Transkript
EULAR
«Bei Infektverdacht sofort eine Therapiepause veranlassen»
Interview mit Dr. med. Adrian Forster, Chefarzt an der Schulthess Klinik Zürich
Wir baten Dr. med. Adrian Forster von der Schulthess Klinik Zürich um eine klinische Einordnung einiger Studien, die am Jahrestreffen 2023 der EULAR vorgestellt wurden, und befragten den Experten zu seinen persönlichen Kongresshighlights.
Foto: KD
CongressSelection: Herr Dr. Forster, nach der
COVID-19-Pandemie fand der Kongress der
EULAR zum ersten Mal wieder «physisch»
statt. Wie waren Ihre Eindrücke?
Dr. med. Adrian Forster: Es war ein extrem gut
besuchter Kongress in Mailand, mit wohl über
10 000 Personen. Ich hatte das Gefühl, dass es
nun auch die Allerletzten wieder gewagt haben,
unter die Leute zu gehen. Das wieder mögliche
Dr. med. Adrian Forster
uneingeschränkte Zusammentreffen und der Austausch vor Ort wurden offensichtlich sehr
geschätzt. Die Qualität des EULAR-Kongresses nimmt kon-
tinuierlich zu, mit Präsentationen vieler guter Studien, aber
auch ausgezeichneten Review-Vorträgen. Allerdings haben
durch die Pandemie viele Studien gelitten, manche wurden
sogar abgebrochen.
Es wäre schön, wenn wir irgendwann mal so weit wären wie in der Onkologie, in der man anhand von molekulargenetischen und anderen Gewebe- und Zellcharakterisierungen ganz genau sagen kann, welche Substanz am besten den Tumor eradiziert.
Apropos COVID, gibt es da neue Erkenntnisse in Bezug auf Rheumaerkrankungen? So rasch wie die COVID-19-Problematik abgeklungen ist, hat auch das wissenschaftliche Interesse daran nachgelassen. Zur akuten Erkrankung wurde kaum mehr Neues berichtet. Bei Long COVID haben Rheumapatienten im Durchschnitt mehr und stärker ausgeprägte Symptome. Dies betrifft beispielsweise die Fatigue und myofasziale Schmerzsyndrome. Das liegt aber an der Grunderkrankung, welche per se schon mit solchen Manifestationen verbunden ist.
Zur künstlichen Intelligenz (KI) wurden neue Arbeiten vorgestellt ... Ja, die KI hält immer mehr Einzug in die Rheumatologie. So hat man an der Universität Leiden MRI-Untersuchungen von Händen und Füssen gemacht und diese dann mithilfe von Deep-Learning-Methoden analysieren lassen. Zuerst hat die KI begonnen, die Anatomie zu verstehen. Danach wurde von der KI die Pathologie bei rheumatoider Arthritis (RA) im Vergleich zu gesunden Personen analysiert und in einem dritten Schritt konnte, beispielsweise anhand von Erosionen, der Beginn einer RA bei Patienten mit Polyarthralgien vorhergesagt werden. Die Zuverlässigkeit war praktisch gleich hoch wie bei einem menschlichen Experten, der das Ganze dann herkömmlich überprüfte. Die bildgebenden Methoden, also CT und MRI, werden immer besser, alle paar Jahre verdoppelt sich deren Auf lösung. Diese zunehmende Fülle an Bildmaterial stresst die Radiologen kolossal. Sie müssen immer mehr B ilder durchschauen, um zu Beurteilungen zu gelangen. Ich bin davon überzeugt, dass in Zukunft ein Grossteil dieses Materials mithilfe künstlicher Intelligenz bearbeitet werden wird und die Radiologen dann nur noch Unsicherheiten und spezi fischen Fragestellungen nachgehen. Allerdings werden sich dann auch juristische Fragen auftun. Wie weit kann man sich auf so eine Maschine verlassen? Wie wichtig ist es, dass da schliesslich doch noch ein Radiologe kontrolliert und in welchem Umfang?
