Transkript
ESC
Atheroskleroserisiko senken
Dyslipidämie schon im Nabelschnurblut sichtbar
Mittlerweile stehen für eine effiziente Behandlung erhöhter Lipidwerte einige Lipidsenker zur Verfügung, die bei Bedarf auch als Kombination angewendet werden können. Je früher die Therapie beginnt, desto tiefer kann das kardiovaskuläre Risiko gehalten werden. Und je früher eine Dyslipidämie entdeckt werden kann, desto besser. Das ist nun schon im Nabelschnurblut von Neugeborenen möglich.
Eine Dyslipidämie erhöht bekanntermassen das Atheroskleroserisiko und dadurch bedingte kardiovaskuläre Ereignisse. Die Atheroskleroseentwicklung steht in direktem Zusammenhang mit der Akkumulierung des Cholesterins in der Gefässwand. Eine Therapieintervention setzt häufig erst ab dem mittleren Alter beziehungsweise in einem oft schon fortgeschrittenen Stadium der Atherosklerose ein. Eine effiziente Prävention müsste aber viel früher einsetzen, wenn die Cholesterinbelastung in der Gefässwand noch nicht so gross ist, betonte Prof. Kausik Ray, Imperial College London (UK), am Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC) in Amsterdam. Ein Teil der Belastung ist genetisch determiniert, kann also schwer beeinflusst werden. Doch zeigte eine Studie, dass ein gesunder Lebensstil in der Lage ist, das Risiko für eine Koronare Herzkrankheit (KHK) zu reduzieren, auch wenn die genetische Belastung hoch ist (1). Der gesunde Lebensstil müsse allerdings schon in der Kindheit und Adoleszenz geführt werden. Im mittleren und höheren Alter sei der Effekt nicht mehr gleich hoch, schränkte Kausik ein. In den letzten Jahren sind immer mehr Pharmakotherapien mit unterschiedlicher Wirkungsweise verfügbar geworden, sodass ein erhöhtes LDL-C mittlerweile auch auf diesem Weg effizient gesenkt werden kann. Dazu gehören die Statine und Ezetimib, PCSK9-Hemmer, Inclisiran und Bempedoinsäure. Zum Zeitpunkt der lipidsenkenden Intervention könne der bereits entstandene Schaden im Gefäss zwar nicht ganz rückgängig gemacht werden, doch bestehe die Möglichkeit, den Patienten durch eine konsequente Lipidsenkung zu «verjüngen» beziehungsweise dessen Risiko auf das Niveau eines jüngeren Patienten zu senken, so Kausik. Je früher dies geschehe, desto «jünger» sei dessen Risikoniveau.
KURZ & BÜNDIG
� Erhöhte Lipidwerte können mit diversen Lipidsenkern effizient gesenkt werden.
� Mit frühzeitigem Behandlungsbeginn lässt sich das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse senken.
� Erhöhte Lipidwerte sind schon bei Säuglingen und Kleinkindern messbar.
Valable Alternative
Wenn Statine zu keiner ausreichenden Senkung des LDL-Cholesterins (LDL-C) führen oder nicht vertragen werden, sind andere Lipidsenker als Alternative oder zur Kombination gefragt. Eine dieser Optionen ist die Bempedoinsäure, ein ATP-Lyaseinhibitor, die das LDL-Cholesterin um ca. 21 Prozent (2) und zusammen mit Ezetimib bis zu 38 Prozent (3) senken kann. Erhöhtes LDL-C steigert das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse. Inwieweit eine Senkung durch Bempedoinsäure im Umkehrschluss auch das kardiovaskuläre Risiko senkt, wurde in der CLEAR-Studie untersucht. An dieser doppelblind randomisierten Studie nahmen 13 970 durchschnittlich 65-jährige, statinintolerante Patienten mit hohem kardiovaskulären Risiko oder einer manifesten kardiovaskulären Erkrankung teil. Sie erhielten während 3,4 Jahren entweder Bempedoinsäure 180 mg/Tag oder Plazebo. Als primärer Endpunkt war die Kombination aus 4 schweren kardiovaskulären Ereignissen (MACE) definiert, namentlich kardiovaskulärer Tod, nicht tödlicher Herzinfarkt, nicht tödlicher Hirnschlag und Koronarrevaskularisation. Nach 6 Monaten war der LDL-C-Spiegel in der Verumgruppe bereits um 21,1 Prozent tiefer als in der Plazebogruppe. Nach der gesamten Studienlaufzeit zeigte sich in der Verumgruppe im Vergleich zur Plazebogruppe eine um 13 Prozent tiefere Inzidenz des primären