Transkript
Die grosse Debatte
Früher Einsatz von Biologika bei Riesenzellarteriitis – Pro und Kontra
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Sollen Biologika in der Behandlung der Riesenzellarteriitis bereits früh eingesetzt werden? Diese Frage erörterten zwei Experten im Rahmen der Jahrestagung der Schweizer Gesellschaft für Rheumatologie. Die Pro- beziehungsweise Kontra-Argumente vertraten PD Dr. Christof Iking-Konert, Stadtspital, Zürich, und Prof. Dr. Peter M. Villiger, Medizinisches Zentrum Monbijou, Bern. Im Anschluss formulierten beide gemeinsam eine Empfehlung für den Einsatz der Biologika.
Die deutschen S2k-Leitlinien empfehlen bei der Diagnose einer Riesenzellarteriitis (RZA) ohne Visusverlust eine Behandlung mit 40 bis 60 mg Prednison pro Tag (1). Bei Ansprechen erfolgt eine schrittweise Reduktion mit dem Ziel, nach 3 Monaten eine Dosis von 10 bis 15 mg pro Tag und nach einem Jahr eine von < 5 mg erreicht zu haben. Im Anschluss sollte eine Reduktion bis auf die individuell niedrigste effektive Dosis durchgeführt werden. «Das heisst also, ein Patient erhält für mindestens 12 bis 18 Monate Kortison. Das war die gängige Praxis der letzten Jahrzehnte, da es keine andere zugelassene Therapie gab», erklärte PD Dr. Iking-Konert. Den Einsatz eines Biologikums empfehlen die Leitlinien bei Personen mit erhöhtem Risiko für Komplikationen unter Steroiden, einem zu erwartenden hohen Steroidbedarf sowie spätestens bei einem Rezidiv. Letztere Empfehlung beruht auf den Resultaten der GIACTA-Studie (2). Diese ergab, dass Tocilizumab (wöchentlich oder jede zweite Woche) in Kombination mit einem 26-wöchigen Prednison-Tapering einem 26- bzw. 52-wöchigen Prednison-Tapering plus Plazebo in Bezug auf eine anhaltende steroidfreie Remission signifikant überlegen war. «Besonders relevant ist, dass in der Gruppe mit Tocilizumab der Steroidverbrauch um zirka 50 Prozent niedriger war als in der Vergleichsgruppe und auch weniger steroidassoziierte Nebenwirkungen, einschliesslich Infekte, auftraten», erläuterte PD Dr. Iking-Konert.
Auch niedrige Steroiddosen langfristig potenziell problematisch
Eine aktuelle Arbeit ergab, dass es bei 40 Prozent der Patienten mit RZA, die nur Steroide erhielten, zu einem Rezidiv kam, meist innerhalb der ersten zwei Jahre nach Diagnose und am häufigsten bei einer Prednisondosis von < 10 mg/Tag (3). «Erfreulicherweise waren diese Rezidive aber in aller Regel eher als ‹minor› anzusehen», so PD Dr. Iking-Konert. Bekannt seien auch die verschiedenen Nebenwirkungen einer Steroidtherapie, führte er weiter aus. De Boysson et al. erhoben in ihrer Arbeit die von den RZA-Betroffenen selbst angegebenen steroidbedingten unerwünschten Ereignisse (4). Dabei gaben 90 Prozent der Befragten an, unter kognitiven und psychischen Veränderungen zu leiden. Hautveränderun-
gen und Muskelschwund betrafen 70 Prozent. «Die Raten der Nebenwirkungen waren bei einer längeren Steroidtherapie – 18 Monate oder mehr – zum Teil deutlich höher als bei einer kürzeren Therapiedauer», ergänzte der Redner. «Aktuelle Daten sprechen zudem dafür, dass sehr langfristig gesehen auch niedrige Steroiddosen – zwischen 2,5 und 5 mg pro Tag – das Osteoporose-Risiko erhöhen können», so PD Dr. Iking-Konert. Eine weitere Arbeit untersuchte anhand von Daten aus der GIACTA-Studie den Einfluss der Therapie mit Plazebo und Prednison beziehungsweise Tocilizumab plus Prednison auf den HbA1c bei Personen mit beziehungsweise ohne Diabetes zu Studienbeginn (5). Dabei zeigte sich, dass die Behandlung mit Tocilizumab/Prednison mit einem niedrigeren HbA1cWert verbunden war. Dies hatte auch einen Einfluss auf die Glukosetoleranz, die sich bei 42,5 Prozent der Patienten in der Tocilizumab/Prednison-Gruppe vom Prädiabetes-Status in den Normalzustand verbesserte. «Spätestens bei Personen mit einem Prädiabetes oder Diabetes denke ich also immer sehr früh an eine steroidsparende Therapie», kommentierte der Redner.
