Transkript
SSP
Chronisch obstruktive Lungenerkrankung
Arsenal der therapeutischen Möglichkeiten
Bei Patienten mit COPD sind primär die Symptome wie Husten, Auswurf und vor allem Dyspnoe sowie Exazerbationen ausschlaggebend für die Aufstellung der Therapie. Welche pharmakologischen und nicht pharmakologischen Optionen dafür zur Verfügung stehen, zeigte Dr. Matthias Josef Herrmann, Kaderarzt an der Klinik für Pneumologie, Universitätsspital Basel, am Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie (SSP) in Basel auf.
Die chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) geht primär mit einer Symptomatik von Husten, Auswurf und vor allem Dyspnoe sowie Exazerbationen einher. Symptome und Exazerbationen können medikamentös behandelt werden. In einem Ansatz mit klaren Behandlungsmerkmalen (treatable traits) nach dem GOLD 2023 Report können Dyspnoe und Exazerbationen gezielt adressiert werden. Entsprechend soll die Dyspnoe mit lang wirksamen Betaagonisten (LABA) oder lang wirksamen Antimuskarinika (LAMA) behandelt werden, je nach Schwere mit beidem in der Kombination als duale Bronchodilatation, dies vorzugsweise auch aufgrund einfacher Handhabung. Der präventive Ansatz im Hinblick auf Exazerbationen besteht ebenfalls aus LAMA oder LABA und meist aus beidem, sofern die Eosinophilenzahl im Blut (BEC) < 300/µl beträgt. Liegt die BEC > 300/µl, ist die zusätzliche Verabreichung eines inhalativen Kortikosteroids (ICS) empfohlen. Die drei Therapeutika (LABA + LAMA + ICS) können als Kombinationspräparat zum Einsatz kommen. Erfolgt damit keine ausreichende Symptomlinderung oder treten weiterhin Exazerbationen auf, kann Roflumilast bei einem forcierten Einsekundenvolumen (FEV1) < 50 Prozent oder Azithromycin, vorallem bei ehemaligen Rauchern, verabreicht werden (1) (Abbildung). Bei schwerer COPD mit häufigen Exazerbationen kann somit Roflumilast, als ein oraler PDE-4-Hemmer, eingesetzt werden. Dessen Wirkung beruht auf der Hemmung der Phosphodiesterase und der Erhöung des cAMP in den Entzün- KURZ & BÜNDIG � Die COPD-Therapie richtet sich vor allem nach dem klinischen Leitsymptom der Dyspnoe mit angestrebter Kontrolle und den Exazerbationen, dies möglichst präventiv. � Darüber hinaus sollen Einflüsse, die die COPD-Erkrankung verschlechtern, konsequent behandelt oder am besten über Prävention minimiert werden. dungszellen. Gastrointestinale Störungen, Gewichtsverlust, Schlafstörungen und Stimmungsschwankungen gelten als die häufigsten Nebenwirkungen (1). Eine weitere Möglichkeit der Prävention von Exazerbationen ist der Langzeiteinsatz von Makroliden, vor allem Azithromycin. Diese können die Exazerbationsrate ebenfalls senken. Eine Kehrseite der Wirkung ist die Erhöhung des Risikos für Resistenzen, kardiovaskuläre Ereignisse, Hörminderung und gastrointestinale Symptome (2). Komorbiditäten verschlechtern Dyspnoe Bei Patienten mit diagnostizierter oder vermuteter COPD und unerklärter Verschlechterung der respiratorischen Symptome, vor allem Dyspnoe, können ausser Exazerbationen auch Komorbiditäten für die Symptomatik verantwortlich sein (3): s kardiovaskulär: Herzinsuffizienz, koronare Herzerkran- kung, Arrhythmien, Lungenembolie s infektiös: Pneumonie, Bronchiektasen s entzündlich: Asthma bronchiale, intersitielle Lungen- erkrankung s weitere: Angst/Depression, Pneumothorax, Pleuraerguss, Anämie (3). Optionen gegen weitere Störfaktoren Die Mukusakkumulation ist ein klinisches Problem sowohl in stabilen Phasen als auch während Exazerbationen. Eine Behandlung mit Mukolytika kann bei COPD-Patienten die Exazerbationen reduzieren und den Gesundheitszustand etwas verbessern (4). Peristierender Nikotinkonsum ist ein sehr wichtiger Faktor, der die Krankheit durch weiteren Verlust der Lungenfunktion verschlechtert. Etwa 40 Prozent der COPD-Patienten rauchen weiter, obwohl sie wissen, dass sie an einer Atemwegserkrankung leiden. Gründe dafür könnten grössere Nikotinabhängigkeit und geringeres Selbstvertrauen sowie andere Faktoren sein, die einen Rauchstopp nicht erlauben würden. Eine