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Morbus Behçet
Vielfältige Symptomatik, schwierige Diagnose und wenig Evidenz zur Therapie
Der Morbus Behçet ist eine entzündlich rheumatische Systemerkrankung aus dem Formenkreis der Vaskulitiden, die praktisch alle Organe und Körperregionen betreffen kann. Die Erkrankung tritt gehäuft entlang der ehemaligen Seidenstrasse auf, mit einer relativ hohen Prävalenz (bis über 400 pro 100 000 Personen) in der Türkei und im Iran, aber auch in Teilen Chinas. Durch die Migrationsbewegungen der letzten Jahrzehnte steigt somit auch in Mitteleuropa die Wahrscheinlichkeit, mit Behçet-Fällen konfrontiert zu werden.
Der M. Behçet ist insofern ungewöhnlich, als er die einzige Vaskulitis ist, die kleine, mittlere und auch grosse Arterien und Venen betreffen kann, wie Prof. Gülen Hatemi von der Cerrahpasa Medical School der Universität Istanbul, erklärt. Alle Manifestationen des M. Behçet rezidivieren. Bei Männern verläuft die Erkrankung in der Regel schwerer als bei Frauen. Auch ein Krankheitsbeginn vor dem 25. Lebensjahr ist prognostisch ungünstig, jenseits der 40 kommt es charakteristischerweise zu einem Abflauen. Das Krankheitsbild ist vielfältig, wobei rezidivierende orale und genitale Aphthen die häufigsten Manifestationsformen darstellen. Hautmanifestationen wie Papulopustulose oder Erythema nodosum sind ebenfalls häufig. Häufig und problematisch ist eine Augenbeteiligung, die mit einem hohen Erblindungsrisiko einhergeht. Auch eine Arthritis, venöse Thrombosen sowie gastrointestinale und zentralnervöse Manifestationen können hinzukommen. Entsprechend komplex kann die Differenzialdiagnose sein, zumal zahlreiche Phänomene im Zusammenhang mit Morbus Behçet noch nicht vollständig verstanden sind. Dies betrifft beispielsweise die Aussagekraft des Pathergie-Tests, der auf einer unspezifischen Hyperreagibilität der Haut auf eine traumatische Schädigung beruht. In der Praxis setzt man einen intradermalen Nadelstich, auf den es nach 24 bis 48 Stunden zur Ausbildung einer dermalen Papel oder Pustel kommt. Ein positiver Pathergie-Test ist als relativ spezifisch, aber nicht als pathognomonisch für den M. Behçet anzusehen. Aus ungeklärten Gründen nimmt die Aussagekraft des Pathergie-Tests jedoch ab. Während 1980 in einer türkischen Kohorte noch mehr als 80 Prozent der Patienten einen positiven Pathergie-Test zeigten (1), waren es 2008 an Hatemis Abteilung nur noch 17 Prozent. Verbesserte Hygienebedingungen werden als Ursache für diesen Verlust an diagnostischer Aussagekraft diskutiert. In einer aktuellen Studie wurde gezeigt, dass die Sensitivität des Pathergie-Tests wieder auf 80 Prozent steigt, wenn damit eine Pneumokokkenvakzine appliziert wird (2).
Erblindungsgefahr: Bei Morbus Behçet immer auf die Augen achten
Von entscheidender Bedeutung ist die frühe Diagnose einer Behçet-Uveitis, da diese unbehandelt bei einem hohen Prozentsatz der Betroffenen zur Erblindung führt. Die vor zwei Jahren von der Standardization of Uveitis Nomenclature (SUN) Working Group publizierten Klassifikationskriterien sieht Hatemi als problematisch (3). Unter anderem weil sie die Diagnose eines M. Behçet voraussetzen, die Uveitis aber nicht selten als Erstmanifestation auftritt und rund 20 Prozent der Patienten mit Behçet-Uveitis zum Zeitpunkt des Auftretens der Augensymptomatik die Kriterien für eine Behçet-Diagnose nicht erfüllen. Als bessere Option bietet sich ein ebenfalls 2021 von einer internationalen Forschungsgruppe publizierter, praxisnaher Algorithmus an (4). Die Bildgebungsmethode zur Diagnose der Behçet-Uveitis ist nach wie vor die Fluorescein-Angiographie, als nicht invasive Alternative, insbesondere in der Verlaufsbeobachtung, setzt sich zunehmend die Optische Kohärenztomographie (OCT) durch. Auch die Laser Flare Photometrie wird in dieser Anwendung diskutiert. Die Beteiligung des Gefässsystems kann alle Arterien und Venen im gesamten Organismus betreffen. Grundsätzlich verdächtig auf einen M. Behçet sind thromboembolische Ereignisse bei jungen Männern, sofern diese nicht zum Beispiel durch eine Koagulopathie erklärbar sind. Typisch sind schlechtes Ansprechen auf Antikoagulation, schlechte Rekanalisation und Rezidive sowie die Beteiligung unterschiedlicher Körperregionen mit zunehmender Ausbreitung nach proximal mit jedem Rezidiv. Lebensbedrohliche Komplikationen wie das Budd-Chiari Syndrom (Verschluss der Lebervenen, unter Umständen auch mit Beteiligung der Vena cava inferior) oder intrakardiale Thrombosen sind nicht selten. Diese potenziell schwerwiegenden Komplikationen machen eine extensive Abklärung erforderlich, so Hatemi, die eine Dopplersonographie der Extremitäten, eine CT-Angiographie des Thorax, eine Abklärung des Abdomens mittels
