Transkript
EULAR
Krebs, Fatigue und Kinderwunsch
Neue und geänderte Empfehlungen der EULAR
Die European Alliance of Associations for Rheumatology (EULAR) gibt neben ihren Clinical Practice Guidelines auch Empfehlungen in anderen Formaten heraus, wie zum Beispiel als «Points to Consider». Im Rahmen zweier Sessions des EULAR-Kongresses 2024 wurden unter dem Titel «EULAR Recommendations» Updates zahlreicher Empfehlungen präsentiert, darunter Points to Consider zur Rheumatherapie bei Patienten mit Krebsanamnese sowie zur Rheumatherapie in der Schwangerschaft. Neu ist auch eine komplette Guideline zum Management von Fatigue bei rheumatischen Erkrankungen.
Die Points to Consider im Hinblick auf die Therapie rheumatischer Erkrankungen bei Patienten mit Krebs in der Anamnese sollen den klinischen Umgang mit dieser immer häufiger werdenden Konstellation erleichtern (1). Die Überlebensraten onkologischer Patienten steigen und manche Betroffene entwickeln im weiteren Verlauf ihres Lebens auch eine entzündlich rheumatische Erkrankung. Immer öfter komme man in die Situation, mit Krebsüberlebenden den Beginn einer gezielten Therapie einer chronisch inflammatorischen Arthritis besprechen zu müssen, so Prof. Dr. Jacques-Eric Gottenberg, les Hôpitaux Universitaires de Strasbourg. Diese Entscheidung müsse anhand limitierter Daten getroffen werden, da Patienten mit Krebsanamnese aus den klinischen Studien mit sämtlichen DMARD ausgeschlossen waren. Entsprechende Empfehlungen müssen also aus Registern und Beobachtungsstudien abgeleitet werden (2). Diese zeigen – wie die eigens für die Erstellung der Empfehlungen durchgeführte Literatursuche ergab – für die Gruppe der Anti-TNFBiologika im Vergleich zu den konventionellen DMARD kein erhöhtes Neuauftreten von Malignomen und kein erhöhtes Rezidivrisiko von Malignomen in Remission. Daher kann und soll bei onkologischen Patienten in Remission und einer aktiven rheumatischen Erkrankung eine Therapie mit Biologika und/oder konventionellen DMARD begonnen werden. Die entsprechenden Entscheidungen sollen Rheumatologen in Abstimmung mit der Onkologie und dem Patienten treffen. Es gibt keine Evidenz für Vorteile eines verzögerten Therapiebeginns. Sobald ein Tumor in Remission ist und eine aktive rheumatische Erkrankung vorliegt, kann diese leitliniengerecht behandelt werden. Für die Gruppe der JAK-Inhibitoren fehlt entsprechende Evidenz aus den Registern; die Studie ORAL-Surveillance zeigte jedoch ein erhöhtes Malignomrisiko unter Therapie mit Tofacitinib (3). Daher empfiehlt die EULAR, JAK-Inhibitoren bei Patienten mit Krebserkrankungen in Remission nur dann einzusetzen, wenn keine Alternative verfügbar ist. Das Gleiche gilt für Abatacept, ein gegen die Kostimulation von T-Zellen gerichtetes Fusionsprotein, für das in mehreren Studien gering, aber signifikant erhöhte Inzidenzen von Malignomen gefunden wurden. Generell wird empfohlen, in der Therapie rheuma-
tischer Erkrankungen bei Patienten mit soliden Tumoren in Remission Anti-Zytokin-Therapien (Anti-TNF, Anti-IL6R) gegenüber dem B-Zell depletierenden Rituximab den Vorzug zu geben. Ausschlaggebend dafür sind theoretische Überlegungen, die die Rolle von B-Zellen für die Prognose von Tumorerkrankungen betreffen. Das Gegenteil dürfte bei Lymphomen zutreffen, weshalb die EULAR vorsichtig empfiehlt («may be preferred») bei Patienten mit Lymphomen in der Anamnese zur Behandlung einer rheumatischen Erkrankung Rituximab einzusetzen.
