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PREVENTION SUMMIT
Abnehmen und Gewicht halten
Was lässt sich mit körperlicher Aktivität erreichen?
Pharmakologisch induzierte Gewichtsreduktion führt zu Muskelverlust. Deshalb plädierte Prof. Dr. Matthias Wilhelm, Zentrum für Rehabilitation und Sportmedizin, Inselspital Bern, am Prevention Summit, Bern, für eine Kombination aus Pharmakotherapie, Krafttraining und proteinreicher Ernährung. Begleitende Lebensstilinterventionen bewirken zudem eine langsamere erneute Gewichtssteigerung nach Absetzen der pharmakologischen Therapie.
Adipositas ist aus evolutionärer Perspektive eine «Mismatch-Erkrankung», wie Prof. Wilhelm erklärte. Gemeint ist damit eine Erkrankung, die durch den heutigen westlichen Lebensstil mit wenig Bewegung und zu viel ungesunder Ernährung wie beispielsweise Fertigprodukten hervorgerufen wird. Folge davon sind unter anderem kardiovaskuläre Komorbiditäten, Diabetes, Lebererkrankungen und die Adipositas. Daher sollte Adipositas als eine Erkrankung behandelt werden, in deren Zentrum nicht nur die Pharmakotherapie steht, sondern auch die körperliche Aktivität und richtige Ernährung, betonte Prof. Wilhelm.
Zu bedenken sei, dass ein Gewichtsverlust, der beispielsweise durch GLP-1-Rezeptoragonisten (GLP-1-RA) erreicht werde, immer auch zu einem Verlust von Muskelmasse führe, erklärte der Sportmediziner. Ziel einer «Schlankheitskur» müsse primär aber sein, Fettmasse zu verlieren.
Lebensstilinterventionen sollten strukturiert sein, damit sie etwas nützten, so der Experte. Dazu gehörten ein Ernährungsplan mit hoher Proteinzufuhr und ein strukturiertes Training mit Krafttraining.
Sarkopene Adipositas verhindern Studien zeigen, dass nach Absetzen einer einjährigen gewichtsreduzierenden Therapie, sei es GLP-1-RA oder Diät plus Krafttraining, das Ausgangsgewicht ein Jahr später meist wieder erreicht ist. Bei den Studienteilnehmern mit Krafttraining blieb die Muskelmasse bei der erneuten Gewichtszunahme erhalten, bei jenen ohne Krafttraining wurde die verlorene Muskelmasse durch Fettmasse ersetzt (1), was zu einer sarkopenen Adipositas führen kann. Es zeigte sich ausserdem, dass der erneute Gewichtszuwachs nach Absetzen der Therapie in der Gruppe mit Diät plus Krafttraining langsamer erfolgte als in der Gruppe mit medikamentöser Therapie ohne Training, wie Prof. Wilhelm ausführte.
Bei adipösen Patienten mit Herzinsuffizienz mit erhaltener Auswurfraktion (HFpEF) liess sich in einer Studie durch eine Therapie mit dem GLP-1-RA Semaglutid neben der Gewichtsreduktion auch eine signifikante Steigerung der Leistungskapazität im 6-Minuten-Gehtest um 20 Meter erreichen (2). Auch hier ist körperliches Training der pharmakologischen
Therapie nicht unterlegen: Eine ähnliche Population von Patienten mit Herzinsuffizienz, die ein bewegungsbasiertes Rehabilitationsprogramm absolvierten, verbesserten ihre Gehstrecke im Mittel um 34 Meter (2), und eine Metaanalyse bei HFpEF-Patienten zeigte für spezifisches Atemtraining (inspiratory muscle training) einen Zuwachs von 84 Metern im 6-Minuten-Gehtest (3).
Ein gesundes Altern bestehe laut Prof. Wilhelm aus vier Säulen: kardiovaskuläre/metabolische Gesundheit, muskuläre Gesundheit, Knochengesundheit und psychische Gesundheit. Für die muskuläre Gesundheit sind dabei Lebensstilinterventionen ein Alleinstellungsmerkmal, während für die anderen Säulen zusätzlich pharmakologische Interventionen zur Verfügung stehen.
Fazit Lebensstilinterventionen sind sicher und effektiv und bleiben der Grundpfeiler sowohl in der Prävention als auch in der Behandlung von Adipositas und anderen chronischen Erkrankungen. Das erfordere jedoch einen Ansatz des «Systemdenkens». Denn für eine erfolgreiche Umsetzung seien Ressourcen für eine langfristige Betreuung und Beratung notwendig, vergleichbar mit denen, die für Pharmakotherapien bereitgestellt werden.
Pharmakologische Strategien gegen Adipositas böten wertvolle Unterstützung bei der Einleitung von Gewichtsverlust und der Verbesserung der Prognose bei ausgewählten Patienten mit Adipositas. Angesichts ihres Nebenwirkungsprofils werfe die langfristige Anwendung dieser Therapien – insbesondere ohne gleichzeitige Lebensstilinterventionen – jedoch Fragen auf, gab Prof. Wilhelm abschliessend zu bedenken.
Valérie Herzog
Quelle: «Globesity – What can be achieved through physical activity and nutrition?». Prevention Summit, 24. Oktober 2024, Bern
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Referenzen: 1. Jensen SBK et al.: Healthy weight loss maintenance with exercise,
GLP-1 receptor agonist, or both combined followed by one year without treatment: a post-treatment analysis of a randomised placebo-controlled trial. EClinicalMedicine. 2024;69:102475. Published 2024 Feb 19. doi:10.1016/j.eclinm.2024.102475 2. Kosiborod MN et al.: Semaglutide in Patients with Heart Failure with Preserved Ejection Fraction and Obesity. N Engl J Med. 2023;389(12):1069-1084. doi:10.1056/NEJMoa2306963 3. Kitzman DW et al.: Physical Rehabilitation for Older Patients Hospitalized for Heart Failure. N Engl J Med. 2021;385(3):203-216. doi:10.1056/ NEJMoa2026141 4. Baral N et al.: Inspiratory Muscle Training in Patients With Heart Failure With Preserved Ejection Fraction: A Meta-Analysis. Cureus. 2020;12(12):e12260. Published 2020 Dec 24. doi:10.7759/cureus. 12260
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