Transkript
Berufsbedingte Lungenerkrankungen
Wenn die Arbeit krank macht
SSP
Bei Patienten mit Lungenerkrankungen wie zum Beispiel Asthma oder Hypersensitivitätspneumonitis ist es wichtig, bei der Abklärung auch an eine arbeitsplatzbedingte Ursache zu denken. Denn eine frühe Diagnose verbessert sowohl die gesundheitliche als auch die berufliche Prognose, wenn der Auslöser bald gefunden werden kann und sich die Person nicht mehr exponieren muss. Dabei hilft auch die SUVA. Worauf bei der Abklärung und bei der SUVA-Anmeldung zu achten ist, erklärten Experten am Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie (SSP) in Basel.
Berufsbedingtes Asthma ist mit einer Prävalenz von 16 bis 20 Prozent häufig. In der Schweiz werden etwa 120 bis 140 neue Fälle pro Jahr gemeldet. Beim berufsbedingten Asthma handelt sich um eine vorübergehende Verengung der Atemwege, die durch das Einatmen von bestimmten Allergenen oder Irritanzien am Arbeitsplatz ausgelöst oder verschlechtert wird. Der zugrundeliegende Pathomechanismus ist entweder IgEvermittelt allergisch, abhängig von der Expositionsstärke und -dauer, oder sie ist irritativer Form, ausgelöst durch Gas, Rauch oder Dämpfe (z. B. Chlorgas). Eine weitere Kategorie sind Trigger mit unbekanntem Pathomechanismus (1). Das Durchschnittsalter zum Zeitpunkt der Diagnose liege bei 40 Jahren, berichtete Arbeitsmediziner und Pneumologe Dr. Jacques Pralong, Sevice de Pneumologie, Hôpitaux Universitaires de Genève. Es sei sehr wichtig, bei der Abklärung einer Asthmaerkrankung bei Personen im Arbeitsprozess auch an diese Möglichkeit zu denken und in diesem Fall schnell zu handeln. Denn werde die Diagnose erst in fortgeschrittenerem Alter gestellt, sei die Prognose schlechter. Das gilt ebenso bei schon länger dauernder symptomatischer Exposition, bei verringertem Lungenvolumen, bei hochmolekularen Auslösern wie tierischen oder pflanzlichen Allergenen, bei einer bronchialen Hyperreagibilität oder einer starken Reaktion bei einem Provokationstest.
Situation am Arbeitsplatz abklären
Um ein berufsbedingtes Asthma kann es sich handeln, wenn die Symptome neu auftreten oder nach einem Asthma in der Kindheit wieder aufflammen oder sich ein bestehendes allergisches, gut kontrolliertes Asthma plötzlich verschlechtert. Verringern sich die Symptome, wenn der Patient nicht am Arbeitsplatz ist, wie beispielsweise am Wochenende oder in den Ferien, oder bekleidet der Patient einen Hochrisikoberuf, sollte eine spezialisierte Abklärung für Berufsasthma in einem Lungenzentrum eingeleitet werden. Um den Nachweis erbringen zu können, sollte dies erfolgen, solange der Patient an dieser Arbeitsstelle beschäftigt und entsprechend exponiert ist. Im positiven Fall soll mit dem Arbeitgeber eine Möglichkeit gesucht werden, um die weitere Triggerexposition des Patienten am Arbeitsplatz vermeiden zu können, bevor in letzter Konsequenz eine neue Arbeitsstelle gesucht oder gar ein neuer Beruf erlernt werden muss. Die Behandlung des berufsbedingten Asthmas entspricht der Asthma-Standardpharmakotherapie. 25 bis 30 Prozent der Patienten mit Berufsasthma genesen nach Expositionsstopp wieder vollständig. Bei weiterer Exposition besteht dagegen das Risiko einer Verschlechterung der Lungenfunktion und einer manifesten Atemwegsobstruktion. Zudem ist das Risiko für eine Angsterkrankung und für Depression erhöht (50%), das Risiko für Arbeitslosigkeit steigt ebenfalls (3).
KURZ & BÜNDIG
� Eine arbeitsbedingte Lungenerkrankung ensteht oder verschlechtert sich am Arbeitsplatz.
