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PHLEBOLOGIE
Soforttyp-Allergien in der Phlebologie
Vortrag von PD Dr. med. Peter Schmid-Grendelmeier, Leiter der Allergiestation, Dermatologische Klinik, Universitätsspital Zürich, anlässlich der Fortbildung «Dermatologie-Update: Allergien in der Phlebologie», vom 13. März 2008
Im Folgenden werden einige Medikamentengruppen Pruritus, Exanthemen oder Urtikaria. Anaphylakti-
sche Reaktionen sind sehr selten. Reaktionen kön-
besprochen, die im Zusammenhang mit phlebo- nen innerhalb von Minuten, aber auch erst nach
Tagen auftreten. Es existieren gut dokumentierte, re-
logischen Abklärungs- und Therapiemassnahmen produzierbare Fälle, bei welchen Patienten noch
nach 4 bis 5 Tagen nach Kontrastmittelapplikation
als mögliche Allergene diskutiert werden. Die an Brechreiz oder Durchfall litten. Entscheidend
dabei ist, welches Kontrastmittel verwendet wird.
Applikation von Kontrastmitteln ist häufig von Into- Das höchste allergische Potenzial besitzen hochmo-
lekulare, ionische Kontrastmittel, bei niedermoleku-
leranzreaktionen und ganz selten von schweren laren ionischen ist es bereits geringer und bei nie-
dermolekularen nichtionischen am geringsten. Zum
anaphylaktischen Reaktionen begleitet. Während Glück ist ein anaphylaktischer Schock sehr selten.
Gemäss einer Studie wurden sofortige Reaktionen
Sklerosierungsmittel sehr selten Reaktionen aus- nur bei 1 von 25 000 Applikationen beobachtet, wäh-
rend Spätreaktionen bei 1 von 10 Anwendungen auf-
lösen, sind Lokalanästhetika häufig für Intoleranz- traten (1). Allergische Reaktionen mit Patentblau
sind bei 1 bis 2 Prozent der Applikationen beschrie-
reaktionen verantwortlich. Eigentliche Allergien auf ben worden.
Die Mechanismen der Entstehung einer Kontrast-
Lokalanästhetika sind jedoch sehr selten. Hepari- mittel-Unverträglichkeit sind sehr unterschiedlich.
Sie reichen von sehr seltenen IgE-vermittelten
noide können vor allem Spätreaktionen auslösen.
Sofortreaktionen bis hin zur unspezifischen Hist-
aminfreisetzung, zum Beispiel durch ionophore Ef-
fekte. Neben den IgE-vermittelten gibt es auch kom-
Kontrastmittel
plementaktivierende Mechanismen. Medikamente wie Opiate, Dextrane oder nichtsteroidale Antirheu-
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Unverträglichkeitsreaktionen auf Kontrastmittel sind matika können als Kofaktoren wirken. Bei Patienten,
häufig. Eigentliche IgE-vermittelte Allergien sind die an einer Urticaria pigmentosa, Mastozytose oder
sehr wenig in der Literatur beschrieben. Häufige Urticaria factitia leiden, sind die Risikofaktoren für
Symptome nach Applikation von Kontrastmitteln, eine Intoleranz grösser, da eine erhöhte Histamin-
welche in 3 bis 15 Prozent der Fälle auftreten, reichen liberation vorliegt.
