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BERICHT
Adipositas, Diabetes, Fettleber
Diabetes und Fettleber zum Rückzug zwingen
Mit einem deutlichen Gewichtsverlust ist es möglich, adipositasbedingte Sekundärerkrankungen wie beispielsweise Typ-2-Diabetes und Fettleber zur Remission zu bringen, wie Prof. Dr. Roger Lehmann, Leitender Arzt, Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung, Universitätsspital Zürich, erklärte. Mittlerweile gibt es dafür sehr effiziente Therapiemöglichkeiten.
In der Schweiz leiden 567 000 Personen (6,4%) an Typ-2Diabetes, > 1 Million (12,1%) sind adipös. Unter den Patienten mit Typ-2-Diabetes sind fast alle (9 von 10) adipös, umgekehrt leiden 3 von 10 Personen mit Übergewicht oder Adipositas an Typ-2-Diabetes, wie Prof. Dr. Roger Lehmann berichtete.
Als Komorbidität von Adipositas gilt nicht nur Typ-2-Diabetes (bis 25%), sondern auch Schlafapnoe (bis 45%), Hypertonie (bis 55%), Fettleber (bis 70%) und Dyslipidämie (bis 70%). Pathophysiologisch sei das gut zu erklären: Mit abnehmender Betazellfunktion und zunehmender Adipositas steigt die Insulinresistenz und damit auch die Hyperglykämie.
Eine Adipositasprävention könnte das Risiko für metabolisches Syndrom, Prä-/Diabetes und dessen mikro- und makrovaskuläre Folgen reduzieren. Erfolgt die Adipositasbehandlung bei bereits vorhandenem metabolischen Syndrom, kann dieses damit verbessert und das Risiko für Prä-/Diabetes verringert werden. Besteht bereits eine Typ-2-Diabetes-Erkrankung, kann mit einer Adipositasbehandlung nicht nur das metabolische Syndrom verbessert und die Diabeteskomplikationen verhindert, sondern eventuell auch die Diabeteserkrankung zur Remission gebracht werden. Bestehen bereits mikro- oder makrovaskuläre Komplikationen, können diese wie auch die Diabeteserkrankung mit einer Adipositastherapie verbessert oder stabilisiert werden. Eine Adipositasbehandlung ist somit in jedem Stadium sinnvoll. Je früher diese erfolgt, desto mehr Komorbiditäten können vermieden werden.
KURZ UND BÜNDIG
• Adipositas führt unter anderem zu Fettleber, bei weiterer übermässiger Kalorienaufnahme verfettet auch die Muskulatur.
• Patienten mit Typ-2-Diabetes haben ein hohes Risiko für Adipositas und für Fettleber.
• GLP-1-RA und GIP-/GLP-1-RA zeigten deutliche Reduktionen des Leberfettanteils.
• Eine gewichtszentrierte Therapie verbessert gleichzeitig die adipositasbedingten Folgeerkrankungen.
Was eine medikamentöse Therapie kann Mit dem verfügbaren Semaglutid 2,4 mg/Woche (Wegovy®) ist gemäss den STEP-Studien ohne Diabetes ein Gewichtsverlust von 15–17% (bis 18 von 107 kg Ausgangsgewicht) zu erreichen, bei vorhandenem Diabetes etwa von 10%, wie Prof. Lehmann erklärte. Dabei zeigte sich aber auch, dass das Gewicht nach Behandlungsstopp wieder anzusteigen beginnt (1). Mit dieser Therapie können gemäss der SELECT-Studie zudem schwere kardiovaskuläre Ereignisse um 20% reduziert werden. Dies auch bei guter metabolischer Einstellung, denn die nicht diabetischen Studienteilnehmer mit Body-Mass-Index (BMI) > 27 kg/m2 hatten im Durchschnitt einen HbA1c-Wert von 5,8%, eine geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) von 82 ml/min/1,73 m2, ein LDL-Cholesterin vom 2,0 mmol/l und einen Blutdruck von 131/79 mmHg (2). Eine Subanalyse ergab ausserdem eine signifikante Risikoreduktion des kombinierten renalen Endpunkts um 22%, bestehend aus renal bedingtem Tod, Nierentransplantation, eGFR < 15 ml/min/1,73 m2, Reduktion der eGFR um 50% und Makroalbuminurie (3).