� Für die Triggersuche einer Lungenerkrankung steht ein Fragebogen zur Verfügung.
� Die SUVA kümmert sich um den Schutz des Arbeitnehmers vor weiteren Noxen.
Hypersensitivitätspneumonitis von der Arbeit?
Als weitere berufsbedingte Lungenerkrankung kann bei entsprechender Exposition eine Hypersensitivitätspeumonitis (HP) auftreten. Bei über einem Viertel der Patienten mit HP ist gemäss den Zahlen Schweizerischen Unfallversicherung (SUVA) eine berufliche Exposition der Grund für diese Erkrankung. Ein erhöhtes Risiko dafür bestehe beispielsweise bei Landwirten, Vogel- oder Pilzüchtern, erklärte Dr. Susanne Pohle, Lungenzentrum, Kantonsspital St. Gallen. Wichtig ist auch hier der korrekte Nachweis, der anhand einer Kombination aus Expositionsanamnese, körperlicher Untersuchung, Bildgebung, bronchoalveolärer Lavage und Biopsie geführt wird. Das Auffinden des Auslösers ermöglicht ein
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besseres Outcome durch Vermeiden der Exposition. Für die Auslöser einer HP kommen > 200 verschiedene Antigene infrage, darunter auch einige aviner Herkunft, wie sie beispielsweise in mit Federn gefüllten Kissen und Bettdecken vorkommen (4). Für die Suche nach dem Auslöser empfehlen sich regional adaptierte Fragebögen. Für die Schweiz hat die Referentin einen für Patienten und Ärzte einfach zu benützenden Fragebogen mitentwickelt, der mögliche Quellen im Freizeitbereich sowie bei der Arbeit abfragt (5). Der Fragebogen kann auf untenstehendem Link bzw. QR-Code in 4 Sprachen abgerufen werden und dem Patienten zum Ausfüllen mitgegeben werden. Einem Verdacht auf eine berufsbedingte HP kann durch weitere Fragen wie «Benützen Sie Masken an Ihrem Arbeitsplatz? » und «Haben Ihre Arbeitskollegen ähnliche Beschwerden wie Sie?» nachgegangen werden (6). Die Detektion des Auslöseragens erfolgt über IgG-Tests im Serum, Lungenfunktionsstests vor und nach Expositionsstopp, spezifische inhalative Provokationstests und Besuch am Arbeitsplatz mit foto- bzw. videografischer Dokumentation und/oder anhand von Material des Arbeitsplatzes (6).
Anmeldung an die SUVA bei Verdacht
Gemäss Unfallversicherungsgesetz Art. 9.1 handelt es sich um eine Berufserkrankung, wenn sie ausschliesslich oder überwiegend bei der beruflichen Arbeit auftritt, aufgrund von bestimmten Arbeiten/Substanzen und die Wahrscheinlichkeit, die Erkrankung bei der Arbeit erworben zu haben bei > 50 Prozent liegt. Als Ursache infrage kommende Substanzen sind in einer vom Bundesrat verabschiedeten Liste festgehalten (Link). Befindet sich die fragliche Substanz nicht auf dieser Liste, muss die Wahrscheinlichkeit > 75 Prozent betragen, dass die Erkrankung auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen ist, um für eine Berufserkrankung zu qualifizieren (Art. 9.2), erläuterte Arbeitsmedizinerin und Pneumologin bei der SUVA Dr. Susanna Stöhr. Die SUVA anerkennt knapp 2500 Berufskrankheiten pro Jahr. Fast die Hälfte davon betreffen Ohr und Gehör (47%), gefolgt Hauterkrankungen (15%), Erkrankungen am Bewe-
Nützliche QR-Links:
Link zur Liste der anerkannten Noxen (UVG Art. 9.1) www.rosenfluh.ch/qr/noxenliste-uvg
Sammlung potenziell Berufsasthma-auslösender Noxen aus Kanada (französisch oder englisch) https://www.rosenfluh.ch/qr/asthma-noxen
Fragebogen zur HypersensitivitätspneumonitisExposition der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie, in 4 Sprachen https://www.rosenfluh.ch/qr/fragebogen-lungenerkrankungen
gungsapparat (12%) und Atemwegserkrankungen (10%),
Neoplasien (8%).