von gastrointestinalen Beschwerden wie Übelkeit, Falls ein Kontrastmittel zu einem Zwischenfall wie
12 Brechreiz und Durchfall bis zu Hautreaktionen wie Blutdruckabfall oder Atemnot geführt hat, kann es
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zur Dokumentation nützlich sein, die Serumtryptase Typ als Anaphylaxieparameter zu bestimmen. Dabei handelt es sich um einen Mediator von Mastzellen, der ebenfalls wie Histamin freigesetzt wird und bei einem systemischen mastzellvermittelten Ereignis drei bis sechs Stunden nach dem Ereignis ansteigt. Prof. W. Pichler, Bern, hat die Kreuzreaktivitäten zwischen Kontrastmitteln intensiv untersucht. Er und seine Mitarbeiter konnten diese Kreuzreaktivitätsphänomene auf zellulärer Stufe der Lymphozyten nachweisen und zeigen, dass eine Kreuzreaktivität mittels In-vitro-Diagnostik (Lymphozyten-Transformationstest = LTT) identifiziert werden kann. Da nur IgE-vermittelte Reaktionen erfasst werden können, sind Hauttests für Unverträglichkeitsreaktionen nicht sehr sensitiv. Neben dem Nachweis und der Vermeidung eines Allergens kommt auch immer eine Prämedikation infrage. Ein guter Schutz kann eine gefürchtete Anaphylaxie verhindern, Spätreaktionen jedoch weniger. Wir empfehlen bei Patienten mit der Anamnese eines Zwischenfalls mit Kontrastmitteln eine Prämedikation auch bei negativen Hauttests. Eingesetzt werden Kortikosteroide und Antihistaminika. Ein Antihistaminikum sollte entweder oral 1 bis 2 Stunden vor dem Eingriff eingenommen oder intravenös 30 Minuten vorher verabreicht werden. Zu einem späteren Zeitpunkt nützt dies nichts mehr, da die Histaminrezeptoren noch nicht blockiert sind und das freigesetzte Histamin diesen gegenüber eine höhere Affinität aufweist als das Antihistaminikum.
Sklerotherapie und allergische Reaktionen
Allergische Reaktionen sind in der Sklerotherapie ausgesprochen selten. Bei Polidocanol beispielsweise werden praktisch nur Kontaktallergien beschrieben (2). Bei Tetradecyl wird nur über Einzelfälle von anaphylaktischen Reaktionen berichtet.
Heparinoide und Antikoagulanzien
Bei Heparinoiden und Antikoagulanzien besteht ein breites Spektrum an Unverträglichkeitsreaktionen. Die klassische Soforttyp-Allergie ist jedoch eher selten, kann aber potenziell lebensgefährlich sein. In der Literatur wird der Fall einer 42-jährigen Frau beschrieben, welche zwei Stunden nach einer Enoxparin-Injektion an einem generalisierten Exanthem und Atemnot litt. Der Hauttest zeigte einen positiven Befund. Auch werden urtikarielle Reaktionen beschrieben. Soforttyp-Allergien kommen bei Hirudinen gehäufter vor. Bis jetzt wurden 16 Todesfälle aufgrund
eines anaphylaktischen Schocks auf Hirudine beschrieben. Bei bestehenden Unverträglichkeiten gegenüber Heparinoiden steht das Präparat Arixtra als zwar teure, aber mögliche Alternative zur Verfügung. Ebenso sinnvoll ist die Umstellung auf Vitamin-K-Antagonisten. Heparininduzierte Spätreaktionen treten nach einigen Tagen bis Wochen am Ort der Injektion auf. Selten sind Hautnekrosen bei der HI-Thrombozytopenie zu beobachten. Ebenso kann innerhalb von Tagen eine Cumarinnekrose auftreten. Die Allergiediagnostik bei Heparinen ist sehr aufwendig und reflektiert wegen der ungenügenden Sensitivität das klinische Geschehen nur beschränkt. Aber falls Tests eine positive Reaktion zeigen, haben diese einen hohen prädiktiven Wert (3).