Mit dem dualen GIP-/GLP-1-Rezeptoragonisten (GIP-/ GLP-1-RA) Tirzepatid (Mounjaro®) lässt sich noch mehr Körpergewicht verlieren (bis 24 von 105 kg Ausgangsgewicht). In einer Studie erreichten mit der höchsten Dosis (15 mg/Woche) nach 72 Wochen über 60% der Teilnehmer eine Gewichtsreduktion von ≥ 20%, und 40% verloren ≥ 20% ihres Gewichts (4). Das Präparat ist in den Indikationen Typ-2-Diabetes und Adipositas zugelassen, es wird zurzeit aber noch nicht von den Krankenkassen übernommen.
Die GLP-1-RA zeigen eine Dosis-Wirkungs-Beziehung auf das Gewicht: Je höher die Dosis, desto mehr Gewichtsverlust, aber auch umso mehr gastrointestinale Nebenwirkungen. Für die Glukosesenkung trifft das dagegen nicht zu. Der duale GIP-/GLP-1-RA zeigt ähnliche Nebenwirkungen wie ein hoch dosierter GLP-1-RA.
Mit hochdosierten GLP-1-RA oder GIP-/GLP-1-RA lassen sich fast gleich hohe Gewichtsverluste wie mit der bariatrischen Chirurgie erreichen. Mit einem Tripelagonisten GIP-/ Glukagon-/GLP-1-RA, wie dem sich in Phase-III befindenden Retatrutid, dürfte mit einer Gewichtsreduktion um –24% das Niveau der Bariatrie erreicht werden, so Prof. Lehmann.
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BERICHT
Was eine nicht medikamentöse Therapie kann Mit steigendem Alter, wenig Bewegung und Adipositas steigt die Insulinresistenz. Doch nur bei einem Drittel führt das zu einer abnormen Inselfunktion, einer gestörten Glukosetoleranz und letztlich zu Typ-2-Diabetes, wie der Experte ausführte. Das lässt sich allerdings mit Ernährungsmassnahmen und Bewegung verhindern. Die finnische Diabetes-Präventionsstudie untersuchte den präventiven Einfluss von fünf Zielen bei 522 Teilnehmern mittleren Alters und gestörter Glukosetoleranz: 1. Gewichtsreduktion um 5%, 2. Fettanteil < 30% der zugeführten Kalorien, 3. Anteil gesättigtes Fett < 10%, 4. Faseranteil > 15 g/1000 kcal, 5. körperliche Aktivität > 30 min/Tag.
Bei jenen Personen, die keines der fünf Ziele erreicht hatten, lag die Diabetesinzidenz nach einem Jahr bei 38%. Wenn ein Ziel erreicht wurde, sank die Diabetesinzidenz auf < 15%, bei zwei erreichten Zielen auf 13%, bei drei Zielen auf 5%, bei vier und fünf Zielen entwickelte sich kein Diabetes (5). Die DIRECT-Studie hat schon früher den enormen Einfluss der Gewichtsabnahme auf die Typ-2-Diabetes-Erkrankung aufgezeigt: Mit einem Gewichtsverlust von > 15 kg ist eine Remissionsrate von 86% zu erreichen (6).
Fettleber fast immer dabei Bei übermässiger Kalorienaufnahme vergrössern sich erst die Adipozyten, was zu gesteigerter Lipolyse führt. Die dabei vermehrt zirkulierenden freien Fettsäuren hemmen die Aktivität des Glukosetransporters GLUT-4, der die insulinabhängige Glukoseaufnahme in Skelettmuskel-, Herzmuskel- und Fettzellen reguliert. Es entsteht ektopisches Fett in der Leber und bei weiterer übermässiger Kalorienaufnahme auch eine Muskelverfettung. Eine Leberverfettung führt zur Insulinresistenz und reduziert als Folge die Insulinsekretion, wie Prof. Lehmann den Mechanismus erklärte.
Risikofaktoren für eine metabolisch assoziierte Fettlebererkrankung (metabolic dysfunction associated fatty liver disease, MAFLD), vormals nicht alkoholische Fettlebererkrankung (NAFLD), sind Komponenten des metabolischen Syndroms: Adipositas, Diabetes, Dyslipidämie, Hypertriglyzeridämie und Hypertonie. Je mehr Risikofaktoren vorhanden sind, desto höher ist das Risiko (7). Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes ermittelte eine Studie eine Prävalenz von MAFLD von 70% (8). Ein mittleres Risiko für eine MAFLD besteht bei einem BMI > 30 kg/m2, Alter > 40 Jahre oder bei metabolischem Syndrom.
