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Wechselwirkungen
Beginnt die rheumatische Entzündung im Darm?
Als «Gut-Joint-Axis» werden Wechselwirkungen zwischen dem Darmmikrobiom und den (entzündeten) Gelenken bezeichnet. In den vergangenen Jahren konnten bei allen rheumatischen Erkrankungen spezifische Auffälligkeiten der Darmflora nachgewiesen werden, die zum Teil durch antiinflammatorische Therapien beeinflussbar sind. Bislang gescheitert sind allerdings Versuche, durch Interventionen im Darm die Entzündung der Gelenke günstig zu beeinflussen.
Eine Dysbiose im Zusammenhang mit rheumatischen Erkrankungen ist ein reales Problem, so Dr. Daniel Mauro, Università degli Studi della Campania Luigi Vanvitelli, der auf eine Vielzahl von Studien verwies, die Auffälligkeiten des Darmmikrobioms bei rheumatoider Arthritis (RA), Lupus, Spondylarthritis (SpA) – und praktisch allen anderen entzündlich rheumatischen Erkrankungen zeigen (1). In der Frage, welche Bakteriengattungen und -arten bei welcher Erkrankung über- beziehungsweise unterrepräsentiert sind, sei das Bild bereits weniger homogen. Dies liege auch an unterschiedlichen untersuchten Populationen, beziehungsweise unterschiedlichen Methoden des Bakteriennachweises, so Mauro. Auch sei es in einem dysfunktionalen Mikrobiom oft schwer, die Schuldigen zu benennen – entscheidend sei das Faktum der Dysfunktion. Mittlerweile konnte gezeigt werden, dass die Art der Dysfunktion krankheitsspezifisch ist und sich beispielsweise zwischen RA und SpA unterscheidet (2). Eine Dysbiose ist auch im Kontext einer rheumatischen Erkrankung mit einer gestörten Darmbarriere assoziiert, das Eindringen von Darmbakterien in tiefere Schichten der Mukosa führt zu einer Inflammation des Darms. Eine subklinische Darminfektion konnte bei bis zu 70 Prozent der Patienten mit SpA oder RA nachgewiesen werden. Eine Inflammation des Darms scheint generell mit einer Inflammation der Gelenke zu korrelieren, so Mauro. Das Gleiche gilt für das Phänomen des «Leaky Gut», also der vermehrten Durchlässigkeit der Mukosa für Substanzen und Organismen, die beim Gesunden das Darmlumen nicht verlassen können. Ausschlaggebend dafür dürfte die durch den Einfluss von Bakterien induzierte Hochregulation von Zonulin sein, das die Öffnung von Tight Junctions verursacht (3).
Wechselspiel von Genetik, Entzündung und Mikrobiom
Im Tiermodell konnte gezeigt werden, dass der Transfer von Arthritismikrobiom auf ein gesundes Tier zum Auftreten einer pathologischen Darmpermeabilität führt. Dieser Effekt lässt sich durch die Blockade von Zonulin verhindern (3). Mittlerweile gibt es auch Hinweise, dass eine Behandlung mit einem TNF-Blocker das Mikrobiom wieder mehr in die Nähe gesunder Kontrollen bringt. Diskutiert wird allerdings die
Richtung der Kausalität. So sei es möglich, dass es im Zuge einer inflammatorischen rheumatischen Erkrankung zur Entzündung des Darms kommt und diese Entzündung die Aberrationen des Mikrobioms bedingt. Hier dürfte ein Wechselspiel vorliegen, so Mauro. Beispielsweise konnte im Tiermodell gezeigt werden, dass sich das Mikrobiom in Gegenwart von Interleukin 23 in Richtung eines für die SpA typischen Phänotyps verschiebt und dieser Prozess durch die Inhibition von IL23 umgekehrt werden kann (4). Allerdings kommt vor der Entzündung die Genetik, wie Mauro betonte. So haben bestimmte genetische Varianten (HLA B27 und HLA-DRB1) Einfluss auf die Zusammensetzung der Darmflora (5). Im Tiermodell kommt es bei keimfreien Mäusen trotz entsprechendem genetischem Hintergrund nicht zur Ausbildung einer Arthritis. Zudem lässt sich die Permeabilität des Darms auch durch eine Antibiose reduzieren (6). Das Bindeglied zwischen der Inflammation des Darms und der Inflammation der Gelenke dürften Immunzellen sein, die im Darm geprimed werden und von dort in die Zielorgane, also in diesem Fall die Gelenke, auswandern (7). Weiterhin dürften auch Stoffwechselprodukte von Bakterien eine Rolle spielen. Für die axiale SpA (axSpA) konnte gezeigt werden, dass ein vermehrtes Auftreten von Lipopolysacchariden (LPS) im Blut zur Aktivierung des Inflammasoms beiträgt. Im Tiermodell reduzierte eine Inhibition des Inflammasoms die Entzündung im Darm und verzögerte das Auftreten von Arthritis. Ebenso lässt sich den genannten Effekten durch Gabe von Butyrat entgegenwirken (8). Naheliegend wäre der Einsatz von Probiotika, erläuterte Mauro. Allerdings waren die bisher im Tiermodell dazu durchgeführten Studien negativ oder zumindest inkonklusiv.
