Transkript
ERS
Rheumatoide Arthritis
Lungenbeteiligung – eine spezielle Kombination
Auch bei der rheumatoiden Arthritis kann es zu einer Beteiligung der Lunge, unter anderem im Sinne einer interstitiellen Lungenerkrankung, kommen. Dies ist zwar seltener als bei anderen rheumatischen Erkrankungen, zeigt jedoch sowohl in der Bildgebung als auch auf molekularer Ebene deutlichere Gemeinsamkeiten mit der idiopathischen Pulmonalfibrose (IPF).
Die Lungenbeteiligung im Sinne einer interstitiellen Lungenerkrankung (ILD) ist bei entzündlich rheumatischen Erkrankungen generell häufig. Die rheumatoide Arthritis (RA) fällt in dieser Hinsicht jedoch auf gewisse Weise aus dem Rahmen. So ist die Inzidenz der ILD in der RA-Population mit 2 bis 10 Prozent relativ gering, während unter den Patienten mit systemischer Sklerose (SSc) bis zu 50 Prozent eine ILD aufweisen. Da aber die RA mit einer Prävalenz von bis zu 1 Prozent in der Bevölkerung um mehr als den Faktor 10 häufiger ist als die SSc, stellt die ILD im Gefolge der RA quantitativ auch ein nicht zu unterschätzendes Problem dar, wie Prof. Katerina Antoniou, Universität Kreta, ausführte. Die Besonderheiten der RA-ILD betreffen auch das Muster, mit dem sich die Erkrankung im hochauflösenden CT (HRCT) präsentiert. Die RA ist nämlich die einzige rheumatische Erkrankung, bei der sich eine Lungenbeteiligung vornehmlich als «usual interstitial pneumonia» (UIP) manifestiert, während beispielsweise bei der SSc oder einer Myositis das Bild der «non specific interstitial pneumonia» (NSIP) vorherrscht. Die UIP stellt gewissermassen den «worst case» unter den verschiedenen ILD-Manifestationen dar, und sie ist im Vergleich zur NSIP mit einer ausgeprägteren Tendenz zur Progression und einer schlechteren Prognose assoziiert (1). Eine kürzlich durchgeführte Datenbankenanalyse ergab in einer RA-Kohorte eine ILD-Prävalenz von 4,1 Prozent. Als Risikofaktoren wurden höheres Patientenalter, männliches Geschlecht, eine schwerere RA-Manifestation, eine komorbide COPD und Rauchen identifiziert (1). Auch eine nichtinterstitielle Lungenbeteiligung, etwa in Form von pulmonalen Rheumaknoten oder Bronchiektasen, wird bei RA ebenso beobachtet wie eine Beteiligung der Pleura (2). Ein 2022 publizierter Risikoscore (3) beruht auf Geschlecht, Alter bei Beginn der Erkrankung, Krankheitsaktivität (DAS28-ESR) sowie einem genetischen Marker (MUC5B rs35705950).
Pathologie der rheumatoiden Arthritis beginnt in der Lunge
Antoniou wies darauf hin, dass die Lunge das Organ sein dürfte, von dem der Pathomechanismus der RA durch eine übersteigerte Citrullinierung von Proteinen ausgehe (4),
wenn dort ungünstige Umwelteinflüsse und genetische Suszeptibilität aufeinandertreffen. Studien zeigen bereits früh im Verlauf einer RA pulmonale Auffälligkeiten. So fand eine Studie bei Patienten mit frisch diagnostizierter ACPA-positiver RA im Vergleich zu gesunden Kontrollen weniger Stickstoffmonoxid (NO) in der Ausatemluft, im Alveolarkompartiment sowie in der Bronchialwand, dafür aber eine höhere Diffusionskapazität für NO. Mit Beginn einer Behandlung mit Methotrexat ging zwar die Krankheitsaktivität zurück, die auffällige NO-Dynamik verbesserte sich jedoch nicht (5). Eine französische Gruppe beschrieb Gemeinsamkeiten zwischen der RA-ILD und der idiopathischen Pulmonalfibrose (IPF) (6). Dies bezieht sich sowohl auf den Risikofaktor Rauchen als auch auf gemeinsame Risikogene und das UIP-Muster. Beide Krankheiten werden hauptsächlich bei Männern in der fünften oder sechsten Lebensdekade diagnostiziert. Nicht zuletzt konnte auch bei der IPF eine Hochregulation der mit Citrullinierung assoziierten Signalwege beobachtet werden (7). Und auch bei der RA-ILD dürfte eine Verkürzung der Telomere eine Rolle spielen. Eine verstärkte Expression entsprechender Gene wurde nachgewiesen.
