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ESC
Interview mit PD Dr. Simon Stämpfli
Was war wichtig am ESC-Kongress?
Foto: zVg
Am diesjährigen Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) in Amsterdam, an dem 24 000 Personen vor Ort und 6000 Personen virtuell teilnahmen, wurden viele Neuigkeiten vorgestellt. Darunter waren einige neue Guidelines und ein Update zu einer bestehenden Guideline. Alle sind für sich genommen wichtig und interessant. Im Interview erklärt PD Dr. Simon Stämpfli, Kardiologie, Kantonsspital Luzern, welches seine Kongresshighlights waren. Beeindruckt ist er unter anderem von der STEP-HFpEF-Studie mit Semaglutid bei Herzinsuffizienten mit erhaltener Auswurffraktion (HFpEF) und der QUEST-Studie mit einer chinesischen Kräutermischung, die Herzinsuffizienzssymptome lindert.
CongressSelection: Die STEP-HFpEF-Studie mit dem GLP-1-Rezeptor-Agonist (GLP-1-RA)
Semaglutid hat Verbesserungen bei Herzinsuf-
fizienzsymptomen, Gewicht und Funktionali-
tät gezeigt. Wie bewerten Sie diese Resultate?
Sollten jetzt alle übergewichtigen HFpEF-Pati-
enten Semaglutid erhalten?
PD Dr. Simon Stämpfli: Das ist schwierig zu beantworten nach nur einer Studie mit 500
PD Dr. Simon Stämpfli
Patienten. Es ist aber hochinteressant, zu sehen, dass, wie schon zuvor bei den SGLT2-Hem-
mern, ein Antidiabetikum bei Nicht-Diabeti-
kern mit HFpEF einen Nutzen zeigt. Erwartungsgemäss
haben die Patienten in dieser Studie unter Semaglutid Ge-
wicht verloren. Das ist sicher mit ein Grund, warum die Le-
bensqualität als primärer Endpunkt besser wurde. Man hat
aber auch gesehen, dass die Herzinsuffizienz per se besser
wird: Das NTproBNP ist unter dem GLP-1-RA gesunken.
Das ist nicht selbstverständlich. Denn dieses müsste bei sin-
kendem Bodymass-Index (BMI) eigentlich leicht ansteigen.
Dass es trotzdem sinkt, spricht dafür, dass Semaglutid einen
direkten Einfluss auf die Herzinsuffizienz hat. Auch beim
6-Minuten-Gehtest zeigte sich eine zwar kleine, aber den-
noch quantifizierbare Verbesserung gegenüber Plazebo. Ich
finde diese Resultate vielversprechend und denke, dass man
diese Therapie bei adipösen Patienten mit starken HFpEF-be-
dingten Symptomen in Erwägung ziehen sollte. Das Ein-
schlusskriterium BMI > 30 kg/m2 widerspiegelt die Realität
zudem gut, denn HFpEF-Patienten sind häufig adipös. Wir
haben für die Behandlung der HFpEF nicht viele Pfeile im
Köcher; einer mehr wäre sicher hilfreich.
Am Kongress wurde eine Studie mit einer chinesischen Kräutermischung präsentiert. Diese führte bei Herzinsuffizienzspatienten zu einer deutlichen Linderung der Herzinsuffizienzsymptome. Wie bewerten Sie das?
