Transkript
Chronische Nierenerkrankung
Nephron schützen und Komplikationen behandeln
SGAIM
Bei der Therapie der chronischen Niereninsuffizienz (CKD) stehen heute mehrere Therapien zur Verfügung, um die noch intakten Nephronen zu entlasten. Worauf dabei zu achten ist, welche mit Fortschreiten der Erkrankung auftretenden CKD-Komplikationen wie korrigiert werden können, und ob bei einer tiefen glomerulären Filtrationsrate Therapien abgesetzt werden müssen, erläuterte Prof. Thomas Fehr, Chefarzt Innere Medizin, Kantonsspital Graubünden, am Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin (SGAIM) in Basel.
Die Therapie der chronischen Niereninsuffizienz verfolgt zwei Ziele: Der Schutz des Nephrons und die Behandlung der sekundären Spätfolgen. Denn unabhängig von der Primärkrankheit, die zu einer chronischen Niereninsuffizienz (CKD) geführt hat, stehen die noch intakten Nephronen unter andauernder Überlastung. Das führt zu einer Glomerulopathie und begünstigt die Verschlechterung der Nierenfunktion. Ziel ist es demnach, die progressive Verschlechterung zu verlangsamen und die Zeit bis zur Dialysepflicht hinauszuzögern. In den letzten Jahrzehnten kamen einige Substanzklassen mit nephroprotektiven Eigenschaften auf den Markt, darunter die ACE-Hemmer und AT1-Rezeptorblocker (Sartane), Natriumbikarbonat und zuletzt die SGLT2-Hemmer (Tabelle). Empagliflozin und Dapagliflozin haben in den Studien (EMPA-KIDNEY und DAPA-CKD) gezeigt, dass sie bei CKD-Patienten mit und ohne Typ-2-Diabetes die Nierenfunktionsverschlechterung verlangsamen können, was sich in einer Reduktion von renalen Ereignissen, mitunter auch der Mortalität niederschlägt. Zur Therapie mit SGLT2-Hemmern sei es gemäss Fehr jedoch wichtig zu wissen, dass die
KURZ & BÜNDIG
� SGLT2-Hemmer sind der neue Standard für Nephroprotektion zusätzlich zu RAS-Hemmern und unabhängig von Diabetes.
� Finerenon wirkt nephroprotektiv bei diabetischer Nephropathie.
� RAS-Hemmer können bei einer eGFR < 30 ml/min/1,73 m2 gefahrlos fortgesetzt werden.
� Die metabolische Azidose sollte bei CKD-Patienten mit Natriumbikarbonat korrigiert werden, ausser bei Nierentransplantatempfängern.
eGFR anfänglich absinken kann, um sich danach aber zu stabilisieren. Grund dafür ist die Vasokonstriktion des afferenten Gefässes im Glomerulum zu Beginn der Therapie.