Lungenbeteiligung und bisher unbekannte RA suchen
Antoniou betonte auch, dass nicht nur bei RA-Patienten auf Anzeichen einer Lungenbeteiligung geachtet werden sollte, sondern dass auch bei Personen mit bekannter interstitieller Lungenerkrankung die Anzeichen einer noch unbekannten RA nicht übersehen werden dürften. Dazu gehören beispielsweise Morgensteifigkeit und Gelenkschwellungen. Die weitere Abklärung sollte im multidisziplinären Team erfolgen (8). Kadura und Ragu unterstreichen in ihrer Übersichtsarbeit, dass bei interstitiellen Auffälligkeiten im HRCT immer Rheumafaktor und Anti-CCP bestimmt werden sollten (2). Innerhalb der Patientenpopulation mit RA-ILD hat sich ein hoher Rheumafaktortiter als ungünstiger prognostischer Marker erwiesen und ist sowohl mit einer mediastinalen Lymphadenopathie als auch mit Mortalität assoziiert (9). Kohortenstudien zeigten darüber hinaus Assoziationen des Proteins CXCL11/I-TAC und der Matrix-Metalloprotease (MMP) 13
10 CongressSelection Allergologie | Pneumologie | Dezember 2023
ERS
mit dem Outcome nach fünf Jahren. Insgesamt kam es in dieser Kohorte bei rund einem Drittel der Population zu einer pulmonalen Verschlechterung, ein Drittel blieb stabil und bei einem Drittel konnte eine Besserung der ILD festgestellt werden (10). Eine verzögerte ILD-Diagnose führt innerhalb der RA-Population zu erhöhter Sterblichkeit. Das Absetzen von Methotrexat oder Leflunomid nach einer ILD-Diagnose war mit einer Progression der Erkrankung assoziiert. Dies ist insofern bemerkenswert, als insbesondere MTX häufig angeschuldigt wurde, eine ILD ungünstig zu beeinflussen (11).
Zahlreiche potenzielle Angriffspunkte für (zukünftige) Therapien
Die komplexe Genese sowohl der RA als auch der RA-assoziierten ILD bietet eine Reihe innovativer und derzeit nur zum Teil genutzter therapeutischer Angriffspunkte. Kadura und Raghu identifizieren in der eingangs erwähnten Übersichtsarbeit 6 potenzielle therapeutische Schritte: 1. Der 1. Schritt ist der Nikotinstopp, der die pathologische
Kaskade in ihren Anfängen beeinflussen kann. 2. Als 2. Schritt könnten CD20-Rezeptorblocker zum Ein-
satz kommen, die die Proliferation pathologischer B-ZellKlone unterbinden. 3. An dieser Stelle greifen auch antiproliferative oder zytotoxische Agentien (z. B. Cyclophosphamid und Mycophenolat) in das Geschehen ein. 4. Den nächsten Schritt der Eskalation stellen Anti-TNF-Biologika dar, die heute Standardtherapien bei RA sind. 5. Schritt 5 wären in diesem Konzept Inhibitoren von Interleukin 6 (Tocilizumab) und 6. Schritt 6 schliesslich Antifibrotika, wobei lediglich für Nintedanib eine diesbezügliche Zulassung besteht (2). Antoniou unterstrich, dass dieses Konzept den gesamten pathologischen Prozess von der Genese bis zur Lungenfibrose erfasse, jedoch noch in Studien auf seine praktische Umsetzbarkeit, Wirksamkeit und Verträglichkeit geprüft werden müsse. Guidelines für das Management der RA-ILD gibt es mangels Evidenz derzeit nicht, so Antoniou. Insbesondere die Effekte der bei RA eingesetzten DMARD auf die ILD seien weitgehend unbekannt. Jedenfalls werde empfohlen, an der laufenden Therapie nichts zu verändern, wenn die ILD stabil bleibe. Die bei der IPF eingesetzten Antifibrotika können bei progredienter Erkrankung eingesetzt werden. Ein holistischer Zugang mit einem starkem Fokus auf die Lebensqualität, wie er beispielsweise für die SSc-ILD gefordert wurde (12), sei auch im Falle der RA-ILD begrüssenswert, so Antoniou. In naher Zukunft soll eine Leitlinie des American College of Rheumatology (ACR) zum Screening und Monitoring interstitieller Lungenerkrankungen bei Patienten mit systemischen Autoimmunerkrankungen publiziert werden. Die Leitlinie soll Rheumatologen bei der Identifikation von ILD unterstützen; sie befindet sich derzeit im Reviewprozess.
