Transkript
ESC
Kardiorenale Protektion
Mehr Auswahl für Herz- und Nierenschutz
Seit der Einführung der SGLT2-Hemmer und der GLP-1-Rezeptor-Agonisten als Antidiabetika wurden immer mehr Indikationen gefunden, bei denen diese Substanzklassen ebenfalls einen Nutzen bringen. Zur schon länger bewiesenen Kardioprotektion kommt immer mehr Evidenz für eine Renoprotektion hinzu. Inwieweit auch eine Kombination der beiden Klassen sinnvoll ist, erklärte Prof. Amaryllis van Craenenbroeck, KU Leuven (B), am Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC).
Der Schutz von Herz und Niere ist essenziell. Denn die Prävalenz der chronischen Nierenerkrankung (CKD) nimmt zu, insbesondere bei Patienten mit Diabetes mellitus, bei Frauen und bei älteren Personen. Viele Patienten mit diabetischer Nierenerkrankung (DKD) versterben noch vor Erreichen des Dialysestadiums an kardiovaskulären Ereignissen. Laut einer flämischen retrospektiven Kohortenstudie bei knapp 20 000 hausärztlichen Patienten nimmt die Überlebenswahrscheinlichkeit mit sinkender geschätzter glomerulärer Filtrationsrate (eGFR) ab. Und: Je grösser der eGFR-Abfall ist, desto schneller sinkt auch die Überlebenswahrscheinlichkeit (1). Auch der Albumin-Kreatinin-Quotient ist ein Marker für das Fortschreiten der CKD. Mit der eGFR und der Albuminurie lässt sich in der «heat map» der KDIGO (Kidney Disease: Improving Global Outcomes) das Risiko für kardiovaskuläre Mortalität ablesen (2). Ziel einer Therapie ist es also, die Zunahme der Albuminurie zu stoppen und den Abfall der Nierenfunktion zu bremsen. Das ist in den letzten 5 Jahren zunehmend möglich geworden, seit Studien bei Patienten mit CKD renoprotektive Eigenschaften von SGLT2-Hemmern, GLP-1-RezeptorAgonisten (GLP-1-RA) und dem nicht steroidalen Mineralokortikoidrezeptor-Antagonisten (MRA) Finerenon renoprotektive Eigenschaften gezeigt haben. Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und CKD reduziert Finerenon zusätzlich zur Standardtherapie das Risiko für klinisch relevante kardiovaskuläre und renale Verschlechterungen, wie die FIDELITYStudie zeigte (6).
Vieles gemeinsam
Die Studien mit SGLT2-Hemmern (CREDENCE mit Canagliflozin, DAPA-Kidney mit Dapagliflozin, EMPA-Kidney mit Emapgliflozin) (3–5) und GLP-1-RA (FLOW mit Semaglutid) (7) hatten laut van Craenenbroeck einiges gemeinsam: Sie wurden wegen des überwiegenden Vorteils der Studienmedikation im Vergleich zu Plazebo vorzeitig gestoppt, die Studienmedikationen bremsten alle den eGFR-Abfall wie auch die Zunahme der Proteinurie signifikant, und sie verringerten zudem kardiovaskuläre Ereignisse und die Gesamtmortalität. Die Gründe dafür sind vielfältig. Einerseits führt die SGLT2-Hemmung durch das tubuloglomeruläre Feed-
back zu einer Konstriktion der afferenten Arteriole, was durch die Verringerung des glomerulären Drucks eine Reduktion der Proteinurie bewirkt. Durch die Kombination mit Hemmern des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems (RAAS), wie in den meisten Studien mit der Zugabe zur Standardtherapie der Fall, wird der Druck im Glomerulum weiter entlastet, da RAAS-Hemmer zu einer Dilatation des Vas efferens führen. Andererseits würden durch die SGLT2-Hemmung vermehrt Glukose und Natrium ausgeschieden, was durch den leicht diuretischen Effekt auch den Blutdruck senke und so eine Reduktion von Diuretika ermögliche, so van Craenenbroeck. Der renoprotektive Effekt der GLP-1-RA entsteht durch Reduktion der Entzündung, weniger Oxidation, weniger Fibrose und möglicherweise auch durch eine verstärkte Natriurese (8).
