Transkript
ECCO
Interview mit Prof. Gerhard Rogler, Universitätsspital Zürich
«Die Zusammenarbeit mit den Hausärzten wird enger»
Am diesjährigen Jahrestreffen der European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO) in Kopenhagen zeigte sich, dass neben den Biologika die Januskinase-Inhibitoren in Zukunft eine immer wichtigere Rolle für die Behandlung von entzündlichen Darmerkrankungen spielen. Im Interview erläutert der Gastroenterologe Prof. Dr. med. Dr. phil. Gerhard Rogler vom Universitätsspital Zürich seine Kongress-Highlights.
Foto: KD
CongressSelection: Herr Prof. Rogler, was
stach am diesjährigen ECCO für Sie besonders
heraus?
Prof. Gerhard Rogler: Sicher die neuen Upada-
citinib-Daten. Die sind schon wirklich sehr,
sehr gut. Da gab es zwei Präsentationen, die
gezeigt haben, dass Upadacitinib, selbst nach
zwei Vortherapien mit Biologika, noch gleich
gut wirkt. Im Gegensatz dazu sind unsere bis-
Prof. Gerhard Rogler
her eingesetzten Medikamente nach dem Scheitern einer Biologikatherapie meist viel schwä-
cher wirksam. Bislang ist Upadacitinib in der Schweiz für die
Behandlung von entzündlichen Darmerkrankungen noch
nicht zugelassen. Es existiert nur eine Zulassung für die
Rheumatologie, also RA, PsA und AS sowie für die Atopi-
sche Dermatitis. Dieser JAK1-Inhibitor ist sehr effizient und
auch die Sicherheitsdaten haben mich überzeugt. Ich denke,
dass es in Zukunft eines der häufiger eingesetzten Medika-
mente sein wird.
Aus meiner Sicht auch überzeugend sind die neuen Daten
zum IL-23-Hemmer Risankizumab, bei Morbus Crohn. Die
Colitis-Daten kannten wir ja schon länger.
sagen. So sollen spezifische DNA-Methylierungen eine Prognose des endoskopischen Ansprechens auf Adalimumab, Vedolizumab und Ustekinumab erlauben. Was meinen Sie dazu? Rogler: Wer ist in der Lage, so etwas durchzuführen, bevor eine Therapie initiiert wird? So eine Analyse kostet ein paar Tausend Franken. Nur wenn es ein ganz einfach nachzuweisendes und preiswert zu bestimmendes Methylierungsmuster gibt, wird man sich diese Diagnostik überlegen. Solange es nicht mit den gängigen Tests, wie PCR oder ELISA, funktioniert, hat es keine Chance, in die Praxis zu kommen. Zudem lässt die Genauigkeit noch zu wünschen übrig. Bei vielen derzeitig in der Praxis genutzten diagnostischen Tests, wie beispielsweise den TransglutaminaseAntikörpern, haben wir eine Spezifität und Sensitivität im Bereich von 98 Prozent oder 99 Prozent. Darauf kann man Entscheidungen bauen. Wenn nun jemand aufgrund des Methylierungsmusters nur eine Wahrscheinlichkeit von 70 Prozent besitzt, auf Infliximab anzusprechen, versuche ich es trotzdem. Die Vorhersagegenauigkeit ist dann schlicht nicht ausreichend, um meine Entscheidung zu beeinflussen.
Wie steht es insgesamt mit der Sicherheit der JAK-Inhibitoren? Rogler: Insgesamt sind die JAK1-selektiven JanuskinaseInhibitoren wahrscheinlich schon sicher. Die EMA-, FDAund auch Swissmedic-Warnung, dass alle JAK-Inhibitoren kardiovaskuläre Ereignisse auslösen können, wurde auf der Basis einer Studie mit einem Medikament bei rheumatologischen Patienten ausgesprochen. Ich habe meine Zweifel, dass man das so einfach auf alle JAK-Inhibitoren und auf Crohnund Colitis-Patienten extrapolieren kann, werde dem aber nicht widersprechen. Ich glaube dennoch, dass wir weitere Sicherheitsdaten bekommen werden, die dann bestätigen, dass die kardiovaskuläre Problematik nicht für alle JAKInhibitoren gleichermassen gilt.
