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Therapie der pulmonalarteriellen Hypertonie
Ist eine Krankheitsmodifikation in Sicht?
Die therapeutischen Optionen für die pulmonalarterielle Hypertonie konnten über die letzten Jahrzehnte kontinuierlich erweitert und verbessert werden. Mittlerweile steht auch die Frage im Raum, ob mit den verfügbaren Therapien eine echte Krankheitsmodifikation erreicht werden kann. Für den vor der Zulassung stehenden Activin-Inhibitor Sotatercept wurden nun hämodynamische Daten vorgestellt, die in diese Richtung weisen.
Die pulmonalarterielle Hypertonie (PAH) ist charakterisiert durch ein vaskuläres Remodelling aufgrund der Proliferation glatter Muskelzellen in den kleinen Lungenarterien, Verdickung der Media und Entwicklung plexiformer Läsionen. Ungeachtet der jüngsten Erkenntnisse zur Pathophysiologie der PAH und den damit verbundenen therapeutischen Entwicklungen ist die Erkrankung nach wie vor unheilbar. Allerdings kann die klinische Progression bei vielen Betroffenen verlangsamt werden. Für die Behandlung der PAH sind derzeit 14 Substanzen zugelassen, die jeweils in einen von drei relevanten Signalwegen eingreifen: den Endothelin-, den Prostazyklin- und den NO-sGC-cGMP-Signalweg (1). In Kürze dürfte eine weitere Substanz mit einem alternativen Wirkmechanismus hinzukommen, nämlich der Activin-Inhibitor Sotatercept, der in der Phase-III-Studie STELLAR vor dem Hintergrund einer leitliniengerechten Therapie im Vergleich zu Plazebo zu einer signifikanten Verbesserung der 6-Minuten-Gehstrecke führte und dabei gut vertragen wurde (2). Es stelle sich nun die Frage, ob die verfügbaren Therapien nicht nur das Erreichen bestimmter Endpunkte hinauszögern, sondern eine echte krankheitsmodifizierende Wirkung entfalten, so Prof. Olivier Sitbon von der Université ParisSaclay. «Disease modifying»-Therapien sind dadurch definiert, dass sie die Progression einer Erkrankung verzögern oder verhindern, indem sie ursächlich in den Krankheitsprozess eingreifen (3). Damit unterscheiden sie sich von rein symptomatischen Therapien, die nicht an der zugrundeliegenden Ursache der Erkrankung ansetzen (4). Krankheitsmodifizierende Medikamente seien heute für immer mehr Erkrankungen verfügbar, so Sitbon. Dabei können 5 Stufen des Therapieerfolgs definiert werden, nämlich die Verzögerung der Progression, das Aufhalten der Progression, die Verbesserung des Zustandes, eine Remission und schliesslich Heilung. Im Falle der PAH bedeute dies, dass eine Heilung derzeit durch eine Lungentransplantation erreicht werden kann. Eine Remission ist bei der kleinen Minderheit von Patienten mit vasoreaktiver Erkrankung durch den Einsatz von Kalziumkanablockern möglich. Diese Patienten haben unter Therapie eine weitgehend normale Lebenserwartung. Eine Verlangsamung und in manchen Fällen auch ein Aufhalten der Progression gelingt in den meisten Fällen
mit dem heute verfügbaren PAH-Armentarium. Hinzu kommen noch rein symptomatische Therapien wie zum Beispiel Diuretika bei symptomatischer Rechtsherzinsuffizienz.
PAH-Medikamente beeinflussen vaskuläres Remodelling
Im Gegensatz dazu verbessern die PAH-Medikamente nicht nur die Symptome, sondern auch die Hämodynamik, sie reduzieren die klinische Verschlechterung und verbessern das Überleben. Es sei allerdings fraglich, so Sitbon, ob sie die endotheliale Dysfunktion beeinflussen oder reine Vasodilatatoren sind. Tatsächlich gäbe es Hinweise, dass die Wirkung dieser Substanzen über die reine Vasodilatation hinausgehe. So konnte im Tiermodell mit dem Endothelin-Rezeptorantagonisten Macitentan nicht nur eine verbesserte Hämodynamik, sondern auch ein vermindertes vaskuläres Remodelling gezeigt werden (5). Antiproliferative Effekte an glatten Muskelzellen konnten in In-vitro-Studien mit humanen Zellen auch für den PDE5-Inhibitor Sildenafil (6) sowie später auch für Tadalafil und Vardenafil (7) demonstriert werden. Auch Prostazyklinanaloga zeigen derartige Effekte (8).
