Transkript
KONGRESSBERICHT EADV Lissabon
Ein Fall für Biologika, für Antibiotika oder für Zink?
Medikamentöse Therapie der Hidradenitis suppurativa
Jeder Dermatologe behandelt Patienten mit
Hidradenitis suppurativa gemäss seinen per-
sönlichen Erfahrungen, weil keine definitiv eta-
blierte medikamentöse Therapie zur Verfügung
steht, wie Prof. Dr. Vincenzo Bettoli, Universität Ferrara, Italien, am 20th Congress of the Euro-
pean Academy of Dermatology and Venereology
(EADV) sagte. Er gab einen Überblick über
neuere Behandlungsansätze und verriet seine
persönlichen Favoriten.
Das Interesse der klinischen Forscher an der Hidradenitis suppurativa nahm in den letzten Jahren sprunghaft zu. Aber immer noch gibt es für diese chronische Entzündungskrankheit mit bakterieller Superinfektion keine Standardtherapie und auch praktisch keine Guidelines, ausser etwa einer S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Koloproktologie und der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft (1). Das Synonym Acne inversa weist darauf hin, dass die inversen Hautregionen betroffen sind, wo Haut-Haut-Kontakt besteht, also hauptsächlich Axilla, Inguina, Gesässspalte und Perianalregion sowie unter den Mammae. Primär entsteht ein schmerzhafter, tief in der Haut gelegener solitärer Knoten, aus dem ein Abszess entstehen kann, der nach aussen perforiert. Purulente oder serosanguilente Sekretion bei Fistelbildung tragen zusammen mit den Schmerzen dazu bei, dass die Lebensqualität stark beeinträchtigt wird. Im Endstadium entstehen hypertrophe fibrotische Narben (1). Ätiologie und Pathogenese dieser chronischen Entzündungskrankheit sind weitgehend unbekannt. Hyperkeratose, Verschluss und Ruptur des Haarfollikels scheinen eine Rolle zu spielen. Die apokrinen Drüsen, die lange als Ursprungsort der Erkrankung galten, werden erst sekundär in die Entzündung einbezogen. Oft liegt eine genetische Prädisposition vor. Zur bakteriellen Besiedlung kommt es erst sekundär. Entsprechend kann die antibiotische Infektbekämpfung die Erkrankung nicht heilen, sondern nur die Sekretion und den Schmerz reduzieren (1).
Lösen TNF-alpha-Blocker das Therapieproblem?
Weil bisherige medikamentöse Behandlungsmöglichkeiten oft enttäuschten, wurden in den letzten Jahren versuchsweise Biologika eingesetzt, hauptsächlich die TNF-alpha-Blocker Infliximab, Etanercept und Adalimumab sowie Ustekinumab als Hemmer der Interleukine 12 und 23. Es handelt sich dabei um Off-labelVerwendung, betonte der Referent. Die besten Resultate wurden mit Infliximab erzielt, berichtete er. In einem Reviewartikel wurden 34 Publikationen ausgewertet, die über die TNF-alpha-Blocker-Therapie von 105 Patienten berichteten (2). Bei 52 Patienten wurde Infliximab eingesetzt, bei 37 Etanercept und bei 16 Adalimumab. Von den 52 Patienten, die Infliximabinfusionen erhielten (6 davon gleichzeitig mit M. Crohn), sprachen 45 auf die Behandlung an. Bei 17 Patienten blieb das Ansprechen auch nach Therapieende erhalten. Möglicherweise ist aber bei manchen Patienten eine kontinuierliche Langzeittherapie nötig. Besonders ausgeprägt ist die Wirksamkeit von Infliximab bei Patienten mit starker entzündlicher Krankheitskomponente (2). Auf die Behandlung mit Etanercept (subkutane Injektionen) sprachen 35 von 37 Patienten an, auf die Adalimumabtherapie (subkutane Injektionen) sprachen alle 16 Patienten an. Für die Therapie der Hidradenitis suppurativa spielen neben dem antiinflammatorischen Effekt der TNF-alpha-Blocker möglicherweise auch günstige Wirkungen auf die Wundheilung eine Rolle (2). Kürzlich berichteten französische Autoren über 4 Frauen und 3 Männer (Durchschnittsalter 37 Jahre), bei denen zumeist eine mittelschwere Hidradenitis suppurativa bestand (Hurley-Stadium II = rezidivierende Abszesse mit Strang- und Narbenbildung, einzeln oder multipel) (3). Alle Patienten (Krankheitsdauer zwischen 3 und 25 Jahren) waren therapieresistent gegenüber mehreren Lokalbehandlungen und gegenüber mindestens zwei dreimonatigen systemischen Therapien (Antibiotika, Isotretinoin, Cyproteronacetat, Zinkglukonat). Auf 3 bis 19 Infliximabinfusionen sprachen 6 der 7 Patienten mit Besserungen an. Auch die Lebensqualität verbesserte sich (initialer medianer DLQI-Score 18, DLQI-Score am Schluss median 8).
