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Pulmonalarterielle Hypertonie
Therapie auf dem Weg in Richtung Präzisionsmedizin
ERS
Für die Behandlung der pulmonalarteriellen Hypertonie steht heute eine Vielzahl von Substanzen aus mittlerweile vier Substanzgruppen zur Verfügung. Damit könnte sich in nächster Zeit die Option bieten, Therapien für die pulmonalarterielle Hypertonie und in Zukunft möglicherweise auch für andere Formen von Lungenhochdruck zu personalisieren.
Im Gegensatz zu den heute gebräuchlichen «one size fits all»Ansätzen bedeutet Präzisionsmedizin, dass die richtigen Patienten die richtige Therapie zum richtigen Zeitpunkt erhalten und man sich dabei an der Genetik, dem Lebensstil und der Umwelt orientiert, wie Dr. Athénaïs Boucly, Université Paris-Saclay, Paris (F), erläutert. Als Vorbild für personalisierte Behandlungsstrategien könne die Onkologie dienen, die mit Individualisierung von Therapien anhand von Genetik sowohl das Ansprechen als auch das Überleben der Patienten habe verbessern können. Ähnliche Erfolge seien beim schweren Asthma erzielt worden, wo personalisierte Biologikatherapien die Situation der Patienten entscheidend verbessert hätten. Nun stelle sich die Frage, wie weit sich vergleichbare Strategien im Management des Lungenhochdrucks implementieren liessen. Ein gewisses Mass an Personalisierung ergebe sich durch die klinische Klassifikation in fünf Gruppen, für die jeweils unterschiedliche Empfehlungen gegeben würden, so Boucly. Medikamentöse Therapien stehen dabei nur für die Gruppe 1 (pulmonalarterielle Hypertonie, PAH) und die Gruppe 4 (Lungenhochdruck assoziiert mit Obstruktion der Pulmonalarterien) zur Verfügung. Bei Gruppe 4 ist zudem noch die Chirurgie eine potenziell kurative Option (1). Innerhalb der Gruppe 1 (PAH) liegt ein personalisierter Zugang zur Therapie in der Identifikation von Patienten, die auf eine Monotherapie mit einem Kalziumkanalblocker (CCB) ansprechen. Dies geschieht durch einen mit inhalativem Stickstoffmonoxid oder inhalativem Iloprost durchgeführten Test auf Vasoreaktivität, der bereits im Rahmen der Erstdiagnose im Rechtsherzkatheter durchgeführt wird. Ein positiver Test spricht für langfristiges Ansprechen auf einen CCB. Ein Test auf Vasoreaktivität ist positiv, wenn er zu einer Abnahme des pulmonalarteriellen Drucks um mindestens 10 mm Hg auf einen absoluten Druck von weniger als 40 mm Hg führt. Dies trifft auf rund 10 Prozent der PAHPatienten zu. Vasoreaktivität ist ein günstiges prognostisches Zeichen, und ein langfristiges Ansprechen auf einen CCB ist mit einem ausgezeichneten Überleben assoziiert. Leider geht bei manchen initialen Respondern das Ansprechen jedoch über die Jahre verloren. Langzeit-Responder zu identifizieren
wäre von Vorteil, so Boucly, da sich auf diesem Weg Zeitverluste bei der Wahl anderer Therapien vermeiden liessen. Ein Vergleich der RNA-Expressionsmuster von CCB-LangzeitRespondern und Patienten mit negativem Vasoreaktivitätstest zeigt für beide Gruppen charakteristische Muster. Die Unterschiede in der RNA-Expression könnten nicht durch Exposition gegenüber CCB erklärt werden, so Boucly. In der Folge konnte ein Algorithmus entwickelt werden, der auf Basis der Expression zweier Gene eine Prädiktion des Ansprechens auf CCB ermöglicht (2).
