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WUNDMANAGEMENT
Wundmanagement: vom Expertenwissen zu (kosten-) effektiver Heilung
Spotlights der gemeinsamen Jahrestagung der Schweizerischen und der Österreichischen Gesellschaft für Wundbehandlung (SAfW, AWA), 18./19. Juni in Zürich
Die Wundbehandlung hat in den letzten Jahren einen revolutionären Wandel durchlaufen. Ihr Erfolg im Alltag bedingt ein weitsichtiges strategisches Denken, das Prävention, sorgfältige Abklärung der Ursachen, gezielten Einsatz der Methoden sowie
sellschaft für Wundheilung (Swiss Association for Wound Care SAfW, Austrian Wound Association AWA) statt. Über 30 Ärzte und Wundspezialisten aus der Schweiz, Österreich und Deutschland tauschten ihr Know-how aus, mit dem Ziel, das vorhandene Expertenwissen zusammenzutragen und daraus konkrete, im Alltag brauchbare therapeutische Konzepte für die verschiedenen Aspekte des modernen Wundmanagements abzuleiten.
engmaschige Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Warum heilen chronische Wunden
Wundspezialisten umfasst.
nicht?
Chronische Wunden entstehen auf krankhaft verän-
dertem Gewebe, meistens infolge einer Durchblu-
Chronische Wunden und sogenannte «offene Beine» tungsstörung von Venen und Arterien und somit
sind häufig. Heute sind über 3 Prozent der 80-Jäh- ungenügender Sauerstoffversorgung des Gewebes.
rigen betroffen. Doch es handelt sich nicht aus- Dadurch stagniert die Wundheilung. Die Folgen
schliesslich um eine Krankheit im Alter. Erste Anzei- davon sind venöse, arterielle und arteriell-venöse
chen erleiden oft auch jüngere Frauen ab ihrer ersten Ulzera, Gangrän durch Diabetes, Dekubitus durch
Schwangerschaft. Auch Krankheiten wie Diabetes Wundliegen oder traumatisch bedingte Ulzera
oder verschiedene Medikamente verzögern die durch Verletzung alter Haut. Nach zweimonatigem
Abheilung von chronischen Wunden. Oft leiden die Wundgeschehen wird eine Wunde selbst zur
Betroffenen an Schmerzen und eingeschränkter Erkrankung. Die Therapie besteht darin, das Gesche-
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Mobilität; eine chronische Wunde kann übelrie- hen in eine normale Wundheilung zurückzuver-
chend sein, unästhetisch aussehen und soziale Ver- wandeln.
einsamung zur Folge haben. Pflege- und Heilungs- Um bei der Wundbehandlung die adäquate Therapie
aufwand sind oft langwierig und teuer, wenn die Be- zu finden, ist es deshalb wesentlich, die Ursachen zu
handlung nicht in die Hände von Fachleuten gelangt. erkennen: «Die Wunde ist immer eine medizinische
Am 18. und 19. Juni 2009 fand an der Universität Zü- Diagnose», wie Prof. Dr. Robert Strohal, Präsident der
rich zum zweiten Mal die gemeinsame Jahrestagung AWA, in seinem Referat festhielt. Therapeutische 26 der Schweizerischen und der Österreichischen Ge- Möglichkeiten zur Rückverwandlung in eine nor-
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male Wunde sind Wundreinigung und Verwendung von Antiseptika, chirurgisches Débridement von nekrotischem Gewebe, Salben und Gele, Wundauflagen, welche die Wunde feucht halten, Saugbehandlung sowie Ultraschall, Stosswellen und Maden. Diese Massnahmen unterstützen auch die Schmerzbehandlung ursächlich, die im Rahmen des Wundmanagements gemäss WHO-Schema (ab einem Wert grösser als 3 auf der Skala von 1 bis 10 deeskalierend) durchzuführen ist.
mit der SGDV im Auftrag des BAG klare Richtlinien aufgestellt, in welchen Fällen diese Produkte zulasten der Krankenversicherung eingesetzt werden dürfen, um insgesamt Kosten einzusparen.