Behandlung mit Antibiotika, Dapson und Zink
Bei mittelschwerer Hidradenitis suppurativa ohne Akne bevorzugt Prof. Bettoli in erster Linie systemische Tetrazykline. Wenn der Patient darauf nicht anspricht oder
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wenn eine schwere Hidradenitis suppurativa besteht, setzt er eine Kombination von Rifampicin und Clindamycin während 10 Wochen ein. Wenn auch dieser Behandlungsversuch fehlschlägt, wählt der Referent eine Biologikumbehandlung (in erster Linie Infliximab). Bei Hidradenitis suppurativa mit Akne stehen Tetrazykline und Isotretinoin therapeutisch im Vordergrund. Antibiotika werden bei Hidradenitis suppurativa nicht nur wegen ihrer antibakteriellen Effekte, sondern auch wegen der antiinflammatorischen Wirkkomponente eingesetzt. Obschon die Hidradenitis suppurativa nicht primär eine Infektionskrankheit ist, können nach Superinfektionen aus den Läsionen verschiedenartige Bakterien isoliert werden, am häufigsten Staphylococcus aureus, gramnegative Stäbchen und anaerobe Bakterien (4). Bei 116 konsekutiven Patienten mit schwerer Hidradenitis suppurativa und durchschnittlicher Krankheitsdauer von 11 Jahren (85 Frauen und 31 Männer, Durchschnittsalter 33 Jahre) wurde der Nutzen einer 10-wöchigen Kombinationstherapie von Clindamycin (300 mg zweimal täglich peroral) und Rifampicin (600 mg einmal täglich am Morgen peroral) analysiert (4). Beide Antibiotika wirken sowohl antibakteriell als auch antiinflammatorisch. Das Breitspektrumantibiotikum Rifampicin ist auch gegen Staphylococcus aureus hochaktiv. Bei Verwendung als Monotherapie muss rasch mit Resistenzbildung gerechnet werden. Clindamycin hilft bei der Verhinderung von Resistenzentwicklungen gegenüber Rifampicin und deckt ein breites Bakterienspektrum ab, darunter die meisten anaeroben Bakterien (4). Für 70 Patienten standen in der Beobachtungsstudie genügend Daten zur Verfügung, um die Therapieresultate nach 10 Wochen zu beurteilen (4). Bei 8 der 70 in die Analyse einbezogenen Patienten war die Antibiotikatherapie gestoppt worden, meist wegen Nebenwirkungen auf den Magen-Darm-Trakt. Von den 70 Patienten beurteilten 66 Prozent das Therapieresultat als sehr gut, 27 Prozent als gut, 6 Prozent als stabil. Nur 1 Patient gab eine Krankheitsverschlechterung an. Die Beurteilung des Schweregrads der Krankheit aufgrund des SartoriusScore ergab eine dramatische und signifikante Abnahme bis zum Behandlungsende. Die Lebensqualität verbesserte sich signifikant. Bei 8 Patienten konnte eine komplette Remission erreicht werden (Sartorius-Score = null). Das Lepramittel Dapson, das in der Dermatologie gelegentlich als antiinflammatorisches Medikament eingesetzt wird, erwies sich auch bei der Behandlung der Hidradenitis suppurativa als wirksam, wie Prof. Bettoli sagte. Bereits vor mehr als zehn Jahren berichtete die