Transkript
UEG-WEEK
Therapie des Reizdarmsyndroms
Entscheidungshilfe bei der Therapiewahl
Patienten mit diarrhölastigem Reizdarmsyndrom sind schwierig zu behandeln. Dennoch gibt es Behandlungsmöglichkeiten, die den Patienten Linderung verschaffen können. Der Reizdarmexperte Prof. Dr. Jan Tack, Universitätsspital Leuven (BE), stellte am Jahreskongress der United European Gastroenterologists (UEG-Week) einen Drei-Stufen-Plan mit nicht medikamentösen, medikamentösen lokal wirkenden und medikamentösen zentral wirkenden Therapieoptionen vor.
Prof. Tack berichtete von einem Fall eines 55-jährigen Mannes mit intermittierenden Schmerzen und Durchfall. Seit einem Jahr habe dieser mehrmals pro Woche Bauchkrämpfe und Stuhldrang mit lockerem, wässrigem Stuhl. Die Episoden gingen mit Schwäche oder Müdigkeit einher. Die Symptome begannen nach Angaben des Patienten nach einer Infektion mit Escherichia (E.) coli, die er während eines Urlaubs erlitten hatte. Stress verschlimmere die Symptome, was wiederum Angst auslöse. Vor drei Jahren wurde bei ihm eine Cholezystektomie durchgeführt.
Der Patient ist verheiratet, hat zwei Kinder und berichtet über berufsbedingten Stress. Die Symptome beeinträchtigten seine täglichen Aktivitäten in mässigem Ausmass und führten dazu, dass er gegenüber seiner Familie und seinen Kollegen gereizt sei.
Ausgedehnte Laboruntersuchungen (grosses Blutbild, Transglutaminase[tTG]-Antikörper, Thyrotropin [TSH] und C-reaktives Protein [CRP]), Koloskopie mit Biopsien, Stuhlkultur, fäkales Calprotectin und ein Laktosetoleranztest blieben unauffällig. Der Patient hat mehrere Diäten ausprobiert, darunter eine glutenfreie und eine Low-FODMAP-Diät, jedoch ohne Erfolg. Loperamid führte bei vorbeugender Einnahme zu Verstopfung und wirkte in der akuten Phase zu spät. In der Annahme, dass der Stress die Ursache für seine Symptome ist, wünscht sich der Patient eine Beratung zum Stressmanagement.
Was ist zu tun? Die First-Line-Therapie beim Reizdarmsyndrom (IBS, irritable bowel syndrome) richtet sich nach dem Hauptsymptom. Im Fall einer Verstopfung sind lösliche Fasern und osmotische Laxanzien empfohlen, bei Schmerzen Spasmolytika und eventuell Pfefferminzöl. Bei Blähungen können Spasmolytika und eventuell Simeticon helfen. Ist das Hauptsymptom eine Diarrhö, werden lösliche Fasern in kleinen Mengen zur Verdickung des Stuhls und Loperamid empfohlen (1), wie Prof. Tack erklärte.
Für die Wahl der weiteren Therapie sind neben dem Hauptsymptom noch andere Kriterien wichtig. Dazu gehören die Stuhlkonsistenz, die Syndromeigenschaften (z. B. Beginn, Ernährungsfaktoren usw.) und psychosoziale Komorbiditäten. Überdies spielen die Evidenz der Zweitlinientherapien, deren Verfügbarkeit und Kosten und schliesslich auch die Geschwindigkeit des Wirkbeginns, das Nebenwirkungsprofil und die Präferenz des Patienten eine Rolle.
Was das Reizdarmsyndrom befördern kann Eine Gallensäuremalabsorption gilt als Hauptfaktor für ein Reizdarmsyndrom nach E.-coli-Infektion (2). Zudem zeigen IBS-Patienten nach einer E.-coli-Infektion eine erhöhte postprandiale Serotoninfreisetzung (3), was als Treiber für die Kolonperistaltik gelte, so Prof. Tack.
Stress und Ängstlichkeit führen zu einer Gereiztheit und gelten als psychosoziale Faktoren, die die Symptome verstärken.
