Transkript
SGAIM
Praxistipps zu verschiedenen Herzinsuffizienztypen
Wer hat typischerweise welche Herzinsuffizienz?
Bei Patienten mit einer Herzinsuffizienz ist es nicht immer offensichtlich, welche Form der Herzinsuffizienz vorliegt. Die Unterscheidung ist jedoch wichtig, sind doch die Therapien verschieden. Welche Patienten zum Beispiel eher an einer Herzinsuffizienz mit erhaltener Pumpfunktion leiden, welche Therapien notwendig sind und wie vorzugehen ist, wenn es zu Komplikationen kommt, erklärten Kardiologen vom Universitätsspital Basel und vom Herzzentrum Luzern am Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) in Basel.
Woran lassen sich Herzinsuffizienzpatienten mit erhaltenener Pumpfunktion (HFpEF) erkennen? Gemäss Prof. Otmar Pfister, Kardiologie, Universitätsspital Basel, ist die Wahrscheinlichkeit für eine HFpEF vor allem bei kurzatmigen, älteren, vorwiegend weiblichen Patienten mit gleichzeitig vorhandener Adipositas und Vorhofflimmern sehr hoch. Meist liege noch eine arterielle Hypertonie vor, häufig auch Diabetes (1). In dieser Situation sollten die NT-proBNPWerte gemessen werden. Normale Werte (< 125 pg/ml) würden eine HFpEF jedoch nicht ausschliessen; das käme bei 20 Prozent der Patienten so vor. Ein Echokardiogramm mit der Bestätigung des erhöhten Füllungsdrucks könne hier Klarheit schaffen. Einen einfachen, evidenzbasierten Abklärungsalgorithmus zur Detektion von HFpEF-Patienten bietet auch die MayoKlinik (Tabelle), wie Dr. Matthias Paul, Leiter Herzinsuffizienz und stationäre Kardiologie, Herzzentrum Luzern, ergänzte. Ziel einer HFpEF-Therapie ist gemäss Pfister die Reduktion der herzinsuffizienzbedingten Hospitalisationen. Eine Op-
KURZ & BÜNDIG
� Patienten mit HFpEF haben häufig ein typisches klinisches Profil.
� Bei HFrEF-Patienten unter entsprechender Medikation empfiehlt es sich, die Laborwerte auch bei nicht kardialen Interventionen zu kontrollieren.
� Bei einer dekompensierten Herzinsuffizienz kommt die Dekongestion vor der Ursachensuche.
� Bei hypotonen Patienten sollen erst alle nicht kardialen Medikationen überprüft werden und allenfalls die Diuretikumdosis reduziert werden.
tion hierfür ist die Behandlung mit Spironolacton, insbesondere bei Adipösen (BMI > 30 kg/m2) und bei Patienten mit schlecht kontrollierter Hypertonie. Zusätzlich empfiehlt sich die Gabe eines SGLT2-Hemmers (Dapagliflozin, Empagliflozin). Zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit kann Pfister zufolge auch versucht werden, den Betablocker bei chronotroper Inkompetenz abzusetzen und eine kardiale Rehabilitation mit Stärkung der Muskulatur und Steigerung der kardiopulmonalen Kapazität zu beginnen.
Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion (HFrEF)
Bei Patienten mit einer HFrEF (linksventrikuläre Auswurffraktion < 40%) besteht die bestmögliche Behandlung gemäss den Guidelines der European Society of Cardiology (ESC) (1) aus den «Fanstastischen Vier»: 1. ARNI (Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Hemmer) oder ACE-Hemmer, 2. Betablocker, 3. MRA (Mineralokortikoidrezeptor-Antagonist), 4. SGLT2Hemmer (2). Reihenfolge und Geschwindigkeit der Einführung seien jedoch nicht festgelegt, so Pfister; sie sollten allerdings früh begonnen werden, wenn möglich noch stationär, um anschliessend ambulant auftitriert zu werden. Doch verlaufe nicht jeder Fall wie in den Guidelines, schränkt Pfister ein, wie der folgende Fall aus seiner Kilinik zeigt: Bei einer Patientin mit stark reduzierter linksventrikulärer Auswurffraktion (< 30%) nach Myokardinfarkt wurde noch im Spital mit einem Betablocker zur Prognoseverbesserung begonnen. Zusätzlich wurden Spironolacton, Sacubitril/Valsartan und ein Diuretikum etabliert. Aufgrund einer Harnwegsinfektion erhielt die Patientin Cotrimoxazol, worauf Kalium und Kreatinin übermässig anstiegen und die eGFR auf 16 ml/min/1,73 m2 abfiel. Das Diuretikum, Spironolacton und der ARNI wurden in der Folge gestoppt, worauf sich die Werte im Lauf der nächsten Tage erholten. Bei diesem Fall zeige sich, dass es wichtig ist, die Laborwerte weiter zu kontrollieren, auch wenn eine nicht kardiale Intervention stattfindet. Das Ziel, die HFrEF-Medikation vollständig zu etablieren, konnte bei dieser Patientin später erreicht werden.
28 CongressSelection Allgemeine Innere Medizin | Hausarztmedizin | September 2023
SGAIM
Tabelle:
Mayo-Klinik-Algorithmus zur Detektion von HFpEF-Patienten
Klinische Variable
Werte
Punktzahl
H2 heavy (Gewicht)
Bodymass-Index > 30 kg/m2
2
hypertensiv
≥ 2 Antihypertonika
1
F Atrial Fibrillation (Vorhofflimmern) paroxysmal oder persistent
3
P pulmonale Hypertonie
Doppler Echokardiografie
1
geschätzter systolischer Lungendruck > 35 mmHg
E elder (älter)
Alter > 60 Jahre
1
F
Filling pressure (Füllungsdruck)
Doppler Echokardiografie E/e > 9
1
HFpEF-Score
Summe (0–9)
Auswertung: ≤ 1 Punkt: HFpEF unwahrscheinlich; 2–5 Punkte: weitere Abklärungen notwendig, ≥ 6 Punkte: HFpEF wahrscheinlich.
Quelle: mod. nach (6)
Dekompensierte Herzinsuffizienz: Was kommt zuerst?
Bei einer akut dekompensierten Herzinsuffizienz sei es das Wichtigste, so Paul, mit einer raschen und adäquaten Diuretikatherapie schnell für eine Dekongestion zu sorgen. Eine möglichst kurze (> 60 min) «Door to Diuretic Time» sei massgeblich entscheidend für das Überleben im Spital (3), gab der Experte weiter zu bedenken. Bei einer Stauung mit Volumenüberlastung ist deshalb gemäss Konsensus der Heart Failure Association (4) ohne Verzug Furosemid i.v. (20–)40 mg einzusetzen. Falls vorher bereits Torasemid im Einsatz war, soll die Furosemiddosis das 2- bis 4-Fache der bisherigen Torasemiddosis betragen (4). Vor der Furosemidgabe soll der Patient noch die Blase entleeren können. Zwei Stunden nach der Furosemidgabe ist es angezeigt, das Natrium im Spoturin zu messen. Dieses soll > 50–70 (besser > 100) mmol/l betragen. Nach vier Stunden wird die Urinmenge gemessen; diese soll bei > 400–600 ml (100–150 ml/h) liegen. Falls diese Werte nicht erreicht werden, empfiehlt sich eine Verdoppelung der Furosemiddosis (4). Nach 24 Stunden sollte die Urinmenge bei > 3 Liter sein. Ist das der Fall, kann Furosemid in der gleichen Dosis weitergeführt werden, wenn nicht, muss sie verdoppelt werden. Erreicht die Urinmenge damit immer noch keine 100 ml/ Stunde, braucht es eine Zugabe von Metolazon oder gegebenenfalls von Dobutamin oder eine Hämofiltration (4). Wichtig ist eine rasche und adäquate Diuretikatherapie bis zur vollständigen Rekompensation. Erst danach erfolgen die Abklärung der Ursache und der Beginn der Herzinsuffizienztherapie mit den «Fantastischen Vier» zur Mortaliätsreduktion und Prognoseverbesserung – dies möglichst noch im Spital. Die Medikation bei Austritt sollte sich wie folgt zusammensetzen: s Bisoprolol 2,5 mg, 1–0–1 s Sacubitril/Valsartan 50 mg, 1–0–1 s Spironolacton 25 mg, 1–0–0 s Empagliflozin 10 mg, 1–0–0 s Torasemid 20 mg 1–0–0. Als «fünfte» Massnahme sei eine kardiale Rehabilitation mit Bewegungsprogramm und Patientenschulung sinnvoll, so Paul.