Sehr unterschiedliche Wirkung auf den Krankheitsverlauf
Damit stelle sich die Frage, so Sitbon, ob die zugelassenen PAH-Medikamente den Krankheitsverlauf verändern können. Hier zeigten die verfügbaren Daten individuell sehr unterschiedliche Ergebnisse, und in manchen Fällen könne man von «markanten Effekten auf die Hämodynamik» sprechen, so Sitbon. Insbesondere gelte das dann, wenn Dreifachkombinationen zum Einsatz kommen. Dies wurde mit einer aggressiven Reduktion der Nachlast und deren protektivem Effekt auf den rechten Ventrikel in Zusammenhang gebracht (9). Sitbon selbst publizierte vor fast zehn Jahren eine Fallserie mit Patienten, bei denen mit einer initialen aggressiven Kombinationstherapie inklusive eines parenteralen Prostazyklinanalogons annähernd eine Normalisierung der klinischen Parameter erreicht werden konnte (10). Dieser Erfolg konnte einige Jahre später mit einem ähnlichen Regime wiederholt werden, wobei sich auch ein günstiger Effekt auf diverse radiologische Parameter des rechten Herzens zeigte
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(11). Ein günstiger Effekt initialer Dreifachkombinationstherapien auf die Prognose konnte mittlerweile auch in grösseren Kohorten demonstriert werden (12). Nicht zuletzt wies Sitbon auch darauf hin, dass bei speziellen, sekundären Formen der PAH durch die Behebung der Ursache in Kombination mit PAH-Medikamenten eine Normalisierung der Hämodynamik erreicht werden könne. Dies gilt beispielsweise für die portopulmonale Hypertonie, bei der durch die Kombination von Lungentransplantation und PAH-Therapie die Progression der Erkrankung zum Stillstand gebracht wird. Dazu erfolgt initial eine aggressive medikamentöse Behandlung der PAH, auf die, je nach Wartezeit, die Transplantation folgt. 6 Monate nach der Transplantation erfolgt unter engem Monitoring eine Anpassung der medikamentösen Therapie. Bei rund 30 Prozent der Patienten kann die PAH-Therapie komplett abgesetzt werden, ohne dass es zu einem Rezidiv der PAH kommt (13). Auch bei HIV-assoziierter PAH kann durch medikamentöse PAHTherapie eine Normalisierung der Hämodynamik erreicht werden (14).
Hämodynamische Daten zu Sotatercept
Auf dem ERS-Kongress wurden ermutigende Daten zum Activin-Inhibitor Sotatercept präsentiert. Sotatercept ist ein Fusionsprotein, das an den Activin Rezeptor Type IIA (ActRIIA) bindet und damit das Activin-Signal blockiert. Dieses spiele in der Pathophysiologie der PAH eine wichtige Rolle, so Studienautor Prof. Marius Hoeper von der Medizinischen Hochschule Hannover, da PAH keine durch Vasokonstriktion getriebene Erkrankung sei. Vielmehr habe sie ihre Ursache in der Proliferation von glatten Muskel- und Endothelzellen in den Lungenarterien, die schliesslich zur Obliteration der Lumina führe. Auf molekularer Ebene liegt dem ein Ungleichgewicht zwischen antiproliferativen und proproliferativen Faktoren aus der TGF-beta-Superfamilie zugrunde. Aktivine spielen im Rahmen der proproliferativen Signalübertragung eine wichtige Rolle. Hier setzt Sotatercept durch Blockade der Aktivine an. Darüber hinaus gibt es mittlerweile auch Hinweise, dass die proliferierten Zellen in Apoptose gebracht werden können, wenn ihr aktivierender Signalweg unterbrochen wird. In der Zulassungsstudie STELLAR fiel auf, dass Sotatercept nicht nur die 6-Minuten-Gehstrecke (6MWD) relativ zu Plazebo verbessert, sondern darüber hinaus eine Verbesserung von rund 40 Metern im Vergleich zum Ausgangswert bewirkte, wie Hoeper ausführte. Dieser Erfolg wurde in einer Population von Patienten erreicht, die aufgrund ihrer schweren Erkrankung bereits massiv behandelt wurde, teilweise auch parenteral. Nahezu alle sekundären Endpunkte wurden ebenfalls verbessert. Das Risiko für eine klinische Verschlechterung konnte signifikant um 84 Prozent reduziert werden (2). Aktuelle Auswertungen der Studie STELLAR, die im Rahmen des ERS-Kongresses in Mailand vorgestellt wurden, weisen in Richtung einer tatsächlich krankheitsmodifizierenden Wirkung von Sotatercept (15). Für die Post-hoc-Analyse hinsichtlich der hämodynamischen Parameter wurden hämodynamische Daten von 298 und Echokardiografien von 275 Patienten ausgewertet. Erstmals konnte in einer Studie zur PAH eine signifikante und stabile Senkung des Blut-