Die europäischen Gesellschaften der Hepatologie, Diabetologie und Adipositas empfehlen ausserdem Lebensstilmodifikationen wie Kalorienreduktion um 500–1000 kcal/Tag bzw. 7–10% Gewichtsverlust, Verzicht auf fruktosehaltige Getränke, eine Alkoholzufuhr < 20 g (Frauen) bzw. < 30 g (Männer) und eine Steigerung der körperlichen Aktivität auf mindestens 150–200 min/Woche plus Resistenztraining (9). Was das bringt, untersuchte eine Studie hinsichtlich des Effekts eines Gewichtsverlusts auf die Fettleber. Dazu reduzierten die Teilnehmer ihre tägliche Energieaufnahme während eines Jahres um 750 kcal und bewegten sich 200 min/Woche (gehen). Bei
Teilnehmern mit einem Gewichtsverlust von 5–7% verschwand die Steatohepatitis biopsiebestätigt bei einem Viertel der Patienten, bei einem Gewichtsverlust von 7–10% lag der Anteil bei 64%, und unter jenen mit einem Gewichtsverlust > 10% verschwand sie bei fast allen (90%) (10).
Für die Therapie von MAFLD steht noch kein spezifisches Medikament zur Verfügung. Es konnten aber mit GLP-1-RA und GIP-/GLP-1-RA deutliche Reduktionen des Leberfettanteils beobachtet werden. Beispielsweise zeigte Semaglutid 2,4 mg/Woche bei Patienten mit MAFLD und/oder metabolisch assoziierter Steatohepatitis (metabolic dysfunction associated steatohepatitis, MASH) nach 72 Wochen Therapie gemäss einer Pressemitteilung von Novo Nordisk (11) bei 37% der Patienten eine Verbesserung der Leberfibrose ohne Verschlechterung der MASH (Plazebo: 22,5%) und bei 62,9% ein Verschwinden der MASH ohne Verschlechterung der Leberfibrose (Plazebo: 34,1%), dies mit signifikanten Unterschieden. Auch Tirzepatid zeigte in einer Studie unter allen Dosierungen (5, 10 und 15 mg) signifikante Remissionsraten, unter der höchsten Dosis war der Anteil der Patienten mit MASH-Remission ohne Verschlechterung der Fibrose am grössten (62%) (Plazebo: 10%) (12).
Des Weiteren sank das Leberfett mit dem Tripelagonisten Retatrutid nach 48 Wochen von > 10% auf < 5% bei Patienten mit MASH. In der höchsten Dosis gelang dies bei 93% der Patienten (13). Survodutid, ein Glukagon-/GLP-1-RA, beeinflusst den Energieverbrauch mit einer gesteigerten Lipolyse im Fettgewebe und über gesteigerte Fettsäureoxidation, Glykogenolyse, Glukoneogenese und Lipolyse in der Leber. In einer Phase-II-Studie zeigte Survodutid im Vergleich zu Plazebo einen effizienten Gewichtsverlust um bis zu 18,7% nach 46 Wochen bei Patienten mit Adipositas (14). MASH und Leberfibrose verbesserten sich ebenfalls deutlich (15).
Viele Fliegen mit einer Klappe Mit einer gewichtszentrierten Intervention können als Primärprävention sämtliche adipositasbedingten «sekundären» Erkrankungen wie obstruktive Schlafapnoe, MASH, Arthrose, Hyperlipidämie, Hypertonie, koronare Herzkrankheit, peripher arterielle Verschlusskrankheit und Typ-2-Diabetes verhindert werden. Die komorbiditätszentrierte bzw. sekundäre Prävention bräuchte es damit gar nicht, so Prof. Lehmann.
Bei einer Therapie mit Semaglutid oder Tirzepatid besteht für Hausärzte wie auch für Spezialisten die Möglichkeit, Patienten durch das telemedizinische Adipositaszentrum Oviva ärztlich, mit Ernährungsberatung und/oder psychotherapeutisch begleiten zu lassen. Das Adipositaszentrum, bei dem Prof. Lehman als endokrinologischer Leiter mitwirkt, übernimmt auch das Management mit den Kostengutsprachen und der Beschaffung der Medikamente. Diese Dienstleistung wird von der Grundversicherung übernommen.
