Transkript
INFEKTIONEN
Herpes zoster
von Gisela Stauber und Werner Kempf
Herpes zoster entsteht durch die Reaktivie-
rung des Varicella-Zoster-Virus Jahrzehnte
nach dem Erstkontakt, der meistens in der
Kindheit erfolgt und sich dort als Windpocken
manifestiert. Besonders gefürchtet sind Komplikationen wie die postherpetische Neuralgie.
Abbildung: Herpes zoster
Die neueren Virostatika bieten patienten-
freundlichere Dosierschemata an und verrin-
gern bei frühzeitiger Gabe das Risiko von
Komplikationen.
D as Varicella-Zoster-Virus gehört zu den humanpathogenen Alpha-Herpesviren. Die Varizellen (Windpocken) stellen die klinische Manifestation der Primärinfektion mit dem Varicella-Zoster-Virus dar. Nach Jahren bis Jahrzehnten der latenten Infektion kann es zur Reaktivierung unter dem Bild des Herpes zoster kommen. Am häufigsten tritt Herpes zoster (Gürtelrose) bei älteren oder immunkompromittierten Patienten auf. Aber auch jüngere Erwachsene und Kinder können davon betroffen sein. Die Inzidenz des Herpes zoster erhöht sich mit steigendem Alter. Sie beträgt 1 bis 5 Fälle pro 1000 Einwohner und Jahr und nimmt nach dem 60. Lebensjahr
deutlich zu: Jeder zweite 85-Jährige hat bereits einen Herpes zoster erlitten.
Klinik Das Varicella-Zoster-Virus befällt den vom Ganglion segmental innervierten Hautbezirk (Dermatom) und führt zu Schmerzen und charakteristischen Hautveränderungen mit Bläschen auf gerötetem Grund. Das einem halben Gürtel ähnliche Verteilmuster der Hautläsionen tritt am Stamm und eher bei jüngeren Patienten auf (zoster: griechisch «Gürtel»). Der Herpes zoster befällt bei älteren Menschen eher die Sakralregion und den Kopfbereich. 7 bis 17,5 Prozent der Patienten, mehrheitlich Männer, sind von einem Herpes ophthalmicus betroffen. In der Hälfte der Fälle treten okuläre Komplikationen auf und sehr oft postherpetische Schmerzen.
Ein bis vier Tage vor dem Auftreten der Hautveränderungen gehen typischerweise mehr oder weniger starke Prodromalschmerzen voraus. Die Bläschenbildung ist üblicherweise in den ersten drei Tagen zu beobachten, wenn die Virusreplikation am ausgeprägtesten ist, kann aber
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beim Herpes zoster im Kopfbereich auch mehrere Tage
Virostatika bringen die Virusreplikation zum Stillstand
anhalten. Eine virostatische Behandlung sollte während und bewirken infolgedessen eine raschere Abheilung der
der Replikationsphase einsetzen, also innerhalb der ersten herpetischen Hautveränderungen. Die Indikationen für
48 bis 72 Stunden nach Auftreten der Hautveränderun- eine virostatische Therapie sind in Tabelle 2 zusammenge-
gen. Normalerweise bilden sich die Hautläsionen nach stellt. Virostatika der neueren Generation (Valciclovir und
zwei bis drei Wochen zurück.
Famciclovir) bieten den Vorteil eines für den Patienten
Jeder 20. Patient erleidet ein Rezidiv eines Herpes angenehmeren Dosierungsschemas (Einnahme dreimal
zoster, welches meist im gleichen Dermatom auftritt.
täglich) und ersetzen damit die ursprüngliche Behandlung
mit Aciclovir (Einnahme fünfmal täglich). Neu auf dem
Komplikationen
Markt ist Brivudin (Brivex®), das nur einmal täglich einge-
Eine häufige und die Betroffenen stark beeinträchtigende nommen werden muss, wobei jedoch die Interaktion mit
Komplikation des Herpes zoster ist die postherpetische Neu- Präparaten, die 5-Fluorouracil enthalten, strengstens zu
ralgie, welche einesteils auf eine direkte inflammatorische beachten ist. Die Dosierungen sind in Tabelle 3 aufgeführt.