Stuhltransplantation bei Patienten mit PsA kontraproduktiv
Mittlerweile wurden drei klinische Studien an Menschen durchgeführt, von denen eine bereits publiziert ist. Die FLORA-Studie, die die Wirksamkeit einer Stuhltransplantation in einer Population von Patienten mit peripherer Psoriasisarthritis (PsA) untersuchte, fand eine Verschlechterung der Arthritis durch die Intervention (9). Mauro: «Dieser Befund
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ist von hohem Interesse. Wir haben gesehen, dass sich die Krankheitsaktivität verändert, wenn wir das Darmmikrobiom manipulieren. Das Ergebnis müssen wir allerdings noch optimieren, und da haben wir noch viel zu lernen.» Noch nicht publizierte Analysen von FLORA zeigen jedenfalls, dass es nach der Stuhltransplantation zunächst zu einer Abnahme von Zonulin kam, auf die ein neuerlicher Anstieg folgte. Im Gegensatz dazu nahm der Entzündungsmarker Calprotectin nach der Intervention zu. Die beiden anderen klinischen Studien untersuchten den Einfluss der Ernährung auf das Mikrobiom und die Klinik bei RA, sowie Möglichkeiten, die Darmintegrität von RA-Patienten zu verbessern. Ebenfalls von Bedeutung scheint der Crosstalk zwischen dem Mikrobiom und dem intestinalen Nervensystem zu sein, das Darmmotilität und Sekretion kontrolliert und damit auch Einfluss auf das Mikrobiom nimmt. Bei axSpA wurde eine Autoreaktivität von CD8+ T-Zellen gegen Moleküle festgestellt, die mit Darmneuronen in Verbindung gebracht werden (10). Unter diesen Molekülen fand sich der Rezeptor für das Vasoaktive Intestinale Peptid (VIP). Mauro verwies auf bislang nicht publizierte Daten, die eine Downregulation von VIP bei axSpA sowie eine vom Mikrobiom abhängige Assoziation mit Entzündung des Darms zeigen. Das Mikrobiom liefert auch ein Erklärungsmodell für die Geschlechterunterschiede in Häufigkeit und zum Teil auch Klinik rheumatischer Erkrankungen. Denn eine bakterielle Flora findet sich nicht nur im Darm, sondern auch im Genitaltrakt. Auch im Uterus ist das Mikrobiom mitverantwortlich für die Barrierefunktion der Mukosa und damit für das Auftreten pathologischer Veränderungen (Inflammation, Polypen etc.). Nach aktuellen, noch unpublizierten, Daten wird in Zusammenhang mit rheumatischen Erkrankungen auch eine Dysbiose im weiblichen Genitaltrakt gefunden (11).
