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Erste Erfolge und neue Forschungsprojekte
Mikrobiom in der Krebstherapie
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Noch sind viele Funktionen des Mikrobioms nicht vollständig geklärt. Doch bei immer mehr Krankheiten konnte man eine Assoziation mit einer Veränderung des Mikrobioms feststellen. Deshalb wird versucht, die Krankheiten durch Veränderung des Mikrobioms zu beeinflussen. Prof. Dr. Michael Scharl, Leitender Arzt, stv. Klinikdirektor Forschung und Lehre Klinik für Gastroenterologie und Hepatologie, Universitätsspital (USZ) Zürich, zeigte einige interessante Beispiele, welche Rolle das Mikrobiom in der Krebstherapie spielen kann und wohin die Forschung geht.
Ein gesundes Mikrobiom enthält viele unterschiedliche Bakterienspezies. Nach einer Antibiotikagabe und anderen Schädigungen wird diese Vielfalt reduziert. Auch das Mikrobiom von älteren Menschen ist im Vergleich zu jungen deutlich weniger divers. Auch verschiedene Krankheiten sind mit einem wenig diversen Mikrobiom assoziiert (Dysbiose) (2). Hierzu zählen: Pilzerkrankungen, Magendarmerkrankungen (chronisch Erkrankungen, Zöliakie), Typ-2-Diabetes, Autoimmunkrankheiten, Adipositas, verschiedene kardiovaskuläre Krankheiten, aber auch Multiple Sklerose, rheumatoide Arthritis und das Kolonkarzinom. Diese Liste ist nicht vollständig. Es bleibt allerdings die Frage, ob die Veränderungen im Darm letztlich die Ursache oder die Folge einer Erkrankung sind.
Stuhltransplantation
Es gibt verschiedene Strategien, das intestinale Mikrobiom zu modulieren (3), beispielsweise durch Umstellung der Ernährung oder Gabe von Prä- und Probiotika. Zu einer nachhaltigen Veränderung des Mikrobioms führt die Stuhltransplantation (fäkale Mikrobiota-Transplantation = FMT). Bei der antibiotikaresistenten Infektion mit Clostridioides difficile ist die FMT zu 90 Prozent erfolgreich und bereits in der klinischen Routine etabliert. Nun wird die FMT auch bei verschiedenen anderen Krankheitsbildern untersucht.
Mikrobiom und Krebs
Bei der Entstehung von Dickdarmkrebs konnte in den letzten Jahren nachgewiesen werden, dass die Darmbakterien direkt oder über die Produktion bestimmter Metabolite zur Krebsentstehung beitragen (4, 5). Bei gewissen onkologischen Therapien konnte die Bedeutung des Mikrobioms gezeigt werden. Die Immuntherapien mit sogenannten Checkpoint-Inhibitoren haben bei vielen Krebsformen zu grossen Erfolgen geführt. Doch auch die Zusammensetzung des Mikrobioms spielt für den Therapieerfolg der Checkpoint-Inhibitoren eine Rolle. Bei Respondern findet sich eine andere bakterielle Signatur im Darm als bei Non-Respondern (6). Dies eröffnet potenziell auch Möglich-
keiten, durch Beeinflussung des Mikrobioms, beispielsweise durch FMT, das Ansprechen auf die Therapie zu erhöhen. Zwei kleine Studien haben unabhängig voneinander die Wirkung einer FMT gezeigt. Bei je 15 Melanompatienten, die primär nicht auf die Checkpoint-Inhibitoren ansprachen, wurde Stuhl von Therapierespondern transplantiert. Dadurch konnte jeweils bei einem Drittel der Patienten die Wirksamkeit auf die Checkpoint-Inhibitoren induziert werden (7, 8). Die FMT induziert die Akkumulation von zytotoxischen CD8+-Zellen im Tumorgewebe bei den vorherigen Nicht-Respondern. Diese Resultate konnten schon durch eine einzige FMT bei austherapierten Melanompatienten erreicht werden.
FMT-Machbarkeitsstudie im USZ
«Aufgrund dieser ermutigenden Resultate haben wir eine eigene Studie gestartet», berichtet Prof. Scharl. Eine Machbarkeitsstudie will durch FMT das Darm-Mikrobiom modulieren und bei Patienten, die nicht auf die Immuntherapie angesprochen haben, eine Wirksamkeit induzieren. Diese Studie erweitert die Anwendung der FMT auf Patienten mit verschiedenen Tumorerkrankungen, um die Wirksamkeit der FMT als neue Option in der Krebstherapie zu untersuchen (9). Transplantiert wird der Stuhl von Patienten, die sehr gut auf eine Immuntherapie angesprochen haben. Die Studie will auch zum besseren Verständnis des Wirkmechanismus beitragen. So soll untersucht werden, welche Bakterien und welche Moleküle letztlich zum Therapieansprechen führen. So könnte man entweder Patienten identifizieren, die besonders als Spender geeignet sind oder insbesondere die einzelnen Bakterien oder Metaboliten identifizieren, die letztlich den Therapieerfolg verursachen. Dadurch würde eine gezielte Therapie mittels dieser spezifischen Bakterien/ Moleküle möglich.