Schädigung der virusbefallenen neuralen Strukturen und Wichtig für den Erfolg ist der frühzeitige Beginn der virosta-
andernteils auf eine Fehlverarbeitung der Schmerzen in Tha- tischen Behandlung, nämlich innerhalb der ersten 72 Stun-
lamus oder Kortex zurückzuführen ist. Es treten Schmerz- den nach Auftreten der ersten Hautveränderungen. Eine
zustände unterschiedlicher Qualitäten (lanzinierend, dumpf) Ausnahme bildet hierbei der Herpes zoster ophthalmicus,
sowie Sensibilitätsstörungen auf, die nach der Abheilung bei dem die Virusreplikation länger anhalten kann und
der Hautläsionen unterschiedlich lang persistieren. Davon somit eine virostatische Behandlung auch zu einem späte-
betroffen sind bis zu 50 Prozent der über 50-jährigen Pa- ren Zeitpunkt noch eingeleitet werden kann.
tienten (weitere Risikofaktoren in Tabelle 1). Dabei leiden
20 bis 30 Prozent der Betroffenen noch ein Jahr nach der Therapie bei immunsupprimierten Patienten
Abheilung der Hautveränderungen an Schmerzen, die oft Die Behandlung des Immunsupprimierten erfordert die
zu erheblicher psychischer Belastung führen.
intravenöse Gabe von Aciclovir unter stationären Bedin-
Weitere Komplikationen können kutaner Natur sein gungen. Peroral verabreichte Virostatika sollten auf Patien-
wie Vernarbungen oder bakterielle Superinfektionen. Der ten mit leichter oder mittelgradiger Immundefizienz
Herpes zoster im Bereich des ersten Trigeminusastes (Her- beschränkt werden. Besonders bei HIV-Infizierten kann
pes zoster ophthalmicus) kann zu schweren okulären Kom- sich eine Resistenzbildung gegenüber Nukleosidanaloga
plikationen führen, während ein Herpes zoster im Bereich entwickeln. Diese ist auf das Fehlen der viralen Thyminin-
des Ohrs gelegentlich von einer Fazialisparese, Hör- und kinase zurückzuführen. Eine Resistenzentwicklung gegen-
Gleichgewichtsstörungen (Ramsay-Hunt-Syndrom) beglei- über Nukleosidanaloga tritt selten auf und erfordert den
tet sein kann.
Einsatz von Foscarnet (Foscavir®).
Nicht nur die Inzidenz, sondern auch der Schwere-
grad der Komplikationen ist bei Patienten mit reduzierter
Immunität deutlich erhöht. So sind HIV-Patienten mit einem
20fach höheren Risiko für Herpes zoster konfrontiert. Immunsupprimierte Patienten leiden häufiger an einer Aus-
Tabelle 1: Risikofaktoren für eine postherpetische Neuralgie
breitung des Herpes zoster über mehrere Segmente oder einer Dissemination des Virus, welche bei Befall innerer Organe (Pneumonie, Hepatitis, usw.) einen tödlichen Verlauf nehmen kann.
Therapie bei immunkompetenten Patienten
● Alter des Patienten über 50. Lebensjahr ● Prodromalschmerzen ● Mittelstarke bis starke Schmerzen im Initialstadium
des Herpes zoster ● Herpes zoster ophthalmicus und andere Formen des
Herpes zoster im Kopf- und Nackenbereich
Die multimodale Behandlung des Herpes zoster umfasst
neben einer virostatischen Behandlung eine ausreichende
.
Analgesie und desinfizierende Externa: ● Virostatika: innert der ersten 48 bis 72 Stunden nach
Auftreten der Hautläsionen einzuleiten (bei Herpes
Tabelle 2: Indikationen für eine virostatische Behandlung
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zoster ophthalmicus auch noch nach 72 Stunden)
1. Alter: über 50. Lebensjahr
● Analgetika
2. Schmerzen: mittelstark bis stark vor oder bei
● Topische Therapie: desinfizierende Schüttelpinselungen, Silbersulfadiazin (Flammazine®-Creme) oder Austrocknen mit einer Cremepaste (zum Beispiel Pasta zinci mollis)
● Eventuell Steroide: unter Beachtung der Kontraindika-
Beginn der Erkrankung 3. Lokalisation: Herpes zoster ophthalmicus; zervika-
ler Herpes zoster (motorische Ausfälle) 4. Immunstatus: immunsupprimierte Patienten (unab-
hängig vom Grund der Immunsuppression)
18 tionen.