Stämpfli: Ich finde das faszinierend. Die Kräutermischung Qiliqianxing wird in China schon lange bei Herzinsuffizienz eingesetzt. In der nun präsentierten Studie wurde das Kräutergemisch bei über 3000 Patienten mit Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion (HFrEF) doppelblind und plazebokontrolliert untersucht. Die Patienten standen unter etablierter «westlicher» Herzinsuffizienzstandardtherapie und erhielten zusätzlich entweder 3-mal täglich 4 Kapseln Qiliqianxing oder Plazebo. Nach median 18,3 Monaten zeigte die Kräutergemisch-Gruppe im Vergleich zur Plazebogruppe eine signifikante Reduktion des primären Endpunkts, der als Kombination aus herzinsuffizienzbedingter Rehospitalisierung und kardiovaskulärem Tod definiert war. Hinsichtlich der Verträglichkeit kam es zu keinen Sicherheitssignalen. Die Frage nach dem genauen Wirkmechanismus ist jedoch nicht geklärt. Qiliqianxing besteht aus 11 Kräutern mit einer Vielzahl von Substanzen. Unter diesen finden sich Stoffe, die Herzglykosiden ähnlich sind oder auf das Renin-Angiotensin-Aldosteron-System wirken. Die Studienresultate sind interessant. Ungeklärt bleibt jedoch, ob diese auf westliche Gesellschaften übertragbar sind. Einerseits bestehen ethnische Unterschiede und andererseits muss angenommen werden, dass die Akzeptanz und damit Compliance dieser Therapie in der chinesischen Gesellschaft eine andere ist als in der westlichen Welt.
Die NOAH-AFNET Studie hat gezeigt, dass eine Antikoagulation bei Patienten mit atrialen Hochfrequenzepisoden ohne Vorhofflimmern keinen Nutzen hat und nur zu einer höheren Blutungsrate führt. Was heisst das für die Praxis? Stämpfli: Es besteht sehr gute Evidenz, dass bei Nachweis eines Vorhofflimmerns eine Antikoagulation in den meisten Fällen indiziert ist. Atriale Hochfrequenzepisoden dauern weniger als 30 Sekunden und sind daher zu kurz, um als Vorhofflimmern zu gelten. Nun hat sich in den letzten Jahren die Art der Suche nach dem Vorhofflimmern komplett verändert.
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Hat man dieses früher in einem 24-Stunden-EKG identifiziert, konnte man davon ausgehen, dass der Patient öfter im Vorhofflimmern ist. Es erstaunt daher nicht, dass hier eine Antikoagulation von Vorteil ist. Mit den modernen Methoden kann der Herzrhythmus während mehreren Wochen überwacht werden, mit Smartwatches und implantierten Devices sogar dauerhaft. Was bedeutet es nun, wenn jemand wenige Minuten pro Jahr im Vorhofflimmern ist? Braucht es da eine Antikoagulation? In der Studie erhielt eine Antikoagulation, wer während 21 Monaten mehr als 6 Minuten im Vorhofflimmern war, aufgezeichnet mithilfe eines implantierten Devices (1). Die Ergebnisse zeigten, dass diese Zeitschwelle zu tief ist. Die Studie bestätigt, dass es für eine nutzbringende Antikoagulation ein gewisses Ausmass der Vorhofflimmer-Belastung braucht. Wo die Grenze liegt, muss in weiteren Studien untersucht werden.
Die neuen Herzinsuffizienz-Guidelines geben unter anderem eine Empfehlung für die Überführung des Patienten vom Spital in die ambulante Praxis. In den ersten 6 Wochen sind enge Follow-ups vorgesehen. Wer ist dafür zuständig: das Spital oder der Hausarzt? Stämpfli: Die STRONG-HF-Studie hat gezeigt, dass ein rasches, paralleles Auftitrieren der Herzinsuffizienzmedikamente einen Vorteil bringt. Die Medikation soll noch im Spital begonnen werden und nach Entlassung ambulant im Rahmen einer engen Nachbetreuung zügig auftitriert werden. Ziel ist es, die Patienten nach einer herzinsuffizienzbedingten Hospitalisierung früher aus dem Spital zu entlassen und die Stabilisierung ambulant zu erreichen und zu überwachen. Diese ambulante Nachbetreuung wird vorwiegend die Hausärzte oder Kardiologen in der Praxis betreffen. Damit die Zusammenarbeit zwischen Spital und ambulanter Betreuung gut funktioniert, muss vom Spital ein klares Therapiekonzept mit dem genauen Aufdosierungsschema, Zieldosen und Kontrollintervallen formuliert werden.
