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Rheumatoide Arthritis & Co.
Autoimmunerkrankungen auf dem Vormarsch
Die Inzidenz der rheumatoiden Arthritis (RA) nimmt zusammen mit anderen Autoimmunerkrankungen derzeit zu – ein Grund mehr, sich intensiv mit der Erforschung von frühen Behandlungsmöglichkeiten, der Entwicklung von prädiktiven Biomarkern, möglichen Strategien zum Medikamentenrückzug oder der Rolle von Komorbiditäten zu befassen. Am diesjährigen Jahreskongress der European Alliance of Associations for Rheumatology (EULAR) wurde eine ganze Reihe neuer interessanter RAStudien vorgestellt.
In einer am EULAR vorgestellten grossen britischen epidemiologischen Studie wurde noch einmal bestätigt, dass sich die Prävalenz von bestimmter Autoimmunerkrankungen in den vergangenen Jahren deutlich erhöht hat (1). So zeigte die Analyse von 22 Millionen Einwohnern des Vereinigten Königreichs in den vergangenen 20 Jahren, bezogen auf 100 000 Einwohner, einen Anstieg der ankylosierenden Spondylitis von 2 (2000 bis 2002) auf 4 (2017 bis 2019; Hazard Ratio [HR]: 1,78), der Zöliakie von 6,9 auf 11,8 (HR: 2,19), der RA von 58,4 auf 94,0 (HR: 1,64) oder des Sjögen-Syndroms von 6,0 auf 10,7 (HR: 2,09). Lediglich bei HashimotoThyreoiditis kam es zu einem leichten Reduktion (0,81). Die Inzidenzen der übrigen Autoimmunerkrankungen (z. B. Psoriasis) blieben ungefähr auf gleichem Niveau. Eine Analyse der RA-Betroffenen habe zudem ergeben, dass bei RA die am stärksten betroffene Gruppe gleichzeitig die ökonomisch schwächste gewesen sei, berichtete Prof. Dr. med. Iain B. McInnes von der Universität Glasgow. «Das ist eine Sache, über die wir sprechen und die wir besser verstehen müssen.»
Behandlung präklinischer RA
Wie sollte man mit präklinischer RA umgehen? Abwarten oder sofort intensiv behandeln? In einer nach den Worten von McInnes «brillianten» randomisierten, plazebokontrollierten Studie (APIPPRA) wurden ACPA(anti-citrullinated protein antibodies)- und RF(Rheumafaktor)-positive Patienten eingeschlossen (2). ACPA und RF dienen als serologische Marker zur Früherkennung einer möglichen RA. Die insgesamt 213 Studienteilnehmer wurden entweder mit dem immunsuppressiv wirkenden Fusionsprotein Abatacept oder mit Plazebo behandelt. Tatsächlich waren in der Abataceptgruppe nach 12 Monaten signifikant mehr Teilnehmer RAfrei als im Plazeboarm (p = 0,04), und die Progression hin zu einer manifesten RA hatte sich deutlich vermindert. «Das ist wirklich hilfreich», so McInnes. Nach Absetzen der Biologikatherapie verminderte sich der Vorteil im Laufe der Monate wieder. In eine ebenfalls neuen Studie aus Deutschland (ARIAA) wurden rund 100 Patienten mit hohem RA-Risiko eingeschlossen (3). Alle standen am Anfang ihrer Erkrankung und
erhielten ebenfalls entweder s.c. Abatacept oder Plazebo. Während es nach 6 Monaten in der Verumgruppe bei 57 Prozent zu einer MRI(magnetic resonance imaging)-Reduktion der Entzündungen kam, war dies unter Plazebo bei 31 Prozent der Fall (p = 0,014).
