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BERICHT
AGLA-Empfehlungen zur Adipositas
Kombinationen sind aussichtsreicher
Eine Pharmakotherapie zur Behandlung der Adipositas sollte immer in Kombination mit Verhaltensänderungen, Ernährungsumstellung und Bewegung erfolgen, um ein nachhaltiges Ergebnis zu erzielen. Was hierbei alles zu beachten ist, zeigen die AGLA-Empfehlungen zur Prävention und Therapie der Adipositas.
Adipositas wird anhand des Body-Mass-Indexes (BMI) in verschiedene Grade unterteilt: Grad I: BMI 30–34,9 kg/m2; Grad II: BMI 35–39,9 kg/m2; Grad III: BMI ≥ 40 kg/m2. Allerdings überschätzt der BMI den Körperfettanteil bei Kraftsportlern und beinhaltet keine Information über Fettverteilung.
Bei Patienten mit Adipositas (BMI > 30) besteht das Risiko für Folgeerkrankungen wie Diabetes, Hypertonie, Dyslipidämie und erhöhte subklinische Entzündung. Das Diabetesrisiko ist bei anderen Ethnien allerdings ab einem tieferen BMI erhöht (Südasiaten: BMI 24, Araber und Chinesen: BMI 27, Schwarze: BMI 28). Der Bauchumfang dagegen ist ein Surrogatparameter für viszerale oder abdominale Adipositas, die das kardiometabolische Risiko erhöht. Dieses steigt ab 94 cm bei weissen Männern bzw. ab 80 cm bei weissen Frauen.
Sofern keine Ursachen für eine sekundäre Adipositas oder gewichtsfördernde Medikationen vorliegen, sollten die Risikofaktoren für eine primäre Adipositas identifiziert werden. Dazu gehören beispielsweise das Ess- und Bewegungsverhalten sowie die persönliche Lebens- und Risikosituation.
Etappenziele festlegen Im Rahmen der Therapie sollen individualisierte kurz- und längerfristige Zwischenziele (Wochen und Monate) sowie ein Endziel definiert werden. Im Vordergrund stehen dabei die nachhaltige Verhaltensänderung, gegebenenfalls durch Verhaltenstherapie, die kardiometabolische Fitness durch Bewegungstherapie und die Gewichtsreduktion. Das Basisprogramm eines Gewichtsmanagements besteht deshalb aus Verhaltens-, Ernährungs- und Bewegungstherapie. Moderne Adipositasmedikamente bewirken zwar auch eine Gewichtsreduktion, doch ist ohne Begleitmassnahmen der ReboundEffekt bei Medikamentenstopp vorprogrammiert.
Ernährung und Verhalten anpassen Hinsichtlich der Ernährung sollte die Anzahl der Mahlzeiten auf zwei reduziert und die Kalorienzufuhr um 500–700 kcal verringert werden. Alternativ kann auch eine Diät mit ca. 1200–1500 kcal/Tag für Frauen und 1500–1800 kcal/Tag für Männer festgelegt werden. Fette sollten dabei maximal 15–
30% der Energiezufuhr ausmachen und Kohlenhydrate möglichst vermieden werden. Proteine können dafür im Rahmen einer Diät 1–1,5 g/kg des Zielgewichts betragen, bei Normalgewichtigen beträgt der Bedarf 0,8 g/kg Körpergewicht pro Tag. Eine proteinreiche Ernährung in Kombination mit anderen Massnahmen verringert das Risiko für einen Gewichtsrebound.
Mit einer Verhaltenstherapie kann versucht werden, die Stimuli zu kontrollieren, die unabhängig von Hunger zu einer Nahrungsaufnahme führen. Mögliche Strategien dazu sind beispielsweise die Selbstbeobachtung im Rahmen einer Tagebuchführung über die Nahrungsaufnahme sowie das Erkennen der Trigger, die zu einem Kontrollverlust führen. Bei Auftreten eines Triggers soll mit einer Ersatzhandlung (Telefonieren, Zähneputzen) der Essensdrang überbrückt werden. Ein soziales Netzwerk, Stressbewältigungs- und Verstärkerstrategien sowie Strategien im Umgang mit Rückschlägen können weitere Unterstützung bieten.
