxische Reize eine leichte Entzündungsreaktion auslösen. Zudem können Allergene und mikrobielle Substanzen leichter in die Haut eindringen. Die Dysfunktion der Hautbarriere begünstigt eine immunologische Sensibilisierung, entsprechend der genetischen Disposition meist mit Th2-Dominanz und Bildung von IgE-Antikörpern, die gegen ubiquitär vorkommende Umweltantigene gerichtet sind. Kutane Reize bewirken die Rekrutierung und Aktivierung von Th2-Lymphozyten in der Haut. Th2-Lymphozyten sind T-Helferzellen, die durch Freisetzung von Interleukin-4 bei B-Zellen die Produktion von IgE-Antikörpern auslösen. Das von aktivierten Th2-Lymphozyten hauptsächlich produzierte Interleukin-4 schwächt zudem die Barrierefunktion der Haut weiter und bremst die Produktion antimikrobieller Peptide, sodass Mikroben
die Haut leichter kolonisieren und infizieren und die Entzündung verstärken können. Schliesslich kommt es zur chronischen Entzündung, die ohne therapeutisches Eingreifen meist nicht mehr zur Ruhe kommt, erläuterte Prof. Dr. Tilo Biedermann, Universitäts-Hautklinik, Tübingen.
Verlustmutationen des Filaggrin-Gens
Die Neigung zur atopischen Dermatitis ist nicht monogenetisch, sondern komplex-genetisch vererbt. Das bedeutet, dass mehrere Gene auf unterschiedliche Weise betroffen sein können (fehlende Proteinbildung aufgrund von Verlustmutationen, verminderte oder verstärkte Proteinfunktion als Folge von NukleotidPolymorphismen). Zudem variiert die Penetranz der Erkrankung aufgrund von Umwelteinflüssen und von epigenetischen Faktoren. Die häufigsten Mutationen der komplex vererbten atopischen Dermatitis betreffen Filaggrin. Profilaggrin wird als inaktive Vorform von Filaggrin erst relativ spät in der epidermalen Differenzierung gebildet und in den Keratinozyten des Stratum granulosum wie in einem Reservoir gespeichert. Verschiedene Proteasen wandeln Profilaggrin zu Filaggrin um. Dieses Protein ist in der Hornschicht für die Herstellung des «Mörtels» verantwortlich, also für die abdichtende Aggregation von Keratinfilamenten und Lipiden. Spaltprodukte von Filaggrin (kleine Peptide, freie Aminosäuren) sind hygroskopisch wirksam und ziehen zusammen mit weiteren natürlichen Feuchtigkeitsfaktoren (natural moisturizing factors) Wasser an und konservieren es. Profilaggrin stellt auch den antimikrobiell wirksamen Säureschutzmantel der Haut sicher. Es sei sehr ungewöhnlich, dass bei einer komplex-genetisch vererbten Erkrankung ein einzelnes, dominierendes Gen bei einer Verlustmutation so viele pathogenetische Auswirkungen habe, betonte Prof. Biedermann. Bei heterozygoten Trägern von Filaggrin-Mutationen besteht ein 3- bis 4-fach erhöhtes Erkrankungsrisiko für atopische Dermatitis. Erstaunlicherweise ist bei Trägern von Filaggrin-Mutationen auch das Erdnussallergierisiko ähnlich stark erhöht, obschon Filaggrin im Intestinaltrakt gar nicht exprimiert wird. Zur Pathogenese der atopischen Dermatitis tragen im Rahmen der komplex-genetischen Disposition auch Gene bei, die Proteine für die angeborene und für die adaptive Immunantwort liefern.
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Das atopische Ekzem wächst sich in der Kindheit oft nicht aus. Nicht selten tritt auch erst im Erwachsenenalter neu ein atopisches Ekzem auf (late onset).
Mikrobiom und hauteigene Antibiotika
Bei Patienten mit atopischer Dermatitis kommen bekanntlich häufig Hautinfekte vor. Im Rahmen des Humanen-Mikrobiom-Projekts (Human Microbiome Project, HMP) wird derzeit mit modernen Methoden untersucht, welche Bakterien zum Beispiel im Darm und auf der Haut leben und wie die Bakterien den Körper, etwa die Immunlage, beeinflussen. Es wurde festgestellt, dass das Mikrobiom verschiedener Hautareale (z.B. Stirn versus Unterarm) sehr unterschiedlich ist. Wenn im Experiment nach Desinfektion der Stirn beispielsweise das Mikrobiom der Zunge auf die Stirnhaut gesetzt wird, dauert es erstaunlicherweise lediglich 8 Stunden, bis sich die Mikroflora der Stirn wieder in die Ausgangslage zurückverschoben hat. Offenbar beeinflusst die Haut das Mikrobiom, etwa durch Produktion natürlicher Antibiotika (z.B. Beta-Defensine). Die Haut von Patienten mit atopischer Dermatitis bildet nachweislich weniger Antibiotika. Bei atopischer Dermatitis ist die Hautbarriere gestört und durch die Th2-Immu-
nitätslage noch weiter beeinträchtigt. Ausserdem produziert die Haut ungenügend antimikrobielle Peptide. All dies trägt dazu bei, dass sich pathogene Bakterien unkontrolliert vermehren und die Entzündung der Haut verstärken können. Die Haut von über 90 Prozent der Patienten ist mit Staphylococcus aureus kolonisiert.