Guideline für das Management von Fatigue bei Rheumapatienten
Im vergangenen Jahr publizierte die EULAR erstmals Empfehlungen für den Umgang mit Fatigue bei Patienten mit entzündlich rheumatischen Erkrankungen (4). Fatigue ist ein multidimensionales und komplexes Symptom mit physischen und kognitiven Manifestationen und von besonderer Wichtigkeit für die Betroffenen, wie Prof. Dr. Emma Dures, University of the West of England, die Vorsitzende des Leitlinienkomitees, ausführte. Konsequenzen von Fatigue sind unter anderem Schlafstörungen, Depression, soziale Beeinträchtigung sowie die eingeschränkte Fähigkeit, Aufgaben im täglichen Leben nachzukommen. Die Ursachen von Fatigue in Zusammenhang mit rheumatischen Erkrankungen sind unklar; Studien zeigen widersprüchliche Ergebnisse, wie Dures ausführt. Bis vor Kurzem ging man davon aus, dass Fatigue unmittelbar mit der Krankheitsaktivität korreliert, mittlerweile habe man jedoch gelernt, dass auch Patienten in Remission unter Fatigue leiden können. Sowohl das Immunsystem als auch das zentrale und das autonome Nervensystem sowie das neuroendokrine System dürften an der Genese von Fatigue beteiligt sein. Die Erfahrung zeige, so Dures, dass das Problem im klinischen Alltag zu selten angesprochen werde. Dies könne auch an fehlenden Guidelines zu diesem Thema liegen. Im Auftrag der EULAR Guideline Taskforce wurden nach Cochrane Methodologie systematische Reviews zu pharmakologischen und nicht pharmakologischen Massnahmen zur Behandlung von Fatigue bei inflammatorischen, rheumatischen und muskuloskeletalen Erkrankungen erstellt (5, 6).
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EULAR
Auf Basis dieser Datensammlung wurde schliesslich die neue EULAR-Leitlinie zum Management von Fatigue gestaltet. Sie hält als erste Empfehlung fest, dass im Rahmen des regelmässigen klinischen Assessments nach Fatigue, ihrer Ausprägung, ihren Folgen und den Coping-Strategien des Patienten gefragt werden soll. Den Betroffenen sollen individualisierte physische Trainingsprogramme angeboten werden. Auch ausserhalb dieser Programme wird körperliche Betätigung nach Massgabe der Möglichkeiten empfohlen. Das Gleiche gilt für individualisierte und strukturierte Psychoedukation. Gibt ein Patient eine Verschlechterung seiner Fatigue an, so ist zu evaluieren, ob dahinter verstärkte inflammatorische Aktivität steht. Falls indiziert, ist die antiinflammatorische Therapie anzupassen. Dures betont in diesem Zusammenhang, dass manche pharmakologische – und im Besonderen antiinflammatorische – Therapien hilfreich gegen Fatigue sein können, dass jedoch keine medikamentöse Therapie für die Indikation Fatigue zugelassen ist.
Update nach acht Jahren: EULAR-Empfehlungen zu DMARD und Schwangerschaft
Den Status von «Points to Consider» haben die neuen EULAR-Empfehlungen für den Einsatz antirheumatischer Therapien im Zusammenhang mit Fruchtbarkeit, Schwangerschaft und Stillen (7). Die ursprüngliche Version dieser Empfehlungen stammt aus dem Jahr 2016 (8), sodass angesichts neuer Daten und neuer Therapien ein Update dringend erforderlich war, wie Prof. Dr. Frauke Förger vom Inselspital Bern ausführt. Dazu wurde eine Literatursuche durchgeführt, die insgesamt mehr als 250 relevante Arbeiten identifizierte. Die Empfehlungen halten in ihren übergreifenden Grundsätzen fest, dass Patienten und Patientinnen mit entzündlichen rheumatischen Erkrankungen Beratungen zu den Themen Fruchtbarkeit und Kinderwunsch angeboten werden sollen. Das Therapieziel Remission oder niedrige Krankheitsaktivität soll auch vor, während und nach einer Schwangerschaft nicht aus den Augen verloren werden. Die Risiken für das Kind sollen gegen die Risiken einer unzureichend behandelten Erkrankung der Mutter abgewogen werden – die ihrerseits sämtliche Schwangerschaftsrisiken erhöhen können. Die Empfehlungen listen detailliert DMARD auf, die in der Schwangerschaft sicher eingesetzt werden können. Dazu gehören die meisten gängigen csDMARD (Hydroxychloroquin, Azathioprin etc.), NICHT jedoch Methotrexat, Cyclophosphamid und Mycophenolat, die als teratogen eingestuft werden. Diese Substanzen sollten vor einer Schwangerschaft abgesetzt werden. Bei schwerer, refraktärer Erkrankung der Mutter können Cyclophosphamid oder Mycophenolat im zweiten und dritten Trimenon in Erwägung gezogen werden, sofern keine anderen Optionen bestehen. NSAR, Prednison und Prednisolon können während der Schwangerschaft eingesetzt werden, wenn sie unbedingt erforderlich sind, um die Krankheitsaktivität zu kontrollieren. Die bessere Option ist der Einsatz von schwangerschaftskompatiblen csDMARD oder Biologika. Beim Einsatz von NSAR ist zu beachten, dass diese nur intermittierend und nur bis zur 28. Gestationswoche verwendet werden dürften, merkte die Expertin an. Da zu selektiven COX2-Inhibitoren die Daten fehlen, soll nicht selektiven NSAR mit kurzer Halb-
wertszeit der Vorzug gegeben werden. Erweist sich unter Therapie mit NSAR eine Empfängnis als schwierig, so kann ein Absetzen der NSAR zur Lösung des Problems beitragen. Auch Prednison und Prednisolon sollten nach Möglichkeit abgesetzt oder zumindest auf eine Tagesdosis von maximal 5 mg reduziert werden. Eine Pulstherapie mit Methylprednisolon ist bei schwerer, refraktärer Erkrankung möglich.