Schwieriger Medikamentenrückzug
Auch die Frage, wie sich bei RA-Patienten, die sich in stabiler Remission befinden, eine Reduktion ihrer konventionellen Medikation auswirkt, stand im Fokus neuer Studien. In der skandinavischen Untersuchung ARCTIC REWIND wurden die Teilnehmer in 3 Gruppen eingeteilt: gleichbleibende Dosierung der konventionellen Therapie, Halbierung dieser Therapie oder gänzliches Ausschleichen der konventionellen Medikation über 1 Jahr (4). Im Arm mit unveränderter Dosierung blieb der Anteil der Flare-freien Patienten nach 3 Jahren bei rund 80 Prozent, in der Gruppe mit halber Dosierung bei rund 58 Prozent und im Arm mit völligem Medikamentenrückzug bei nur rund 38 Prozent. Während in ARCTIC REWIND konventionelle Medikamente im Fokus standen, wollte man in einer weiteren Untersuchung wissen, ob eine Dosisreduktion von Biologika möglich ist. In der randomisierten Studie wurde bei RA-Patienten, die sich unter TNF(Tumornekrosefaktor)-Hemmung 1 Jahr in stabiler Remission befanden, die Medikation langsam ausgeschlichen (5). Das Ergebnis war ernüchternd: Nach 4 Monaten schoss die Zahl der Flares in die Höhe, und nach 10 Monaten hatten rund 80 Prozent einen Relapse erlitten. Auch bei anderen Biologika war ein Absetzen der Medikation schwierig. So nahmen während der 2-jährigen Ausschleichphase sowohl bei Abatacept als auch bei Tocilizumab die Rate der schwachen Flares sehr deutlich und die der starken Flares in geringerem Umfang zu (6). «Wir sehen jedoch für beide Wirkmechanismen ein Muster, nämlich eine Zunahme der Flares», berichtete McInnes. Kann in einer stabilen Remission die Serumkonzentration abgesenkt werden, ohne dass es zu Wirkverlusten kommt? Dieser Frage ging man in der randomisierten ADORA-Studie nach (7). Die Wissenschaftler reduzierten die Adalimumabdosierung innerhalb von 24 Wochen von 5mg/l auf eine Ziel-
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konzentration von 2mg/l. Tatsächlich wurde trotz der Reduktion der Adalimumabserumkonzentration die Effektivität des Biologikums (gemessen über den DAS28 [Disease Activity Score in 28 joints]) auch in geringerer Konzentration nicht geschwächt.
Behandlung von früher RA
Wie sollte man eine Behandlung bei Patienten mit früher RA beginnen? In einer in den Worten von McInnes «wirklich coolen» randomisierten Studie wurden verschiedene Wirkprinzipien zur Erstbehandlung von 812 Patienten mit aktiver RA verglichen (8). Ins Rennen geschickt wurden – jeweils kombiniert mit Methotrexat (MTX) – Certolizumab pegol, Abatacept, Tocilizumab und konventionelle Therapien (Prednisolon, Sulfasalazin). Nach 48 Wochen zeigten Abatacept (59,3%, p < 0,001) und Certolizumab (52,3%, p < 0,021) signifikante Vorteile (gemessen über CDAI[Clinical Disease Activity Index]-Remission und radiografische Messungen) gegenüber einer konventionellen Therapie (39,2%). Tocilizumab (51,9%, p < 0,03) verfehlte knapp das Signifikanzniveau. Bislang seien die Rheumatologen damit überfordert, das richtige Medikament für den richtigen Patienten zur richtigen Zeit auszuwählen. Notwendig sind verlässliche prädiktive Biomarker. In den beiden Phase-III-Studien STRAP und STRAP-EU sollte über die Menge an B-Zellen in der Gelenkflüssigkeit etwas Licht ins Dunkel gebracht werden (9). Die teilnehmenden 223 biologikanaiven RA-Patienten wurden zuvor mithilfe synovialer Biopsien als B-Zell-reich oder B-Zell-arm klassifiziert. Sie erhielten randomisiert entweder i.v. Rituximab, s.c. Tocilizumab oder s.c. Etanercept. Das Ergebnis war ernüchternd: Durch die Aufteilung in B-Zellreich und -arm konnten keine Wirksamkeitsunterschiede (gemessen über ACR20 [20%ige Verbesserung gemäss Kriterien des American College of Rheumatology]) nach 16 Wochen hinsichtlich des Behandlungsansprechens zwischen Rituximab und s.c. Tocilizumab (60%) einerseits und s.c. Etanercept (59%) andererseits beobachtet werden. Trotzdem sollte man mit der Analyse von Geweben weitermachen, so McInnes. Die Mediziner würden «verzweifelt» nach Biomarkern suchen, mit denen eine Response prognostiziert werden könne und somit auch weniger Kosten entstünden, sagte der Rheumatologe. Auch andere Biomarker können im Immunprofil stecken. So wurde in Wien eine Head-to-Head-Studie vorgestellt, in der man bei RA-Patienten wissen wollte, ob deren duale Seropositivität prädiktiv für eine bessere Response einer Abatacepttherapie im Vergleich zu Adalimumab sein könnte (10). Die Antwort ist jedoch «nein» – beide Wirkstoffe zeigten in diesem Patientenkollektiv sehr ähnliche ACR20-, ACR50und ACR70-Antworten.