Allergische Reaktionen bei Lokalanästhesien
Ein häufiger Zuweisungsgrund sind Intoleranzreaktionen auf Lokalanästhetika. Bei diesen muss zwischen dem früher oft verwendeten Estertyp (Parabene, Procain, Tetracain) und dem heute sehr verbreiteten Amidtyp (Lidocain, Ultracain, Scandicain usw.) unterschieden werden, bei welchem Allergien sehr viel seltener auftreten. Lokalanästhetika-Allergien sind sehr viel häufiger auf Intoleranzen gegenüber Additiva zurückzuführen. Zu diesen gehören Vasokonstriktoren und Konservierungsmittel (Tabelle). Praktisch alle adrenalinhaltigen Präparate benötigen Natriumdisulfit oder Parabene, um sowohl das Adrenalin als auch das Lokalanästhetikum zu konservieren. Disulfite werden auch in vielen Nahrungsmitteln zur Konservierung zugesetzt, auf welche Patienten ebenfalls reagieren können.
Take-home-Message LokalanästhetikaIntoleranz
● Echte Allergien sind selten (< 1% der zugewiesenen Fälle)
● Differenzialdiagnostisch psychogene Reaktion oder pharmakologische Reaktion mit einbeziehen (z.B. Blutdruckabfall bei intravasaler Injektion)
● Allergien treten häufiger bei Ester-Lokalanästhetika auf, auch Kreuzreaktionen sind zu erwarten
● An Konservierungsmittel denken (Intoleranzreaktionen durch Disulfite)
● Bei Unklarheit medikamentöse Prophylaxe erwägen
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Tabelle:
Zusammensetzung und allergische sowie Unverträglichkeitsreaktionen bei Lokalanästhetika
Zusammensetzung von Lokalanästhetika
Estertyp ● Ester der Benzoesäure (Parabene) ● Procain (Otalgan) ● Tetracain ● Oxybuprocain
(Novesin-Lösung, Mebucaine-Lutschtabletten)
Vorkommen / allergische und Intoleranzreaktionen
● Ester der Benzoesäure, die somit zu den Parabenen gehören
● Allergien häufiger ● Kreuzallergien innerhalb Estergruppe
(«Parabenstruktur») ● meist Spättyp-Allergie
Amidtyp ● Amidstruktur ● Lidocain (Xylocain) ● Prilocain (Xylonest) ● Mepivacain (Scandicain) ● Articain (Ultracain, Ubistesin) ● Bupivacain (Carbostesin) ● Ropivacain (Naropin)
● Allergien selten ● Kreuzallergien vereinzelt beschrieben
Konservierungsmittel: – Natriumdisulfit
● Disulfite: vielen Nahrungsmitteln zur Konservierung zugesetzt (E220–224)
● Schwefelverbindungen: setzen in wässriger Lösung Schwefeldioxid frei, dadurch v.a. Intoleranzreaktionen, selten echte Allergien
– Parabene
● Parabene: stark verbreitete Konservierungsmittel ● z.B. auch in Diuretika ● weite Verbreitung ursächlich für Sensibilisierungs-
potenzial in Bevölkerung ● Gruppenallergien bekannt
Ev. Vasokonstriktor (Adrenalin/Vasopressin) (enthalten meist Natriumdisulfit)
Natriumdisulfit (siehe oben)
Sehr viel häufiger, in über 80 Prozent der Fälle, haben über Konservierungsmitteln überprüft. Ziel einer
Lokalanästhetika-Zwischenfälle andere Ursachen. Sie Abklärung bei einem Zwischenfall ist, dass der Pa-
können vagovasaler Natur sein oder durch eine tient einen Allergiepass erhält, in welchem vermerkt
Begleitmedikation (NSAR, ASS), durch für die Ope- ist, welches Lokalanästhetikum er verträgt und wel-
ration notwendige Medikamente und Materialen ches nicht.
