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EULAR
Therapie der rheumatoiden Arthritis
Die Studie ORAL Surveillance und die Folgen
Eine Frage, die die rheumatologische Community in den vergangenen Monaten intensiv beschäftigte, ist jene nach dem Stellenwert und der Sicherheit der JAK-Inhibitoren im Management der rheumatoiden Arthritis (RA). Zahlreiche Arbeiten, die im Rahmen des diesjährigen EULAR-Kongresses vorgestellt wurden, beschäftigten sich mit diesem Thema und verglichen Sicherheit und Wirksamkeit von JAKInhibitoren und Biologika in unterschiedlichen Populationen und Kohorten.
Laut den EULAR-Empfehlungen aus dem Jahr 2020 konnten Biologika und JAK-Inhibitoren gleichberechtigt eingesetzt werden (1). Allerdings wurde 2022 die Studie ORAL Surveillance publiziert, in der in einem verblindeten Design für den JAK-Inhibitor Tofacitinib in der Behandlung der RA in einer kardiovaskulären Risikopopulation im Vergleich zu Adalimumab über 5 Jahre ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko sowie ein erhöhtes Krebsrisiko gefunden wurde (2). Diese Ergebnisse führten dazu, dass die Zulassungsbehörden FDA und EMA Sicherheitswarnungen für alle JAK-Inhibitoren in der Behandlung von älteren Patienten beziehungsweise Patienten mit spezifisch erhöhtem kardiovaskulärem oder onkologischem Risiko aussprachen. Auch die EULAR empfiehlt in ihrer 2023 aktualisierten Version der Leitlinie den Einsatz von JAK-Inhibitoren nur noch nach individueller Risikoprüfung. Allerdings hält bereits die Guideline fest, dass die Beobachtungen aus der Studie ORAL Surveillance zwar anhand von Langzeitverlängerungsstudien und Registern nicht nachvollziehbar seien, dass eine kontrollierte, verblindete Studie jedoch ein höheres Evidenzlevel bedeute und daher für die Empfehlung ausschlaggebend sein müsse (3).
Diskrepanzen zwischen Oral Surveillance und retrospektiven Daten
Univ. Prof. Dr. Daniel Aletaha von der Medizinischen Universität Wien betont, dass die Diskussion um die Sicherheit der JAK-Inhibitoren sowie um die offensichtlichen Diskrepanzen zwischen der Studie ORAL Surveillance und einer ganzen Reihe retrospektiver Studien seither intensiv geführt wird und auch zahlreiche Abstracts, die im Rahmen des EULAR 2023 präsentiert wurden, Konsequenzen dieser Studie sind. Bereits vor dem Kongress wurde eine Post-hoc-Analyse von ORAL Surveillance publiziert, die zeigte, dass das kardiovaskuläre Risiko unter Tofacitinib nur erhöht ist, wenn bereits eine kardiovaskuläre Vorerkrankung gegeben ist. Bemerkenswerterweise hat das Vorhandensein kardiovaskulärer Risikofaktoren nicht denselben Effekt, sondern es muss eine manifeste Erkrankung vorliegen. Bei Patienten ohne manifeste kardiovaskuläre Erkrankung sind die Inzidenzkurven von JAK-Inhibitoren und Anti-TNF-Biologika deckungsgleich (4). Man könne aus dieser Studie schliessen, so Aletaha, dass für die Sicherheit von JAK-Inhibitoren kardiovaskuläre Ereignisse beziehungsweise eine KHK in der
Anamnese, nicht jedoch kardiovaskuläre Risikofaktoren relevant seien.
JAK-Inhibitoren wirken unabhängig vom kardiovaskulären Risikoprofil
Eine weitere Analyse der Daten aus der Studie ORAL Surveillance ging der Frage nach, ob möglicherweise Patienten mit ungünstigerem kardiovaskulärem Risikoprofil hinsichtlich ihrer Arthritis besser auf JAK-Inhibitoren ansprechen. Dies sei relevant, wenn man das Nutzen-Risiko-Verhältnis dieser Therapien bewerten wolle. Die Ergebnisse dieser Analyse wurden im Rahmen des EULAR 2023 vorgestellt. Sie zeigen keine überlegene Wirksamkeit von JAK-Inhibitoren bei kardiovaskulären Risikopatienten. Die Analyse zeigt damit aber auch, dass Patienten mit kardiovaskulärer Erkrankung unter Therapie mit JAK-Inhibitoren ebenso gute Chancen haben, eine Remission zu erreichen wie Patienten ohne kardiovaskuläre Erkrankung (5). Dies sei, so Aletaha «vielleicht nicht überraschend, aber relevant zu wissen.» Eine Gruppe des schwedischen Karolinska Instituts stellte ebenfalls die Frage, ob es nicht vielleicht genau ältere Patienten mit höherem Risiko sind, bei denen JAK-Inhibitoren eine bessere klinische Wirksamkeit zeigen als Biologika. Die im Swedish Rheumatology Quality Register erfassten Patientendaten erlauben es, Korrelationen vom Einsatz bestimmter Medikamentengruppen mit dem Ansprechen zu analysieren. Dazu wurde das Ansprechen auf Anti-TNF-Biologika, TNF-Hemmer und JAK-Inhibitoren innerhalb von 6 Monaten nach Verschreibung erhoben. Während die Rohdaten ein besseres Ansprechen auf Anti-TNF-Biologika als auf JAK-Inhibitoren zeigten, kehrte sich dies in adjustierten Analysen zugunsten der JAK-Inhibitoren um. Ihre Überlegenheit war durch alle Subgruppen konsistent. Ein vergleichsweise besseres Ansprechen zeigte sich dem Trend nach in den Risikogruppen (über 65 Jahre, kardiovaskuläres Risiko, Raucher), das war allerdings nicht signifikant. Ebenso erwiesen sich in den adjustierten Analysen Non-TNF-Biologika im Vergleich zu den Anti-TNF-Biologika als wirksamer (6).