Tabelle 3: Dosierung der Virostatika
Beim immunkompetenten Patienten:
Aciclovir (Zovirax®)
5 x 800 mg/Tag; 7 Tage
Valciclovir (Valtrex®)
3 x 1000 mg/Tag; 7 Tage
Famciclovir (Famvir®)
2 x 500 mg/Tag; 7 Tage (unter 50. Lebensjahr)
3 x 500 mg/Tag p.o.; 7 Tage (über 50. Lebensjahr)
Brivudin (Brivex®)
1 x 125 mg/Tag; 7 Tage
Beim immunsupprimierten Patienten:
Aciclovir (Zovirax®)
3 x 5–10 mg/kg KG/Tag i.v.; 10 Tage bzw. bis zur Abheilung
Eventuell bei leichter bis mittelgradiger Immundefizienz:
Valaciclovir (Valtrex®)
3 x 1000 mg/Tag; 10 Tage
Famciclovir (Famvir®)
3 x 250 mg/Tag; 10 Tage
Bei fehlendem Ansprechen (meist als Indikator einer Resistenzbildung):
Foscarnet (Foscavir®)
3 x 40 mg/kg KG/Tag i.v. bis zur Abheilung
Tabelle 4: Behandlung der postherpetischen Neuralgie
Eine kurzfristige Schmerzlinderung kann mit lokalen Anästhetika (zum Beispiel EMLA®-Creme) erreicht werden.
1. Analgetika: Paracetamol, nichtsteroidale Analgetika, Opioide
2. Antidepressiva/Antikonvulsiva: trizyklische Antidepressiva (Amitriptyllin 25 mg/Tag, steigern entsprechend Verträglichkeit und Wirkung), Gabapentin: bei lanzinierenden Schmerzen und Trigeminusneuralgie
3. Virostatika: innerhalb der ersten 48 bis 72 Stunden nach Auftreten der Hautläsionen
4. Eventuell Steroide: nur in der Akutphase und nur in Kombination mit Virostatika während der ersten 7 Tage. Empfohlene Dosierung: 60 mg/Tag in der ersten Woche, 40 mg/Tag in der zweiten Woche und 20 mg/Tag in der dritten Woche (wobei Kontraindikationen zu beachten sind)
5. Lokaltherapeutika: Capsaicin-Creme 0,025%; Lidocain-haltige Externa (z.B. EMLA®-Creme oder Patch)
6. Physikalische Methoden: TENS, Nervenblockade 7. Komplementärmedizinische Verfahren: Akupunktur 8. Bei Nichtansprechen auf obige Therapien Über-
weisung an spezialisierte Zentren (z.B. Schmerzkliniken)
Weitere Behandlungsmodalitäten sind physikalische Methoden wie die transdermale neurale Stimulation oder komplementärmedizinische Verfahren wie die Akupunktur.
Herpes-zoster-Prävention durch Impfung im
Alter
Varicella-Zoster-Virus-Vakzine werden in den USA bei Kin-
dern ab dem 12. Lebensjahr empfohlen, um einen schwe-
ren Verlauf einer Windpocken-Erkrankung im Erwachse-
nenalter zu verhindern. Inwieweit eine Impfung im Alter als
Präventionsmassnahme zur Verhinderung von Herpes
zoster und seinen Komplikationen sinnvoll ist, muss sich
noch erweisen.
●
Korrespondenzadresse: PD Dr. Werner Kempf FMH Dermatologie und Venerologie Dermatologische Klinik UniversitätsSpital Zürich
Gloriastrasse 31
Behandlung der postherpetischen Neuralgie 8091 Zürich
Es konnte gezeigt werden, dass neuere Virostatika zu einer E-Mail: kempf@derm.unizh.ch
Reduktion der zosterassoziierten Schmerzen führen. Eben-
so wird eine Rückbildung der postherpetischen Neuralgie
beobachtet, während die präventive Wirkung auf deren Interessenkonflikte: keine
Entwicklung umstritten ist.
Kontrovers beurteilt wird der Nutzen von peroral ver-
abreichten Steroiden.
Einen zentralen therapeutischen Stellenwert haben
Analgetika (Tabelle 4). Besonders bewährt haben sich tri-
zyklische Antidepressiva (Amitriptyllin wie zum Beispiel
Saroten®). Hilfreich bei Schmerzzuständen im Bereich der
20 Trigeminusäste ist Gabapentin (Neurotin®).
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