Neuzulassung: Sotatercept greift in den TGFβPathway ein
Die grosse Mehrheit der Patienten mit PAH spricht jedoch nicht auf Kalziumkanalblocker (CCB) an und benötigt daher spezifische Therapien. Die aktuell verfügbaren Therapien greifen in jeweils einen von drei in der Pathophysiologie der Erkrankung relevanten Pathways ein. Es sind dies der Stickoxid(NO)-Pathway, der Endothelin-Pathway sowie der Prostazyklin-Pathway. Neu hinzugekommen ist der «transforming growth factor beta»(TGFβ)-Pathway, für dessen Modifikation mit dem Activin-Inhibitor Sotatercept aktuell eine einzige zugelassene Substanz verfügbar ist (3). Swissmedic erteilte im Oktober 2024 die beschleunigte Zulassung für Sotatercept in Kombination mit einer Standardtherapie für die Behandlung der pulmonalarteriellen Hypertonie (PAH) bei erwachsenen Patienten der Weltgesundheits(WHO)-Funktionsklassen II–III (4). Die Zulassung erfolgte in Zusammenarbeit mit den Arzneimittelbehörden von Kanada, Australien und Singapur, die Teil des «Access Consortium» sind. In einer gesunden Pulmonalarterie besteht ein Gleichgewicht zwischen proliferativen und antiproliferativen Faktoren, erläutert Boucly. Diese Homöostase ist bei PAH zugunsten proliferativer, unter anderem Activin-getriebener, Faktoren gestört, was in proliferativen Veränderungen der Arterienwand resultiert. Sotatercept hat das Potenzial, durch Inhibition von Activin das verlorene Gleichgewicht wiederherzustellen. In der Phase-III-Studie STELLAR führte Sotatercept vor dem Hintergrund einer leitliniengerechten Therapie im Vergleich zu Plazebo zu einer signifi-
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ERS
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Auch das N-terminale pro-B-Typ natriuretische Peptid (NT-proBNP) wurde signifikant reduziert (6). Therapieplanung nach individuellem Mortalitätsrisiko Die aktuellen Therapieempfehlungen der «European Society of Cardiology» (ESC) und der «European Respiratory Society» (ERS) für die PAH (1) orientieren sich am individuellen Risikoprofil. Patienten werden in die drei Strata hohes, mittleres und niedriges Risiko eingeteilt. Ausschlaggebend ist die geschätzte 1-Jahres-Mortalität, die bei niedrigem Risiko weniger als 5 Prozent ausmacht, bei mittlerem Risiko 20 Prozent und bei hohem Risiko mehr als 20 Prozent. Während in älteren Versionen der Leitlinie bei niedrigem Risiko eine Monotherapie mit einem Phosphodiesterase-5-Inhibitor (PDE5i) oder einem Endothelin-Rezeptor-Antagonisten (ERA) empfohlen wurde und initiale Kombinationstherapien erst ab einem mittleren Risiko zum Einsatz kamen, wurden die niedrige und die mittlere Risikogruppe in der aktuellen Version der Leitlinie zusammengefasst. Damit wird bereits initial eine Kombinationstherapie mit zwei Substanzen mit unterschiedlichem Wirkprinzip empfohlen. Monotherapien sollen laut ESC/ERS nur noch bei Patienten mit zusätzlichen kardiovaskulären Risikofaktoren zum Einsatz kommen. Die kürzlich publizierten Empfehlungen des «7th World Symposium on Pulmonary Hypertension» (7) heben die Trennung anhand von Komorbiditäten auf und empfehlen für alle PAH-Patienten, die nicht in die Hochrisikogruppe fallen, unmittelbar nach Diagnose eine Kombinationstherapie. Patienten in der High-Risk-Kategorie sollen bereits initial zusätzlich zu PDE5i und ERA noch ein parenterales Prostazyklin erhalten. Ziel der Behandlung ist das Erreichen eines Niedrigrisiko-Status, definiert durch die WHO-Funktionsklasse I oder II, eine 6-Minuten-Gehstrecke von 440 m sowie ein NTproBNP im Normalbereich (1, 7). Sotatercept wurde in den Guidelines noch nicht berücksichtigt. Boucly weist darauf hin, dass die Therapie nach diesem Algorithmus ausschliesslich anhand der Klinik gesteuert wird und Phänotypisierung dabei keine Rolle spielt. Das