Anti-TNF-Biologika sind in der Schwangerschaft sicher
Hinsichtlich einer Biologikatherapie in der Schwangerschaft müssen die Wirksamkeit und die Plazentagängigkeit der einzelnen Antikörper in Betracht gezogen werden. Komplette monoklonale Antikörper gelangen leicht durch die Plazenta, Fusionsproteine zeigen einen geringeren transplazentalen Transfer, Certolizumab ist nicht plazentagängig. Allerdings zeigen die Analysen klinischer Daten für die plazentagängigen TNF-Inhibitoren keine Erhöhung von Schwangerschaftsrisiken, sodass sie durch die gesamte Schwangerschaft eingesetzt werden können. Die Empfehlungen listen auch eine Reihe weiterer Biologika mit anderen Wirkmechanismen auf, bei denen man von ausreichender Sicherheit während der Schwangerschaft ausgehen kann. Bei neueren Biologika (auch diese werden detailliert gelistet) sind zum Teil die Daten spärlich, weshalb diese nur verwendet werden sollen, wenn keine Alternativen bestehen. Auch nach Exposition gegenüber Biologika kann das Kind nach der Geburt Impfungen mit Totimpfstoffen nach dem jeweiligen Impfplan erhalten. Bei Lebendimpfstoffen kann, abhängig von der Plazentagängigkeit des Biologikums und dem Zeitpunkt der Exposition, eine Wartezeit erforderlich sein. Während der Stillzeit sind Biologika grundsätzlich nicht problematisch, da die grossen Antikörpermoleküle nicht in die Muttermilch abgegeben und oral auch nicht aufgenommen werden würden. JAK-Inhibitoren sollten während der Stillzeit vermieden werden. Das Gleiche gilt für zahlreiche chemische DMARD, die in den «Points to Consider» im Einzelnen gelistet werden. Generell sollen die Patientinnen zum Stillen ermutigt werden, wenn es gelingt, eine sichere Therapie zu finden. Erstmals werden auch Empfehlungen für Männer mit rheumatischen Erkrankungen gegeben. Diese sind einfach: Praktisch alle gebräuchlichen antirheumatischen Medikamente haben keinen Einfluss auf die Fruchtbarkeit und können bei Kinderwunsch weiterhin eingenommen werden. Lediglich Cyclophosphamid kann zu anhaltender Infertilität führen. Dies muss mit den Patienten besprochen und die Option einer Kryokonservierung von Sperma diskutiert werden. Für die neuesten Biologika wie z.B. Anifrolumab oder Risankizumab fehlen die Daten, weshalb diese bei Patienten mit Kinderwunsch sicherheitshalber eher vermieden werden sollten. s
Reno Barth
Quelle: «EULAR Recommendations I & II», European Congress of Rheumatology (EULAR), am 15. und 16. Juni 2024 in Wien.
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EULAR
Referenzen: 1. Sebbag E et al.: EULAR points to consider on the initiation of targeted
therapies in patients with inflammatory arthritides and a history of cancer. Presented at EULAR 2024, Vienna, OP0045. 2. Chatzidionysiou K et al.: How do we use biologics in rheumatoid arthritis patients with a history of malignancy? An assessment of treatment patterns using Scandinavian registers. RMD Open. 2020;6(2):e001363. 3. Ytterberg SR et al.: Cardiovascular and Cancer Risk with Tofacitinib in Rheumatoid Arthritis. N Engl J Med. 2022;386(4):316-326. 4. Dures E et al.: 2023 EULAR recommendations for the management of fatigue in people with inflammatory rheumatic and musculoskeletal diseases. Ann Rheum Dis. Published online November 22, 2023. doi:10.1136/ ard-2023-224514. 5. Santos EJF et al.: Efficacy of non-pharmacological interventions: a systematic review informing the 2023 EULAR recommendations for the management of fatigue in people with inflammatory rheumatic and musculoskeletal diseases. RMD Open. 2023;9(3):e003350. 6. Farisogullari B et al.: Efficacy of pharmacological interventions: a systematic review informing the 2023 EULAR recommendations for the management of fatigue in people with inflammatory rheumatic and musculoskeletal diseases. RMD Open. 2023;9(4):e003349. 7. Förger F et al.: EULAR Points to Consider for use of Antirheumatic drugs in Reproduction, Pregnancy and Lactation: 2024 Update. Presented at EULAR 2024, Vienna, AB1439. 8. Götestam Skorpen C et al.: The EULAR points to consider for use of antirheumatic drugs before pregnancy, and during pregnancy and lactation. Ann Rheum Dis. 2016;75(5):795-810.
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