Kombination bringt additiven Effekt
Eine kürzlich publizierte Metaanalyse untersuchte den Nutzen einer Kombination von SGLT2-Hemmern mit GLP-1-RA hinsichtlich kardiovaskulärer und renaler Ereignisse bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und Albuminurie (Urin-Albumin-Kreatinin-Ratio [UACR]: ≥ 30 mg/g). Im Vergleich zur Standardtherapie zeigte sich unter der Kombination ein klarer Vorteil in allen Endpunkten (9). Eine weitere bevölkerungsbasierte Kohortenstudie (n = 15 638) untersuchte den Effekt einer Kombination im Vergleich zu beiden Substanzklassen einzeln. Unter der Kombination war das Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse (MACE, major cardiovaskular events) um 29% tiefer als mit SGLT2-Hemmer allein und um 30% tiefer als mit einer GLP-1-RA-Monotherapie (10). Hinsichtlich eines Nutzens für die Niere zeigte die FLOW-Studie mit Semaglutid unter der Monotherapie mit dem GLP-1-RA eine 24-prozentige Risikoreduktion für renale Verschlechterung oder kardiovaskulären Tod, die Kombination mit SGLT2-Hemmern dagegen zeigte keinen zusätzlichen Vorteil (11).
Welches ist besser?
Beide Substanzklassen bringen bei Herz- und Nierenpatienten einen Nutzen. Welche Klasse soll demnach gewählt wer-
10 CongressSelection Kardiologie | Diabetologie | November 2024
ESC
HFrEF, Typ-2-Diabetes, eGFR < 60: Welche Medikation ist adäquat? Fallvorstellung von Prof. Alexandra Kautzky, Medizinische Universität Wien (A) Patient: 63-jähriger Mann mit Typ-2-Diabetes, BMI: 32 kg/m2, HbA1c: 8,5%, LDL-Cholesterin: 4,4 mmol/l, Triglyzeride: 2,0 mmol/l, Lp(a): 7 nmol/l, Kreatinin: 1,5 mg/dl, Albumin-Kreatinin-Ratio: 81 mg/g, eGFR: 51 ml/min/1,73 m2, Kreatinin: 1,5 mg/dl Symptome bei Vorstellung: Kurzatmigkeit bei Anstrengung, Fatigue Anamnese: Typ-2-Diabetes (Diagnose vor 5 Jahren), Myokardinfarkt von 3 Jahren (Dreigefässerkrankung, Bypass), HFrEF (EF < 30%), Hyper- lipidämie, Nikotinabusus Medikation: • Diabetes: Metformin 1000 mg, Linagliptin 5 mg, Insulin glargin 18 IU • anderes: Sacubitril/Valsartan 97/103 mg, Spironolacton 25 mg, Biso- prolol 2 x5 mg, Furosemid 40 mg, Simvastatin 40 mg, Acteylsalicyl- säure (ASS) 100 mg Kommentar: Dieser Patient leidet aufgrund seiner Adipositas, HFrEF und kardiovaskulären Erkrankung unter einem kardiorenalen metabo- lischen Syndrom (1). Bei Herzinsuffizienzpatienten mit Typ-2-Diabetes und chronischer Nie- renerkrankung sollen gemäss den ESC-Guidelines Diabetes (2) ein SGLT2-Hemmer und Finerenon verordnet werden. Medikationsänderung: Diabetes: Neu: Empagliflozin/Metformin 5 mg/1000 mg (1–0–1) Neu: Semaglutid 1-mal/Woche, auftitriert auf 1 mg Stop: Insulin glargin (ausschleichen) Dyslipidämie: Neu: Ezetimibe/Atorvastatin 10/40 mg + Evolocumab 140 mg s.c. (PCSK9-Hemmer) Stop: Simvastatin Kommentar: 6 Monate später hatte der Patient 8 kg Gewicht verloren, normalisierte Blutzuckerwerte (HbA1c 7,1%) und einen LDL-C-Wert im Zielbereich (1,42 mmol/l). vh Quelle: «Guidelines in Practice: cardio-renal protection in patients with diabetes». Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC), 30. August bis 2. September 2024, London. 