könnte sich in Zukunft ändern, denn Studiendaten zeigen, dass PAH unterschiedlicher Genese unterschiedlich auf die Therapie anspricht. So finden sich bei Patienten mit zugrunde liegender Bindegewebserkrankung schlechtere Therapieergebnisse als bei Patienten mit idiopathischer PAH (8). In Studien: erste Schritte in Richtung Präzisionsmedizin Boucly: «Wir haben also eine Population von Patienten mit gleichen Zeichen und Symptomen und gleichem Risikosta- tus. Manche werden gut auf die Therapie ansprechen und manche nicht. Unser Ziel ist daher eine tiefe Phänotypisie- rung, die über Klinik und Biomarker hinausgeht und Genom, Transkriptom, Proteom und Metabolom einbezieht.» Auf Basis dieser Daten sollen schliesslich individualisierte Emp- fehlungen gegeben und damit das Ansprechen verbessert werden. Dies werde umso notwendiger, je grösser die Zahl der verfügbaren Medikamente werde. In Zukunft könnte es durchaus PAH-Therapien geben, die nur bei einem bestimm- ten genetischen Hintergrund der Erkrankung zum Einsatz kämen. Das könnte zum Beispiel auf Dichloroacetat, einen Inhibitor der Pyruvat-Dehydrogenase-Kinase (PDK), zutref- fen. Die Substanz, die bereits im Management hereditärer Mitochondriopathien in Verwendung ist, zeigte im Tiermo- dell Wirksamkeit bei PAH. Eine kleine Studie an PAH-Patien- ten ergab Verbesserungen sowohl der Hämodynamik als auch der 6-Minuten-Gehstrecke – dies allerdings nur bei Pa- tienten, die keine signifikanten Polymorphismen der Gene SIRT3 und UCP2 aufwiesen. Bei zwei oder drei Single-Nuc- leotid-Polymorphismen (SNP) war die Behandlung mit Dich- loroacetat zumindest dem numerischen Ergebnis nach sogar ungünstig (9). Ebenso könnten Patienten mit der prognostisch besonders ungünstigen PAH in Zusammenhang mit systemischer Skle- rose (SScPAH) von Präzisionsmedizin anhand genetischer Biomarker profitieren. Dies zeigt eine Analyse einer geschei- terten Phase-II-Studie zum Einsatz von Rituximab bei SScPAH, in der Patienten mit niedrigen Spiegeln von Rheu- mafaktor, Interleukin-17 und Interleukin-12 sehr wohl auf das Biologikum ansprachen (10). Auch mit dem neu zugelassenen Activin-Inhibitor Sotater- cept wurden bereits Studien zu prognostischen Markern durchgeführt. So zeigt eine Analyse der Phase-II-Studie PULSAR, dass Sotarercept durch alle untersuchten geneti- schen und biochemischen Subgruppen gleich gut wirksam ist. Weder die Plasmaspiegel von Activin A noch mehrere untersuchte genetische Varianten hatten Einfluss auf die Wirksamkeit (11). Analysiert wurden auch Veränderungen des Proteoms unter Therapie mit Sotatercept. Diese Studie zeigt erwartungsgemäss eine Reduktion des Activin-Spiegels, darüber hinaus aber auch einen Rückgang zahlreicher Mar- ker für Entzündung und oxidativen Stress. Boucly betont, dass damit nicht nur der TGFβ-Pathway, auf den Sotatercept abzielt, günstig beeinflusst wurde, sondern auch weitere Pa- thways, die unter anderem mit Inflammation in Zusammen- hang stehen (12). s Reno Barth Quelle: European Respiratory Society (ERS) Congress 2024, Joint European Society of Cardiology / European Respiratory Society session «Shaping the future of pulmonary hypertension», 8. September, Wien. 8 CongressSelection Allergologie | Pneumologie | Rheumatologie | Dezember 2024 1. Humbert M et al.: 2022 ESC/ERS Guidelines for the diagnosis and treatment of pulmonary hypertension. Eur Respir J. 2023 Jan 6;61(1):2200879. doi:10.1183/13993003.00879-2022 2. Hemnes AR et al.: Peripheral blood signature of vasodilator-responsive pulmonary arterial hypertension. Circulation. 2015 Jan 27;131(4):401-409. doi:10.1161/CIRCULATIONAHA.114.013317 3. Mocumbi A et al.: Pulmonary hypertension. Nat Rev Dis Primers. 2024 Jan ERS CongressSelection Allergologie | Pneumologie | Rheumatologie | Dezember 2024 9