Therapie mit Vareniclin oder Bupropion zeigte bei Patienten mit schwerer COPD im Vergleich zur Nikotinersatztherapie (Patch) die höheren anhaltenden Abstinenz- 20 CongressSelection Kardiologie | Pneumologie | September 2023 SSP Medikamentöse Follow-up-Therapie 1. Bei adäquatem Ansprechen initiale Therapie fortsetzen 2. Bei mangelndem Ansprechen: • Adhärenz, Inhalertechnik und potenzielle überlagernde Komorbiditäten überprüfen • erwägen, das vorherrschende behandelbare Merkmal (Dyspnoe oder Exazerbationen) anzugehen • falls sowohl Exazerbationen als auch Dyspnoe angegangen werden müssen, Exazerbationspfad wählen • Patienten gemäss aktueller Therapie in das Schema einordnen und den Anweisungen folgen • Ansprechen beurteilen, anpassen und überprüfen Diese Empfehlungen basieren nicht auf der ABE-Bewertung zum Zeitpunkt der Diagnose. Dyspnoe Exazerbationen LABA oder LAMA LABA + LAMA* • Wechsel des Inhalators oder des Wirkstoffs erwägen • nicht pharmakologische Therapie(n) einleiten oder intensivieren • andere Ursachen der Dyspnoe suchen (und behandeln) Erwägen, falls EOS-Konzentration < 300/µl LABA oder LAMA LABA + LAMA* ** Erwägen, falls EOS-Konzentration ≥ 100/µl Erwägen, falls EOS-Konzentration ≥ 300/µl Erwägen, falls EOS-Konzentration < 100/µl LABA + LAMA + ICS* Roflumilast FEV1 < 50% und chronische Bronchitis Azithromycin präferenziell bei Exrauchern EOS: eosinophile Granulozyten, LABA: lang wirksames Betamimetikum, LAMA: lang wirksames Antimuskarinikum, ICS: inhalatives Kortikosteroid, FEV1: forcierte exspiratorische Einsekundenkapazität *einzelne Inhalatortherapie möglicherweise geeigneter als multiple Inhalatoren **Deeskalation des ICS erwägen bei Pneumonie oder anderen erheblichen Nebenwirkungen; bei EOS-Konzentration ≥ 300 Zellen/µl besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass die Deeskalation mit der Entwicklung von Exazerbationen einhergeht Angaben zur Anzahl der Exazerbationen beziehen sich auf den Zeitraum von 1 Jahr. Abbildung: Behandlungsalgorithmus für die Follow-up-Therapie (modifiziert nach GOLD-Report 2023) raten in den Wochen 9 bis 24 (58 vs. 56 vs. 38%) (5, 6). Eine Kombination der Pharmakotherapie mit einem strukturierten Beratungsprogramm kann die Rate der erreichten Nikotinkarenz noch weiter verbessern (6). Influenzaviren und Pneumokokken können bei Patienten mit COPD-Exazerbationen fördern und Pneumonien induzieren. Die Prävention durch Impfungen gegen diese zwei Erreger ist deshalb sehr wichtig und effektiv, so Herrmann, wie eine Vorher-Nachher-Kohortenstudie zeigte. Dabei wurde bei 474 COPD-Patienten der Effekt einer Influenzaimpfung (n = 109), einer 23-valenten Pneumokokkenimpfung (n = 69) und von beiden Impfungen (n = 296) untersucht. Als Endpunkte galten akute Exazerbationen, Pneumonie und damit verbundene Hospitalisationen. In allen Impfgruppen sanken die Endpunktereignisse im Vergleich zu vor der Impfung. Dabei war die präventive Wirksamkeit in der Gruppe mit beiden Impfungen am höchsten. Gegen eine chronische respiratorische Insuffizienz und eine schwere Ruhehypoxämie können Sauerstofftherapie und ge- gebenenfalls auch nicht-invasive Beatmung (NIV) eingesetzt werden. Sie können die Überlebenschance erhöhen sowie die Exazerbations- und Hopitalisationsrate senken. Die Lang- zeitsauerstofftherapie wird bei einem PaO2 ≤ 55 mmHg oder < 60 mmHg mit Cor pulmonale respektive sekundärer Poly- cythämie eingesetzt und sollte über mindestens 15 Stunden pro Tag erfolgen. Eine NIV erhalten Patienten mit stabiler COPD mit deutlicher Hyperkapnie (8, 9). Beide Verfahren können auch in der pulmonalen Rehabilitation eingesetzt werden (10). Eine weitere Strategie betrifft die Entzündungshemmung bei Patienten mit mittelschwerer COPD und durch Eosinophile induzierter Typ-2-Entzündung. Eine Studie mit dem Anti-IL- 4/-13-Antikörper Dupilumab, der bereits bei schwerem Asthma bronchiale erfolgreich eingesetzt wird, zeigte auch bei COPD seine signifikante Senkung der Exazerbationsrate um 30 Prozent und zudem eine Verbesserung der Lungen- funktion um 83 ml