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FORUM
Tissue Engineering in der Dermatologie
I N T E R V I E W M I T P R O F. D R . M E D . T H O M A S H U N Z I K E R , INSELSPITAL BERN
1. Auf welchem Prinzip basiert das Tissue Engineering
der Haut?
Ziel des Tissue Engineerings ist es, Gewebe- beziehungs-
weise Organfunktionen wiederherzustellen. Dank grosser
Fortschritte in der Zellkultivierung und in den Biomaterial-
wissenschaften ist es heute möglich, aus Zellen, die ent-
weder dem Patienten selbst (autolog) oder einem anderen
Individuum (allogen) entnommen wurden, in vitro unter
definierten Bedingungen verschiedene biologische Gewe-
besubstitute zu züchten, die dem Patienten (re)implantiert
werden können.
Das Tissue Engineering der Haut wurde in den gen als Epidermisersatz eingesetzt. Andererseits besteht
Achtzigerjahren möglich, als es gelang, Keratinozyten mit ein Unterschied in der Art der Wunden, bei welchen sol-
Hilfe eines Feeder(Nähr)-Zellsystems in geeigneten Kul- che Technologien angewandt werden sollen. Zur Zeit ste-
turmedien effizient zu züchten. Die aus Hautbiopsien ge- hen Tissue-Engineering-Produkte für chronische Wunden
wonnenen Keratinozyten wurden initial vor allem für die (insbesondere vaskuläre Ulcera cruris und diabetische
Heilung akuter Wunden, insbesondere bei Verbrennun- Fussulzera) im Vordergrund. Gerade bei alten Patienten mit
gen, eingesetzt. Die weitere Erforschung von Epidermis-, diesen chronischen Wunden ist auf Grund des vaskulär
Dermis- und kombinierten epidermal-dermalen Hautäqui- schlecht versorgten Wundgebietes die zelluläre Regenera-
valenten, welche Keratinozyten und/oder Fibroblasten tionskapazität oft stark reduziert. Grossflächige akute
enthalten, hat in den letzten zehn Jahren zur Entwicklung Hautdefekte, insbesondere Verbrennungen, stellen jedoch
einiger kommerzieller Hautersatzprodukte geführt.
eine weitere wesentliche lndikation für kultivierte Haut-
ersatzprodukte dar. Vorderhand am besten dokumentiert
2. Welche Hautersatzprodukte können unterschieden sind die verschiedenen Modalitäten der Keratinozyten-
werden?
transplantation.
Einerseits müssen autologe und allogene Zelltransplantate
gegeneinander abgegrenzt werden. Sie unterscheiden 3. Was für Vor- und Nachteile bringen autologe gegen-
sich in ihrer immunologischen Interaktion mit dem Patienten über allogenen Produkten mit sich?
und somit in ihrem Anwendungsprofil. Auch in Bezug auf Sowohl autologe wie allogene Hautzellen können die
die eingesetzten Zelltypen bestehen wesentliche Unter- Neubildung von Granulationsgewebe und die Reepitheli-
schiede: Fibroblasten und in Zukunft allenfalls auch sation stimulieren. Beide sezernieren Wachstumsfaktoren
Gefässendothelien werden ihrer Herkunft entsprechend vor und Zytokine, die für die Wundheilung wesentlich sind.
2 allem in dermalen Äquivalenten, die Keratinozyten hinge- Allogene Zellen sind jedoch reine Wundstimulatoren, da
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Abbildung: a) Auszupfen von Haaren aus der parieto-okzipi-
talen Kopfhaut b) Anagenhaar mit mehrschichtiger äusserer
epithelialer Haarwurzelscheide (Pfeil) c) EpiDex, ein 1 cm durchmessendes, hochdiffe-
renziertes Epidermisäquivalent, armiert mit einer Silikonmembran d) Applikation von EpiDex auf ein sauber granulierendes chronisches Ulcus cruris
sie letztlich abgestossen werden. Definitiv einwachsen können beim immunkompetenten Menschen nur autologe Zellen. Allogene Zelltransplantate sind extensiv auf Infektionserreger wie zum Beispiel Hepatitis- und HI-Viren zu testen. Demzufolge steht hier neben der immunologischen die mikrobiologische Sicherheit im Vordergrund. Da die Zellen in vitro zu einer massiven Proliferation stimuliert werden, stellt sich bei autologen Zelltransplantaten eher die Frage nach der Wahrscheinlichkeit einer malignen Entartung. Bis heute wurden allerdings keine Fälle von Hauttumoren im Areal solcher Behandlungen mitgeteilt. Falls sich allogene Tissue-Engineerung-Produkte ohne wesentlichen Wirkungsverlust konservieren lassen, können sie in grossem Volumen vorfabriziert werden, womit sich die Kosten senken lassen sollten.
4. Sie haben Pionierarbeiten in der Herstellung und Anwendung autologer Keratinozyten-Transplantate aus Haarfollikeln geleistet. Welche Vorteile bringen diese Epidermisäquivalente gegenüber Keratinozyten-Transplantaten aus Hautbiopsien?