Präzisionsmedizin für ILD noch nicht in Sicht
Prof. Athol Wells vom Royal Brompton Hospital in London wies darauf hin, dass der von der IPF bekannte und auch bei RA-ILD vorkommende Mechanismus der ungehemmten Progression nach wie vor nicht verstanden werde und präzi-
sionsmedizinische Ansätze daher noch in den Kinderschuhen
stecken. Im Falle der idiopathischen Pulmonalfibrose habe
sich die Kenntnis der zugrundeliegenden Molekularpatholo-
gie so weit entwickelt, dass sie nicht mehr als kryptogen ein-
geschätzt wird. Sie bleibe jedoch idiopathisch, weil es immer
noch unklar sei, warum die Erkrankung hemmungslos pro-
gredient verlaufe. Bislang sei es nicht gelungen, einen primä-
ren Signalweg für die Progression zu identifizieren. Dieser sei
aber notwendig, um ein Konzept der Präzisionsmedizin wie
in der Onkologie auch auf die IPF anwenden zu können.
Mangels entsprechender Targets erfolge die Therapie aktuell
mit «hochgradig pleiotropen dirty drugs».
Am nächsten kommt man der Präzisionsmedizin aktuell in
der Diagnostik. So wurde vor zwei Jahren ein molekularer
Classifier präsentiert, der in einer Studie mit 96 Patienten im
Vergleich zur Biopsie als Goldstandard die Diagnose einer
UIP unabhängig vom HRCT ermöglichte (13). Die Spezifität
wurde mit 92 Prozent angegeben, die Sensitivität allerdings
nur mit 62 Prozent. Dies ist insofern relevant, als aktuelle
IPF-Leitlinien im Falle unklarer Klinik und Radiologie eine
chirurgische Lungenbiopsie empfehlen, die gerade in der
schwerkranken IPF-Population mit erheblicher Morbidität
und sogar Mortalität assoziiert ist. Dieser Test könne, so
Wells, in Kombination mit einem HRCT und klinischen Be-
funden in einem multidisziplinären Panel die Diagnose einer
IPF ermöglichen, ohne den Patienten dem Risiko einer chir-
urgischen Biopsie aussetzen zu müssen. Dies sollte auch für
die multimorbiden Patienten mit RA-ILD von hoher Rele-
vanz sein, wobei Daten zur Anwendung in dieser Population
bislang fehlen.
s
Reno Barth
Quelle: ERS 2023, State of the art session «Interstitial lung diseases», am 12. September in Mailand.
Referenzen: 1. Zhuo J et al.: Epidemiology and clinical characteristics of interstitial lung
disease in patients with rheumatoid arthritis from the JointMan database. Sci Rep. 2023;13(1):11678. 2. Kadura S et al.: Rheumatoid arthritis-interstitial lung disease: manifestations and current concepts in pathogenesis and management. Eur Respir Rev. 2021;30(160):210011. 3. Juge PA et al.: A Risk Score to Detect Subclinical Rheumatoid Arthritis-Associated Interstitial Lung Disease. Arthritis Rheumatol. 2022;74(11):17551765. 4. Laria A et al.: Interstitial Lung Disease in Rheumatoid Arthritis: A Practical Review. Front Med. (Lausanne). 2022;9:837133. 5. Weitoft T et al.: Exhaled nitric oxide in early rheumatoid arthritis and effects of methotrexate treatment. Sci Rep. 2022;12(1):6489. 6. Juge PA et al.: Recent advances in rheumatoid arthritis-associated interstitial lung disease. Curr Opin Pulm Med. 2020;26(5):477-486. 7. Samara KD et al.: Upregulation of citrullination pathway: From Autoimmune to Idiopathic Lung Fibrosis. Respir Res. 2017;18(1):218. 8. England BR et al.: Management issues in rheumatoid arthritis-associated interstitial lung disease. Curr Opin Rheumatol. 2020;32(3):255-263. 9. Tyker A et al.: High-titer rheumatoid factor seropositivity predicts mediastinal lymphadenopathy and mortality in rheumatoid arthritis-related interstitial lung disease. Sci Rep. 2021;11(1):22821. 10. Chen J et al.: Predictors of long-term prognosis in rheumatoid arthritis-related interstitial lung disease. Sci Rep. 2022;12(1):9469. 11. Cano-Jiménez E et al.: Diagnostic delay of associated interstitial lung disease increases mortality in rheumatoid arthritis. Sci Rep. 2021;11(1):9184. 12. Hoffmann-Vold AM et al.: The need for a holistic approach for SSc-ILD achievements and ambiguity in a devastating disease. Respir Res. 2020; 21(1):197. 13. Richeldi L et al.: Utility of a Molecular Classifier as a Complement to High-Resolution Computed Tomography to Identify Usual Interstitial Pneumonia. Am J Respir Crit Care Med. 2021;203(2):211-220.
12 CongressSelection Allergologie | Pneumologie | Dezember 2023