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SGED/SMOB
Adipositaschirurgie
Was Bariatrie kann
Bariatrische Operationen bewirken anhaltende Ergebnisse hinsichtlich Gewichtsreduktion sowie hohe Remissionsraten bei einem komorbiden Typ-2-Diabetes. Dabei werden Schlauchmagen und Roux-Y-Magenbypass als Operationsverfahren derzeit am häufigsten durchgeführt, das Magenband zunehmend seltener. Welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen und was Vor- und Nachteile sind, war am Jahreskongress der Swiss Society for the Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders (SMOB) in Bern zu erfahren.
Adipositas charakterisiert sich durch die dysproportionale Vermehrung von Fettgewebe, Verteilungsmuster und metabolische Einflüsse des Fettgewebes. Zeitpunkt und Schweregrad von Folgekrankheiten werden durch Genetik und Epigenetik gesteuert. Deshalb kann Adipositas als chronische Erkrankung nicht geheilt, jedoch behandelt werden.
Gemäss den SMOB-Richtlinien zur operativen Behandlung von Übergewicht (1) ist die bariatrische Chirurgie die bisher wirksamste, zweckmässigste und wirtschaftlichste Behandlungsform der Adipositas selbst sowie deren Folgeerkrankungen wie z.B. Typ-2-Diabetes und Dyslipidämie.
Eine nachhaltige Erhaltung des Resultats wird aber erst durch eine ernährungs-, bewegungs-, psycho- und soziotherapeutische Behandlung im Rahmen einer langfristigen Betreuung möglich. Voraussetzung für eine bariatrische Operation sind ein Body-Mass-Index (BMI) > 35 kg/m2 und eine zweijährige adäquate und erfolglose Therapie zur Gewichtsreduktion. Dies gleiche jedoch einer enormen Ressourcenverschwendung, denn man wisse ja, dass konservative Gewichtsreduktionsprogramme meist erfolglos sind, wie Prof. Dr. Arne Dietrich, Leiter des Bereichs Adipositas-, Metabolische und Endokrine Chirurgie, Klinik für Viszeral-, Transplantations-, Thorax- und Gefässchirurgie am Universitätsklinikum Leipzig (D), betonte. Als Ultima Ratio solle man die bariatrische Therapie nicht mehr bezeichnen. Vielmehr solle sie wegen ihrer Effektstärke bei adipösen Patienten mit Typ-2-Diabetes oder sehr schweren Patienten als Therapie der Wahl angesehen werden, so der Chirurg weiter.
In einer amerikanischen Studie wurde anhand von Krankenkassendaten der Verlauf von adipösen Patienten mit Typ2-Diabetes und einer bariatrischen Operation (n = 6111) mit adipösen Typ-2-Diabetikern ohne Bariatrie (n = 69 434) hinsichtlich einer Diabetesremission verglichen. Nach einem Jahr hatten deutlich mehr Teilnehmer mit Operation eine Diabetesremission erreicht als ohne Operation (73,1 vs. 14,2%). Unter den Operierten mit leichtem bis mittelstarkem Diabetes, d.h. mit Metformin mit/ohne weitere Antidiabetika als Therapie, erreichten 66,3% eine Remission. Bei den Patienten mit schwerem Diabetes, d.h. mit Insulin als Therapie, war dies
bei 41% der Fall, verglichen mit 5% ohne operativen Eingriff (2).
Vor- und Nachteile einer Operation Je nach Ziel der bariatrischen Operation handelt es sich bei einer Gewichtsreduktion um eine Adipositaschirurgie oder um eine metabolische Chirurgie, wenn metabolische Erkrankungen als Operationsindikation angegeben sind (z.B. Typ-2-Diabetes).
Zu den bariatrischen Verfahren gehören Techniken zur Limitierung der Nahrungszufuhr durch Verkleinerung des Magens, wie die Sleeve-Gastrektomie (Schlauchmagen), der Roux-YMagenbypass (Roux-en-Y Gastric Bypass, RYGBP), der Magenballon oder das Magenband. Des Weiteren gibt es malabsorptive Techniken zur Limitierung der Absorption oder Verzögerung der Aufnahme von Nahrungsbestandteilen: Dazu zählen wiederum der Roux-Y-Magenbypass und das biliopankreatische Diversionsverfahren. Die zurzeit am häufigsten durchgeführten bariatrischen Operationen sind der Schlauchmagen und der Magenbypass.