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Ultraschall oder CT-Angiographie, eine Echokardiographie und eine kraniale MR-Angiographie umfassen sollte. Thrombosen im Verlauf eines M. Behçet haften typischerweise fest an der verdickten, entzündeten Venenwand an, was sowohl in Autopsiepräparaten als auch mit moderner Bildgebung (PET-CT) nachgewiesen werden konnte. Ein PET-CT ist auch die Methode der Wahl zum Nachweis einer arteriellen Beteiligung. Der Nachteil liege allerdings in der geringen Spezifität, so Hatemi. Das PET-CT ist hilfreich, um einen M. Behçet von nicht entzündlichen Erkrankungen abzugrenzen, erlaubt jedoch keine Differenzierung von anderen Vaskulitiden, Infektionen und Malignomen (5). Eine zentralnervöse Symptomatik kann sowohl die Folge von Thrombosen in den Hirngefässen sein als auch durch eine direkte Hirnbeteiligung entstehen. Entsprechende Läsionen sind mittels T2-gewichteter MRT nachweisbar und kommen vor allem in der rostralen Pons, dem Mesencephalon und dem Diencephalon vor. Auch der Liquor ist bei einem M. Behçet mit ZNS-Beteiligung auffällig und enthält Entzündungsmarker wie Interleukin 6 und vermehrt Leukozyten.
Auf dem Weg zu einer Treat-to-Target-Strategie
Auch im Zeitalter der Biologika sind die Therapieergebnisse beim M. Behçet suboptimal; Studiendaten zeigen, dass die Schäden auch nach Therapiebeginn noch zunehmen. Dies könne an einer inkonsequenten Anwendung der verfügbaren Therapien liegen, erläutert Hatemi, die eine Treat-to-Target-Strategie für den M. Behçet vorschlägt. Diese müsse sich neben der Akutbehandlung von Flares auch auf die Prävention weiterer Rezidive fokussieren. Bei multiplen Organbeteiligungen muss dabei jedes betroffene Organ berücksichtigt werden. Defizite bestehen nach wie vor bei der Definition von Outcomes und deren Quantifizierung (6, 7). Die zahlreichen, beim M. Behçet eingesetzten Scores und Indizes eignen sich nicht für eine Treat-to-Target-Strategie, da sie nicht gewichtet sind und klare Definitionen der Organbeteiligung fehlen. Dies ist insofern von entscheidender Bedeutung, als verschiedene Organbeteiligungen unterschiedlich auf verschiedene Therapien ansprechen. So wirkt beispielsweise Colchicin gut auf Haut und Gelenke, ist aber bei Beteiligung von Augen und anderen Organen wirkungslos. Im Gegensatz dazu wirkt Cyclosporin A sehr gut auf eine Uveitis, kann aber bei ZNS-Beteiligung die Situation sogar verschlechtern; ebenso wirken sich IL-6-Inhibitoren ungünstig auf Haut, Mukosa und Gelenke aus. Azathioprin zeigt ebenso wie Anti-TNF-Biologika eine breite Wirksamkeit, wobei für einige Manifestationen randomisierte Daten fehlen (8). Glukokortikoide spielen im Management akuter Flares eine wichtige Rolle, beispielsweise bei Uveitis.
Bessere Wirksamkeit: Biologika-Therapie beginnt sich durchzusetzen
Generell geht der Trend in Richtung einer «Tight Control»-Strategie mit Biologika. So wird beispielsweise diskutiert, die bislang vor allem bei akuter Bedrohung des Visus eingesetzte Kombination von Glukokortikoiden und TNF-Blockern auch bei weniger schwerer Uveitis zu verwenden, da Studiendaten Vorteile für Adalimumab als Erstlinientherapie zeigen (9). Insbesondere erlaubt die Therapie mit Biologika auch eine Reduktion der Steroiddosis, und sollte
daher bei allen Patienten in Erwägung gezogen werden, die
hochdosierte Glukokortikoide benötigen. Allerdings unter-
streicht Hatemi, dass beispielsweise im Falle der Uveitis rund
60 Prozent der Patienten gut auf die konventionelle Immun-
suppression ansprechen und daher auch eine Gefahr von
Übertherapie bestehe, wenn unterschiedslos Biologika ein-
gesetzt würden.