Eine chronische Wunde zu behandeln, erfordert Geduld und hohe Fachkompetenz, doch zweifellos lohnt sich das, wenn man sich an den geschaffenen Richtlinien orientiert, wie Dr. med. Jürg Traber, Vizepräsident der SAfW, betonte.
Warum moderne Wundbehandlung?
Wer behandelt Wunden in der Schweiz?
In den letzten 20 bis 30 Jahren wurden in der Wund- Das moderne Wundmanagement ist komplex. Es ist
behandlung eine Vielfalt von Behandlungsmodalitä- ein Paradebeispiel für den Nutzen der interdiszipli-
ten entwickelt. Die ersten Wundkonzepte sind in- nären Zusammenarbeit und hat die Etablierung
zwischen wieder veraltet. Die früher einbandagier- eines neuen Berufs möglich gemacht – den der
ten «bösen» Beine wurden angesichts der aktuellen Wundexpertin. Wie das Wundmanagement in der
epidemiologischen Zahlen – 1 Million Patienten mit Schweiz organisiert ist und wie es von der SAfW ge-
venösen Geschwüren in Deutschland, 100 000 in der fördert wird, zeigte Dr. med. Severin Läuchli auf.
Schweiz (im letzten Jahr rückläufig) – enttabuisiert, In Zusammenarbeit mit der WE'G Hochschule
die moderne Wundbehandlung wurde zu einem Gesundheit (www.weg-fh.ch) hat die SAfW den in-
Hype. Heute geschieht das Wundmanagement auf terprofessionellen Weiterbildungsstudiengang «Cer-
wissenschaftlicher Basis mit diagnostischen und the- tificate of Advanced Studies in Wound Care» ausge-
rapeutischen Konzepten. Es hat sich gezeigt, dass ge- arbeitet (siehe auch www.safw.ch). Absolventinnen
wisse Modalitäten zu einer schnelleren und ange- dieser berufsbegleitenden Weiterbildung entwi-
nehmeren Heilung führen.
ckeln in engster Zusammenarbeit mit den Wund-
Während Jahrzehnten versuchte man mit konven- zentren von Universitäts- und Kantonsspitälern ei-
tionellen Methoden wie Gazen und Salben eine Hei- nerseits und der Spitex und vor allem auch den
lung herbeizuführen. In den letzten 20 Jahren wurde Hausärzten andererseits individuelle Behandlungs-
die Wundbehandlung durch die Einführung von konzepte für jeden Wundpatienten. Oft beinhalten
modernen Verbänden, welche das Wundmilieu diese eine Kombination von konventionellen Me-
feucht halten und somit Schmerzen vermindern thoden wie das Tragen von Kompressionsstrümpfen
und die Heilung stimulieren, revolutioniert. Auch in sowie des richtigen Schuhwerks, die Wahl der
der Behandlung von Keimen, die chronische Wun- optimalen Verbände und in schweren Fällen die
den besiedeln und ihre Heilung verzögern, wurden Verwendung von «Tissue-Engineering-Produkten».
grosse Fortschritte gemacht. Seit Kurzem stehen Komplexe Fälle können rasch den richtigen Fachper-
heute modernste Biotechnologie-
produkte zur Verfügung, die oft auch in fast aussichtslosen Fällen eine
Interdisziplinäres Wundmanagement
langjährige chronische Wunde hei-
Hausärzte
Spezialärzte
len und oft zu erstaunlichen Resultaten führen. «Diese Produkte sind eine enorme Bereicherung für alle Betroffenen», bestätigte Dr. med. Severin Läuchli, Präsident der SAfW und Or-
Spitex
Wundz e ntrum
– Dermatologen – Gefässchirurgen – Plastische Chirurgen – Angiologen – Endokrinologen – Orthopäden usw.
ganisator der Jahrestagung 2009 in
Zürich. Die Therapie mit Hautäqui-
valenten ist zwar kostspielig, doch die Behandlungszeit kann dadurch verkürzt und der Personalaufwand vermindert werden, indem beispielsweise Verbandswechsel und somit
WundexpertInnen
Weitere Fachspezialisten – Podologen – Diabetes- und
ErnährungsberaterInnen – Orthopädieschuhmacher usw.