Endpunkts (Hazard Ratio [HR]: 0,87; 95%-Konfidenzintervall (KI): 0,79–0,69; p = 0,004). Gicht und Cholelithiasis waren in der Verumgruppe häufiger als unter Plazebo (3,1 vs. 2,1% bzw. 2,2 vs. 1,2%) (1). Diese Ergebnisse zeigen, dass eine Behandlung mit Bempedoinsäure das Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse (4-Punkt-MACE) signifikant reduziert. Eine vordefinierte Analyse, die von Prof. Stephen J. Nicholls, Victorian Heart Hospital, Clayton, Australien, am ESC-Kongress präsentiert wurde, ergab zudem, dass die Risikoreduktion des primären Endpunkts durch eine Reduktion von Herzinfarkten um 31 Prozent und von Koronarrevaskularisationen um 22 Prozent zustande kam, so Nicholls. Ausserdem sank neben dem LDL-Cholesterin in der Verumgruppe auch der Spiegel des Entzündungsmarkers hsCRP (high sensitive C-reaktiv protein) um 21 Prozent. Diese Ergebnisse weisen darauf hin, dass eine Verringerung von LDL-C und hsCRP unter Bempedoinsäure bei statinintoleranten Hochrisikopatienten nutzbringend sind, so Nicholls. Prof. Kausik Ray präsentierte am ESC-Kongress eine weitere vordefinierte Analyse hinsichtlich Typ-2-Diabetes. Diese
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ORION-8: Langzeitdaten von Inclisiran
Am ESC-Kongress wurde die ORION-8-Studie mit den Langzeit-Verträg-
lichkeits- und Wirksamkeitsdaten von Inclisiran präsentiert. Die Studie
war eine offene Verlängerungsstudie mit bis zu 3 Jahren Follow-up bei
3374 Patienten mit atherosklerotisch bedingter kardiovaskulärer Erkran-
kung (ASCVD) oder einem ASCVD-Risikoäquivalent oder heterozygoter
familiärer Hypercholesterinämie, die eine der vorangegangenen Studien
(ORION-3, -9, -10 oder -11) beendet hatten. Die längste Inclisiran-Exposi-
tion betrug 6,84 Jahre, im Durchschnitt jedoch 3,7 Jahre.
Als primäre Endpunkte galten die LDL-C-Zielwerte (1,8 bzw. 2,6 mmol/l)
und die Verträglichkeit, als sekundärer Endpunkt war die LDL-C-Reduk-
tion im Vergleich zum Ausgangswert definiert. Inclisiran wird halbjähr-
lich subkutan injiziert.
Nach 3 Jahren hatten knapp 80 Prozent der Teilnehmer ihre Zielwerte er-
reicht bzw. gehalten: beim Zielwert 1,8 mmol/l von 79,4 Prozent und
beim Zielwert von < 2,6 mmol/l von 74,3 Prozent. Die LDL-C-Senkung ge- genüber dem Ausgangswert lag bei Studienende bei –49,4 Prozent. Ne- benwirkungen im Zusammenhang mit der Therapie traten am häufigs- ten als Reaktionen an der Injektionsstelle (5,4%) auf. Zu Lebererkran- kungen, Diabetes oder schweren kardiovaskulären Ereignissen kam es selten (0,3%, 1,1%, 0,3%). 5,1 Prozent der Teilnehmer wiesen detektier- bare Antikörper gegen Inclisiran auf; 1,7 Prozent hatten eine persistie- rende Antikörperantwort. vh Quelle: «ORION-8: Long-term efficacy and safety of twice-yearly inclisiran in high cardiovascular risk patients. Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC), 25. bis 28. August 2023 in Amsterdam. zeigte, dass eine Bempedoinsäure-Monotherapie auch bei Diabetespatienten das kardiovaskuläre Risiko signifikant zu senken vermag. Bempedoinsäure wirkte sich ausserdem bei Patienten ohne Diabetes nicht negativ auf den Blutzucker aus und erhöhte die Neuerkrankungsrate nicht. Hohe Lipidwerte schon bei Säuglingen sichtbar Je früher eine Hypercholesterinämie diagnostiziert werden kann, desto weniger Schaden kann sie anrichten, sofern sie dann konsequent therapiert wird. Doch wie früh ist früh? Gemäss Untersuchungen bei Neugeborenen sind bereits bei der Geburt «fatty streaks», das heisst mehrlagige Schaumzellen in der Aorta, erkennbar. «Bei neugeborenen Kindern von Müttern mit erhöhten Cholesterinwerten sind solche Läsionen gehäuft», berichtete Dr. Sofie Taageby Nielsen, Rigshospitalet, Kopenhagen (DK), am ESC-Kongress. Das bedeute, dass die Entwicklung einer Atherosklerose schon mit der Geburt beginnen kann. Um das Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse im Verlauf des weiteren Lebens zu reduzieren, sei