Transkript
SSC
Herzerkrankung und Diabetes in der Praxis
Was raten die Guidelines im konkreten Fall?
Am Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie (SGK/SSC) in Lausanne wurden drei unterschiedliche Kasuistiken von Patienten mit kardiovaskulären Problemen und zusätzlich Diabetes präsentiert. Das weitere Vorgehen gemäss der aktuellen Guidelines wurde diskutiert.
1. Fall: Routinekontrolle bei KHK
Bei einem 60-jährigen Patienten mit koronarer 2-Gefässerkrankung (Myokardinfarkt [STEMI], 2 Stents) in der Anamnese wurde 13 Jahre später bei einer Routinekontrolle Typ-2-Diabetes diagnostiziert. Es bestand eine Mikroalbuminurie, eine Retinopathie sowie eine milde Polyneuropathie. Der Patient gab an, täglich 2 km zu gehen, mit Kurzatmigkeit bergauf. Es besteht aktuell keine Angina pectoris. Er raucht 5 Zigaretten pro Tag und weist einen Bodymass-Index (BMI) von 35,4 kg/m2 auf. Der Blutdruck beträgt 132/82 mmHg und 139/87 mmHg, die Herzfrequenz 59 bpm. Das Labor ergibt einen HbA1cWert von 10,3 Prozent, einen LDL-C-Wert von 0,8 mmol/l, eine geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) von > 90 ml/min/1,73 m2 und eine Albuminurie von 1010 mg/Tag. Als Medikation hat er zurzeit Acetylsalicylsäure 100 mg, Lisinopril 5 mg, Rosuvastatin 20 mg, Metformin 500 mg 2 ×/Tag. Das EKG ist normal, beim Belastungs-EKG erreicht der Patient 52 Prozent des Leistungsziels.
Was raten die Guidelines zum Lebensstil?
Tägliches 10-minütiges Gehen ist gemäss ESC-Guidelines (1) bei allen Patienten mit und ohne kardiovaskuläre Erkrankung empfohlen. Optimal sind Aktivitäten von 150 Minuten/ Woche von mittlerer Intensität. Bei Diabetespatienten mit manifester kardiovaskulärer Erkrankung sollte ebenfalls ein strukturiertes Trainingsprogramm (Resistenz- und Ausdauertraining mind. 2-mal/Woche) angeboten werden, um die metabolische Kontrolle, die Leistungskapazität und die Lebensqualität zu steigern sowie das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse zu reduzieren. Des Weiteren sollte eine Gewichtsreduktion anvisiert werden, dies in erster Linie mittels Erhöhung der körperlichen Aktivität und mit einer Umstellung auf eine mediterrane Diät. In zweiter Linie können entsprechende Medikamente (z. B. GLP-1-Rezeptor-Agonisten) erwogen werden, bei ausbleibendem Erfolg aller vorherigen Massnahmen und bei einem Bodymass-Index ≥ 35 kg/m2 eine bariatrische Chirurgie (1).
Reicht die Diabetesmedikation?
Der HbA1c-Zielwert liegt bei < 7 Prozent (1), was mit der bestehenden Medikation nicht erreicht wurde. Gemäss heutiger Auffassung haben blutzuckersenkende Medikamente neben der Blutzuckerkontrolle noch die Verbesserung des kardiovaskulären Outcomes zum Ziel. Gemäss den ESC-Guidelines erfüllen SGLT2-Hemmer (Empagliflozin, Canagliflozin, Dapagliflozin, Sotagliflozin) und GLP-1-RA (Liraglutide, Semaglutide, Dulaglutide) diese Anforderungen und sind daher als Therapie bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und atherosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankung (ASCVD) zu bevorzugen. Sollte mit diesen Antidiabetika das Blutzuckerziel nicht erreicht werden, kann Metformin dazu kombiniert werden.