Bei hinreichendem Verdacht auf eine Berufskrankheit erfolgt
eine Anmeldung bei der SUVA oder dem zuständigen Unfall-
versicherer entweder durch den Arbeitgeber, den Betroffenen
selbst oder dessen behandelnden Arzt. Im letzteren Fall muss
das Einverständnis des Patienten vorliegen, da eine Abklärung
beim Arbeitgeber und dessen Betrieb die Folge ist. Bei der Suva
wird der Fall von der regionalen Schadenregion administrativ
geführt und durch einen Arbeitsmediziner der SUVA bearbei-
tet und beurteilt. Im Rahmen dieser Abklärungen werden
eventuell weitere Untersuchungen (z. B. allergologisch, Lun-
genfunktion) oder auch ein Betriebsbesuch notwendig.
Die SUVA kümmert sich insbesondere auch um den Schutz
des Arbeitnehmers vor weiteren Noxen und macht Vor-
schläge zur Verhinderung einer weiteren Exposition. Ist das
nicht möglich und besteht bei Weiterführung der Arbeit eine
erhebliche gesundheitliche Gefährdung, kann die SUVA eine
Nichteignungsverfügung aussprechen. Das bedeutet für den
Betroffenen ein Verlassen der aktuellen Arbeitsstelle und die
Möglichkeit einer Umschulung durch die IV, sofern er eine
abgeschlossene Erstausbildung hat. Ungelernte erhalten
durch die IV eine Berufsberatung. Wurde die Tätigkeit wäh-
rend mindestens 300 Arbeitstagen ausgeführt, wird im Rah-
men der Nichteignungsverfügung während 4 Jahren eine
Übergangsentschädigung entrichtet. Für jüngere Arbeitneh-
mer kann das eine Chance sein, einen neuen Beruf zu erlernen
und eine neue Laufbahn zu beginnen, bei älteren Arbeitneh-
menden kann ein Ende der Übergangsentschädigung nach 4
Jahren jedoch problematisch werden (fehlende Job-Perspek-
tive älterer Arbeitnehmender), gibt Stöhr zu bedenken. Aus-
serdem werden während dieser Zeit keine Pensionskassen-
beiträge eingezahlt. Deshalb müsse sehr gut überlegt sein,
welche Massnahme für wen gut ist. Aus Gründen wie diesen
ist jeder Fall immer eine Einzelfallbeurteilung.
Ein Arzt kann für seinen Patienten eine Nichteignungsverfü-
gung bei der SUVA anregen, wenn er der Meinung ist, dass
das notwendig ist. Diese setzt daraufhin Abklärungen und
Kontrollen in Gang, um die Berechtigung und die Verhältnis-
mässigkeit für diesen Patienten zu prüfen. Der Erlass einer
Nichteignungsverfügung ist immer eine einschneidende
Massnahme und muss daher gut begründet sein.
s
Valérie Herzog
Quelle: «Occupational lung diseases». Jahreskongress der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie, 21. bis 23. Juni 2023 in Basel.
Referenzen: 1. Lommatzsch M et al.: S2k-Leitlinie zur fachärztlichen Diagnostik und
Therapie von Asthma 2023. Herausgegeben von der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin e.V. www.awmf.org. Letzter Zugriff: 7.8.23 2. Baur X et al.: Guidelines for management of work-related asthma. Eur Respir J. 2012;39:529-545. 3. Barber CM et al.: British Thoracic Society Clinical Statement on occupational asthma. Thorax. 2022 May;77(5):433-442. 4. Morell F et al.: Chronic hypersensitivity pneumonitis in patients diagnosed with idiopathic pulmonary fibrosis: a prospective case-cohort study. Lancet Respir Med. 2013;1(9):685-694. 5. Pohle S et al.: Swiss hypersensitivity pneumonitis exposure questionnaire: a regionally adapted and easy-to-use aide for patients and clinicians. Respiration. 2023;102(6):465-468. 6. Barber CM et al.: Occupational hypersensitivity pneumonitis. ERS Monograph 2020;104-124.
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