Neuer MRA als Alternative
Mit Finerenon steht ein neuer MineralokortikoidrezeptorAntagonist (MRA) zur Verfügung. Als nicht steroidales Molekül zeigt Finerenon eine deutlich höhere Selektivität zum Mineralokortikoidrezeptor als Spironolacton und Eplerenon. Der Effekt auf den Blutdruck ist im Vergleich zu den beiden anderen geringer, Nebenwirkungen auf das Sexualsystem kommen nicht vor. Die Halbwertszeit beträgt 2 bis 3 Stunden. Finerenon wurde in zwei parallelen Studien (FIDELIO: n = 5700 und FIGARO: n = 7400) bei Patienten mit Typ-2Diabetes und unterschiedlich schwerer CKD untersucht. In der FIDELIO-Studie war primär ein renaler Endpunkt definiert, sekundär ein kardiovaskulärer (3). In der FIGAROStudie war es umgekehrt: als primärer Endpunkt waren kardiovaskuläre Ereignisse definiert, als sekundärer Endpunkt renale Ereignisse (4). Die gepoolte Analyse (FIDELITY) (5) zeigte eine signifikante Risikoreduktion für kardiovaskuläre Ereignisse von 14 Prozent, ebenso für herzinsuffizienzbedingte Hospitalisierungen von 20 Prozent. Das Risiko für renale Ereignisse verringerte sich ebenfalls signifikant um 23 Prozent (5), wie auch das Risiko für Dialysepflichtigkeit um 20 Prozent. Die befürchtete Hyperkaliämie, die zu einem Therapiestopp führt, trat insgesamt selten auf (0,66%). Von Finerenon können demnach, so Fehr, alle Typ-2-Diabetes-Patienten mit chronischer Niereninsuffizienz profitieren. Bei der Therapie mit Finerenon ist allerdings zu beachten, dass die Dosis bei einer eGFR zwischen 25 und 60 ml/ min/1,73 m2 von 20 mg auf 10 mg reduziert werden sollte. Bei Werten < 25 ml/min/1,73 m2 ist Finerenon nicht empfohlen. Bei Serumkaliumspiegelwerten von > 5 mmol/l soll von einer Therapie abgesehen werden (6).
CongressSelection Allgemeine Innere Medizin | Hausarztmedizin | September 2023
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SGAIM
Tabelle:
Nephroprotektive Interventionen
Generation
Intervention
Wirkstoff
1. Generation
RAS-Blockade
ACE-Hemmer/Sartane
2. Generation
Azidose-Korrektur
Natriumbikarbonat
3. Generation
Antidiabetikum
SGLT2-Hemmer
4. Generation Mineralokortikoidrezeptor-
Finerenon
Antagonismus
Abkürzung: RAS = Renn-Angiotensin-System Quelle: T. Fehr, SGAIM 2023, Basel
diabetische
Nichtdiabetische
Nephropathie Nephropatie
ja ja
ja ja
ja ja
ja nein
Für welche Patienten?
Für die Nephroprotektion sind SGLT2-Hemmer gemäss Fehr erste Wahl nach den ACE-Hemmern und Sartanen, unabhängig davon, ob ein Typ2-Diabetes vorliegt oder nicht. Bei Patienten, die SGLT2-Hemmer jedoch aufgrund der als Nebenwirkung allfällig auftretenden Genitalinfektionen nicht vertragen, ist Finerenon eine gute Option. Bei Patienten, die rasch progredient sind, würde sich eine Kombination von SGLT2-Hemmern und Finerenon anbieten, denn der nephroprotektive Mechanismus der beiden funktioniert unabhängig voneinander. Ausserdem reduzieren SGLT2-Hemmer die Hyperkaliämie durch die Erhöhung des distalen Natriumangebots. Eine Studie (CONFIDENCE) mit dieser Kombination zu diesem Effekt ist derzeit unterwegs (7).
Was ist bei tiefer eGFR möglich?
Bei Patienten mit einer eGFR < 30 ml/min/1,73 m2 stelle sich immer die Frage, ob die Therapie mit einem ACE-Hemmer gefahrlos fortgesetzt werden kann, so Fehr. Diese Fragestellung wurde nun in der STOP-ACEI-Studie untersucht und beantwortet. Dabei erhielten 411 CKD-Patienten mit eGFR < 30 ml/min/1,73 m2 und jährlichem Abfall von > 2 ml/ min/1,73 m2 entweder weiterhin ihre ACE-Hemmer beziehungsweise Sartane, oder diese Therapie wurde bei ihnen gestoppt. Als primärer Endpunkt war der eGFR-Verlust nach 3 Jahren definiert (8). Nach Studienende zeigte sich kein Unterschied zwischen den beiden Gruppen. In der StoppGruppe traten kardiovaskuläre oder renale Ereignisse, definiert als sekundäre Endpunkte, nicht häufiger auf (8). So beschleunigen ACE-Hemmer/Sartane bei Patienten mit sehr tiefer eGFR das Eintreten von Nierenversagen nicht und müssen damit nicht abgesetzt werden, so Fehr.