Neben Biomarkern wird auch die Bildgebung immer mehr zur Therapiesteuerung eingesetzt. Generell sehen wir grosse Anstrengungen, um gezielter und schneller zur optimalen Therapie zu kommen. Denn das Hauptproblem in der Rheumatologie ist, dass wir bislang nur wenig vorhersagen können, welche Substanzen bei welchen Patienten am ehesten Erfolg versprechen. Natürlich haben wir gewisse Indizien. Zum Beispiel haben wir bei antikörperpositiven RA-Patienten höhere Response-Raten, wenn wir Abatacept oder Rituximab einsetzen, und bei antikörpernegativen Patienten fahren wir besser mit einem TNF-Hemmer oder einem Januskinase-Inhibitor, ansonsten wissen wir aber erst sehr wenig. Es wäre schön, wenn wir irgendwann mal so weit wären wie in der Onkologie, in der
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man anhand von molekulargenetischen und anderen Gewebe- und Zellcharakterisierungen ganz genau sagen kann, welche Subs tanz am besten den Tumor eradiziert. Leider sind wir in der Rheumatologie von so etwas noch weit entfernt.
Wenn ein frisch diagnostizierter Patient mit rheumatoider Arthritis kommt, nach welchen Kriterien wählen Sie die Therapie? Generell ist bei einem Patienten mit früher rheumatoider Arthritis laut Guidelines die Standardtherapie indiziert, nämlich Methotrexat. Wenn dieses ungenügend wirkt oder nicht vertragen wird, gilt es sorgfältig zu schauen: Was sind die Patientenbedürfnisse und was für Krankheitscharakteristika hat der Patient? Kann man vorhersagen, was am ehesten wirkt? Beim Patientenbedürfnis ist zum Beispiel eine grosse Frage, ob der Betroffene sich vorstellen kann, sich regelmässig etwas zu spritzen oder ob er eine perorale Therapie bevorzugt. Spritzen bedeutet Biologikum und Schlucken bedeutet einen Januskinase-Hemmer oder herkömmliche Substanzen wie Leflunomid. Wenn die Injektion die Therapie der Wahl ist, und der Patient vielleicht sagt, «ich wäre schon froh, wenn wir das nicht häufiger als einmal im Monat machen müssen», dann ist Golimumab eine gute Substanz. Wenn er aber sagt, es komme ihm nicht so darauf an, dann kann man im Prinzip aus der gesamten, inzwischen recht grossen Palette auswählen, die zur Verfügung steht. Auch Infusionen wären dann eine gewisse Option. Man muss die Wahl in erster Linie von der Krankheitscharakteristik abhängig machen.
Wichtig für die Hausärzte ist, dass sie sensibilisiert sind, den Schmerzcharakter zu erkennen und dass sie einen Facharzt beiziehen, sobald ein Verdacht auf eine Spondyloarthritis besteht.
Wenn jemand eine hohe Entzündungsaktivität aufweist, mit Müdigkeit, schlechtem Allgemeinbefinden, Appetitlosigkeit und Gewichtsverlust, dann wird man gerne Tocilizumab geben. Denn damit lässt sich die systemische Entzündungsreaktion voll supprimieren und dann werden auch die Begleitsymp tome verschwinden. Ist der Patient antikörpernegativ, wird man eher einen TNF-Hemmer nehmen und bei einem antikörperpositiven Patienten würde man eher Abatacept einsetzen, wenn die Erkrankung nicht rasch destruierend verläuft. Abatacept wird auch dann favorisiert, wenn das Infektionsrisiko erhöht ist, da es von allen Biologika das geringste Infektionsrisiko in sich trägt. Und für Patienten, die antikörperpositiv sind und bereits einen TNF-Hemmer hatten, ist Rituximab auch eine ausgezeichnete Option. Aber das sind nur ein paar Beispiele.
