Transkript
UEG-WEEK
Reizdarm mit Diarrhö
Alles ausprobieren, was geht
Die Lebensqualität von Patienten mit diarrhölastigem Reizdarmsyndrom ist sehr beeinträchtigt. Zur Linderung gibt es einige Optionen, angefangen bei der Ernährungsüberprüfung über die medikamentöse Behandlung bis hin zur Verhaltenstherapie. Was schliesslich funktioniere, sei bei jedem Patienten anders, berichtete Prof. Dr. Peter J. Whorwell, Wythenshawe Hospital, Manchester (UK), am Jahreskongress der United European Gastroenterologists (UEG-Week).
Ein diarrhölastiges Reizdarmsyndrom (irritable bowel syndrome with diarrhea, IBS-D) ist schwierig zu behandeln. Deshalb lohnt es sich, sich über mögliche weitere Ursachen für die Diarrhö Gedanken zu machen. Denn jede Idee, die zu einer Symptomlinderung führen könnte, sei einen Versuch wert, berichtete Prof. Whorwell. Beispielsweise könne auch bei Patienten mit Reizdarm eine Gallensäuremalabsorption vorliegen. Das sei gar nicht so selten, etwa bei der Hälfte von ihnen sei das der Fall.
Des Weiteren sollte nach einem plötzlichen Beginn gefragt werden. Kann der Patient einen Zeitpunkt angeben, sollten weitere Abklärungen stattfinden. Gibt der Patient aber an, dass er schon immer Probleme in diese Richtung gehabt habe, darf von einer funktionellen Störung ausgegangen werden. Auch ein wässriger Stuhl ist suspekt, denn normalerweise hat der Stuhl bei IBS-D-Patienten eher eine Porridge-artige Konsistenz, wie der britische Gastroenterologe beschreibt. Ein tiefer Kaliumspiegel sollte ebenfalls weiter abgeklärt werden. Auch Medikamente können Ursache für solche Symptome sein. Allen voran Laxativa, die von sonst obstipierten Personen genommen werden, die nun unter einer Diarrhö litten. Bei einer chronischen Diarrhö sollte man auch an eine kollagene Kolitis denken, die mittels Biopsie abzuklären ist.
Was hilft gegen IBS-D? Die Ernährung hat einen sehr grossen Einfluss. Gemäss einer Untersuchung mit verschiedenen Pflanzenfasern bei IBS-DPatienten ist die Wirkung individuell unterschiedlich. Bei-
KURZ UND BÜNDIG
• Bei persistierenden Symptomen die Diagnose überprüfen. • Reduktion des Getreidefaseranteils ist sehr wichtig. • Therapien individuell ausprobieren und anpassen. • Trizyklische Antidepressiva sind sehr wirksam. • Eventuell verhaltenstherapeutische Ansätze erwägen.
spielsweise verschlechterte sich mit Weizenkleie die Symptomatik bei 55% der Patienten, bei 33% trat keine Veränderung ein, bei 11% verbesserte sich die Symptomatik. Lösliche Fasern halfen 39% der Patienten, während ebenfalls 39% keinen Unterschied und 22% eine Verschlechterung verspürten. Gemüse und Früchte brachten keinen Unterschied oder eine Verschlechterung, aber keine Verbesserung (1). Unter anderem aus diesen Erkenntnissen entstand die FODMAPHypothese (2), wonach fermentierbare Oligo-, Di- und Monosaccharide und Polyole (FODMAP), die in vielen industriell hergestellten Lebensmitteln und in vielen Früchten und Gemüsesorten vorkommen, Probleme bei IBS verursachen. Lasse man bei der Low-FODMAP-Diät zusätzlich Getreidefasern weg, können man einen noch besseren Effekt erzielen, so der Tipp des Experten.
Antidiarrhoisch wirkende Therapien Medikamentös steht Loperamid zur Verfügung, das den Analtonus verbessert. Weil es in höherer Dosierung obstipierend wirkt, soll es tief dosiert, dafür mehrmals pro Tag angewendet werden, der Effekt ist so besser, wie Prof. Whorwell erklärte. In tiefer Dosierung könne es dauerhaft oder bei Bedarf angewendet werden. Loperamid lindere die Schmerzen nicht, manchmal würden sie eher noch verstärkt. Deshalb empfehle sich eine Kombination mit Spasmolytika. Weil es nur minimal resorbiert werde, sei das Sicherheitsprofil gut.
Auch der 5HT3-Antagonist Ondansetron, in der Regel als Antiemetikum verwendet, führt zu einer Verbesserung der Stuhlkonsistenz bei IBS-D-Patienten (3). Viele IBS-D-Patienten litten auch unter Nausea, daher sei es einen Versuch wert, so Prof. Whorwell. Eine Kombination mit Loperamid sei möglich.
