Transkript
ESC
Neue Argumente für eine konsequente Blutdrucksenkung
Was Sie Ihren Patienten sagen können
Lebensstilmassnahmen wie Bewegung, reduzierte Salzeinnahme und Lärmreduktion lassen den Blutdruck deutlich sinken, und eine gute Therapieadhärenz senkt auch das Demenzrisiko. Das zeigten neue Studien, die von Dr. Jana Brguljan, University Medical Centre Ljubljana, Department of Hypertension, Medical University Ljubljana (SLO), am Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) vorgestellt wurden. Letzteres könnte die Motivation für eine konsequente Umsetzung von blutdrucksenkenden Massnahmen bei den Patienten massiv steigern. Neue Studienergebnisse gab es auch zum Thema Hirnschlag und zur Frage, wie tief der Blutdruck gesenkt werden sollte.
Zum Lebensstilmanagement gab es von der International Society of Hypertension (ISH) und der European Society of Hypertension (ESH) ein gemeinsames Positionspapier. Darin wurden Lebensstilmassnahmen als Firstline-Massnahme zur Prävention und zur Behandlung von Hypertonie (> 140 mmHg und/oder > 90 mmHg) festgelegt. Diese sollen weitergeführt werden, auch wenn bereits eine medikamentöse Behandlung begonnen wurde. Die Prävention soll möglichst früh im Leben begonnen werden. Dies vor allem zur Erhaltung eines normalen Körpergewichts mit möglichst viel verschiedenartiger Bewegung, gesunder Ernährung, Rauch- und Alkoholstopp, Stressverminderung und mehr Schlaf. Sie geben weiter spezifische Empfehlungen zur Einnahme von Natrium, Kalium, Zucker, Nahrungsfasern, Kaffee, Tee, Intervallfasten und zur Implementierung dieser Empfehlungen mittels digitaler Tools (1).
Effiziente Senkung durch Bewegung, Salzreduktion und Lärmreduktion
Dass tägliche körperliche Bewegung den Blutdruck senkt, ist zwar bekannt, doch dass dieser Effekt auch während der medikamentösen Hypertoniebehandlung weiter anhält, bestätigte nun ein systematischer Review mit Metaanalyse (2). Dazu wurden 269 Studien mit insgesamt 15 023 Teilnehmern analysiert, die als Massnahme aerobe Aktivitäten, Widerstandstraining oder eine Kombination von beidem durchführten. Das Ergebnis zeigte, dass ein Zusatz von sportlicher Aktivität zur Therapie eine weitere signifikante Blutdruck-
senkung von 4,1 mmHg systolisch und 2,6 mmHg bringt (2). Immer wieder kontrovers diskutiert wurde die Salzrestriktion. Dass sie den Blutdruck senkt, zeigte eine Crossover-Studie mit 213 durchschnittlich 61-jährigen Teilnehmern. Ihre Ernährung bestand sequenziell aus je 1 Woche mit natriumreicher beziehungsweise natriumarmer Diät. Als natriumreich galt ein Zusatz von 2,2 g Natrium zur normalen Ernährung, als natriumarm ein Zusatz von 0,5 g Natrium. Das Resultat zeigte einen signifikanten Rückgang des Blutdrucks beim Wechsel von einer natriumreichen zu einer natriumarmen Diät um 8 mmHg, und zwar unabhängig vom Ausgangsblutdruck und von der Einnahme blutdrucksenkender Medikamente. Vermehrte unerwünschte Ereignisse traten nicht auf (3). Damit lohne sich eine Salzrestriktion auf jeden Fall, so die Referentin. Auch Umwelteinflüsse wie Luftverschmutzung, Lärm, Klimaveränderung oder Umweltverschmutzung mit Chemikalien können zu einer Blutdruckerhöhung führen. Dies über Mechanismen wie oxidativer Stress, mikrovaskuläre Dysfunktion, Entzündung, Stressantwort, Störung im zirkadianen Rhythmus, Herzfrequenzvariabilität und Hyperkoagulabilität (4). Dieser Zusammenhang wurde vor allem während des COVID-19-Lockdowns sichtbar, als viele Einflüsse wie zum Beispiel der Flugzeuglärm wegfielen. In dieser Zeit wurde in einer Fall-Kontroll-Studie eine Verringerung des Blutdrucks und der arteriellen Gefässsteifheit beobachtet. Das zeigt, dass auch eine verhältnismässig kurzzeitige Lärmreduktion einen über lange Zeit erworbenen Blutdruckanstieg umkehren kann (5).