Nach der Operation ist eine regelmässige multidisziplinäre Nachbetreuung zentral. In der ersten 1–2 Jahren erfolgen monatliche Nachkontrollen, dann alle 3–6 Monate, bei unproblematischem Verlauf einmal jährlich. Bei den Nachkontrollen wird die Gewichtsentwicklung dokumentiert und die Medikation an die Veränderung der Komorbiditäten angepasst. Zudem wird das Essverhalten beurteilt und der Patient entsprechend beraten und hinsichtlich psychischer Erkrankungen gescreent. Er wird überdies zu sportlicher Aktivität und zur Teilnahme an Selbsthilfegruppen ermuntert. Die Nachkontrollen dienen auch zur Etablierung einer Supplementierung und zur Prophylaxe von Mangelerscheinungen infolge Fehlernährung oder Malabsorption. Neben Laborkontrollen wird auch auf mögliche Folgekomplikationen hin untersucht. Eine Schwangerschaft sollte in den ersten zwei Jahren nach der Operation vermieden werden (3).
Zu den positiven Effekten einer bariatrischen Operation gehören unter anderem Reduktion von Mortalität und Morbidität, Verbesserung bis Remission des Diabetes, Verbesserung der Hypertonie, der Dyslipidämie, der Schlafapnoe und der
congressselection adipositas | März 2025 13
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10-Jahres-Daten zum Effekt von bariatrischen Eingriffen bei Adoleszenten
Auch bei Jugendlichen zeigen bariatrische Operationen nachhaltige Effekte, wie die 10-Jahres-Daten einer Studie darlegen. Die teilnehmenden Jugendlichen unterzogen sich in einer prospektiven, multizentrischen Kohortenstudie entweder einer Magenbypass- (n = 161) oder einer Schlauchmagenoperation (n = 99) im Durchschnittsalter von 17 Jahren. Insgesamt wurden 83% der Nachuntersuchungen zehn Jahre nach der Operation abgeschlossen (siehe ergänzenden Anhang). Veränderungen des Body-Mass-Index (BMI) und Auswirkungen auf adipositasassoziierte Begleiterkrankungen wurden mittels PropensityScore-angepasster linearer und generalisierter gemischter Modelle untersucht. Nach zehn Jahren war der BMI signifikant gesunken (mittlere Veränderung: –20,0%; 95%-Konfidenzintervall [KI]: –22,9 bis –17,1; p < 0,001) mit ähnlichen Ergebnissen bei Magenbypass- und Schlauchmagenoperation. Eine latente Klassenanalyse identifizierte vier unterschiedliche Verläufe der BMI-Veränderungen über die Zeit. Ein grösserer anfänglicher Gewichtsverlust in den ersten sechs Monaten war mit einem günstigeren langfristigen BMI-Verlauf assoziiert.
Ein weiterer Effekt der BMI-Reduktion war die Verbesserung von Komorbiditäten: 55% der Teilnehmer hatten nach zehn Jahren eine Remission des Diabetes, 57% der Hypertonie und 54% der Dyslipidämie erreicht.
Diese Ergebnisse zeigen die langfristige Nachhaltigkeit des Gewichtsverlusts und der Remission von Begleiterkrankungen nach bariatrischer Chirurgie sowie die gesundheitlichen Vorteile und die Langfristigkeit der Effekte bei Jugendlichen, so das Fazit der Autoren.
vh
Quelle: Ryder JR et al.: Ten-Year Outcomes after Bariatric Surgery in Adolescents. N Engl J Med. 2024;391(17):1656-1658. doi:10.1056/NEJMc2404054
Lebensqualität. Die stärkste Senkung der Mortalität wurde für Personen mit morbider Adipositas (BMI ≥ 35–40 kg/m2) nach bariatrischer Chirurgie berichtet. In einem systematischen Review von 39 prospektiven und retrospektiven Kohortenstudien fand sich eine Senkung der Gesamtmortalität um 45% und der kardiovaskulären Mortalität um 41% (4,5). Demgegenüber bestehen zahlreiche Operationsrisiken, wie beispielsweise Anastomosen-Leaks, Infekte, Reflux, Magen- und Darmobstruktion, Hernien (v.a. Petersen-Hernie), Strikturen sowie Nährstoffmangel. Es entsteht auch ein erhöhtes Risiko für Suchterkrankungen (Alkohol) und für Suizidalität.