Clostridien als Immuntherapie?
Beim Kolonkarzinom wirkt die Immuntherapie nur bei einer kleinen Gruppe von Patienten. Nun soll versucht werden, ob Bakterien als Immuntherapie eingesetzt werden können. Die
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Funktionen des Mikrobioms
1. Schutz • Verdrängung pathogener Keime • Produktion antimikrobieller Faktoren • Erhaltung der Darmschleimhaut
2. Immunfunktion • Entwicklung des Immunsystems • Induktion von IgA • Produktion kurzkettiger Fettsäuren
3. Metabolische Funktion • Synthese: Vitamine, Gallensäuren • Prodution: kurzkettige Fettsäuren • Verarbeitung und Abbau: Giftstoffe und Nahrungsbestandteile • Energieproduktion
Zusammensetzung der Darmbakterien im Stuhl von Patien-
ten mit Dickdarmkarzinom unterscheidet sich stark von der
Mikrobiomzusammensetzung von Gesunden.
Verschiedene Kombinationen von Bakterien, die im Darm
von Darmkrebspatienten stark reduziert sind, wurden dann
im Tierversuch an Mäusen mit Darmkrebs verabreicht. Die
Gabe von 4 Clostridiales-Bakterien, die gesunde Menschen
natürlicherweise im Darm haben, führten bei Mäusen mit
Krebs zu einer deutlichen Tumorreduktion. Die orale Gabe
von 4 Clostridiales-Bakterien, die gesunde Menschen natür-
licherweise im Darm haben, führte bei Mäusen mit Krebs
zu einer deutlichen Tumorreduktion. Es kam zu einer ausge-
prägten Infiltration von CD8-Zellen (Tumorkillerzellen) im
Tumorgewebe. Auf molekularer Ebene lösen die Bakterien
damit den gleichen Mechanismus aus, wie die Krebs-Immun-
therapie, beide inhibieren die Aktivität der Checkpoint-
Moleküle auf der Oberfläche der CD8-positiven T-Zellen
(10).
Die Zürcher Forschungsgruppe plant, in den nächsten Jahren
die Bakterien, die sich in den Mausmodellen als besonders
effektiv erwiesen haben, in gefriergetrockneter Form in eine
pH-resistente Kapsel zu packen. Damit könnte dann eine
erste Phase-I-Studie als Monotherapie bei Patienten mit Ko-
lonkarzinom gestartet werden.
s
Quelle: «Gut Mikrobiom». Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin, 10. bis 12. Mai 2023, in Basel.
Referenzen: 1. Grenham S et al.: Brain-gut-microbe communication in health and di-
sease. Front Physiol. 2011 Dec 7;2:94. 2. Masenga SK et al.: Recent advances in modulation of cardiovascular di-
seases by the gut microbiota. J Hum Hypertens. 2022 Nov;36(11):952-959. 3. Witkowski M et al.: Gut Microbiota and Cardiovascular Disease. Circ Res.
2020 Jul 31;127(4):553-570. 4. Tilg H et al.: The Intestinal Microbiota in Colorectal Cancer. Cancer Cell.
2018 Jun 11;33(6):954-964. 5. Xavier JB et al.: The Cancer Microbiome: Distinguishing Direct and Indi-
rect Effects Requires a Systemic View. Trends Cancer. 2020 Mar;6(3):192204. 6. Gopalakrishnan V et al.: Gut microbiome modulates response to anti-PD-1 immunotherapy in melanoma patients. Science. 2018 Jan 5;359(6371):97-103. 7. Davar D et al.: Fecal microbiota transplant overcomes resistance to anti-PD-1 therapy in melanoma patients. Science. 2021 Feb 5;371(6529):595602. 8. Baruch EN et al.: Fecal microbiota transplant promotes response in immunotherapy-refractory melanoma patients. Science. 2021 Feb 5;371(6529):602-609. 9. Clinical Trials.gov Identifier NCT 05273255. 10. Montalban-Arques A et al.: Commensal Clostridiales strains mediate effective anti-cancer immune response against solid tumors. Cell Host Microbe. 2021 Oct 13;29(10):1573-1588.e7.
Barbara Elke
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