Gab es denn Neuigkeiten zur medikamentösen Therapie bei rheumatoider Arthritis? Bei der RA gab es den grossen Durchbruch vor gut 20 Jahren. Da sind die Biologika gekommen, zuerst die TNF-Hemmer, dann Rituximab, Abatacept und Tocilizumab. Das sind
eigentlich immer noch die Hauptsubstanzen zur Secondline-Therapie. Seit einigen Jahren haben wir auch die Januskinase-Hemmer. Im Durchschnitt sind diese neuen Basistherapeutika potenter als die herkömmlichen Substanzen, vor allem zur Bremsung des erosiv-destruktiven Prozesses. Bei diesen stärker immunsuppressiven Substanzen ist dann aber die Frage aufgekommen, ob zum einen darunter häufiger Tumoren entstehen und zum anderen, wie es mit kardiovaskulären Ereignissen aussieht. Dazu wurde am EULAR eine Langzeitstudie vorgestellt, in welche die Daten von über 100 000 Patienten aus den Jahren 2010 bis 2020 eingeflossen sind. Darin hatten Patienten mit antikörperpositiver rheumatoider Arthritis entweder Januskinase-Inhibitoren oder TNF-Hemmer erhalten. Spannend war, dass unter beiden Therapieformen das Risiko für Krebs und kardiovaskuläre Erkrankungen im Durchschnitt geringer gewesen ist als bei Patienten unter herkömmlichen Therapien, wie Methotrexat oder Leflunomid. Das ist eine positive Botschaft. Allerdings waren wahrscheinlich nicht die Substanzen per se weniger problematisch, sondern die durch sie bewirkte bessere Krankheitssuppression.
Eine Studie zur Herpes-Zoster-Impfung zeigt gute Impfantworten bei einem Januskinase-Inhibitor … Generell vermindern Januskinase-Hemmer die Impfresponse. Wenn Sie diese um die Impfung herum kurz pausieren, dann erhalten Sie eine bessere Immunantwort. Daneben gibt es noch zwei andere Substanzen, die bei Impfungen stark beeinträchtigend sind, nämlich Rituximab und Abatacept. Bei Rituximab soll am Ende des Zyklusintervalls und bei Abatacept in einer kurzen Pause geimpft werden. TNF-Hemmer sind dagegen völlig unproblematisch. Im Gegenteil: Die anti-TNF-Therapie stimuliert interessanterweise die B-Zellen sogar ein bisschen. Übrigens wird auch unter Methotrexat empfohlen, eine kurze Pause beim Impfen zu machen.
Bei der Psoriasisarthritis (PsA) gab es ein Update der Guidelines. Generell hat sich bei der PsA gezeigt, dass Steroide einen nur sehr geringen Effekt haben, wenn überhaupt. Darum sollte man damit sehr zurückhaltend umgehen und genau beobachten, ob sie wirklich etwas bringen. Eine zügige Therapie ist auch bei der PsA wichtig, allerdings gilt es, neben der Krankheitsaktivität auch die Geschichte des jeweiligen Patienten gut zu berücksichtigen. Ich sehe immer wieder PsA-Patienten, die schon lange unter Polyarthralgien leiden. Und wenn wir sie röntgen, sehen wir praktisch keinen Gelenkschaden. Da sollte man jetzt nicht gleich mit Kanonen, sprich mit Biologika, schiessen.
Was halten Sie von der Vergleichsstudie Ixekizumab versus Adalimumab? Ixekizumab wirkt sicherlich besser auf Haut und Nägel. Allerdings muss man immer ein bisschen aufpassen, denn in vielen Studien wird mit Adalimumab verglichen. Dabei ist Adalimumab in Monotherapie, alle zwei Wochen gespritzt, ziemlich knapp dosiert und zum Beispiel bei der rheumatoiden Arthritis oder der Hautpsoriasis im Durchschnitt eindeutig zu gering. Das nutzen die Pharmafirmen aus, um zu
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zeigen, dass die jeweils andere Substanz besser ist. Tatsächlich haben die IL-17-Hemmer im Durchschnitt eine bessere Wirkung auf die Haut als die TNF-Hemmer. Bei der PsA haben wir zudem die IL-23-Hemmer Guselkumab, Risankizumab, Tildrakizumab und Ustekinumab. Auch diese haben eine hervorragende Wirkung auf die Haut, wohingegen wir im Vergleich zu anti-TNF bei den Gelenken nicht mit einer besseren Wirkung rechnen dürfen. Steht der Hautbefall im Vordergrund oder ist das Infektionsrisiko erheblich, sind diese aber sicher eine sehr gute Option.
Auch die Komorbiditäten der PsA standen im Fokus ... Ja, es ist gezeigt worden, dass auch bei einer PsA das kardiovaskuläre Risiko erheblich erhöht ist. Man hat auch gesehen, dass Patienten mit aktiver PsA einen entzündlichen Aorten-Befall haben können, was bislang nicht so bekannt war. Bei diesen Patienten ist es sehr wichtig, vielleicht noch wichtiger als bei der RA, die kardiovaskulären Risikofaktoren anzuschauen. Auch eine Suppression der systemischen Entzündung als Risikofaktor ist wünschenswert.