Adipositas als RA-Treiber
Auch Komorbiditäten bei RA standen im Fokus mehrerer Studien. Vor allem die Adipositas scheint hier ein wichtiger Krankheitstreiber zu sein. «Die Behandlung chronischer Krankheiten ohne Bekämpfung der übermässigen Adipositas fördert die Multimorbidität», erklärte der Experte. Denn dummerweise fördert eine effektive RA-Behandlung eben diese Adipositas, was wiederum metabolische Komorbiditäten und entzündliche Prozesse antreibt, die wiederum den therapeutischen Erfolg gefährdeten, so das Ergebnis einer Studie, an der auch McInnes mitwirkte (11). Dies sei ein «frustrierendes Paradoxon», weshalb bei einer RA-Therapie immer auch der Fokus auf die Fettleibigkeit gelegt werden solle. In einer niederländischen randomisierten Studie wurde deshalb – parallel zur immunsuppressiven Behandlung – der Schwerpunkt auch auf die Gewichtsreduktion von RA-Patienten gelegt (12). Während eine Gruppe an einem Lifestyle-Programm mit gesunder, hauptsächlich pflanzlicher Ernährung, physischer Aktivität und einem Anti-StresssManagement teilnahm, erhielt die Vergleichsgruppe ein Usual-care-Programm. Tatsächlich verbesserten sich in der Lifestyle-Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe nicht nur das Gewicht (–3,9 kg), die Fettmasse (–2,8 kg), der Bauchumfang (–3 cm) und der LDL(low density lipoprotein)-Spiegel (–0,32), sondern auch die Krankheitsaktivität der RA (gemessen über DAS28) signifikant (p < 0,001).
Prednisolonbehandlung bei RA führt nicht zu
Diabetes
Immer wieder werden Befürchtungen laut, dass die Behand-
lung von RA-Patienten mit Glukokortikoiden das Risiko für
die Entstehung eines Diabetes erhöhen könnte. In einer am
EULAR vorgestellten niederländischen Langzeitstudie (BeSt)
mit 504 RA-Betroffenen konnte Entwarnung gegeben wer-
den (13): Der dauerhafte Einsatz von Prednisolon war wäh-
rend eines 10-Jahres-Follow-up weder mit der Entwicklung
einer Hyperglykämie noch mit Diabetes verbunden. Das sei
eine für die Praxis «sehr nützliche Information», so McInnes.
Allerdings machte der Schotte noch einmal darauf aufmerk-
sam, dass Komorbiditäten nicht nur die Mortalität der
RA-Patienten erhöhen, sondern auch den Behandlungserfolg
negativ beeinflussen (14).
