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ERS
Asthma & COPD
Die distale Lunge im Fokus des Interesses
Die «Assessment of Small Airways Involvement in Asthma»-(ATLANTIS)-Studie war die erste grosse, multinationale Studie zur Rolle der distalen Atemwege im Rahmen von Asthma bronchiale. ATLANTIS zeigte, dass eine SAD bei Asthma aller Schweregrade vorhanden ist und dass sich SAD-Marker zur Prädiktion von Asthmakontrolle und Exazerbationsrisiko eignen.
Sowohl bei einem Asthma bronchiale als auch bei einer chronisch obstruktiven pulmonalen Erkrankung (COPD) werden die Verbesserung der Symptomatik und die Prävention von Exazerbationen angestrebt. Bei beiden Erkrankungen sollte regelmässig die Lungenfunktion überprüft werden. Dies geschieht in der klinischen Realität durch Messung der Einsekundenkapazität (FEV1) und der forcierten Vitalkapazität (FVC). Allerdings weist Prof. Monika Kraft, Icahn School of Medicine at Mount Sinai in New York, darauf hin, dass die Einsekundenkapazität einen entscheidenden Nachteil hat: Sie erlaubt keine Aussagen über den Zustand der kleinen Atemwege mit weniger als zwei Millimetern Durchmesser. Aktuelle Entwicklungen, einerseits in der Bildgebung und andererseits bei den physiologischen Messverfahren, haben jedoch den Zugang zu dieser «stillen Zone» der Lunge in den vergangenen Jahren erleichtert. Hinweise auf die klinische Bedeutung einer Beteiligung der kleinen Atemwege gibt es seit mehr als 20 Jahren. So zeigen Bronchogramme bei schwerem und fortgeschrittenem Asthma eine deutliche Ausdünnung der peripheren Bereiche des Bronchialbaums, zunehmend mit der Schwere der Erkrankung. Die distale eosinophile Entzündung erwies sich als assoziiert mit einem Verlust an Lungenfunktion (1). Auch eine Assoziation einer «Small Airway Diesease» (SAD) mit tödlichen Asthmaverläufen wurde nachgewiesen (2). Verfahren, mit denen Informationen über die distale Lunge gewonnen werden können, sind die Ganzkörperplethysmographie und die Impulsoszillometrie, FEF 25% bis 75% (definiert als forcierte exspiratorische Flussrate bei 25 bis 75% der Vitalkapazität) sowie die verschiedenen Stickstoffauswaschtests, die Aussagen bis in den Bereich der Azini ermöglichen.
Small Airway Disease auch bei COPD von Bedeutung
Kraft betonte, dass eine Dysfunktion der distalen Atemwege auch im Kontext einer COPD klinisch relevant und aussagekräftig sei. Sie kann beispielsweise ein früher Vorläufer eines Emphysems sein und zu einer Überblähung führen, die wiederum eine reduzierte Belastbarkeit, Dyspnoe und Dekonditionierung bedingt. Die Dysfunktion der distalen Atemwege tritt als Folge des Rauchens und/oder einer Exposition gegen-
über Umweltschadstoffen ein und wird durch zunehmendes Alter und Übergewicht verstärkt. Studiendaten zeigen einen Verlust an distalen Atemwegen, der bereits bei leichter Erkrankung nachweisbar ist, in höheren GOLD-Stadien jedoch noch einmal deutlicher wird (3). Kraft: «Wenn wir die Dysfunktion der distalen Atemwege mit bildgebenden Verfahren oder Lungenfunktionstests messen können, können wir auf diesem Weg auch die Frühdiagnostik der COPD verbessern.» Auch bei einem Asthma bronchiale liegt eine Dysfunktion der kleinen Atemwege bereits zu einem Zeitpunkt vor, an dem in aller Regel noch keine Asthmadiagnose vorliegt. Gerade bei Kindern sei Asthma vor allem ein Problem der distalen Lunge, das mit zunehmendem Alter nach proximal vorrücke. Die entscheidende Frage bei beiden Erkrankungen sei, ob sich durch eine Behandlung der distalen Atemwege die Progression der Erkrankung von Atemwegen und Parenchym aufhalten lasse.