Trend zu weniger Steroiden
Schliesslich präsentierte PD Dr. Iking-Konert mit der GUSTO und der TOPAZIO Studie zwei Arbeiten, in denen eine sehr kurze Steroidtherapie (i.v. an drei aufeinanderfolgenden Tagen gefolgt von Tocilizumab-Monotherapie) untersucht wurde (6, 7). In GUSTO führte dieses Vorgehen zu einer langsamen Induktion einer Remission, die bei 13 von 18 Patienten bis zum Studienende in Woche 52 anhielt. In TOPAZIO befanden sich nach 78 Wochen 11 von 17 Teilnehmern in Remission. «Es gibt also klar einen Trend zu weniger Steroiden. Die nötige Dauer, also ob zum Beispiel 8 Wochen ausreichen, wird aktuell in Studien weiter untersucht», fasste der Redner die beiden Arbeiten zusammen und wies schliesslich darauf hin, dass auch die volle Pipeline an neuen Substanzen, wie zum Beispiel JAK-Inhibitoren, ein zunehmendes Interesse an neuen Therapien zur RZA-Therapie widerspiegle. «Provokant gesagt: Wenn Biologika nicht sinnvoll wären, würde sich bei der Industrie niemand dafür interessieren», schloss PD Dr. Iking-Konert.
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Kasten 1:
Empfehlungen für die Präferenz einer Glukokortikoid-Monotherapie
Glukokortikoide sollten als Monotherapie eingesetzt werden: ▲ bei jüngeren Patienten (< 65 Jahre); ▲ wenn keine vorbestehenden Risikofaktoren wie Diabetes, Adiposi-
tas, Osteoporose, Hypertonie, vorbestehende Atherosklerose vorliegen; ▲ bei antibiotikapflichtigen Divertikulitis-Episoden in der Vorgeschichte; ▲ wenn keine extrakraniellen Manifestationen /keine Augenmanifestationen vorliegen («begrenzte Erkrankung»).
Ausserdem zu beachten: ▲ Die Prednison-Reduktion sollte gemäss EULAR-Empfehlungen
(oder analog zum 26-Wochen-Arm der GIACTA-Studie, mit besonderer Vorsicht bei den letzten 5–10 mg/Tag) erfolgen. ▲ Bei Therapiebeginn: Kalzium, Vitamin D und DEXA, abhängig vom Risikoprofil 1x Bisphosphonate.
Kasten 2:
Empfehlungen für die Präferenz einer initialen Tocilizumab-Ko-Therapie
Ein kombinierte Behandlung mit Steroiden und Tocilizumab ist initial in folgenden Situationen zu empfehlen: ▲ bei älteren Patienten (> 65 Jahre); ▲ Risikofaktoren wie Diabetes, Adipositas, Osteoporose, Hypertonie
oder einer vorbestehenden Atherosklerose; ▲ langwierige Steroidbehandlung in der Vergangenheit (z.B. pulmonal) ▲ schwere und ausgedehnte Erkrankung (okulär, ZNS); ▲ bei einem Rezidiv nach einer Steroidmonotherapie (Konsultation
von Experten/Expertenteam); ▲ Wichtig: rasche Reduktion der Steroiddosis auf < 10 mg/Tag, ana-
log zur Zulassungsstudie; ▲ Bei einer Ko-Therapie erhöhtes Risiko für perforierende Divertikulitis,
Infektionen (inkl. Pneumocystis jirovecii).