Insbesondere bei schneller und grosser Gewichtsreduktion besteht ein erhöhtes Risiko für Gallensteinerkrankungen, Knochendichteabnahme, Suizid- und Suizidversuche, schädlichen Alkoholkonsum und Wiederanstieg von Essstörungen (4).
Welche Verfahren sich anbieten Der Schlauchmagen ist als Erstschrittoperationsverfahren geeignet und kann bei Bedarf in einen Roux-en-Y-Magenbypass umgewandelt werden. Der Übergewichtsverlust nach Schlauchmagen beträgt nach fünf Jahren ca. 50%, die Remissionsrate eines vorbestehenden Typ-2-Diabetes 58%. Die häufigsten operationsspezifischen Komplikationen sind Fisteln der Klammernaht, Abszesse oder (Nach-)Blutungen. Die Schlauchmagenoperation weist deutlich weniger perioperative Komplikationen auf als der Magenbypass (3).
Der proximale Roux-en-Y-Magenbypass führt zu einer nachhaltigen Gewichtsreduktion von ca. 13–14 BMI-Punkten bis zu fünf Jahre nach Operation, und bis zu 75% der Patienten erreichen eine Remission des vorbestehenden Typ-2-Diabetes. Die häufigsten operationsspezifischen Komplikationen sind Fisteln der Klammernaht, Anastomoseninsuffizienzen, Abszesse oder (Nach-)Blutungen. Mangelerscheinungen nach Roux-en-Y-Magenbypass wie Anämie, Eisen- und Vitamin-B12Mangel sind häufig (3).
Das Magenband ist in der erzielten Gewichtsreduktion anderen adipositaschirurgischen bzw. metabolischen Eingriffen unterlegen. Nach fünf Jahren beträgt der Gewichtsverlust 35–57%, nach zehn Jahren 14% und nach 15 Jahren 13%. Die Remissionsrate des Typ-2-Diabetes liegt anfänglich kurzfristig bei 62–82%, nach fünf Jahren bei 25%. Im Vergleich zu den anderen adipositaschirurgischen bzw. metabolischen Eingriffen geht das Magenband zwar mit einer geringeren perioperativen Morbidität und Mortalität einher. Durch die relativ hohe Spätkomplikationsrate (Volumenzunahme des Vormagens, Banderosionen, Portprobleme) bei geringerer Gewichtsreduktion wird sie heute jedoch zunehmend seltener durchgeführt (3).
Valérie Herzog
Quelle: «Bariatric Surgery». Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Endokrinologie und Diabetologie (SGED), Swiss Society for the Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders, 14.11.24, Bern
Referenzen: 1. Swiss Society for the Study of Morbid Obesity and Metabolic Disorders:
Richtlinien zur operativen Behandlung von Übergewich t. Zuletzt überarbeitet 1.7.2023. https://www.smob.ch/richtlinien-zur-operativen-behandlung-von-uebergewicht. Letzter Zugriff: 30.1.25 2. Canakis A et al.: Type 2 Diabetes Remission After Bariatric Surgery and Its Impact on Healthcare Costs. Obes Surg. 2023;33(12):3806-3813. doi:10.1007/s11695-023-06856-0 3. Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie: S3-Leitlinie: Chirurgie der Adipositas und metabolischer Erkrankungen. 2018, in Überarbeitung. www.awmf.org. Letzter Zugriff: 30.1.25 4. Deutsche Gesellschaft für Adipositas: S3-Leitlinie: Prävention und Therapie der Adipositas. Version 5.0, 2024. www.awmf.org. Letzter Zugriff: 30.1.25 5. van Veldhuisen SL et al.: Bariatric surgery and cardiovascular disease: a systematic review and meta-analysis. Eur Heart J. 2022;43(20):19551969. doi:10.1093/eurheartj/ehac071
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