Abteilung für Dermatologie des Kantonsspitals Aarau in einer Farbbildkasuistik über die erfolgreiche Dapsontherapie von 5 Patientinnen im Alter zwischen 23 und 40 Jahren, die seit durchschnittlich 9,6 Jahren von Acne inversa betroffen waren (5). Bei allen Patientinnen verschwanden die Symptome bereits innerhalb von 2 bis 4 Wochen fast völlig. Die Behandlung war gut verträglich, ohne wesentliche Nebenwirkungen. Weil Dapson nicht teratogen ist, eignet sich diese Behandlungsalter-
native besonders für junge Frauen mit Acne inversa (5).
Auch aus Birmingham, UK, wurde über die Behandlung
von 5 Patienten berichtet, deren Hidradenitis suppura-
tiva nicht auf Behandlungen mit oralen Antibiotika und
Isotretinoin angesprochen hatte (6). Bei guter Veträg-
lichkeit besserte Dapson (zwischen 25 und 150 mg täg-
lich) bei allen Patienten innerhalb von 4 bis 12 Wochen
die subjektiven Symptome und den objektiven Befund.
Bei allen Patienten war eine Erhaltungstherapie mit
Dapson nötig (6).
Zinkglukonat wurde in einer Pilotstudie erfolgreich als
neuartige Therapiealternative getestet (7). 22 Patienten
mit Hidradenitis suppurativa in den Hurley-Stadien I
(= Abszesse, einzeln oder multipel) oder II, die nicht auf
eine systemische Therapie (Antibiotika, Isotretinoin,
Antiandrogen) oder einen chirurgischen Eingriff ange-
sprochen hatten, erhielten täglich 90 mg Zinkglukonat
in Kapselform. Alle Patienten sprachen auf die Zinkthe-
rapie an (8 komplette und 14 partielle Remissionen).
Gastrointestinale Nebenwirkungen kamen bei 4 der 22
Patienten vor. Zinkglukonat sei zur Erhaltungstherapie
geeignet, sagte der Referent.
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Alfred Lienhard
Redaktioneller Bericht ohne Sponsoring
Referenzen:
1. Wienert V et al. Acne inversa/Hidradenitis suppurativa. Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Koloproktologie und der Deutschen Dermatologischen Gesellschaft, 2011. Publiziert von AWMF online.
2. Haslund P et al. Treatment of hidradenitis suppurativa with tumour necrosis factor-α inhibitors. Acta Derm Venereol 2009; 89: 595–600.
3. Delage M et al. Efficacy of infliximab for hidradenitis suppurativa: assessment of clinical and biological inflammatory markers. Acta Derm Venereol 2011; 91: 169–171.
4. Gener G et al. Combination therapy with clindamycin and rifampicin for hidradenitis suppurativa: a series of 116 consecutive patients. Dermatology 2009; 219: 148–154.
5. Hofer T und Itin PH. Acne inversa: eine Dapson-sensitive Dermatose. Hautarzt 2001; 52 (Supplement 1): 989–992.
6. Kaur MR and Lewis HM. Hidradenitis suppurativa treated with dapsone: a case series of five patients. J Dermatolog Treat 2006; 17: 211–213.
7. Brocard A et al. Hidradenitis suppurativa and zinc: a new therapeutic approach. Dermatology 2007; 214: 325–327.
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