KURZ & BÜNDIG
� Lebensstilmodifikation ist die erste Massnahme bei Hypertonie.
� Umweltfaktoren spielen bei der Hypertonieentwicklung eine Rolle.
� Frühzeitige Blutdrucksenkung auf dem Weg ins Spital bei vermutetem Hirnschlag bringt keinen Nutzen.
� Eine antihypertensive Therapie reduziert auch das Demenzrisiko.
Gute Adhärenz senkt Demenzrisiko
Bluthochdruck leistet auch einer Demenzentwicklung Vorschub. Seine Senkung reduziert dieses Risiko. Ob das auch für älteren Patienten (≥ 65 Jahre) zutrifft, wurde in einer eingebetteten Fall-Kontroll-Studie (nested case-control study) mit 215 547 Patienten aus Italien untersucht, die eine Hypertonietherapie begannen. In der etwa 10-jährigen Nachbeobachtungszeit entwickelten 13 812 Patienten eine Demenz. Die Auswertung zeigte, dass das Risiko für eine Demenzentwicklung mit der Therapieadhärenz einherging: Eine Risikoreduktion von 24% (17% ab Alter 85 Jahre) erreichten jene mit der stärksten Adhärenz, eine mittlere Adhärenz erzeugte eine Risikoreduktion von 12% und eine schwache nur noch
CongressSelection Kardiologie | Diabetologie | November 2024
7
ESC
Tabelle:
Hypertoniemanagement bei Patienten mit Komorbiditäten
Lebensstilmodifikation für alle Patienten
Komorbidität
Therapie
Koronare Herzerkrankung
ACE-I/ARB + BB/CCB
Chronische Herzinsuffizienz
ARNI/ACE-I/ARB + BB
+ Diuretikum + MRA + SGLT2-I
Hirnschlagprävention
ACE-I/ARB + CCB/Diuretikum
Kognitive Dysfunktion
Vorhofflimmern
1. ACE-I/ARB + BB/non-DHP CCB
2. ACE-I/ARB + BB +CCB/Diuretikum
Aortenklappenstenose
ACE-I (+ BB)
Adipositas
Typ-2-Diabetes
ACE-I/ARB + CCB/Diuretikum
Chronische Nierenerkrankung
ACE-I/ARB + CCB/Diuretikum
COPD
ACE-I/ARB + CCB
Bemerkungen BB/CCB Kein Moxonidin oder Nicht-DHP-CCB. RDN in Prüfung. Unmittelbar nach TIA bzw. einige Tage nach Hirnschlag
RDN in Prüfung
Vorsichtig titrieren Gewichtsverlust, metabolische Operation erwägen, BB vermeiden SGLT2-I, GLP-1-RA als Antidiabetika. RDN in Prüfung, BB vermeiden. RDN in Prüfung. Elektrolyten und Nierenfunktion überwachen. Rauchstopp
Abkürzungen: ACE-I: ACE-Inhibitor, ARB: Angiotensin-2-Rezeptorblocker, BB: Betablocker, CCB: Kalziumkanalantagonist, DHP: Dihydropyridin, ARNI: Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitoren, MRA: Mineralokortikoidrezeptor-Antagonisten, SGLT2-I: Natrium-Glukose-Cotransporter-2-Inhibitoren, GLP-1-RA: GLP-1-Rezeptor-Agonisten, RDN: renale Denervation, TIA: transitorische ischämische Attacke, COPD: chronic obstructive pulmonary disease Quelle: mod. nach (10).