Kardiovaskuläres Risiko generell bei rheumatoider Arthritis erhöht
Aletaha weist auch darauf hin, dass bei Patienten mit RA das kardiovaskuläre Risiko generell erhöht ist und mit einer
8 CongressSelection Rheumatologie | August 2023
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wirksamen Therapie deutlich reduziert werden könne. So konnte bereits vor mehreren Jahren gezeigt werden, dass eine Biologika-Therapie bei RA vaskuläre Auffälligkeiten günstig beeinflusst (7), die Bildung von Plaques reduziert sowie vulnerable Plaques stabilisiert (8). Ebenfalls im Rahmen des EULAR 2023 präsentiert wurden Daten aus mehreren Registern, die abermals auf die Widersprüche zwischen den Ergebnissen der Studie ORAL Surveillance und Real-Life-Daten hinweisen. In den Registern wurde kein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko unter Therapie mit JAK-Inhibitoren gefunden – auch nicht in Analysen von Patienten, die den Einschlusskriterien von ORAL Surveillance entsprachen. Dies trifft sowohl auf die JACKPOT-Studie zu, die auf Basis von 14 RA-Registern durchgeführt wurde, und numerisch unter JAK-Inhibitoren sogar ein geringeres Risiko fand als unter Anti-TNF-Biologika (9), als auch auf eine ebenfalls im Rahmen des EULAR 2023 vorgestellte Studie, die anhand niederländischer Versicherungs daten erstellt wurde. In dieser Arbeit wurde der Beginn einer Thrombozytenaggregationshemmung als Marker für ein kardiovaskuläres Ereignis gewertet und auch hier zeigte sich ein numerisch sogar leicht reduziertes Risiko unter Therapie mit einem JAK-Inhibitor (10).
Viele, aber nicht alle Malignome treten bei RA-Patienten häufiger auf
Die Studie ORAL Surveillance zeigte unter Therapie mit Tofacitinib im Vergleich zu Anti-TNF-Biologika nicht nur ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Ereignisse, sondern auch eine erhöhte Inzidenz von Malignomen mit einer signifikanten Risikoerhöhung um fast 50 Prozent (2). Subgruppenanalysen zeigten auch hier eine deutliche Abhängigkeit von Risikofaktoren. Raucher und Ex-Raucher waren am stärksten betroffen (11). Aletaha weist allerdings darauf hin, dass Personen mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen generell ein erhöhtes Risiko für Malignome aufweisen. Dieses erhöhte Risiko bleibt auch in Zeiten moderner Therapien weitgehend bestehen, wie eine französische Studie auf Basis von Versicherungsdaten aus dem Système National des Données de Santé (SNDS) zeigt (12). Die Autoren gehen von einer um 28 Prozent erhöhten Krebsinzidenz bei Patienten mit rheumatoider Arthritis in der Zeit vor Einführung der Biologika aus, wofür vor allem Lungen- und Hautkrebs sowie Lymphome verantwortlich gemacht werden. Für die aktuelle Studie wurden nun Daten aus den Jahren 2010 bis 2020 herangezogen und hinsichtlich der nach Alter und Geschlecht standardisierten Inzidenzen (SIR) onkologischer Erkrankungen ausgewertet. Die Analyse von 1 906 742 Patientenjahren ergab auch für die Ära der Biologika eine um 20 Prozent erhöhte Krebsinzidenz. Dabei ergaben sich durchaus unterschiedliche Effekte auf verschiedene Malignome. So trat beispielsweise das Blasenkarzinom im Vergleich zur Normalbevölkerung mehr als doppelt so häufig auf, Lungenkrebs und Ohren-Nasen-Rachen-Karzinome waren jeweils um 40 Prozent häufiger als in der Normalbevölkerung, das Zervixkarzinom um 80 Prozent. Auch bei Lymphomen wurde eine deutlich erhöhte Inzidenz festgestellt. Bemerkenswerterweise waren jedoch bestimmte maligne Erkrankungen in der RA-Population seltener als in der Normalpopulation. Dies traf auf das Pankreaskarzinom, das Mammakarzinom
und am deutlichsten auf das Endometriumkarzinom zu. Insgesamt waren die Einflüsse der RA auf das Krebsrisiko bei Männern ausgeprägter als bei Frauen. Behandlungen mit csDMARD, TNF-Inhibitoren, Abatacept und Rituximab waren mit einer erhöhten Inzidenz assoziiert. Diese Assoziation wurden nicht gefunden für Anti-IL6-Biologika sowie für JAK-Inhibitoren. Im Gegensatz dazu zeigen Daten aus dem deutschen RABBIT-Register unter JAK-Inhibitoren im Vergleich zu Anti-TNF-Biologika sehr wohl eine numerisch, jedoch nicht signifikant erhöhte Krebsinzidenz. Dieser Effekt ist ausgeprägter, wenn nur nach den Kriterien der Studie ORAL Surveillance ausgewählte Patienten analysiert werden (13).