Welche Parameter müssen dabei überwacht werden? Stämpfli: Das sind in erster Linie die tägliche Bestimmung des Gewichts und die regelmässige Aufzeichnung von Blutdruck und Herzfrequenz. Des Weiteren braucht es in der Praxis eine klinische Beurteilung hinsichtlich Volumenstatus, Symptomatik wie Belastungsdyspnoe und orthostatischer Schwindel sowie die Bestimmung der Elektrolyte, der Nierenfunktion und des NTproBNP. Letzteres liefert entscheidende Hinweise über den Zustand des Patienten betreffend das Ausmass von Herzinsuffizienz und Volumenstatus. Die Kunst besteht darin, den Volumenstatus so auszutarieren, dass der Patient euvoläm ist.
Die ESC hat auch neue Guidelines für Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen und Diabetes herausgegeben. Darin wurde Metformin zurückgestuft (von Klasse 1A zu 2A). Stattdessen ist von Anfang an der Einsatz von SGLT2Hemmern und/oder mit GLP-1-RA empfohlen. Was bedeutet das für die Praxis? Stämpfli: Die Zurückstufung von Metformin ist der mageren Evidenz in Bezug auf Outcome-Daten geschuldet. Bei den SGLT2-Hemmern und den GLP-1-RA hingegen sind mittlerweile etliche kardiovaskuläre Outcome-Studien vorhanden.
Für Patienten mit atherosklerosebedingter kardiovaskulärer Erkrankung und Typ-2-Diabetes empfiehlt die Guideline daher SGLT2-Hemmer und/oder GLP-1-RA zur Blutzuckersenkung. Wenn damit keine ausreichende Blutzuckersenkung erreicht werden kann, soll Metformin dazugegeben werden.
Betreffend Smartwatches, Wearables und künstlicher Intelligenz gab es viele Vorträge und Diskussionen. Was sind die Chancen, was die Risiken? Stämpfli: In dieser Hinsicht ist vieles im Kommen, und es wird sich einiges ändern. Darauf müssen die Hausärzte gefasst sein. Auch wenn vieles noch nicht direkt spruchreif ist, werden die Veränderungen für die Medizin die Hausärzte genauso betreffen. Grundsätzlich sehe ich aber deutlich mehr Chancen als Risiken. In der Bildgebung soll die künstliche Intelligenz (KI) den Untersucher so unterstützen, dass man speditiver arbeiten und in der gleichen Zeit mehr Patienten gut behandeln kann. Bei der Echokardiografie hilft einem die KI in der Maschine bereits heute, bestimmte Messungen rascher und präziser durchzuführen. In Zukunft wird einem die Maschine wohl Vorschläge zur Differenzialdiagnose und zum weiteren Vorgehen machen. Ich denke, dass eine solche Unterstützung die Diagnosestellung beschleunigen wird. Auch bei Rhythmusstörungen gibt es eine dahingehende Entwicklung, dass man dem Patienten zum Beispiel empfiehlt, eine Smartwatch zu kaufen, um den Herzrhythmus überwachen zu können. Es gibt auch portable EKG-Devices, die man bei sich trägt und damit bei einer auftretenden Episode eine Aufzeichnung macht. Diese wird als PDF abgespeichert und kann je nach System entweder per Mail oder via Smartphone mit der entsprechenden App an den behandelnden Arzt verschickt werden.
... es gab auch neue Endokarditis-Guidelines. Stämpfli: Darin wird unter anderem eine gute «Patient-Education» mit Nachdruck empfohlen, um das Risiko einer Endokarditis zu senken. Denn wenn ein Hochrisikopatient verstanden hat, was eine Endokarditis ist, wie sie entsteht und was er dazu beitragen kann, um diese zu verhindern, ist das eine sehr effiziente Prävention. Zu diesen Massnahmen gehören beispielsweise eine gute Zahn- und Hauthygiene, die richtige Reaktion bei Fieber unklarer Herkunft und die Abnahme von Blutkulturen vor Beginn einer Antibiotikatherapie.
Das Interview führten Christine Mücke und Valérie Herzog. s
Referenz: 1. Kirchhof P et al.: Anticoagulation with edoxaban in patients with atrial
high-rate episodes. N Engl J Med. 2023;389(13):1167-1179.
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