Die Frage, ob Step-Up- oder Step-Down-Strategien der Vor-
zug gegeben werden soll, ist im Falle des M. Behçet nicht
ausdiskutiert. Im Falle der Uveitis wird derzeit empfohlen,
dass konventionelle Therapien milden Fällen vorbehalten
bleiben sollten. In jedem Fall sind engmaschige Kontrollen
geboten (10). Randomisierte, prospektive Studien zum Ver-
gleich unterschiedlicher Biologika fehlen. Hatemi weist auf
retrospektive Daten hin, die für Infliximab ein besseres An-
sprechen im Vergleich zu Adalimumab zeigen, wobei Letzte-
res paradoxerweise bessere Retentionsraten haben dürfte.
Eine weitere Option stellt der gegen den Interleukin-6-Rezep-
tor gerichtete Antikörper Tocilizumab dar.
Auch bei der Behandlung venöser Thrombosen wird emp-
fohlen, in schweren Fällen initial hochdosierte Glukokorti-
koide in Kombination mit einem Biologikum oder Cyclo-
phosphamid einzusetzen, während in leichteren Fällen kon-
ventionelle DMARD wie Azathioprin oder Mycophenolat
zum Einsatz kommen können.
Als prognostisch aussagekräftig hat sich die Rekanalisie-
rungsrate nach drei Monaten erwiesen, die mittels Dopp-
ler-Ultraschall evaluiert wird (11). Die Frage, ob eine man-
gelnde Rekanalisierung zu einem Therapiewechsel führen
sollte, könne derzeit jedoch nicht evidenzbasiert beantwortet
werden, so Hatemi. Das Ziel der Behandlung im Falle von
Thrombosen ist die Prävention eines postthrombotischen
Syndroms. Immunsuppressiva sind in dieser Hinsicht hilf-
reich, eine Antikoagulation im Falle des M. Behçet allerdings
eher nicht. Hatemi empfiehlt die Antikoagulation nur in sel-
tenen Fällen, wenn daneben weitere Risikofaktoren für
Thrombosen vorliegen. Nicht zu vergessen ist die Toxizität
der eingesetzten Therapien. Eine französische Studie fand in
der Behçet-Population eine generell hohe Mortalität sowie
eine eingeschränkte Lebenserwartung, wobei rund die Hälfte
der verstorbenen Patienten nicht am M. Behçet verstarb. Eine
jahrelange Immunsuppression und hoher Steroidgebrauch
dürften zur hohen Sterblichkeit der Behçet-Patienten beitra-
gen (12). Es bestehe die Hoffnung, so Hatemi, dass sich die
Situation mit dem vermehrten Einsatz der Anti-TNF-Biolo-
gika bessert, da diese besser vertragen werden als z. B. Cyclo-
phosphamid und eine Reduktion der Steroidbelastung er-
möglichen.
s
Reno Barth
Quelle: EULAR 2023, WIN (What’s new in) Session «New trends in diagnosis, management and treatment of Behcet disease», am 2. Juni 2023 in Mailand.
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Referenzen: 1. Yazici H et al.: The combined use of HLA-B5 and the pathergy test as
diagnostic markers of Behçet›s disease in Turkey. J Rheumatol. 1980;7(2):206-10. 2. Deniz R et al.: Improved sensitivity of the skin pathergy test with polysaccharide pneumococcal vaccine antigens in the diagnosis of Behçet disease. Rheumatology (Oxford). 2023;62(5):1903-1909. 3. Standardization of Uveitis Nomenclature (SUN) Working Group. Classification Criteria for Behçet Disease Uveitis. Am J Ophthalmol. 2021;228:80-88. 4. Tugal-Tutkun I et al.: An Algorithm for the Diagnosis of Behçet Disease Uveitis in Adults. Ocul Immunol Inflamm. 2021;29(6):1154-1163. 5. Bettiol A et al.: Vascular Behçet syndrome: from pathogenesis to treatment. Nat Rev Rheumatol. 2023;19(2):111-126. 6. Hatemi G. A treat-to-target approach is needed for Behçet›s syndrome. Curr Opin Rheumatol. 2022;34(1):39-45. 7. Fragoulis GE et al.: Treat to target in Behcet›s disease: Should we follow the paradigm of other systemic rheumatic diseases? Clin Immunol. 2023;246:109186. 8. Hatemi G et al.: Behçet Syndrome. Rheum Dis Clin North Am. 2023;49(3):585-602. 9. Yang S et al.: Comparative study of adalimumab versus conventional therapy in sight-threatening refractory Behçet›s uveitis with vasculitis. Int Immunopharmacol. 2021;93:107430. 10. Tugal-Tutkun I, Çakar Özdal P: Behçet›s disease uveitis: is there a need for new emerging drugs? Expert Opin Emerg Drugs. 2020;25(4):531-547. 11. Ozguler Y et al.: Clinical course of acute deep vein thrombosis of the legs in Behçet›s syndrome. Rheumatology (Oxford). 2020;59(4):799-806. 12. David E et al.: Mortality associated with Behçet›s disease in France assessed by multiple-cause-of-death analysis. Clin Rheumatol. 2022; 41(6): 1749-1758.
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