Valérie Herzog
Quelle: «GLP-1-RA bei Adipositas, Diabetes, Fettleber». FOMF WebUp, 25. November 2024
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Referenzen: 1. Rubino D et al.: Effect of Continued Weekly Subcutaneous Semaglutide
vs Placebo on Weight Loss Maintenance in Adults With Overweight or Obesity: The STEP 4 Randomized Clinical Trial. JAMA. 2021;325(14):1414-1425. doi:10.1001/jama.2021.3224 2. Lincoff AM et al.: Semaglutide and Cardiovascular Outcomes in Obesity without Diabetes. N Engl J Med. 2023;389(24):2221-2232. doi:10.1056/ NEJMoa2307563 3. Colhoun HM et al.: Long-term kidney outcomes of semaglutide in obesity and cardiovascular disease in the SELECT trial. Nat Med. 2024;30(7):2058-2066. doi:10.1038/s41591-024-03015-5 4. Jastreboff AM et al.: Tirzepatide Once Weekly for the Treatment of Obesity. N Engl J Med. 2022;387(3):205-216. doi:10.1056/ NEJMoa2206038 5. Tuomilehto et al.: Prevention of type 2 diabetes mellitus by changes in lifestyle among subjects with impaired glucose tolerance. N Engl J Med. 2001;344(18):1343-1350. doi:10.1056/NEJM200105033441801 6. Lean ME et al.: Primary care-led weight management for remission of type 2 diabetes (DiRECT): an open-label, cluster-randomised trial. Lancet. 2018;391(10120):541-551. doi:10.1016/S0140-6736(17)33102-1 7. Golabi P et al.: Components of metabolic syndrome increase the risk of mortality in nonalcoholic fatty liver disease (NAFLD). Medicine (Baltimore). 2018;97(13):e0214. doi:10.1097/MD.0000000000010214 8. Mittal N et al.: A prospective study on the prevalence of at-risk MASH in patients with type 2 diabetes mellitus in the United States. Aliment Pharmacol Ther. 2024;59(12):1571-1578. doi:10.1111/apt.17997 9. European Association for the Study of the Liver (EASL); European Association for the Study of Diabetes (EASD); European Association for the Study of Obesity (EASO). EASL-EASD-EASO Clinical Practice Guidelines for the management of non-alcoholic fatty liver disease. J Hepatol. 2016;64(6):1388-1402. doi:10.1016/j.jhep.2015.11.004 10. Vilar-Gomez E et al.: Weight Loss Through Lifestyle Modification Significantly Reduces Features of Nonalcoholic Steatohepatitis. Gastroenterology. 2015;149(2):367-e15. doi:10.1053/j.gastro. 2015.04.005 11. Pressemitteilung Novo Nordisk zu Resultaten der ESSENCE-Studie. https://www.prnewswire.com/news-releases/essence-phase-3-trialresults-demonstrating-statistically-significant-and-superiorimprovements-with-semaglutide-2-4-mg-in-people-with-mashpresented-at-aasld-2024--the-liver-meeting-302310474.html. Letzter Zugriff: 15.1.25 12. Loomba R et al.: Tirzepatide for Metabolic Dysfunction-Associated Steatohepatitis with Liver Fibrosis. N Engl J Med. 2024;391(4):299-310. doi:10.1056/NEJMoa2401943 13. Sanyal AJ et al.: Triple hormone receptor agonist retatrutide for metabolic dysfunction-associated steatotic liver disease: a randomized phase 2a trial. Nat Med. 2024;30(7):2037-2048. doi:10.1038/s41591024-03018-2 14. le Roux CW et al.: Glucagon and GLP-1 receptor dual agonist survodutide for obesity: a randomised, double-blind, placebo-controlled, dose-finding phase 2 trial. Lancet Diabetes Endocrinol. 2024;12(3):162173. doi:10.1016/S2213-8587(23)00356-X 15. Sanyal AJ et al.: A Phase 2 Randomized Trial of Survodutide in MASH and Fibrosis. N Engl J Med. 2024;391(4):311-319. doi:10.1056/ NEJMoa2401755
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