Risiken der Erkrankung und der Therapie abwägen
Im klinischen Alltag gehe es, wie Aletaha ausführt, letztlich
darum Entscheidungen zwischen dem Risiko der Erkrankung
und dem Risiko der Therapie zu treffen. Dies könne bedeuten,
dass bei einem Patienten mit starker Entzündung die Kon-
trolle der Inflammation im Vordergrund stehen sollte. Bei
einem weniger schwer erkrankten Patienten können hingegen
Sicherheitsüberlegungen ausschlaggebend sein.
s
Reno Barth
Quelle: EULAR 2023, Sessions «What’s new in RA?», am 31. Mai und «There is still a lot to say about biologicals for RA!», am 1. Juni 2023 in Mailand.
Referenzen: 1. Smolen SJ et al.: EULAR recommendations for the management of rheu-
matoid arthritis with synthetic and biological disease-modifying antirheumatic drugs: 2019 update. Ann Rheum Dis. 2020;79(6):685-699. 2. Ytterberg SR et al.: Cardiovascular and Cancer Risk with Tofacitinib in Rheumatoid Arthritis. N Engl J Med. 2022;386(4):316-326. 3. Smolen SJ et al.: EULAR recommendations for the management of rheumatoid arthritis with synthetic and biological disease-modifying antirheumatic drugs: 2022 update. Ann Rheum Dis. 2023;82(1):3-18. 4. Charles-Schoeman C et al.: Risk of major adverse cardiovascular events with tofacitinib versus tumour necrosis factor inhibitors in patients with rheumatoid arthritis with or without a history of atherosclerotic cardiovascular disease: a post hoc analysis from ORAL Surveillance. Ann Rheum Dis. 2023;82(1):119-129. 5. Buch M et al.: Impact of cardiovascular comorbidities on efficacy of tofacitinib vs TNFi in rheumatoid arthritis. Presented at EULAR 2023; Ab stract OP0043. 6. Bower H et al.: Do JAKIs work the best among those RA patients where their safety concerns are the highest? Presented at EULAR 2023; Ab stract OP0133. 7. Plein S et al.: Cardiovascular effects of biological versus conventional synthetic disease-modifying antirheumatic drug therapy in treatment-naïve, early rheumatoid arthritis. Ann Rheum Dis. 2020;79(11):1414-1422. 8. Karpouzas GA et al.: Biologics May Prevent Cardiovascular Events in Rheumatoid Arthritis by Inhibiting Coronary Plaque Formation and Stabilizing High-Risk Lesions. Arthritis Rheumatol. 2020;72(9):1467-1475. 9. Aymon R et al.: Incidence of major adverse cardiovascular events in patients with rheumatoid arthritis treated with JAK-inhibitors compared to bDMARDS: data from an international collaboration of registries (the «JAK-POT» study). Presented at EULAR 2023; Abstract OP0219. 10. Popa C et al.: Therapy with JAK inhibitors and the risk of cardiovascular events in a dutch rheumatoid arthritis population. Presented at EULAR 2023; Abstract OP0221. 11. Curtis JR et al.: Malignancy risk with tofacitinib versus TNF inhibitors in rheumatoid arthritis: results from the open-label, randomised controlled ORAL Surveillance trial. Ann Rheum Dis. 2023;82(3):331-343. 12. Beydon M: Does rheumatoid arthritis patients’ risk of overall and site specific cancer differs from the general population ? A national claims database cohort study in the era of biological treatments. Presented at EULAR 2023; Abstract OP0044. 13. Schaefer M et al.: Incident malignancies in patients with rheumatoid arthritis in daily rheumatological care. Presented at EULAR 2023; Abstract OP0218.
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