Weiteres Vorgehen
Der Patient wurde in ein 12-wöchiges ambulantes kardiales Rehabilitationstraining (strukturiertes Training) aufgenommen und erhielt in punkto Diabetes, Rauchstopp und Ernährung eine eingehende Beratung. Die Diabetestherapie wurde von Metformin 2 × 500 mg/Tag auf Empagliflozin/Metformin 5/1000 mg 2 ×/Tag umgestellt. Bei Unverträglichkeit ist alternativ Metformin 2 × 1000 mg plus ein GLP-1-RA wie Semaglutid s.c. oder oral zu vorgesehen. Nach Abschluss des 12-wöchigen Trainings hatte der Patient sein Gewicht um 9 kg reduziert (BMI neu 32,4), sein Blutdruck fiel auf 125/82 bzw. 131/73 mmHg. Die Leistungskapazität im EKG-Belastungstest steigerte er von 52 auf 64 Prozent des Leistungsziels und der HbA1c fiel auf 6,7 Prozent und liegt damit im Zielbereich.
Fazit
GLP-1-RA und SGLT-2-Hemmer sind bei Patienten mit Typ-2-Diabetes und ASCVD unabhängig vom HbA1c-Wert und unabhängig von einer gleichzeitigen antidiabetischen Therapie angezeigt, um das kardiovaskuläre Risiko zu senken (1). Moderates aerobes Training für mindestens 150 Minuten pro Woche und Resistenztraining mehr als 2 bis 3 mal pro Woche werden empfohlen, um die Insulinsensitivität zu verbessern und um ein besseres kardiovaskuläres Risikoprofil zu erreichen (1).
10 CongressSelection Kardiologie | Pneumologie | September 2024
SSC
2. Fall: Check-up bei leichter Kurzatmigkeit
Ein 48-jähriger Mann stellte sich für einen Check-up vor und wollte ausserdem Gewicht verlieren und wieder mehr Sport treiben. Er zeigte eine leichte Kurzatmigkeit, keine Thoraxschmerzen, keine Palpitationen und war ohne Synkopen. Gegen seine arterielle Hypertonie (142/84) hatte er Candesartan 8 mg/Tag. Er führt einen sitzenden Lebensstil, ist adipös (BMI 31 kg/ m2), Nichtraucher, die Familienanamnese hinsichtlich ASCVD ist bland. Das Labor ergab eine eingeschränkte Nierenfunktion (eGFR 52 ml/min/1,73m2) und eine Dyslipidämie (Totalcholesterin: 5,2 mmol/l, LDL-C: 3,6 mmol/l, HDL-C: 0,7 mmol/l). Sein Nüchternglukose-Wert von 8,2 mmol/l und sein HbA1c-Wert von 6,8 Prozent waren diagnostisch für eine Diabeteserkrankung (≥ 7,0mmol/l bzw. ≥ 6,5%) (1). Aufgrund negativer Antikörper für Typ-1-Diabetes und aufgrund des Risikoprofils liegt eine viel häufiger vorkommende (90%) Typ-2-Diabeteserkrankung nahe (1).
Weiteres Vorgehen
Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes empfehlen die ESC-Guidelines, das Risiko für schwere Organschäden an der Niere (eGFR < 45 ml/min/1,73 m2) zu ermitteln, bei deren Vorliegen der Patient ein sehr hohes kardiovaskuläres Risiko hätte. Liegen keine schweren Organschäden vor, soll das 10-Jahres-Risiko für eine kardiovaskuläre Erkrankung mittels SCORE2-Diabetes-Risikorechner anhand der vorhandenen Risikofaktoren erhoben werden (1), was Einfluss auf die weitere Behandlung hat. Anhand seiner Risikofaktoren weist der Patient ein moderates 10-Jahres-Risiko zwischen 5 und 10 Prozent auf. Die kardiale Untersuchung zeigte im Echokardiogramm keine Auffälligkeiten. Das Belastungs-EKG brachte nicht spezifische ST-Segmentveränderungen hervor, die daraufhin durchgeführte Computertomografie zeigte keine signifikanten Plaques oder Stenosen, dagegen eine leichte Erhöhung des Koronarkalks (35).
Was ist zu tun?