Dritter Baustein ist die Bewegungstherapie. Diese hat zum Ziel, eine kardiovaskuläre Fitness zu erreichen. Zur Gewichtsreduktion ist der Beitrag von mehr Bewegung unbedeutend, dagegen kann sie zur Gewichtsstabilisierung und zur (Rückfall-)Prävention hilfreich sein (Kasten).
Raucher müssen darauf vorbereitet werden, dass ein Rauchstopp zu Gewichtszunahme führen kann. Dieses Risiko besteht in der Regel während zweier Jahre. Mit dem Einsatz von Nikotinersatzprodukten und Psychopharmaka kann einem Gewichtsanstieg entgegengewirkt werden. Die Begleitmassnahmen sind jedoch nur begrenzt und kurzfristig wirksam (max. 6–12 Monate).
Medikamentöse Therapie als Zusatzmassnahme Eine Pharmakotherapie bietet eine Ergänzung, wenn das Basisprogramm keinen ausreichenden Erfolg bringt. Die medikamentöse Therapie sollte aber immer zusammen mit einer strukturierten Begleitung (Verhaltensmassnahmen) erfolgen, weil die Gefahr einer erneuten Gewichtszunahme nach Sistieren der Medikation zu gross ist. Zurzeit sind in der Schweiz Semaglutid (GLP-1-Rezeptoragonist [GLP-1-RA]), Tirzepatid (dualer GIP-/GLP-1-RA) und Orlistat (Lipasehemmer) zur Be-
8 congressselection adipositas | März 2025
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handlung der Adipositas zugelassen. Durch konsequente Umsetzung der Begleitmassnahmen kann die Wirksamkeit dieser Medikamente noch zusätzlich gesteigert werden.
Semaglutid (Wegovy®) kann gemäss Limitatio als Ergänzung zu einer kalorienreduzierten Ernährung um mindestens 500 kcal/Tag und zu belegter verstärkter körperlicher Aktivität zur Gewichtsregulierung verordnet werden. Dies bei erwachsenen Patienten mit einem Ausgangs-BMI von ≥ 35 kg/m2 oder von ≥ 28 kg/m2 bei Vorliegen von gewichtsbedingten Begleiterkrankungen wie Prädiabetes, Diabetes, arterieller Hypertonie oder Dyslipidämie. Die Verschreibung muss durch einen Endokrinologen oder durch ein Adipositaszentrum erfolgen. Nach 16 Wochen sollten die Patienten mit Ausgangs-BMI ≥ 28 kg/m2 einen Gewichtsverlust von 5% und jene mit Ausgangs-BMI ≥ 35 kg/m2 einen Gewichtsverlust von 7% erreicht haben, um die Therapie weiterführen zu können. Nach weiteren sechs Monaten muss der Gewichtsverlust mindestens 10 bzw. 12% betragen. Danach ist eine erneute Kostengutsprache einzuholen und die Gewichtsreduktion nach 16 Wochen und nach insgesamt zehn Monaten zu belegen, nach diesem Zeitpunkt alle sechs Monate. Die Therapie wird während maximal dreier Jahre vergütet. Sie muss abgebrochen werden, wenn der Gewichtverlust zu den Kontrollterminen nicht ausreichend ist oder wenn der BMI < 25 kg/m2 sinkt. Steigt der BMI erneut > 25 kg/m2, darf die Therapie wieder begonnen werden. Semaglutid wird einmal pro Woche subkutan injiziert und während 16 Wochen bis zur Zieldosis von 2,4 mg/Woche schrittweise auftitriert.
Tirzepatid (Mounjaro®) kann gemäss Fachinformation ergänzend zu einer kalorienreduzierten Ernährung und verstärkten körperlichen Aktivität zur chronischen Gewichtsregulierung angewendet werden, einschliesslich zur Abnahme und zum Halten des Gewichts bei Erwachsenen mit einem Ausgangs-BMI von ≥ 30 kg/m2 (Adipositas) oder von ≥ 27 kg/m2 (Übergewicht) plus Vorliegen mindestens einer gewichtsbedingten Begleiterkrankung. Zurzeit (Stand Januar 2025) wird Tirzepatid nicht vergütet und eventuelle Limitationen sind noch nicht bekannt. Tirzepatid wird einmal pro Woche subkutan in einer Dosis von 2,5 mg injiziert und nach vier Wochen auf 5 mg erhöht. Danach kann die Dosis bei Bedarf im VierWochen-Intervall um 2,5 mg erhöht werden bis zur Maximaldosis von 15 mg/Woche.