2%. Dieses Muster zeigte sich auch bei den gebrechlichen Patienten (6). Weil eine Hypertonietherapie eine meist lebenslange Langzeitbehandlung bedeute, sei es wichtig zu wissen, dass damit nicht nur das kardiovaskuläre Risiko, sondern auch das Risiko für eine Demenzentwicklung sinke, und dies auch noch in hohem Alter, so die Referentin.
Nierenpatienten auf Hypertonie checken
Auch bei Patienten mit chronischer Nierenerkrankung sollte immer eine Hypertonieabklärung mit einer 24-h-Blutdruckmessung (ABPM) erfolgen. Denn in einer französischen Untersuchung hatten mehr als die Hälfte der 424 Nierenpatienten einen normalen Praxisblutdruck, der sich mit ABPM als maskierte unkontrollierte Hypertonie herausstellte (7).
Wie tief soll gesenkt werden?
Die in den letzten Jahren viel diskutierte Frage, wie tief der Blutdruck bei kardiovaskulären Hochrisikopatienten gesenkt werden sollte, ist um ein Studienresultat reicher. Bei 11 255 durchschnittlich 64-jährigen Studienteilnehmern mit entweder Typ-2-Diabetes oder erlittenem Hirnschlag wurde der Blutdruck in der einen Gruppe auf < 120 mmHg gesenkt, in der anderen auf einen Wert < 140 mmHg. Als primärer Endpunkt galt die Kombination aus Myokardinfarkt, Revaskularisierung, herzinsuffizienzbedingter Hospitalisierung, Hirnschlag oder kardiovaskulärem Tod. Nach einer medianen Nachbeobachtungszeit erlitten 9,7% der intensivbehandelten und 11,1% der standardbehandelten Patienten ein Ereignis des primären Endpunkts, was einer signifikanten Risikoreduktion um 12% entspricht. In der Intensivgruppe traten jedoch häufiger Synkopen auf als unter Standardtherapie (0,4 vs. 0,1%). Die Autoren ziehen aus den Resultaten den Schluss, dass eine Senkung des Blutdrucks bei diesen
Patienten auf < 120 mmHg mit einem verhältnismässig kleinen Risiko vor schweren vaskulären Ereignissen schütze (8).
Rasche Blutdrucksenkung bei Hirnschag?
Eine immer wieder gestellte Frage betrifft das Blutdruckniveau beim akuten Hirnschlag, vor allem wenn noch nicht klar ist, ob die Ursache eine Ischämie oder eine Blutung ist. Soll er so früh wie möglich, also noch im Rettungswagen, gesenkt werden? Das untersuchte eine chinesische Studie bei 2404 Patienten mit vermutetem Hirnschlag und motorischen Ausfällen und mit einem Blutdruck ≥ 150 mmHg (Durchschnitt: 178/98 mmHg). In der Interventionsgruppe wurde der Blutdruck sofort auf einen Wert zwischen 130 und 140 mmHg gesenkt, die Kontrollgruppe durchlief das Standardprozedere. Primärer Endpunkt war der funktionelle Status nach 90 Tagen. Bei 2240 Patienten wurde der Hirnschlag bei Ankunft im Spital bestätigt, bei knapp der Hälfte war er hämorrhagischer Natur. Die Auswertung nach 90 Tagen zeigte aber keinen Unterschied im funktionellen Outcome zwischen der Interventions- und der Standardtherapiegruppe, und schwere Nebenwirkungen traten in beiden Gruppen gleich häufig auf. Demnach bringt eine Blutdrucksenkung noch auf dem Weg ins Spital keinen Nutzen hinsichtlich des funktionellen Outcomes (9).