Bei PsA ist die Entzündung im Körper also noch stärker als bei RA? Nein. Aber es ist so, dass bei der PsA die Patienten häufiger als bei RA unter Übergewicht und den damit verbundenen Risikofaktoren leiden. Übergewicht stimuliert die systemische Entzündung. Und das macht’s halt schwieriger.
Die Guidelines sagen ganz klar, dass bei Fibromyalgie nicht die medikamentöse Therapie die erste Massnahme ist, sondern die Patientenschulung.
Bei der Spondyloarthritis (SpA) zeigte sich, dass die frühe Diagnose nach wie vor eine Herausforderung darstellt. Das ist richtig. Andererseits zeigen die Ergebnisse der ESPACE-Kohorte, dass es bei Patienten um die 45 Jahre mit neu auftretenden Rückenschmerzen mit den heutigen Kriterien recht zuverlässig gelingt, die Diagnose einer axialen SpA zu stellen. Bei den von den Rheumatologen mit frischen unteren Rückenschmerzen diagnostizierten SpA-Fällen zeigte sich nach 2 Jahren nur in 5 Prozent, dass die SpA-Diagnose falsch war. Bei 8 Prozent mit anfangs unsicherer Diagnose war man sich nach 2 Jahren sicher, dass sie stimmt. Also kann man nach den heutigen Kriterien eigentlich von Beginn der Krankheit an mit hoher Sicherheit die Diagnose SpA stellen.
Kann das der Hausarzt auch? Nein, das ist eine fachärztliche Aufgabe. Wichtig für die Hausärzte ist, dass sie sensibilisiert sind, den Schmerzcharakter zu erkennen und dass sie einen Facharzt beiziehen, sobald ein Verdacht auf eine Spondyloarthritis besteht. Generell sieht es da in der Schweiz aber nicht schlecht aus.
Zur SpA wurde auch ein randomisierter Head-To-Head-Vergleich zwischen Secukinumab und Adalimumab vorgestellt. Es wurde gezeigt, dass die beiden Substanzen in gleichem Ausmass das röntgenologische Fortschreiten bei axialer Spondyloarthritis schon früh zu hemmen vermögen. Je rascher so eine Therapie eingesetzt wird, also wenn noch kein entzündungsbedingter Schaden am Knochen der Wirbelkante erfolgt ist, desto besser wird die Progression gehemmt. Wir wissen bei Krankheitsbeginn zwar noch nicht, welche Patienten eine solche Therapie wirklich benötigen und welcher Behandlungsansatz für den einzelnen Patienten der beste ist. Da bereits mehrere Alternativen zur Verfügung stehen, schaffen wir es immer häufiger, die Erkrankung zur Ruhe zu bringen.
Dagegen ist der Arthrose nur sehr schwer beizukommen. Jetzt versucht man es mit Denosumab bei Handarthrose … Ja, das fand ich eine sehr interessante Arbeit. Allerdings hat man mit 60 mg alle drei Monate das doppelte der Denosumab-Dosierung verwendet, die normalerweise bei Osteoporose eingesetzt wird. Das Resultat war eindrücklich: Bereits nach einem halben Jahr war eine Hemmung der erosiven Progression nachzuweisen. Eine Frage ist natürlich, was passiert mit diesen Patienten, wenn man das Medikament wieder absetzt? Bei der Osteoporose kann es nach dem Absetzen ja infolge des Rebounds des Knochen-Turnovers zu Frakturen kommen. Bei den Patienten in dieser Studie, die nicht an Osteoporose litten, hat man das aber nicht beobachtet. Es gab noch eine weitere, sehr interessante Arbeit zur Handarthrose: Bei symptomatischen Patienten mit Fingerpolyarthrose und kernspintomographisch nachgewiesener Gelenkaktivierung wurde Methotrexat 20 m g wöchentlich mit Plazebo verglichen. Die Schmerzen und Steifigkeit waren nach 6 Monaten unter Methotrexat signifikant geringer. Eine weitere Studie konnte zeigen, dass Patienten mit Colchicin 0,5 mg/Tag weniger Knie- und Hüftprothesen bekamen. Da kommt natürlich die Frage auf, ob Colchicin gegen die schmerzhafte Arthroseaktivierung oder gegen die assoziierte Chondrokalzinose wirkt. Das fand ich sehr interessant. Das alte Phytotherapeutikum Colchicin scheint derzeit nicht nur in der Kardiologie, sondern auch bei uns in der Rheumatologie eine Renaissance zu erfahren. Insgesamt werden im Management der Arthrose im Vergleich zu früher zwei Dinge stärker beachtet, die neu auch in die Guidelines eingeflossen sind: Wenn man therapeutischen Erfolg haben will, müssen die psychologischen und sozialen Aspekte und nicht nur die somatischen Probleme bedacht werden; man tritt also mit einem biopsychosozialen Modell dem Patienten gegenüber. Andererseits soll die Wahl der Behandlung stets eine shared decision sein.