Komplikationen der CKD
Bei Patienten mit einer chronischen Niereninisuffizienz ist im Rahmen dieser Erkrankung auch auf mögliche Komplikationen zu achten. Dazu zählen Knochenerkrankungen, Hyperparathyreoidimus, Hyperphosphatämie, renale Hypertonie, Überwässerung, renale Anämie, die Hyperkaliämie sowie die metabolische Azidose. Letztere begünstigt nicht nur Malnutrition oder Osteoporose, sondern auch eine Hyperkaliämie mit Arrhythmien in der Folge. Sie beschleunigt ausserdem die Progression der chronischen Niereninsuffizienz. Eine Korrektur der metabolischen Azidose bei Bikarbonatwerten < 20 bis 22 mmol/l mit
Natriumbikarbonat sei somit auch eine nephroprotektive Intervention, so Fehr. Allerdings bringt dies bei Nierentransplantatempfängern, die auch mit einem kontinuierlichen Abfall der eGFR konfrontiert sind, keinen Nutzen, wie eine Schweizer Studie kürzlich belegte. Der eGFR-Abfall im Transplantat zeigte unter Bikarbonat und unter Plazebo keinen Unterschied (9). Deshalb ist eine Bikarbonattherapie laut Fehr bei diesen Patienten unnötig. Die renale Anämie als weitere Kompliaktion der CKD kann unter anderem mit Erythropoetin korrigiert werden. Eine neue Option stellt hierbei der HIF-Prolylhydroxylase-Hemmer Roxadustat dar, der die Erythropoetinproduktion stimuliert. Die Substanz kann im Gegensatz zu Erythropeotin oral verabreicht werden und wirkt bei inflammatorischen Bedingungen, was bei Dialysepatienten häufig der Fall ist, besser als Erythropoetin (10), so Fehr. Roxadustat ist in der EU auf dem Markt; in der Schweiz ist es noch nicht zugelassen. s
Valérie Herzog
Quelle: «Chronische Niereninsuffizienz». Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Allgemeine Innere Medizin, 10. bis 12. Mai 2023, in Basel.
Referenzen: 1. Herrington WG et al.: Empagliflozin in patients with chronic kidney di-
sease. N Engl J Med. 2023;388(2):117-127. 2. Heerspink HJL et al.: Dapagliflozin in patients with chronic kidney di-
sease. N Engl J Med. 2020;383(15):1436-1446. 3. Bakris GL et al.: Effect of Finerenone on Chronic Kidney Disease Outco-
mes in Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2020;383(23):2219-2229. 4. Pitt B et al.: Cardiovascular Events with Finerenone in Kidney Disease
and Type 2 Diabetes. N Engl J Med. 2021;385(24):2252-2263. 5. Agarwal R et al.: Cardiovascular and kidney outcomes with finerenone
in patients with type 2 diabetes and chronic kidney disease: the FIDELITY pooled analysis. Eur Heart J. 2022;43(6):474-484. 6. Fachinformation Finerenon. www.swissmedic.ch. Letzter Zugriff: 15.6.23 7. www.clinialtrials.gov. NCT05254002. Etzter Abruf: 19.6.23. 8. Bhandari S et al.: Renin-angiotensin system inhibition in advanced chronic kidney disease. N Engl J Med. 2022;387(22):2021-2032. 9. Mohebbi N et al.: Sodium bicarbonate for kidney transplant recipients with metabolic acidosis in Switzerland: a multicentre, randomised, single-blind,placebo-controlled,phase3trial.Lancet.2023;401(10376):557567. 10. Chen N et al.: Roxadustat treatment for anemia in patients undergoing long-term dialysis. N Engl J Med. 2019;381(11):1011-1022.
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