Therapie je nach Komorbidität
Arterielle Hypertonie ist weltweit eine der führenden Todesursachen. Aufgrund des Alterns, der steigenden Inzidenz von Fettleibigkeit sowie sozioökonomischer und umweltbedingter Veränderungen nimmt ihre Häufigkeit global zu. Hypertonie tritt häufig zusammen mit Typ-2-Diabetes, Fettleibigkeit, Dyslipidämie, einem bewegungsarmen Lebensstil und Rauchen auf, was zu einer Verstärkung des Risikos führt. Eine Senkung des Blutdrucks durch Lebensstiländerungen
8 CongressSelection Kardiologie | Diabetologie | November 2024
ESC
und blutdrucksenkende Medikamente reduziert die kardio-
vaskuläre Morbidität und Mortalität. Guidelines empfehlen
2- und 3-fach-Kombinationstherapien mit Renin-Angioten-
sin-System-Blockern, Kalziumkanalblockern und/oder Diu-
retika. Doch erschweren Komorbiditäten häufig das Ma-
nagement. Eine Übersicht mit neuesten klinischen Erkennt-
nissen zeigt, wie neue Medikamente wie ARNI, SGLT2-
Hemmer, GLP-1-Rezeptor-Antagonisten, und nicht steroi-
dale Mineralokortikoid-Rezeptor-Antagonisten die kardio-
vaskulären und renalen Ergebnisse verbessern können (Ta-
belle). Und eine katheterbasierte renale Denervation könnte
eine alternative Behandlungsoption bei komorbider Hyper-
tonie in Verbindung mit erhöhter sympathischer Nervenakti-
vität bieten (10).
s
Valérie Herzog
Quelle: «Hot Papers in Hypertension?», Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC), 30. August bis 2. September 2024, London.
Referenzen: 1. Charchar FJ et al.: Lifestyle management of hypertension: International
Society of Hypertension position paper endorsed by the World Hypertension League and European Society of Hypertension. J Hypertens. 2024;42(1):23-49. doi:10.1097/HJH.0000000000003563.
2. Rijal A et al.: Effects of adding exercise to usual care on blood pressure in patients with hypertension, type 2 diabetes, or cardiovascular disease: a systematic review with meta-analysis and trial sequential analysis. J Hypertens. 2024;42(1):10-22. doi:10.1097/HJH.0000000000003589.
3. Gupta DK et al.:Effect of dietary sodium on blood pressure: a crossover trial. JAMA. 2023;330(23):2258-2266. doi:10.1001/jama.2023.23651.
4. Blaustein JR et al.: Environmental impacts on cardiovascular health and biology: an overview. Circ Res. 2024;134(9):1048-1060. doi:10.1161/CIRCRESAHA.123.323613.
5. Wojciechowska W et al.: Blood pressure and arterial stiffness in association with aircraft noise exposure:long-term observation and potential effect of COVID-19 Lockdown. Hypertension. 2022;79(2):325-334. doi:10.1161/HYPERTENSIONAHA.121.17704.
6. Rea F et al.: Risk of dementia during antihypertensive drug therapy in the elderly. J Am Coll Cardiol. 2024;83(13):1194-1203. doi:10.1016/j. jacc.2024.01.030.
7. Legrand F et al.: Prevalence and factors associated with masked hypertension in chronic kidney disease. J Hypertens. 2024;42(6):1000-1008. doi:10.1097/HJH.0000000000003680.
8. Liu J et al.: Lowering systolic blood pressure to less than 120 mm Hg versus less than 140 mm Hg in patients with high cardiovascular risk with and without diabetes or previous stroke: an open-label, blinded-outcome, randomised trial. Lancet. 2024;404(10449):245-255. doi:10.1016/ S0140-6736(24)01028-6.
9. Li G et al.: Intensive ambulance-delivered blood-pressure reduction in hyperacute stroke. N Engl J Med. 2024;390(20):1862-1872. doi:10.1056/ NEJMoa2314741.
10. Lauder L et al.: Hypertension management in patients with cardiovascular comorbidities. Eur Heart J. 2023;44(23):2066-2077. doi:10.1093/ eurheartj/ehac395
CongressSelection Kardiologie | Diabetologie | November 2024
9