Probleme durch Hemmung von IL-6
Prof. Dr. Peter Villiger, der für die Kontra-Argumente zuständig war, wies zu Beginn seines Vortrags auf einige wichtige Aufgaben von Interleukin(IL)-6 und mögliche Folgen seiner Hemmung hin. «Die Hemmung von Interleukin-6 führt zu einer Hemmung der hepatischen Synthese von Akutphaseproteinen wie CRP», sagte er. Das CRP bleibe damit auch bei einer aktiven Erkrankung tief. Die Klassifikation einer RZA beruhe jedoch unter anderem auf einem erhöhten CRPSpiegel und den klinischen Symptomen. «Hemmen wir Interleukin-6, dann fehlen uns diese beiden Kriterien, was zu hochriskanten Situationen führen kann», betonte der Redner. Des Weiteren führt IL-6 dazu, dass ein Kollagenasehemmer hochreguliert wird (8). «Das heisst also, wenn wir Interleukin-6 hemmen, kommt es zu einer ungehinderten enzymatischen Verdauung von Kollagen», erläuterte Prof. Villiger. Zudem spielen IL-6 und sein Rezeptor eine wichtige Rolle in der Kontrolle der katabolen Effekte proinflammatorischer
Zytokine. «Interleukin-6 hat also verschiedene wichtige Aufgaben in der Kontrolle entzündlicher Prozesse, die wir mit seiner Hemmung ausschalten», so Prof. Villiger. Zudem lieferte die GIACTA-Studie nicht nur Argumente für den Einsatz von Tocilizumab, sondern auch für eine Steroidbehandlung (2). «Sie zeigte, dass Plazebo und Prednison-Tapering nach 26 Wochen bei über 20 Prozent der Teilnehmer zu einer stabilen Remission geführt haben», berichtete Prof. Villiger. Er erwähnte aber auch, wie schon PD Dr. IkingKonert, dass es beim Ausschleichen der Steroide einen kritischen Punkt gibt. «So ab einer Dosis von 10 mg pro Tag oder weniger steigt das Risiko für ein Rezidiv deutlich an.» Es sei daher wichtig, mit den Betroffenen auch darüber zu diskutieren, wie sich der Nutzen der Therapie und das Risiko für Rezidive beziehungsweise Steroidnebenwirkungen am besten ausbalancieren liessen. Prof. Villiger empfahl denn auch eine sehr langsame Reduktion ab einer Steroiddosis von 5 mg/Tag. «Hier können Sie wirklich monatlich reduzieren», empfahl er.
Es braucht initial immer Steroide
Wie Prof. Villiger weiter erläuterte, hätten sie das Design der GUSTO-Studie mit 500 mg Methylprednisolon i.v. für 3 Tage und ab dem Folgetag Tocilizumab 8 mg/kg i.v. (danach wöchentlich 162 mg s.c) bewusst so gewählt, um den reinen Effekt der Steroide untersuchen zu können (6). «Wir konnten sehen, dass die Intima-Media-Dicke unter der Steroidtherapie rapid ab- und nach dem Absetzen rasch wieder zunahm. Der Effekt war also überraschend kurz», führte er aus. Eine Proteomanalyse ergab sehr ähnliche Resultate (9). So nahmen verschiedene Chemokine initial rasch ab, stiegen danach wieder an, um dann ab Tag 10 wieder zu fallen. «Mit anderen Worten, Tocilizumab wirkt sehr gut, es braucht dafür aber mehrere Tage. Deshalb muss initial immer Prednison verabreicht werden. Ich würde nie initial nur Tocilizumab geben, das ist ein Spiel mit dem Feuer», schloss er.
Gemeinsame Empfehlungen
Als Abschluss der Debatte haben die beiden Redner gemein-
sam, basierend auf Datenlage und ihren Erfahrungen, Emp-
fehlungen zur Behandlung der RZA mit einer Glukokortiko-
id-Monotherapie (vgl. Kasten 1) bzw. mit einer Tocilizumab-
Ko-Therapie formuliert (Kasten 2).
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Therese Schwender
Quelle: Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Rheumatologie, 5. und 6. September 2024, Lausanne.
Referenzen: 1. Schirmer JH et al.: S2k-Leitlinie: Management der Grossgefässvaskuliti-
den. Z Rheumatol 2020; 79 (Suppl 3):S67–S95. 2. Stone JH et al.: Trial of Tocilizumab in Giant-Cell Arteritis. N Engl J Med.
2017;377:317-328. 3. Alba MA et al.: Relapses in giant cell arteritis: Updated review for clinical
practice. Autoimmun Rev. 2024;23:103580. 4. de Boysson H et al.: Tolerance of glucocorticoids in giant cell arteritis: a
study of patient-reported adverse events. Rheumatology (Oxford). 2022;61:3567-3575. 5. Patel NJ et al.: The Effects of Daily Prednisone and Tocilizumab on Hemoglobin A1c During the Treatment of Giant Cell Arteritis. Arthritis Rheumatol. 2023;75:586-594. 6. Christ L et al.: Tocilizumab monotherapy after ultra-short glucocorticoid administration in giant cell arteritis: a single-arm, open-label, proof-ofconcept study. Lancet Rheumatol. 2021;3:e619-e626.
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7. Muratore F et al.: Treatment of giant cell arteritis with ultra-short glucocorticoids and tocilizumab: results from the extension of the TOPAZIO study. Rheumatology (Oxford). 2024 Aug 16:keae400. doi: 10.1093/rheumatology/keae400. Epub ahead of print.
8. Lotz M, Guerne PA: Interleukin-6 induces the synthesis of tissue inhibitor of metalloproteinases-1/erythroid potentiating activity (TIMP-1/EPA). J Biol Chem. 1991;266:2017-20.
9. Christ L et al.: Serum proteomics in giant cell arteritis in response to a three-day pulse of glucocorticoid followed by tocilizumab monotherapy (the GUSTO trial). Front Immunol. 2023;14:1165758.
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