es wichtig, diese Prädisposition bei den betroffenen Kleinkindern anhand der Lipidwerte möglichst früh zu identifizieren. Um dies erkennen zu können, müsse man jedoch wissen, welche Entwicklung normal ist. Nabelschnurblut liefert Indiz Zu diesem Zweck wurden in einer Studie das Lipidprofil von Kleinkindern im Alter von 14 bis 16 Monaten untersucht. Des Weiteren interessierte, ob bereits das Nabelschnurblut hinsichtlich Lipidprofil gleich aussagekräftig ist wie das venöse Blut des Säuglings, Einflussfaktoren sowie die Entwicklung über die Zeit. Die Nabelschnurproben entstammten der grossen prospektiven dänischen Kohortenstudie «Copenhagen Baby Heart» mit über 27 000 Babys, die in einem der 3 Universitätsspitäler in Kopenhagen zur Welt kamen. In einer Substudie (COMPARE) wurden zusätzlich Blutproben von 363 Kindern im Alter von 2 Monaten und von 156 im Alter von 14 bis 16 Monaten entnommen. Es zeigte sich, dass das Lipidprofil im Nabelschnurblut mit dem des venösen Säuglingbluts korreliert. Die LDL-C-Konzentrationen waren bei neugeborenen Mädchen signifikant höher als bei Knaben, ebenso bei Frühgeborenen (< 34 Wochen) im Vergleich zu später Geborenen. Mit zunehmendem Alter des Kindes entwickelte sich das Lipidprofil je nach Ernährungsweise unterschiedlich: Die LDLC-, non-HDL-C- und Triglyzeridkonzentrationen waren bei den gestillten Kindern höher als bei den mit der Flasche gefütterten. Beim Lp(a) zeigte sich kein Unterschied. Mit 16 Monaten schon «erwachsen» Wie sieht die normale Entwicklung aus? Zum Zeitpunkt der Geburt betrug der LDL-C-Wert durchschnittlich 0,82 mmol/l und im Alter von 2 Monaten 1,68 mmol/l. Mit 14 bis 16 Monaten war das LDL-C auf mütterliche Konzentrationen angestiegen und hatte 2,27 mmol/l erreicht. Die Entwicklung bei den non-HDL-Werten verlief gleich (1,15; 2,46; 2,75 mmol/l). Die Lp(a)-Werte stiegen ebenfalls stufenweise an (1,3; 1,7; 6,3 mg/dl). Die Triglyzeride waren dagegen mit 2 Monaten am höchsten (0,7; 1,56; 1,33 mmol/l), was vermutlich mit dem hohen Anteil an gestillten Kindern zu diesem Zeitpunkt zusammenhängt. Einmal hoch, immer hoch Kinder, die schon zum Zeitpunkt der Geburt hohe Lipidkon- zentrationen (LDL-C und non-HDL-C, Lp[a]) aufwiesen (>
80. Perzentile), zeigten auch im weiteren Verlauf mit 2 sowie
14 bis 16 Monaten höhere Werte als die anderen, wobei der
Anstieg von Lp(a) am steilsten verlief. Bei Kindern mit tiefen
Werten bei Geburt blieb dies auch im weiteren Verlauf so.
Die Resultate der Studie zeigen, dass die Lipidwerte in den
ersten 14 bis 16 Monaten ansteigen und sich auf dem Er-
wachsenenniveau einpendeln. Hohe Werte bei Geburt blei-
ben auch in der weiteren Entwicklung hoch. Weil Nabel-
schnurblut einen guten Ersatz für venöses Blut darstellt,
könnte ein Lipidprofil-Screening im Nabelschnurblut bei der
Identifizierung von Kindern mit familiärer Hypercholesterin-
ämie und von jenen mit erhöhtem Atheroskleroserisiko hilf-
reich sein, so die Referentin.
Die Studie wurde zeitgleich mit ihrer Präsentation im «Euro-
pean Heart Journal» publiziert (4).
s
Valérie Herzog
Quelle: «State-of-the-art lecture on how to keep your arteries young by tackling dyslipidaemia» und «Clinical trial update on prevention and lipid lowering». Jahreskongress der European Society of Cardiology (ESC), 25. bis 28. August 2023 in Amsterdam.
Referenzen: 1. Khera AV et al.: Genetic Risk, Adherence to a Healthy Lifestyle, and Coro-
nary Disease. N Engl J Med. 2016;375(24):2349-2358. 2. Nissen SE et al.: Bempedoic acid and cardiovascular outcomes in sta-
tin-intolerant patients. N Engl J Med. 2023;388(15):1353-1364. 3. Marrs JC et al.: Bempedoic acid for the treatment of dyslipidemia. Drugs
Context. 2020 Aug 24;9:2020-6-5. 4. Nielsen ST et al.: Significance of lipids, lipoproteins, and apolipoproteins
during the first 14-16 months of life. Eur Heart J. 2023 Aug 26:ehad547.
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