Aus Hautbiopsien gewonnene interfollikuläre Keratinozyten zeigen bei jungen Patienten ein hohes Proliferationspotenzial. Im Alter jedoch verlieren sie immer mehr von ihrer Fähigkeit, sich zu vermehren. Bei unseren Untersuchungen zum Wachstumsverhalten von Zellen aus der äusseren epithelialen Haarwurzelscheide (ORS- = «outer root sheath»-Keratinozyten) liessen sich diese auch bei älteren Patienten noch nachhaltig zur Proliferation stimulieren. Anstelle der für den Arzt aufwändigen und für den Patienten oft schmerzhaften, eine weitere Wunde setzenden Hautbiopsie werden die Zellen aus gezupften Anagenhaaren des Kopfes gewonnen. Dank einer speziellen Technologie werden in der etwa zwei Wochen dauernden Primärkultur pluripotente Keratinozyten-Vorläuferzellen angereichert, welche in vivo sowohl an der Regeneration der epithelialen Haaranlage als auch der interfollikulären Epidermis beteiligt sind. Innert weiterer zwei Wochen lässt sich im Labor mit diesen Zellen in einer organotypischen Sekundärkultur ein zirka 1 cm durchmessendes, hochdifferenziertes Epidermisäquivalent anzüchten, welches sich ambulant mittels einer Silikonträger- und Schutzmembran auf eine gut vorbereitete Hautwunde applizieren lässt.
Dieses Verfahren wurde in den letzten vier Jahren in ein kommerzielles Produkt, EpiDex, umgesetzt und in einer aufwändigen klinischen Studie getestet. Auf Grund der Resultate dieser Studie besteht in der Schweiz ab 2004 die Kassenzulässigkeit für therapierefraktäre vaskuläre Ulcera cruris, bei welchen eine Eigenhauttransplantation indiziert ist. EpiDex ist als so genanntes Nischenprodukt mit schätzungsweise 100 Behandlungen pro Jahr in der Schweiz zu betrachten. Eine erfolgreiche Applikation setzt eine optimale Betreuung der Patienten durch speziell geschulte Wundspezialisten voraus. EpiDex wird daher nur an spezialisierten Zentren angeboten.
5. Wie erfolgreich ist die Behandlung schwer therapierbarer chronischer Ulzera mittels autologer KeratinozytenTransplantate aus Haarfollikeln im Vergleich zur MeshGraft-Transplantation? Wie erwähnt, wurde die ambulante Applikation von EpiDex in einer multizentrischen, randomisierten Studie an 77 Patienten mit der stationär durchgeführten Spalthauttransplantation (Mesh-Graft), der chirurgischen Standardtherapie für auf konservative Massnahmen nicht ansprechende chronische vaskuläre Ulcera cruris, verglichen. EpiDex erwies sich als gleich wirksam und stellt somit eine nichtinvasive, patientenfreundliche Alternative dar, bei welcher der Patient ambulant behandelt werden kann. Dank der ambulanten Applikation resultiert eine für Problemwunden vertretbare Kosten-Nutzen-Relation.
6. Gibt es auch andere Bereiche der Dermatologie, die von dieser neuen Technologie profitieren könnten? Vom Konzept her ist diese Technologie für ein breites Spektrum epidermaler Pathologien einsetzbar. Neben den chro-
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nischen Problemwunden denke ich an akute Wunden, zum Beispiel nach Tumorexzisionen und in der Traumatologie. Bei tiefer greifenden akuten Wunden braucht es jedoch zum epidermalen auch einen dermalen Ersatz, bei grossflächigen Hautdefekten ein modifiziertes Applikationssystem der autologen Keratinozyten, welche zum Beispiel als Einzelzellsuspension auf die Wunde gesprayt werden können. Modifizierte Technologien bieten sich auch für kosmetologische (skin rejuvenation) und gentherapeutische Ansätze an.
Auflagen fordern. Abgesehen von wenigen Ausnahmen ist
das Umsetzen von Laborprototypen in registrierte und
allenfalls kassenpflichtige Tissue-Engineering-Produkte vor-
erst weit gehend gescheitert. Wahrscheinlich werden in
Zukunft nur wenige, gut dokumentierte Produkte für die
Wundbehandlung der Haut ein Nischendasein im Seg-
ment der therapierefraktären chronischen Wunden sowie
in der Verbrennungstherapie und rekonstruktiven Chirurgie
führen können.
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7. Welchen Stellenwert hat heute das Tissue Engineering in der Behandlung chronischer Wunden, und wie könnte es sich in Zukunft entwickeln? Generell leidet das Tissue Engineering im Moment unter der angespannten finanziellen Lage im Gesundheitswesen und der restriktiven Haltung der Regulationsbehörden, welche sich zum Teil mit dieser neuen Produktesparte schwer tun und wissenschaftlich oder klinisch kaum realisierbare
Korrespondenzadresse: Prof. Dr. med. Th. Hunziker Dermatologische Klinik, Inselspital 3010 Bern E-Mail: thomas.hunziker@insel.ch
Die Redaktion dankt Herrn Prof. Dr. med. Thomas Hunziker für das interessante Gespräch.
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