Aktuelle Möglichkeiten der antientzündlichen Therapie
Für die antiinflammatorische Behandlung mit topischen Glukokortikosteroiden reicht in der Regel die Steroidklasse 2 aus, wie Prof. Dr. Thomas Werfel, Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie, Medizinische Hochschule, Hannover, sagte. Üblicherweise braucht es nicht mehr als die einmal tägliche Anwendung. Nachgewiesenermassen lohnt es sich nicht, die Anwendungsfrequenz über zweimal täglich hinaus zu steigern, weil der therapeutische Effekt nicht grösser wird, aber mehr Nebenwirkungen auftreten. Für die Problembereiche der Haut (z.B. Gesicht, intertriginöse
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Hautareale, Capillitium) stehen topische Calcineurininhibitoren (TCI) als Behandlungsalternative zur Verfügung (Tacrolimus, Pimecrolimus). Die charakteristischen Nebenwirkungen länger dauernder Kortikosteroidbehandlungen (Hautatrophie, steroidinduzierte Rosazea oder periorale Dermatitis) sind bei Verwendung von TCI nicht zu befürchten. TCI hemmen die Proliferation von Keratinozyten und Fibroblasten nicht. Im Unterschied zur topischen Steroidtherapie kommen Gewöhnungseffekte auch bei längerer Anwendung in empfindlichen Hautarealen (z.B. Gesicht) nicht vor. Gelegentlich berichten Patienten über ein Hautbrennen nach der Applikation von Tacrolimus. Wenn vorgängig 500 mg Azetylsalizylsäure (ASS) peroral eingenommen werden, kann das initiale Brennen vermieden werden. Diese Methode eignet sich für Patienten, welche die Tacrolimustherapie wegen Hautbrennen abgebrochen haben, so der Referent. Bei kleinen Kindern ist jedoch ASS kontraindiziert. Es ist empfehlenswert, kontinuierlich und täglich so lange antientzündlich zu behandeln, bis das Ekzem wirklich verschwunden ist und höchstens noch ein leichtes Resterythem zu sehen ist. Danach lohnt es sich, über einen langen Zeitraum zweimal pro Woche nachzubehandeln, auch wenn die Haut klinisch gesund aussieht. Bei Verwendung topischer Kortikosteroide spricht man dabei von intermittierender Nachbehandlung und bei Verwendung von Tacrolimus von proaktiver Therapie. Auch die immer noch moderne Fototherapie wirkt antientzündlich, sei es die UV-B-Schmalspektrum-Fototherapie (311 nm) oder die Behandlung mit langwelligem UV-A-Licht (UV-A-1) in mittlerer Dosierung (50 Joule/cm2). Kinder unter 12 Jahren sollten nicht bestrahlt werden. Bei systemischer Behandlung mit den Immunsuppressiva Azathioprin und Calcineurininhibitoren ist eine Fototherapie klar kontraindiziert. Bei schwerer betroffenen Patienten muss oft eine systemische Behandlung erwogen werden. Antihistaminika (H1-Blocker) sind nur wenig wirksam. Ältere, sedierende Vertreter dieser Substanzklasse können das Einschlafen erleichtern. Möglicherweise spielt der H4-Rezeptor eine wichtigere Rolle, doch sind derzeit
noch keine H4-Blocker verfügbar. Systemische Gluko-
kortikosteroide können kurzzeitig (3 Tage bis 3 Wo-
chen) eingesetzt werden, obwohl dazu keine kontrol-
lierten Studien vorhanden sind. Im Erwachsenenalter
(ab 16 Jahren) ist Ciclosporin zur Behandlung der
schweren Neurodermitis zugelassen. Dass Ciclosporin
gut wirksam ist, wurde in 18 kontrollierten klinischen
Studien nachgewiesen. Aufgrund von publizierten kli-
nischen Evidenzen kann Ciclosporin off-label auch bei
sehr schwer betroffenen Kindern eingesetzt werden (im
Zentrum in Hannover bei 2 Kindern pro Jahr). Pro-
spektive plazebokontrollierte Studien sprechen zudem
für die Verwendung von Azathioprin, offene Fallserien
für Mycophenolatmofetil, eine kontrollierte und wei-
tere offene Studien für Methotrexat.
Aus den ziemlich enttäuschenden Ergebnissen mehre-
rer kontrollierter Studien zur spezifischen Immun-
therapie (SIT) leitete der Referent als Fazit ab, dass SIT
bei atopischer Dermatitis verbunden mit allergischer
Rhinitis zwar sicher nicht schadet, aber wahrscheinlich
die Neurodermitis nicht bessert. Bislang stehen noch
keine Biologika zur Behandlung der atopischen Derma-
titis zur Verfügung. TNF-alpha-Blocker sind nicht oder
jedenfalls nicht ausreichend wirksam. Die Wirksamkeit
von Omalizumab (monoklonaler Antikörper gegen
IgE) ist für den Standardeinsatz zu wenig stark aus-
geprägt. In einer Pilotstudie konnten mit Rituximab
(monoklonaler Antikörper gegen CD20 zur Depletion
von B-Zellen im peripheren Blut) deutliche Behand-
lungseffekte erreicht werden. Überdies gibt es Fall-
berichte über Besserungen mit Ustekinumab (mono-
klonaler Antikörper zur Hemmung der Bioaktivität der
Interleukine 12 und 23) und mit Tocilizumab (in der
Rheumatologie verwendeter monoklonaler Antikörper
gegen den Interleukin-6-Rezeptor). In Entwicklung
stehen derzeit monoklonale Antikörper gegen Inter-
leukin-4, das typische Th2-Zytokin, oder gegen den
Interleukin-4-Rezeptor.
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Alfred Lienhard
Redaktioneller Bericht ohne Sponsoring.
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