KURZ UND BÜNDIG
• Bei IBS-Patienten auf Hauptsymptom achten. • Nach der Stuhlkonsistenz fragen. • Zeitpunkt des Symptomauftretens erfragen. • Gibt es psychosoziale Komorbiditäten? • Evidenz, Wirkbeginn, Nebenwirkungen und Kosten der
gewählten Therapie beachten. • Patientenpräferenzen berücksichtigen.
Drei-Stufen-Plan gegen Diarrhö Bei Patienten mit Reizdarmsyndrom gibt es je nach Konstellation der Symptome, Vorgeschichte und Begleitumstände keine eindeutige Therapie des Hauptsymptoms. Je nach Präferenz des Patienten muss versucht werden, aus einer Palette von Mitteln etwas zu finden, das seine Symptome lindert. Wenn der Patient für Phytotherapeutika und Ernährungstherapien offen sei, solle dies als Erstes versucht werden, so Prof. Tack. Im Fall von Diarrhö als Hauptsymptom bieten sich dazu eine Low-FODMAP-Diät, tief dosierte lösliche Fasern, Probiotika, Gelsectan® oder das Adsorbens Enterosgel® an.
2 congressselection gastroenterologie | Februar 2025
UEG-WEEK
Gelsectan® besteht aus einer Kombination von Xyloglukan, Erbsenprotein und Tanninen aus Traubenkernextrakt. In einer Crossover-Studie erhielten 60 Patienten während je 28 Tagen das Verum oder Plazebo und umgekehrt. Signifikant mehr Patienten der Verumgruppen als unter Plazebo hatten nach 28 Tagen normalen Stuhl. Dabei wurden keine Nebenwirkungen angeben (4).
Enterosgel® ist ein intestinales Adsorbens bestehend aus Polymethylsiloxanpolyhydrat. In einer Multizenterstudie erhielten 440 IBS-D(Diarrhö)-Patienten während 8 Wochen doppelblind randomisiert das Adsorbens oder Plazebo, gefolgt von einer Open-Label-Phase während weiteren 8 Wochen. Nach einer Anwendung von Enterosgel® während 8 und 16 Wochen gaben 69% der Patienten eine adäquate Symptomlinderung an (30% unter Plazebo), dies bei gleicher Nebenwirkungshäufigkeit (5).
In der zweiten Stufe kommen im Darm lokal wirkende Medikamente zum Einsatz, wie beispielsweise Loperamid, Cholestyramin oder Ondansetron.
Die Evidenz einer Loperamidtherapie sei nicht überwältigend, so Prof. Tack. Loperamid verbesserte in Untersuchungen zwar die Diarrhö und den Stuhldrang nach fünf Wochen Therapie gegenüber dem Ausgangswert und gegenüber Plazebo (6), doch nicht in dem Ausmass, wie man dies erwarten würde.
Bei IBS-D-Patienten mit erhöhter Gallensäureproduktion seien Ionenaustauscherharze als Gallensäurebinder wie Cholestyramin einen Versuch wert, so Prof. Tack. Eine weitere Option (off-label) sei die Anwendung von Ondansetron (4 mg) während 5 Wochen, das in einer Crossover-Studie eine Verbesserung der Stuhlkonsistenz zeigte (7).
Die dritte Stufe sind zentral wirksame Therapien wie beispielsweise mit trizyklischen Antidepressiva. In jüngerer Zeit wurde bei IBS-D-Patienten eine Praxisstudie bei 55 britischen Hausärzten mit Amitriptylin durchgeführt. Dabei erhielten die Patienten entweder Amitriptylin (10–30 mg/Tag) oder Plazebo. Nach einer durch den Patienten vorgenommenen symptomabhängigen Dosiseskalation war die Anzahl der Patienten mit Symptomverbesserungen des IBS nach sechs Monaten signifikant höher als unter Plazebo (8).
Bei einer Wahl von Amitriptylin solle jedoch kommuniziert werden, warum bei IBS ein Antidepressivum eingesetzt werden soll und dass die niedrige Dosierung von 10–30 mg den Stimmungszustand vermutlich nicht zu ändern vermöge, empfahl der Experte weiter.
Drei-Stufen-Plan gegen Abdominalschmerzen In der ersten Stufe kann die Low-FODMAP-Diät Linderung bringen. Als pflanzliche Behandlung wird Pfefferminzöl gegen Abdominalschmerzen häufig eingesetzt. Doch sei die Evidenz dazu widersprüchlich, so Prof. Tack.