Orlistat kann gemäss Limitatio bei Patienten mit BMI ≥ 28 kg/m2, die gleichzeitig unter einer Therapie mit oralen Antidiabetika aufgrund von Typ-2-Diabetes stehen, verordnet werden. Nach sechs Monaten muss ein Gewichtsverlust von mindestens 5 kg und/oder eine Senkung des HbA1c-Werts um 0,5% erreicht sein. Ist das der Fall, kann die Therapie bei vorgängiger Kostengutsprache auf maximal zwei Jahre verlängert werden. Bei Patienten mit BMI > 35 wird die Behandlung bei 10% Gewichtsverlust nach Kostengutsprache auf maximal zwei Jahre verlängert.
Gesundes Essen und Bewegung zur Adipositasprävention
Eine gesunde Ernährung sollte zur Hälfte aus ganzen Früchten und Gemüse bestehen, die andere Hälfte aus Getreideprodukten (möglichst Vollkorn)/Kartoffeln und Eiweissen. Als Eiweissquellen sind Fleisch, Geflügel, Fisch, Meeresfrüchte, fettarme Milchprodukte, Eier, Hülsenfrüchte, Nüsse und Samen zu bevorzugen. Frittierte Lebensmittel, rotes Fleisch und Wurst sollten möglichst eingeschränkt, (ultra-)prozessierte Produkte ganz weggelassen werden. Als ideale Getränke eignen sich Wasser, Tee, wenig bis kein Alkohol.
Zur Vermeidung von Übergewicht und Adipositas sind weiter Bewegung und Krafttraining empfohlen: 150–300 Minuten aerobe, ausdauerorientierte Aktivität mittlerer Intensität (3–5,9 MET [metabolisches Äquivalent]) oder 75–150 Minuten (> 6 MET) hoher Intensität pro Woche. Die Anzahl MET entspricht dem Faktor, um den der Sauerstoffverbrauch von 3,5 ml O2/kg KG/min unter Belastung erhöht wird. Zu Aktivitäten mittlerer Intensität gehören beispielsweise Gehen mit mittlerer Geschwindigkeit, langsames Velofahren, Bahnenschwimmen, Trainieren am Rudergerät (mässig intensiv), Krafttraining an Geräten. Zu Aktivitäten hoher Intensität gehören unter anderem Joggen, Aerobic, schnelles Velofahren, schnelles Laufen. Zusätzlich zum Ausdauertraining sollte zweimal pro Woche ein Krafttraining durchgeführt werden.
werden. Dieser sollte erst nach Indikationsstellung sowie eingehender multidisziplinärer Evaluation an akkreditierten bariatrischen Zentren durchgeführt werden (Liste der Zentren: www.smob.ch). Die zurzeit häufigsten Verfahren sind Schlauchmagen (Magenverkleinerung, Sleeve-Gastrektomie) und Proximaler Roux-Y-Magen-Bypass. Bariatrische Operationen können unter anderem zur Verringerung von Mortalität und Morbidität, zur Verbesserung von Diabetes, Lipidprofil und Schlafapnoe führen sowie zu Blutdrucksenkung und besserer Lebensqualität.
Bei Patienten mit fehlenden Kenntnissen über Ernährung und deren Steuerung zur Gewichtssenkung sowie bei Patienten mit mangelnder Compliance und Unfähigkeit zu kooperieren sollte von einem bariatrischen Eingriff abgesehen werden. Weitere Kontraindikationen sind Schwangerschaft, instabile koronare Herzkrankheit, ausgeprägte Niereninsuffizienz, Leberzirrhose Child B/C, Morbus Crohn, Status nach Lungenembolie und/oder tiefer Venenthrombose, Tumorerkrankung, adipositasunabhängiges psychisches Leiden mit Dekompensationen sowie Substanzabusus.
Valérie Herzog
Quelle: Arbeitsgruppe Lipide und Atherosklerose (AGLA): Übergewicht und Adipositas. Prävention und Therapie bei Erwachsenen. 1. Aufl., 2024
Operative Eingriffe Wenn die bisherigen Massnahmen zu keinem ausreichenden Erfolg geführt haben, kann ein bariatrischer Eingriff erwogen
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