Neues Ziel für antiinflammatorische Therapien: das NLRP3-Inflammasom
Auch abseits der Mikrobiomforschung ist das Inflammasom in der Rheumatologie von Interesse, wie Prof. Dr. Eicke Latz vom Deutschen Rheuma-Forschungszentrum Berlin ausführte. So wurde beispielsweise bereits vor fast 20 Jahren eine Aktivierung des NLRP3-Inflammasoms bei Gicht nachgewiesen (12). Latz wies auch darauf hin, dass nicht nur anorganische, sondern beispielsweise auch Cholesterinkristalle zur Aktivierung des Inflammasoms führen können. NLRP3 ist ein zytoplasmatisches Protein, das im Rahmen der angeborenen Immunabwehr als Pattern-Recognition-Rezeptor dient. Seine Aktivierung (beispielsweise auch durch LPS) führt zur Assoziation mehrerer NLRP3-Moleküle mit dem Adapterprotein ASC und der Procaspase-1. Die entstandenen Multimere formieren sich zu sogenannten «ASC Specks», die die Grösse von Bakterien erreichen. Das gesamte System wird als NLRP-3-Inflammasom bezeichnet. Dieses bewirkt die Aktivierung der Procaspase-1 zur Caspase-1, die in weiteren Schritten die Produktion von Interleukin-1β (IL-1β) und Interleukin-18 (IL-18) bewirkt und zur Pyroptose (inflammatorische Variante des programmierten Zelltods) führt. Pyroptotische Zellen können ihrerseits die Hochregulation und Produktion von Chemokinen und Zytokinen triggern. Latz: «Man braucht nicht viel mehr als eine sterbende Zelle, um eine Inflammation auszulösen.» Die Blockade von
NLRP3 ist ein neuer Ansatz in der Entwicklung antiinflam-
matorischer Medikamente. NLRP3-Blocker sind kleine Mo-
leküle, die die Bildung der aktivierten Form von NLRP3 un-
terbinden, indem sie die einzelnen Komponenten des Mole-
küls quasi verkleben. Mehrere NLRP3-Blocker werden
aktuell in Phase-II-Studien in so unterschiedlichen Indikatio-
nen wie Kniearthrosen, autoinflammatorischen Syndromen
und myeloischen Erkrankungen untersucht. Die potenziellen
Anwendungen reichen jedoch weiter, wie Latz ausführte. So
zeigen Untersuchungen im Mausmodell, dass eine systemi-
sche Inflammation, die durch eine cholesterinreiche «Wes-
tern Diet» ausgelöst wird, durch NLRP-3 vermittelt wird
(13). Eine wichtige Rolle spielen dabei neben Cholesterin-
kristallen auch Sphingomyeline, die durch fettreiche Ernäh-
rung induziert werden können. Die medikamentöse Blockade
dieser Prozesse wird untersucht. Doch auch der Lebensstil
kann das Problem lösen: Versuche zeigen, dass bei adipösen
Probanden eine Gewichtsreduktion um 15 kg zu einer selek-
tiven Reduktion von S14 Sphingomyelin führt.
s
Reno Barth
Quelle: «The Gut-Joint Axis», European Congress of Rheumatology (EULAR), 12. Juni 2024 in Wien.
Referenzen: 1. Wang Y et al.: Gut dysbiosis in rheumatic diseases: A systematic review
and meta-analysis of 92 observational studies. EBioMedicine. 2022;80:104055. 2. Sternes PR et al.: Distinctive gut microbiomes of ankylosing spondylitis and inflammatory bowel disease patients suggest differing roles in pathogenesis and correlate with disease activity. Arthritis Res Ther. 2022;24(1):163 3. Tajik N et al.: Targeting zonulin and intestinal epithelial barrier function to prevent onset of arthritis. Nat Commun. 2020;11(1):1995. 4. Rehaume LM et al.: IL-23 favours outgrowth of spondyloarthritis-associated pathobionts and suppresses host support for homeostatic microbiota. Ann Rheum Dis. 2019;78(4):494-503. 5. Asquith M et al.: HLA Alleles Associated With Risk of Ankylosing Spondylitis and Rheumatoid Arthritis Influence the Gut Microbiome. Arthritis Rheumatol. 2019;71(10):1642-1650. 6. Rehaume LM et al.: ZAP-70 genotype disrupts the relationship between microbiota and host, leading to spondyloarthritis and ileitis in SKG mice. Arthritis Rheumatol. 2014;66(10):2780-92. 7. Mauro D et al.: Ankylosing spondylitis: an autoimmune or autoinflammatory disease? Nat Rev Rheumatol. 2021;17(7):387-404. 8. Guggino G et al.: Inflammasome Activation in Ankylosing Spondylitis Is Associated With Gut Dysbiosis. Arthritis Rheumatol. 2021;73(7):11891199. 9. Kragsnaes MS et al.: Safety and efficacy of faecal microbiota transplantation for active peripheral psoriatic arthritis: an exploratory randomised placebo-controlled trial. Ann Rheum Dis. 2021;80(9):1158-1167. 10. Fiorillo MT et al.: CD8(+) T-cell autoreactivity to an HLA-B27-restricted self-epitope correlates with ankylosing spondylitis. J Clin Invest. 2000;106(1):47-53. 11. Zhu N et al.: «Iron triangle» of regulating the uterine microecology: Endometrial microbiota, immunity and endometrium. Front Immunol. 2022;13:928475. 12. Martinon F et al.: Gout-associated uric acid crystals activate the NALP3 inflammasome. Nature. 2006;440(7081):237-41 13. Christ A et al.: Western Diet Triggers NLRP3-Dependent Innate Immune Reprogramming. Cell. 2018;172(1-2):162-175.e14.
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