Als nicht zentral wirkende pharmakologische Therapie zeigte das Antihistaminikum Ebastin ein schmerzlinderndes Potenzial bei nicht obstipierten IBS-Patienten. In einer Phase-II-Studie gaben die Patienten nach sechs Wochen Anwendung eine signifikant stärkere Verbesserung der Abdominalschmerzen an als unter Plazebo (9).
Unter den zentral wirkenden Arzneimitteln sind vor allem Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) zur Schmerzlinderung in Gebrauch. Diese wie auch Pregabalin und Amitriptylin sind dafür eine valable Option, wie Prof. Tack konstatierte. Letzteres vermutlich wegen der schlafverbessernden Eigenschaft bei abendlicher Gabe.
Die Therapien aus den verschiedenen Stufen gegen Diarrhö und gegen Schmerz können auch miteinander kombiniert werden. Letztlich entscheide der Patient, was er einsetzen möchte, das sei für den Therapieerfolg sehr wichtig, betonte Prof. Tack. Beispielsweise bei Patienten mit Amitriptylin in psychiatrischer Dosierung können bei IBS-bedingten Schmerzen ein SNRI, Pregabalin oder lokal wirkende Medikamente dazu kombiniert werden.
Als Therapiedauer mit zentral wirksamen Substanzen bei IBS empfiehlt der Referent mindestens sechs Monate. Ein Therapiestopp könne erwogen werden, wenn die letzten drei Monate symptomfrei gewesen seien. Bei tiefer Dosierung könne sofort abgesetzt werden, bei höheren Dosierungen mit einem Zwischenschritt, erklärte Prof. Tack abschliessend.
Valérie Herzog
Quelle: «How to select the best pharmacological options for our IBS patients?». Jahreskongress der United European Gastroenterologists (UEG-Week), 13. bis 15. Oktober, in Wien.
Referenzen: 1. Savarino E et al.: Functional bowel disorders with diarrhoea: Clinical
guidelines of the United European Gastroenterology and European Society for Neurogastroenterology and Motility. United European Gastroenterol J. 2022;10(6):556-584. doi:10.1002/ueg2.12259 2. Barbara G et al.: Rome Foundation Working Team Report on Post-Infection Irritable Bowel Syndrome. Gastroenterology. 2019;156(1):46-58.e7. doi:10.1053/j.gastro.2018.07.011 3. Dunlop SP et al.: Abnormalities of 5-hydroxytryptamine metabolism in irritable bowel syndrome. Clin Gastroenterol Hepatol. 2005;3(4):349357. doi:10.1016/s1542-3565(04)00726-8 4. Trifan A et al.: Efficacy and safety of Gelsectan for diarrhoea-predominant irritable bowel syndrome: A randomised, crossover clinical trial. United European Gastroenterol J. 2019;7(8):1093-1101. doi:10.1177/2050640619862721 5. Howell CA et al.: Double-blinded randomised placebo controlled trial of enterosgel (polymethylsiloxane polyhydrate) for the treatment of IBS with diarrhoea (IBS-D). Gut. 2022;71(12):2430-2438. doi:10.1136/ gutjnl-2022-327293 6. Cann PA et al.: Role of loperamide and placebo in management of irritable bowel syndrome (IBS). Dig Dis Sci. 1984;29(3):239-247. doi:10.1007/BF01296258 7. Garsed K et al.: A randomised trial of ondansetron for the treatment of irritable bowel syndrome with diarrhoea. Gut. 2014;63(10):1617-1625. doi:10.1136/gutjnl-2013-305989 8. Ford AC et al.: Amitriptyline at Low-Dose and Titrated for Irritable Bowel Syndrome as Second-Line Treatment in primary care (ATLANTIS): a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet. 2023;402(10414):1773-1785. doi:10.1016/S01406736(23)01523-4 9. Decraecker L et al.: Treatment of non-constipated irritable bowel syndrome with the histamine 1 receptor antagonist ebastine: a randomised, double-blind, placebo-controlled trial. Gut. 2024;73(3):459-469. doi:10.1136/gutjnl-2023-331634
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