ATLANTIS: Asthma-Kohorte mit mehr als 700 Patienten
Um mehr und bessere Evidenz zur Bedeutung der kleinen Atemwege für die Diagnose, die Therapie und die Prognose von Asthma zu generieren, wurde die Studie ATLANTIS (AssessmenT of smalL Airways involvemeNT In aSthma) ins Leben gerufen. Die Studie soll die physiologischen und bildgebenden Variablen identifizieren, die das Vorhandensein und die Ausprägung einer Erkrankung der kleinen Atemwege im Rahmen von Asthma sowie die Assoziationen mit Exazerbationen, Asthmakontrolle und Lebensqualität erfassen. Damit wird in ATLANTIS auch die Frage gestellt, welche Testverfahren am besten zur Diagnostik einer SAD geeignet sind und am besten mit Asthmakontrolle und zukünftigem Risiko von Exazerbationen korrelieren. Überprüft wurden Spirometrie, die Messung der Lungenvolumina, die Impulsoszillometrie, verschiedene Stickstoffauswaschtests sowie die Bestimmung des Abfalls der forcierten Vitalkapazität während eines Methacholintests. Dabei wurden Messwerte sowohl im Querschnitt als auch longitudinal generiert und verglichen, um Assoziationen zwischen dem Zustand der distalen Lunge und klinischen Endpunkten, wie zum Beispiel Exazerbationen, zu identifizieren. Aus Forschungsinte-
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resse wurden in einem Teil der ATLANTIS-Population auch Untersuchungen wie Computertomografie oder Bronchoskopie vorgenommen, die im klinischen Alltag in der Asthmadiagnostik keine Rolle spielen. Im Rahmen von ATLANTIS wurde auch ein Fragebogen für ein Screening auf Erkrankungen der distalen Lunge evaluiert. In ATLANTIS wurden eine typische Kohorte von 773 Personen mit mittelschwerem Asthma sowie 99 Kontrollen untersucht. Raucher wurden nicht aus der Studie ausgeschlossen. Die grosse Mehrzahl der Probanden befand sich auf GINAStufe 3 oder 4. Die anderen Stufen – also leichtes oder schweres Asthma – waren deutlich seltener vertreten, was, so Kraft, den Erfahrungen aus dem klinischen Alltag gut entspreche. Auch hinsichtlich anderer Parameter war die Kohorte mit einem Frauenanteil von 58 Prozent nicht ungewöhnlich. Fast alle Teilnehmer wurden mit inhalativen Kortikosteroiden (ICS) behandelt, 81 Prozent waren Atopiker, bei 39 Prozent hatte das Asthma bereits in der Kindheit begonnen, nur 15 Prozent hatten im Jahr vor Einschluss in die Studie zumindest eine Exazerbation durchgemacht. Obwohl es sich um eine Gruppe mit relativ milder Erkrankung handelte, konnte bei mehr als 90 Prozent der Kohorte mit zumindest einem der eingesetzten Tests eine Beteiligung der kleinen Atemwege nachgewiesen werden. Die Diskrepanz zwischen den Ergebnissen der verschiedenen Verfahren resultiert daraus, dass sie Pathologien in jeweils unterschiedlichen Bereichen der kleinen Atemwege identifizieren. Beispielsweise wurde mit multiplen Stickstoffauswaschtests, die die extreme Periphere der Lunge, also die Azini und die prä-azinären Atemwege erfassen, lediglich bei knapp 20 Prozent der Kohorte eine Beteiligung der kleinen Atemwege festgestellt. Tests, die etwas höher im Bronchialbaum ansetzen, zeigten häufiger Auffälligkeiten (4). In weiterer Folge wurden die Assoziationen dieser Messungen mit Asthmakontrolle, Exazerbationen und Lebensqualität in uni- und multivariaten Analysen korreliert.