Bei einem moderaten kardiovaskulären Risiko ohne ASCVD stellt sich die Frage, ob Lebensstilinterventionen genügen oder eine Therapie mit Metformin, SGLT2-Hemmer oder GLP-1-RA angebracht wäre. Weil auch keine schweren Organschäden vorhanden sind, empfehlen die Guidelines eine blutzuckersenkende Therapie mit Metformin (1). Gewichtsreduktion, Ernährungsumstellung auf mediterrane Diät und Steigerung der körperlichen Aktivität sind weitere Massnahmen. In den folgenden Monaten sollte zudem die Nierenerkrankung (eGFR) monitorisiert und bei einer Verschlechterung ein SGLT2-Hemmer eingesetzt werden. Ebenfalls zu kontrollieren ist der Gewichtsverlust, bei Ausbleiben soll ein gewichtsreduzierendes Antidiabetikum wie z. B. ein GLP-1-RA eingesetzt werden. Weitere Massnahmen betreffen die übrigen Risikofaktoren des Patienten wie beispielsweise die Hypertonie. Bei Patienten mit Diabetes und Blutdruckwerten von > 140/90 mmHg
ist eine Senkung auf 130 mmHg anzuvisieren, bei guter Verträglichkeit und einem Alter < 65 Jahren kann bis auf 120 mmHg gesenkt werden. Dazu kommen Kombinationen von Renin-Angiotensin-System-Hemmer und Kalziumkanalblocker oder Thiazide bzw. Thiazid-like-Diuretika in Frage. Das erhöhte LDL-C soll bei moderatem kardiovaskulärem Risiko von 3,6 auf < 2,6 mmol/l gesenkt werden. Dazu eignet sich eine Statintherapie mit einem hoch wirksamen Statin wie Rosuvastatin und Atorvastatin (1). 3. Fall: HFrEF und Diabetes Bei einer 60-jährigen Frau wurde eine Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion (HFrEF) bei einer linksventrikulären Auswurffraktion (LVEF) von 30 Prozent diagnostiziert. Die Patientin hatte weiter eine arterielle Hypertonie, eine Hyperlipidämie, litt seit 12 Jahren unter Typ-2-Diabetes und war adipös (BMI 36,7 kg/m2). Das Labor zeigte folgende Werte: NT-proBNP 514 ng/l, HbA1c 7,4%, Cholesterin 3,2 mmol/l, LDL-C 1,6 mmol/l, HDL 0,97 mmol/l. Ihre Medikationsliste umfasste Bisoprolol 2,5 mg 1 ×/Tag, Spironolacton 25 mg 1 ×/Tag, Gliclazid 60 mg, Metformin 1000 mg 3 ×/Tag, Atorvastatin 20 mg 2 ×/Tag. Weiteres Vorgehen Bei Patienten mit HFrEF empfiehlt die ESC-Guideline für das Management von Herzinsuffizienz eine 4-fach-Therapie mit ACE-Hemmer/Sartan/ARNI, Betablocker, Mineralokorti- koid-Rezeptorantagonisten und SGLT2-Hemmer sowie einem Diuretikum bei Bedarf (2). An der Medikationsliste wurden deshalb entsprechende Veränderungen vorgenom- men: Gliclazid wurde abgesetzt und Sacubitril/Valsartan 100 mg 2 ×/Tag, Dapagliflozin 10 mg 1x/Tag sowie Torase- mid 10 mg 1 ×/Tag neu dazu genommen. Eine frühzeitige Einführung einer SGLT2-Hemmertherapie bei Herzinsuffizienz wurde in grossen Studien wie EMPA- RESPONSE-AHF und EMPULSE mit Empagliflozin als wirksam und sicher eingestuft. Die STRONG-HF-Studie zeigte ausserdem, dass die Hinzunahme von neuen Medika- menten einen grösseren Nutzen bringt als eine Dosiserhö- hung von bestehenden Medikamenten. Zudem zeigte sie auch, dass eine rasche Auftitrierung innerhalb von 2 Wochen nach Spitalentlassung sicher und nutzbringend ist, so die Be- gründung für die Therapieanpassung. s Valérie Herzog Quelle: «Guidelines into practice: 2023 ESC Guidelines on cardiovascular disease and diabetes. Clinical cases». Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie (SGK/SSC), 19. bis 21. Juni, Lausanne. Referenzen: 1. Marx N et al.: 2023 ESC Guidelines for the management of cardiovascular disease in patients with diabetes. Eur Heart J. 2023;44(39):4043-4140. doi:10.1093/eurheartj/ehad192. 2. McDonagh TA et al.: 2023 Focused update of the 2021 ESC guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure. Eur Heart J. 2023;ehad195. CongressSelection Kardiologie | Pneumologie | September 2024 11