s
Klaus Duffner
Quelle: McInnes IB: Rheumatoid Arthritis, Scientific Session: What is New in Rheumatoid Arthritis? EULAR Wien, 14.06.2024
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Referenzen: 1. Conrad N et al.: Incidence, prevalence, and co-occurrence of autoim-
mune disorders over time and by age, sex, and socioeconomic status: a population-based cohort study of 22 million individuals in the UK. Lancet. 2023;401(10391):1878-1890. doi: 10.1016/S0140-6736(23)00457-9. Epub 2023 May 5. PMID: 37156255. 2. Cope AP et al.; APIPPRA study investigators: Abatacept in individuals at high risk of rheumatoid arthritis (APIPPRA): a randomised, double-blind, multicentre, parallel, placebo-controlled, phase 2b clinical trial. Lancet. 2024;403(10429):838-849. doi: 10.1016/S0140-6736(23)02649-1. Epub 2024 Feb 13. PMID: 38364839. 3. Rech J et al.: Abatacept inhibits inflammation and onset of rheumatoid arthritis in individuals at high risk (ARIAA): a randomised, international, multicentre, double-blind, placebo-controlled trial. Lancet. 2024;403(10429):850-859. doi: 10.1016/S0140-6736(23)02650-8. Epub 2024 Feb 13. PMID: 38364841. 4. Kjørholt KE et al.: Effects of tapering conventional synthetic disease-modifying antirheumatic drugs to drug-free remission versus stable treatment in rheumatoid arthritis (ARCTIC REWIND): 3-year results from an open-label, randomised controlled, non-inferiority trial. Lancet Rheumatol. 2024;6(5):e268-e278. doi: 10.1016/S2665-9913(24)00021-3. Epub 2024 Apr 4. PMID: 38583450. 5. Lillegraven S et al.: Effect of tapered versus stable treatment with tumour necrosis factor inhibitors on disease flares in patients with rheumatoid arthritis in remission: a randomised, open label, non-inferiority trial. Ann Rheum Dis. 2023;82(11):1394-1403. doi: 10.1136/ard-2023224476. Epub 2023 Aug 22. PMID: 37607809; PMCID: PMC10579188. 6. Kedra J et al.; CRI?IMIDIATE clinical research network: Towards the Lowest Efficacious Dose: Results From a Multicenter Noninferiority Randomized Open-Label Controlled Trial Assessing Tocilizumab or Abatacept Injection Spacing in Rheumatoid Arthritis in Remission. Arthritis Rheumatol. 2024;76(4):541-552. doi: 10.1002/art.42752. Epub 2024 Jan 25. PMID: 37942714. 7. Atiq S et al.; EULAR 2024; POS 0017. 8. Østergaard M et al.; NORD-STAR study group: Certolizumab pegol, abatacept, tocilizumab or active conventional treatment in early rheumatoid arthritis: 48-week clinical and radiographic results of the investigator-initiated randomised controlled NORD-STAR trial. Ann Rheum Dis. 2023;82(10):1286-1295. doi: 10.1136/ard-2023-224116. Epub 2023 Jul 9. PMID: 37423647. 9. Rivellese F et al.; STRAP collaborative group: Stratification of biological therapies by pathobiology in biologic-naive patients with rheumatoid arthritis (STRAP and STRAP-EU): two parallel, open-label, biopsy-driven, randomised trials. Lancet Rheumatol. 2023;5(11):e648-e659. doi: 10.1016/S2665-9913(23)00241-2. PMID: 38251532. 10. Maldonado et al.; EULAR 2024; OP0007 11. Sattar N et al.: Treating chronic diseases without tackling excess adiposity promotes multimorbidity. Lancet Diabetes Endocrinol. 2023;11(1):5862. doi: 10.1016/S2213-8587(22)00317-5. Epub 2022 Nov 29. PMID: 36460014. 12. Walrabenstein W et al.: A multidisciplinary lifestyle program for rheumatoid arthritis: the ‹Plants for Joints› randomized controlled trial. Rheumatology (Oxford). 2023;62(8):2683-2691. doi: 10.1093/rheumatology/keac693. PMID: 36617162; PMCID: PMC10393439. 13. van der Pol JA et al.: Prednisone use, disease activity and the occurrence of hyperglycaemia and diabetes in patients with early rheumatoid arthritis: a 10-year subanalysis of the BeSt study. RMD Open. 2024;10(2):e004246. doi: 10.1136/rmdopen-2024-004246. PMID: 38688692; PMCID: PMC11086516. 14. Calvo-Gutiérrez J et al.: Impact of multimorbidity on the first ts/ bDMARD effectiveness and retention rate after two years of follow-up in patients with rheumatoid arthritis from the BIOBADASER registry. Arthritis Res Ther. 2024;26(1):57. doi: 10.1186/s13075-024-03287-9. PMID: 38395899; PMCID: PMC10885598.
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