wie Latex als hochpotentes Allergen oder aber durch
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Antibiotika ausgelöst werden. Eine erhöhte Tendenz zur Reaktionsbereitschaft auf Lokalanästhetika haben Patienten mit Urticaria factitia oder Masto-
Acetylsalicylsäure-(ASS-)/AnalgetikaIntoleranz
zytose. Da einige Patienten bereits schon bei der Bei einer 43-jährigen Patientin, bei welcher Asthma
Vorstellung, eine Spritze zu erhalten, Reaktionen wie diagnostiziert wurde und eine behinderte Nasen-
Schwindel oder Übelkeit zeigen, werden neben un- atmung vorlag, kam es bei einer Sklerotherapie zu
seren Testreihen auch Provokationen mit Plazebo Urtikaria und einem Asthmaanfall. Zuvor hatte
14 durchgeführt. Daneben werden Intoleranzen gegen- die Patientin gegen die Schmerzen zwei Tabletten
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Aspirin eingenommen. Die Testreihen waren nega-
tiv, also lag keine IgE-vermittelte Reaktion vor. Da die
Patientin über Reaktionen mit anderen Analgetika
berichtete, lag eine ASS-Intoleranz nahe. Diese
kommt gehäuft bei Polyposis nasi und Asthma bron-
chiale (intrinsische Form) vor und wird auch als
Samter/Widal-Aspirin-Trias bezeichnet. Diese ist
praktisch nie IgE-vermittelt (Hauttests: Ig-Bestim-
mung negativ). Die Abklärungen bei einer ASS-Into-
leranz sind sehr aufwendig, da Provokationstests
durchgeführt werden müssen.
Um ASS- und eventuell andere NSAR-Intoleranzen
zu vermeiden, müssen Ausweichanalgetika wie
Paracetamol, Nimesulid, Celecoxib gesucht werden,
mit welchen der Patient für den Bedarfsfall versorgt
wird und die im Allergiepass vermerkt werden.
Es konnte nachgewiesen werden, dass Celebrex von
vielen Patienten gut vertragen wird (4). Bei schweren
Zwischenfällen erhält der Patient ein Anaphylaxie-
Notfallset (2 Tabletten Prednison [Glukokortikoid],
2 Tabletten Acrivastin [Antihistaminikum] Grad III
und IV, Epipen Adrenalin) und wird entsprechend
instruiert.
●
Gisela Stauber-Reichmuth
Korrespondenzadresse: PD Dr. med. Peter Schmid-Grendelmeier Leiter der Allergiestation Dermatologische Klinik, UniversitätsSpital Zürich Gloriastrasse 31, 8091 Zürich Tel. 044-255 30 79 (Sekr.), Fax 044-255 44 31 E-Mail: peter.schmid@usz.ch, Internet: www.dermatologie.usz.ch
Interessenkonflikte: keine
Literatur: 1. Idée J.M., Pinès E., Prigent P., Corot C.: Allergy-like reactions to iodinated contrast
agents. A critical analysis, Fund Clin Pharmacol 2005; 19: 263. 2. Uter W, Geier J, Fuchs T; IVDK Study Group: Contact allergy to polidocanol, 1992
to 1999, J Allergy Clin Immunol 2000 Dec; 106(6): 1203–1204. 3. Bircher A. J., Harr T., Hohenstein L., Tsakiris D. A.: Hypersensitivity reactions to anti-
coagulant drugs: diagnosis and management options, Allergy 2006; 61 (12): 1432–1440. 4. Roll A., Wüthrich B., Schmid-Grendelmeier P., Hofbauer G., Barbara K. BallmerWeber B.K.: Tolerance to celecoxib in patients with a history of adverse reactions to nonsteroidal anti-inflammatory drugs, Swiss Med Weekly 2006; 136: 684–690.
Korrigendum
In medicos 2/08 hatte sich in der Arbeit «Pathogenese epithelialer Tumore» (S. 21ff.) ein Fehler in der Beschriftung der Abbildung 6 eingeschlichen. Nebenan besagte Abbildung, korrekt beschriftet. Wir bitten um Nachsicht.
Die Redaktion
SHH/PTCH Mutation in Stammzellen
p53/RAS Mutation in Stammzellen
Basalzellkarzinom
spinozelluläres Karzinom
Abbildung 6: Das Muster der genetischen Mutationen bestimmt die Morphologie des Tumors
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