Weiteres Management beim Hausarzt
Die erste Konsultation sollte 1 Woche nach Austritt erfolgen.
Tritt eine symptomatische Hypotonie mit einem Wert
< 100 mmHg auf, empfiehlt es sich, die Torasemiddosis von 20 auf 5 mg zu reduzieren. Dies allerdings erst, wenn die In- dikation aller nicht herzinsufizienzrelevanten Medikationen reevaluiert worden sind. Reichen diese Massnahmen nicht aus, muss die Herzinsuffizienzmedikation an das klinische Profil des Patienten angepasst werden (5): s Bei einer tiefen geschätzten glomerulären Filtrationsrate (eGFR) < 30 ml/min/1,73m2: 1. Dosisreduktion der ACE- Hemmer/Sartan/ARNI, 2. Dosisreduktion des MRA, 3. Wechsel auf einen anderen Hemmer des Renin-Angioten- sin-Aldosteron-Systems (RAAS). s Bei einem Kaliumwert > 5–5,5 mmol/l: 1. Reduktion
MRA-Dosis, 2. Dosisreduktion der ACE-Hemmer/Sar-
tan/ARNI, 3. Wechsel auf einen anderen RAAS-Hemmer.
s Bei einer Herzfrequenz < 60/min: 1. Stopp Digoxin/Iva- bradin, 2. Reduktion Betablockerdosis, 3. Evaluation Pa- cing. s Bei schwerer Arrhythmie in der Vorgeschichte: 1. Dosisre- duktion der ACE-Hemmer/Sartan/ARNI, 2. Dosisreduk- tion des MRA, 3. Dosisreduktion des Betablockers. s Bei keinem spezifischen klinischen Profil: 1. Dosisreduk- tion der ACE-Hemmer/Sartan/ARNI, 2. Dosisreduktion des MRA (5). Wenn die Hypotonie mit diesen Massnahmen aufgelöst wer- den kann, soll eine erneute Auftitrierung der Herzinsuffizi- enzmedikation versucht werden. Persistiert sie jedoch, ist eine Überweisung ins Spital empfohlen (5). s Valérie Herzog Quelle: «Herzinsuffizienz für die Praxis». Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin, 10. bis 12. Mai 2023, in Basel. Nützlicher QR-Link: Pocketcard 2022: «Diagnose und Management der chronischen Herzinsuffizienz» der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie www.rosenfluh.ch/qr/hf-pocketcard2022 30 CongressSelection Allgemeine Innere Medizin | Hausarztmedizin | September 2023 Referenzen: 1. Shah SJ et al.: Phenotype-Specific Treatment of Heart Failure With Pre- served Ejection Fraction: A Multiorgan Roadmap. Circulation. 2016;134(1):73-90. 2. McDonagh TA et al.: 2021 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure. Eur Heart J 2021;42:3599-3726. 3. Matsue Y et al.: Time-to-Furosemide Treatment and Mortality in Patients Hospitalized With Acute Heart Failure. J Am Coll Cardiol. 2017;69(25):3042-3051. 4. Mullens W et al.: The use of diuretics in heart failure with congestion – a position statement from the Heart Failure Association of the European Society of Cardiology. Eur J Heart Fail. 2019;21(2):137-155. 5. Cautela J et al.: Management of low blood pressure in ambulatory heart failure with reduced ejection fraction patients. Eur J Heart Fail. 2020;22(8):1357-1365. 6. Reddy YNV et al.: A simple, evidence-based approach to help guide diagnosis of heart failure with preserved ejection fraction. Circulation. 2018;138(9):861-870. SGAIM CongressSelection Allgemeine Innere Medizin | Hausarztmedizin | September 2023 31