Polymethylsiloxanpolyhydrat (Enterosgel®) ist ein starkes intestinales Adsorbens, das ohne absorbiert zu werden, bei IBS Schmerzen, Stuhlkonsistenz und Stuhlfrequenz verbessert und daher eine Alternative zur herkömmlichen Therapie bietet (4).
Rifaximin (Xifaxan®) ist ein darmspezifisches Antibiotikum, das kaum absorbiert wird. Antientzündliche und immun-
14 congressselection gastroenterologie | Februar 2025
UEG-WEEK
modulierende Effekte werden vermutet. Eine Therapie von 2–4 Wochen kann bei IBS-D-Patienten einer Metaanalyse zufolge zu Symptomverbesserungen führen (5). Wenn die Symptome nicht zu schnell rezidivierten, könne die Therapie öfters wiederholt werden, da sie gut verträglich sei, so Prof. Whorwell.
Trizyklische Antidepressiva wie Amitriptylin und Nortriptylin sind gemäss Prof. Whorwell bei IBS sehr effektiv. Sie diesen Patienten zu «verkaufen» sei aber herausfordernd. Eine niedrige Dosierung wie z.B. Amitriptylin 10 mg statt 100 mg wirke nicht antidepressiv, aber gut bei IBS. Diese Argumentation könnten die Patienten meist akzeptieren. Möglicherweise müsse mit der Zeit jedoch etwas höher titriert werden. In einer sechs Monate dauernden Studie bei IBS-Patienten erfuhren jene unter Amitriptylin 10 mg eine signifikant stärkere Symptomverbesserung als jene in der Plazebogruppe. Die Abbruchquoten infolge Nebenwirkungen waren in beiden Gruppen ähnlich (20 vs. 26%), ebenso das Auftreten schwerer therapiebedingter Nebenwirkungen (2 vs. 3 Ereignisse) (6).
Des Weiteren können Probiotika die Darmflora modulieren und die Therapie unterstützen, die Einnahme sei daher empfehlenswert, so der Experte. Schliesslich könnten Verhaltenstherapien bei Patienten, denen es unter der pharmakologischen Therapie immer noch schlecht gehe, zu Verbesserungen führen. Dazu eigne sich die darmspezifische kognitive Verhaltenstherapie (7) oder die Hypnotherapie (8), so Whorwell abschliessend.
Valérie Herzog
Quelle: «Treatment of IBS with diarrhoea». Jahreskongress der United European Gastroenterologists (UEG-Week), 13. bis 15. Oktober 2024, in Wien
Referenzen: 1. Francis CY et al.: Bran and irritable bowel syndrome: time for reapprai-
sal. Lancet. 1994;344(8914):39-40. doi:10.1016/s0140-6736(94)91055-3 2. Gibson PR et al.: Personal view: food for thought--western lifestyle and
susceptibility to Crohn's disease. The FODMAP hypothesis. Aliment Pharmacol Ther. 2005;21(12):1399-1409. doi:10.1111/j.1365-2036.2005.02506.x 3. Gunn D et al.: Randomised, placebo-controlled trial and meta-analysis show benefit of ondansetron for irritable bowel syndrome with diarrhoea: The TRITON trial. Aliment Pharmacol Ther. 2023;57(11):1258-1271. doi:10.1111/apt.17426 4. Howell CA et al.: Double-blinded randomised placebo controlled trial of enterosgel (polymethylsiloxane polyhydrate) for the treatment of IBS with diarrhoea (IBS-D). Gut. 2022;71(12):2430-2438. doi:10.1136/ gutjnl-2022-327293 5. Li J et al.: Rifaximin for Irritable Bowel Syndrome: A Meta-Analysis of Randomized Placebo-Controlled Trials. Medicine (Baltimore). 2016;95(4):e2534. doi:10.1097/MD.0000000000002534 6. Ford AC et al.: Amitriptyline at Low-Dose and Titrated for Irritable Bowel Syndrome as Second-Line Treatment in primary care (ATLANTIS): a randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trial. Lancet. 2023;402(10414):1773-1785. doi:10.1016/S01406736(23)01523-4 7. Goodoory VC et al.: Effect of Brain-Gut Behavioral Treatments on Abdominal Pain in Irritable Bowel Syndrome: Systematic Review and Network Meta-Analysis. Gastroenterology. 2024;167(5):934-943.e5. doi:10.1053/j.gastro.2024.05.010 8. Miller V, et al.: Hypnotherapy for irritable bowel syndrome: an audit of one thousand adult patients. Aliment Pharmacol Ther. 2015;41(9):844855. doi:10.1111/apt.13145
congressselection gastroenterologie | Februar 2025 15