drucks in der Lungenarterie (mPAP) um –13,9 mmHg gezeigt werden. Darüber hinaus nahmen der pulmonale Gefässwiderstand ebenso wie der mittlere Druck im rechten Ventrikel und damit auch die Dilatation des rechten Ventrikels sowie die Regurgitation durch die Trikuspidalklappe signifikant ab – ein Erfolg, der bislang in keiner PAH-Studie erreicht werden konnte, so Hoeper. Die Reduktion des mittleren pulmonalarteriellen Drucks korrelierte gut mit den klinischen Daten, insbesondere der Abnahme von NT-proBNP sowie der 6MWD. Signifikante Verbesserungen zeigte auch die Sonographie. So verbesserte sich das Verhältnis von TAPSE (Tricuspid Annular Plane Systolic Excursion) zu pulmonalarteriellem Druck, das Aussagen zu Kompensation beziehungsweise Dekompensation des Ventrikels erlaubt. Die Dilatation des rechten Ventrikels nahm signifikant ab. Mehrere weitere, am ERS 2023 vorgestellte Arbeiten weisen in die gleiche Richtung. So zeigte eine Verlängerungsstudie der Phase-II-Studie PULSAR und der Phase-III-Studie STELLAR nach einer medianen Exposition von 462 Tagen, dass die in den klinischen Studien erreichten Verbesserungen von 6MWD, NT-proBNP, WHO-Funktionsklasse und der French Risk Score (FRS) in der offenen Verlängerungsphase über ein Jahr erhalten blieben. Primärer Endpunkt dieser Langzeitstudie war jedoch die Sicherheit, wobei sich ebenfalls ein erfreuliches Bild zeigte. In der gesamten, schwerkranken Kohorte kam es bei lediglich sieben Studienteilnehmern zu neun Ereignissen im Sinne einer klinischen Verschlechterung, darunter drei Todesfälle und drei Hospitalisierungen im Zusammenhang mit der PAH. Häufigste Nebenwirkungen waren Teleangiektasien, die bei 93 Studienteilnehmern (23%) auftraten und in keinem Fall als schwerwiegend bewertet wurden (16).
Modellrechnung spricht für Senkung der Mortalität
Was aus STELLAR bislang fehlt, sind Mortalitätsdaten, für die die Studie nicht die Power hatte. Nun wurde versucht, diese Lücke mit einem mathematischen Modell zu schliessen. Dazu bedienten sich die Autoren des von den Leitlinien vorgegebenen Therapieziels «Niedrigrisikostatus». Dieser wurde in STELLAR von den Patienten in der SotaterceptGruppe signifikant häufiger erreicht. Ausgehend von diesen Daten lässt sich das Überleben unter Sotatercept vor dem Hintergrund einer leitliniengerechten Basistherapie modellieren, wozu auch Daten des europäischen COMPERA-Registers herangezogen wurden. Mit Hilfe eines für die Studie entwickelten Modells wurde ein erheblicher Überlebensvorteil für Sotatercept errechnet, der mehr als elf Jahre betragen könnte, was einer Überlebensverlängerung auf das Dreifache entspricht. Auch Reduktionen der Hospitalisierungen und Transplantationen sind wahrscheinlich, wobei die Autoren explizit darauf hinweisen, dass die Limitationen mathematischer Prädiktionsmodelle bedacht werden müssen (17). s
Reno Barth
Quelle: ERS 2023, Sessions «Novelties in pulmonary hypertension management», am 10. September und «From the Editor̕s Desk», am 11. September in Mailand.
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nary Arterial Hypertension. N Engl J Med. 2023;388(16):1478-1490. 3. McFarthing K et al.: Parkinson̕s Disease Drug Therapies in the Clinical
Trial Pipeline: 2022 Update. J Parkinsons Dis. 2022;12(4):1073-1082. 4. Morató X et al.: Symptomatic and Disease-Modifying Therapy Pipeline
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