1. Referenzen: Ndumele CE et al.: Cardiovascular-Kidney-Metabolic Health: A presidential advisory from the american heart association. Circulation. 2023;148(20):1606-1635. doi:10.1161/CIR.0000000000001184. 2. Marx N et al.: 2023 ESC Guidelines for the management of cardiovascular disease in patients with diabetes Eur Heart J. 2023;44(39):4043-4140. doi:10.1093/eurheartj/ehad192. den? Um diese Fragezu beantworten, sei in den USA die prospektive Head-to-Head-Studie PRECIDENTD zur Wirksamkeit von SGLT2-Hemmern vs. GLP-1-RA in der Prävention von MACE, renalen Ereignissen und Tod gestartet worden, so van Craenenbroeck. Die Vergleichsstudie läuft mit Typ-2-Diabetes-Patienten aus der Praxis. Dies bis 2029, damit auch Langzeiteffekte auf beispielsweise Myokardinfarkt und Hirnschlag sichtbar werden (12). Nierenwerte bestimmen Um Herz und Niere ausreichend schützen zu können, ist es zunächst wichtig, beide Parameter, eGFR und Proteinurie, zu bestimmen. GLP-1-RA und SGLT2-Hemmer reduzieren beide das Risiko für kardiovaskuläre und renale Ereignisse bei Patienten mit Typ-2-Diabetes. Dabei hätten SGLT2- Hemmer einen stärkeren Effekt auf die Herzinsuffizienz, und GLP-1-RA bewirkten möglicherweise mehr Risikoreduktion von atherosklerotischen Ereignissen, so van Craenenbroeck. Eine Kombination zeige jedenfalls einen grösseren Nutzen. Zu bedenken sei jedoch, dass mit einer Reduktion des kar- diovaskulären Risikos theoretisch die Chance steige, dass Patienten das Stadium der terminalen Niereninsuffizienz er- reichen könnten, was ohne diese Therapie nur selten der Fall sei. s Valérie Herzog Quelle: «GLP-1 receptor agonists, SGLT2 inhibitors, or both for cardio-renal protection?» Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC), 30. August bis 2. September 2024, London. Referenzen: 1. Van Pottelbergh G et al.: Is there a correlation between an eGFR slope measured over a 5-year period and incident cardiovascular events in the following 5 years among a Flemish general practice population: a retrospective cohort study. BMJ Open. 2018;8(11):e023594. Published 2018 Nov 12. doi:10.1136/bmjopen-2018-023594. 2. Levey AS et al.: The definition, classification, and prognosis of chronic kidney disease: a KDIGO Controversies Conference report. Kidney Int. 2011;80(1):17-28. doi:10.1038/ki.2010.483. 3. Perkovic V et al.: Canagliflozin and renal outcomes in type 2 diabetes and nephropathy. N Engl J Med. 2019;380(24):2295-2306. doi:10.1056/ NEJMoa1811744. 4. Heerspink HJL et al.: Dapagliflozin in patients with chronic kidney disease. N Engl J Med. 2020;383(15):1436-1446. doi:10.1056/NEJMoa2024816. 5. Herrington WG et al.: Empagliflozin in patients with chronic kidney disease. N Engl J Med. 2023;388(2):117-127. doi:10.1056/NEJMoa2204233. 6. Agarwal R et al.: Cardiovascular and kidney outcomes with finerenone in patients with type 2 diabetes and chronic kidney disease: the FIDELITY pooled analysis. Eur Heart J. 2022;43(6):474-484. doi:10.1093/eurheartj/ ehab777. 7. 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