gegenüber Plazebo. s CongressSelection Kardiologie | Pneumologie | September 2023 21 SSP Leben mit COPD Was Patienten nötig haben Patienten mit COPD sind vor allem wegen ihrer Symptome wie Dyspnoe und Exazerbationen in ärztlicher Behandlung. Doch ist ihre Lebenqualität nicht nur davon beeinträchtigt. Die Krankheit führt bei diesen Patienten durch Dyspnoe und allfälliger Sauerstofftherapie mitunter zu einer eingeschränkten Mobilität, damit verbunden zu reduzierten Sozialkontakten, einerseits aus Scham, andererseits infolge körperlichen Unvermögens. Die dadurch verstärkte Isolation fördert Sorgen und Ängste. Patienten mit Exazerbationen erleiden mitunter Todesängste, berichtet Dr. phil. Gabriela Schmid-Moser, Klinische Pflegewissenschaftlerin, Medizinbereich Herz-Gefäss-Thorax, Universitätsspital Zürich, am Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie (SGP) in Basel. Ziel einer pflegerischen Betreuung sei es deshalb auch, Hilfe bei der Wiederherstellung einer möglichen Normalität zu leisten, das Sicherheitsgefühl der Patienten zu stärken und den Stress zu reduzieren, den ihre Erkrankung auslöst. Unterstützende Mittel für dieses Ziel sind Lebensstilmassnahmen wie körperliche Aktivität, Rauchstopp, eine gute Medikamentencompliance, korrekte Inhalationstechnik, Verfügbarkeit von Sauerstoff, Prävention durch Impfungen. Diese Massnahmen tragen massgeblich dazu bei, Exazerbationen, Hospitaliserungen und letztlich auch Kosten zu reduzieren. Gemäss Schmid ist ein niederschwellige und vertrauensvoller Zugang zum Betreuungsteam entscheidend. Das ermöglicht unter anderem die Erlangung der Einsicht über die Nützlichkeit von körperlichen Übungen, um wieder fitter zu werden, beispielsweise um das Enkelkind 1-mal pro Woche wieder hüten oder den Hund täglich ausführen zu können. Wichtig sei es deshalb, bei jedem Patienten abzufragen, welche täglichen Bedürfnisse und welche Lebensziele bestehen, und sie mit Lebensstiländerungen zu verknüpfen, so Schmid. Im Klinikalltag könne diese Abklärung und die Einleitung von Betreuungsmassnahmen an eine Pflegekonsultation delegiert werden. Valérie Herzog Quelle: «Living with COPD». Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie, 21. bis 23. Juni 2023 in Basel. Valérie Herzog Quelle: «COPD-therapy beyond inhalers». Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Kardiologie, 21. bis 23. Juni 2023 in Basel. Referenzen: 1. Agustí A et al.: Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease 2023 Report: GOLD Executive Summary. Eur Respir J. 2023;61(4):2300239. 2. Ahmadian S et al.: Benefit-harm analysis of azithromycin for the pre- vention of acute exacerbations of chronic obstructive pulmonary disease. Thorax. 2022;77(11):1079-1087. 3. Celli BR et al.: Differential diagnosis of suspected chronic obstructive pulmonary disease exacerbations in the acute care setting: best practice. Am J Respir Crit Care Med. 2023;207(9):1134-1144. 4. Hill DB et al.: Physiology and pathophysiology of human airway mucus. Physiol Rev. 2022;102(4):1757-1836. 5. Jimenez Ruiz CA et al.: Characteristics of COPD smokers and effectiveness and safety of smoking cessation medications. Nicotine Tob Res 2012; 14: 1035–1039. 6. Montes de Oca M et al.: Smoking cessation and vaccination. Eur Respir Rev. 2023;32(167):220187. 7. Li Y et al.: Effectiveness of influenza and pneumococcal vaccines on chronic obstructive pulmonary disease exacerbations. Respirology. 2022;27(10):844-853. 8. Owens RL et al.: Supplemental oxygen and noninvasive ventilation. Eur Respir Rev. 2023;32(167):220159. 9. Vanfleteren LEGW et al.: Add-on interventions during pulmonary rehabilitation. Respirology. 2019;24(9):899-908. 10. Nagata K et al.: Home High-Flow Nasal Cannula Oxygen Therapy for Stable Hypercapnic COPD: A Randomized Clinical Trial. Am J Respir Crit Care Med. 2022;206(11):1326-1335. 11. Bhatt SP et al.: Dupilumab for COPD with Type 2 Inflammation Indicated by Eosinophil Counts. N Engl J Med. 2023;389(3):205-214. Foto: vh 22 CongressSelection Kardiologie | Pneumologie | September 2023