Impulsoszillometrie bewährt sich in der Diagnostik von SAD
Die univariaten Analysen wurden im vergangenen Jahr publiziert (5). Die Auswertung zeigte eine hohe Aussagekraft der Impulsoszillometrie (Strömungswiderstand und Reaktanz), deren Ergebnisse ebenso wie die Einsekundenkapazität sowohl mit der Asthmakontrolle als auch mit der Lebensqualität korrelierten. Die Resultate von Stickstoffauswaschtests und Impulsozillometrie korrelierten auch mit Exazerbationen. Im Gegensatz dazu wurden keine Korrelationen zwischen CT-Befunden und Symptomatik, Exazerbationen oder Lebensqualität gefunden. Dieses Ergebnis war überraschend, so Kraft, und wird in weiteren Untersuchungen evaluiert. Aufgrund der Assoziation zwischen Impulsoszillometrie und Exazerbationen wurde die Impulsoszillometrie einem Score zur Abschätzung des Exazerbationsrisikos hinzugefügt. Mit dieser Ergänzung verlor die Einsekundenkapazität als Parameter des Scores ihre Signifikanz. Man vermutet, so Kraft, dass bei Patienten, bei denen die Erkrankung der kleinen Atemwege im Vordergrund steht, die Ergebnisse der Impulsoszillometrie so weit an Bedeutung gewinnen, dass das FEV1 in den Hintergrund tritt. Die Impulsoszillometrie zur Diagnostik der peripheren Atemwege könne daher ein wertvolles Tool in der Bestimmung des individuellen Exazerbationsrisi-
kos sein, wie Kraft ausführte. Darüber hinaus kann sie als Prädiktor von zunehmender Symptomatik und schlechter Lebensqualität gewertet werden. Die Ergebnisse des Scores sollen nun in einen therapeutischen Algorithmus integriert werden.
Therapie von SAD: Kleine Partikel für kleine
Atemwege
Aus diesen Befunden ergibt sich auch die Frage, wie eine Er-
krankung der distalen Lunge wirksam behandelt werden
kann. Evidenz dazu existiert bereits – wenn auch in be-
schränktem Umfang. Kraft wies auf Studien mit Beclometha-
son/Formoterol in einer extrafeinen Formulierung hin, mit
der bei Patienten mit COPD eine gute Wirkung auf die klei-
nen Atemwege demonstriert werden konnte, gemessen mit
Impulsoszillometrie, Spirometrie und Plethymografie. Dieser
Effekt korrelierte mit der Symptomatik, gemessen mit dem
CAT-Score (6).
Es müsse nun in grösseren Studien untersucht werden, wie
Medikamente am besten in die distalen Lungenabschnitte
gebracht werden könnten, so Prof. Omar Usmani vom Impe-
rial College London. Die Verbesserung der medikamentösen
Optionen in diesem Bereich ist eine von 7 Säulen des Ma-
nagements von SAD, wie sie bereits vor 2 Jahren in einem
Konsensusdokument definiert wurden (7). Generell bestehe
das Problem, so Usmani, dass die distalen Atemwege mit den
marktüblichen Inhalatoren nur unzureichend erreicht wür-
den. Für das Erreichen dieses Lungenabschnitts sind die Par-
tikelgrösse und der Anteil kleinster Partikel am Aerosol
sowie patientenseitig das inhalierte Volumen und der inspira-
torische Fluss ausschlaggebend. Usmani: «Sagen Sie Ihren
Patienten, dass sie tief ausatmen sollen, bevor sie inhalieren.»
Darüber hinaus werden jedoch Inhalatoren mit kleinerer Par-
tikelgrösse benötigt. Ideal wären 1,5 µm statt der üblichen
6 µm. Dass Aerosole mit kleinen Partikeln sowohl die kleinen
als auch die grossen Atemwege erreichen können, wurde
mittlerweile in mehreren Studien demonstriert. Eine Meta-
analyse von Beobachtungsstudien zeigt im klinischen Alltag
eine überlegene Wirksamkeit von inhalativen Kortikosteroi-
den in extrafeiner Formulierung. Diese ermöglichten eine
bessere Asthmakontrolle, reduzierten Exazerbationen und
konnten zudem auch in niedrigerer Dosierung verschrieben
werden (8). Ähnliche Effekte konnten für die COPD bereits
vor fast einem Jahrzehnt gezeigt werden (9). Pharmakokine-
tische Studien zeigen, dass die systemische Exposition gegen-
über Steroiden durch die feine ICS-Formulierung nicht er-
höht wird (10). In einem im vergangenen Jahr publizierten
Konsensusdokument wird folgerichtig gefordert, dass bei
Verdacht auf eine Erkrankung der distalen Lunge Medika-
mente eingesetzt werden sollen, die diesen Lungenabschnitt
auch tatsächlich erreichen (11).
s
Reno Barth
Quelle: ERS 2023, Session «The ‹silent zone› is heard: latest insights and updates in small airways disease in asthma and chronic obstructive pulmonary disease», am 12. September in Mailand.
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