Spitex-Besuche eingespart werden Abbildung 1: Interdisziplinäres Wundmanagement – neues Berufsprofil Wund-
können. Die SAfW hat zusammen expertin
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sonen zugewiesen und somit einer prompten, adäquaten Behandlung zugeführt werden. Einige Spitex-Regionalverbände fördern die Zusammenarbeit durch regelmässigen Austausch, beispielsweise Businesslunches mit den Hausärzten, oft mit beachtlichem Erfolg für die Patientenversorgung, dem letztlich Wichtigsten.
Abbildung 2: Arbeit der Wundexpertin in einem gut eingerichteten Wundambulatorium (Quelle: Website der SAfW)
Bei Wundpatienten ist die Grunderkrankung nicht immer gleich gut behandelbar. Bei komplexem Krankheitsbild hat sich deshalb die Behandlung in einem zertifizierten Wundheilungszentrum bewährt, in dem die Vertreter aller Disziplinen an einem Ort die Behandlung gemeinsam durchführen. Durch proaktives Vorgehen, rechtzeitige effektive Analgesie lassen sich unnötige Heilungsverzögerungen vermeiden und Kosten einsparen. Die Erfahrung der Wundexpertin ist dabei entscheidend. Ihr evidenzbasiertes Handeln zeigt sich im adäquaten konzeptuellen Anpacken und dem Einhalten der Richtlinien für die Wundzentren. Die Umsetzung von neuen Erkenntnissen, die interdisziplinäre Zusammenarbeit, den fachlichen Austausch und die Informationsverteilung, unter anderem via Website und Blog, fördert die SAfW mit diversen Aktivitäten. Sie unterstützt wissenschaftliche Projekte und setzt sich für regulatorische Aspekte ein: die Festlegung der Tarifpositionen für Wundbehandlung sowie der Richtlinien für die Wund-
zentren und, wie oben erwähnt, der Richtlinien für Tissue-Engineering-Produkte. Zusammen mit der EMWA (European Wound Management Association) wird sie als Fortbildungsangebot vom 26. bis 28. Mai in Genf die «20th Conference of the EMWA» durchführen (siehe auch www.ewma2010.org).
Behandlung eines Patienten im Wundzentrum
Im Universitätsspital Zürich findet jeweils am Montagnachmittag die interdisziplinäre Wundsprechstunde statt, in der je eine Fachperson aus der Orthopädie, Wiederherstellungschirurgie, Dermatologie, Gefässchirurgie und aus dem Gipszimmer vertreten ist sowie eine Podologin und Wundexpertinnen teilnehmen. Claudia Keller-Preisig, Vizepräsidentin Pflege SAfW, zeigte den Nutzen der interdisziplinären Zusammenarbeit eindrücklich am Fallbeispiel eines 85-jährigen Patienten mit einem medioplantaren Ulkus rechts, Arteriosklerose beiderseits und weiteren, für die Wundbehandlung jedoch irrelevanten Nebendiagnosen. Trotz Behandlung mit modernen Wundauflagen im Universitätsspital und bei der Spitex trat langzeitig keine Besserung auf, sodass der Patient nach zehn Monaten in die Durchführung der von ihm zuerst verweigerten Biopsie einwilligte. Die Analyse zeigte ein spinozelluläres Karzinom, das daraufhin chirurgisch exzidiert wurde. Ein am Oberschenkel entnommenes Spalthauttransplantat stimulierte die Wundheilung, sodass die Wunde nach zwei Monaten vollständig verheilt war. Nach der Abheilung wurde eine leichte Hyperkeratose abgetragen sowie eine gute Narbenpflege durchgeführt. Zur Druckentlastung liess man für den Patienten eine orthopädische Schuhsohle anfertigen. Dank dieser Massnahmen steigerte sich die Lebensqualität des Patienten erheblich: Er hatte keine Schmerzen mehr, gewann an Mobilität, indem er wieder ohne Stock gehen konnte, und war freier in seiner Lebensgestaltung ohne die regelmässigen Behandlungstermine.
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Regula Patscheider
Interessenkonflikte: keine
Abbildungen 1 und 3 mit freundlicher Genehmigung von Dr. med. Severin Läuchli.
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Abbildung 3: Sprechstunde im Wundzentrum am Univer28 sitätsspital Zürich