Apropos Schmerzen, das ist ein sehr aktuelles Thema bei der Fibromyalgie. Die Guidelines sagen ganz klar, dass bei Fibromyalgie nicht die medikamentöse Therapie die erste Massnahme ist, sondern die Patientenschulung. Beispielsweise sollte man die Betroffenen zu Ausdaueraktivitäten motivieren, um dadurch die Schmerzschwelle zu erhöhen. Nach wie vor werden den Patienten leider hochpotente Opioide verschrieben. In einer englischen Arbeit wurde nun gezeigt, dass bei einer Behand-
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lung mit Opioiden – vor allem bei einem hochdosierten Einstieg – ein Viertel der Fibromyalgiepatienten davon abhängig wird. Da muss man, besonders bei vulnerablen Menschen, sehr aufpassen. Wir sollten auf eine solche Therapie verzichten, weil damit letztlich das Problem der Grunderkrankung, nämlich die zentrale Sensibilisierung, sogar verstärkt wird. In der Schweiz ist das Problem sicher geringer als in den USA. Aber auch hierzulande wird meines Erachtens bei allgemein chronischem Schmerz, beispielsweise bei degenerativen Rücken- oder Gelenkerkrankungen, vor allem bei Betagten, noch viel zu häufig auf Opioide zurückgegriffen.
Interessant war auch eine Studie, nach der sich bioaktives Methotrexat (MTX) in den Spermien der Männer nicht nachweisen lässt. Das halte ich für eine wichtige Botschaft. Vor Jahren erachtete man Methotrexat bei Männern mit Konzeptionswunsch als völlig unproblematisch, da es keine Hinweise gab, dass darunter die Teratogenitäts- und Abortrate erhöht werden könnte. Vor allem aufgrund tierexperimenteller Daten haben dann aber diverse Fachgesellschaften plötzlich angefangen zu empfehlen, auch bei Männern mit MTX lange zu pausieren und die Pharmafirmen schreiben diese Empfehlung bis heute
auf den Beipackzetteln, was enorm verunsichert. Inzwischen erachten es aber die meisten Fachgesellschaften weltweit als statthaft, MTX bei Konzeptionswunsch beizubehalten. Sehr wichtig fände ich es, Schwangerschaften genau in Registern zu erfassen, wenn der Mann bei der Konzeption unter MTX-Therapie gestanden ist.
Zum Abschluss noch ein Tipp für den Hausarzt?
Die Behandlungsmöglichkeiten nehmen in der Rheumatolo-
gie insgesamt immer mehr zu. Immunsuppressive Basisthera-
peutika haben einen immer grösseren Stellenwert. Der Pa
tient profitiert aber nicht nur von den neuen Möglichkeiten
zur Behandlung entzündlicher Erkrankungen, sondern auch
von jenen für die degenerativen Erkrankungen und die Os-
teoporose. Wenn die Behandlung nicht zum Erfolg kommt,
kann es sich lohnen, niederschwellig einen Facharzt hinzuzu-
ziehen. Eine der grossen Aufgaben der Hausärzte ist es
zudem, bei immunsupprimierten Patienten mit Infektions-
verdacht sofort eine Therapiepause zu veranlassen und mög-
lichst rasch für eine geeignete Abklärung und Behandlung zu
sorgen.
s
Das Interview führte Klaus Duffner.
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