Man versucht immer mehr, über molekularbiologische Techniken den Erfolg von bestimmten Therapien vorherzu-
Mittlerweile ist die Forschung auf Ebene des Zellstoffwechsels angelangt ... Rogler: Die Beschäftigung mit dem Metabolom, also mit den Stoffwechseleigenschaften der Zellen, und dem Proteom, der Gesamtheit der Proteine, ist sehr interessant. Man hat zum Beispiel herausgefunden, dass auch bei einer Mukosaabheilung und vielleicht sogar bei einer histologischen Heilung auf der metabolomischen und proteomischen Ebene immer noch Unterschiede gegenüber gesunden Menschen bestehen. Das erklärt, warum Patienten, deren Schleimhaut makroskopisch völlig normal aussieht, immer noch unter Durchfall leiden. Da werden immer noch Transportmoleküle in der Darmwand exprimiert, die übermässig Wasser oder Chlorid ausschleusen. Allerdings frage ich mich, ob uns das aktuell wirklich weiterhilft. Letztlich würde das ja bedeuten, dass sich wahrscheinlich nur ein kleiner Bruchteil der Patienten auf Zellstoffwechselebene wirklich völlig normalisiert.
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Auch die künstliche Intelligenz war immer wieder Thema ... Rogler: Ich denke, dass in Zukunft die «artificial intelligence» eine wichtigere Rolle spielen wird, um die Erkrankungsaktivität besser einzuschätzen. Allerdings finde ich Aussagen problematisch, gefährliche Dysplasien könne man allein mit einer High-Resolution-Endoskopie von harmlosen Veränderungen unterscheiden. Wir werden uns auch in Zukunft auf die Pathologen verlassen. Eine Kolektomie ist ein schwerer Einschnitt ins Leben. Man kann doch nicht aufgrund der alleinigen Einschätzung eines Computerprogramms sagen, «Kolektomie, ja oder nein». Ich halte das zum jetzigen Zeitpunkt für verantwortungslos.
Apropos Kolektomie: Dazu wurde eine sehr praxisbezogene Untersuchung vorgestellt. Rogler: Eingeschlossen waren Colitis ulzerosa-Patienten mit primär sklerosierender Cholangitis (PSC), die sich einer Kolektomie unterziehen müssen. Diese chronische Erkrankung führt dazu, dass die Gallengänge permanent entzündet sind. Gleichzeitig vermehrt sich das Bindegewebe krankhaft. In
Die Behandlungen werden in Zukunft viel komplexer und viel individualisierter. Deshalb wird die primäre Therapiestrategie in Zukunft von den Spezialisten festgelegt und dann beim Hausarzt überwacht.
Succinat dann im Darm akkumuliert, kann es zu einer Dysbiose kommen. Das ist eine interessante Hypothese, an der etwas dran sein könnte.
Bei entzündlichen Darmerkrankungen liegt doch der Gedanke nahe, dass man durch eine bestimmte Ernährung einen gewissen Einfluss darauf nehmen kann. Rogler: Mich hat beeindruckt, wie viel derzeit zur Ernährung geforscht wird, auch wenn kaum etwas dabei rausgekommen ist. Der Grundtenor bei Colitis ulzerosa war, dass eine Diät leider wenig bringt. Bei Morbus Crohn hingegen hat die immer wieder propagierte Crohn-Diät teilweise ganz gute Erfolge. Sicher zeigt dort eine kohlenhydrat- und fettreiche Ernährung einen schädlichen Effekt.
Es stehen einige neue Medikamente vor der Zulassung ... Rogler: Für die Verwendung der Medikamente, die jetzt zugelassen werden, ist es ganz entscheidend, inwieweit wir sie einschätzen können. Für die Schweiz sind dies Upadacitinib, Mirikizumab, Risankizumab und wahrscheinlich auch Guselkumab, die p19-Antikörper und Filgotinib. Sie werden unsere Therapieoptionen erweitern. Allerdings sind das immer noch individuelle Entscheidungen. Wir müssen auch mit den neuen Medikamenten noch Erfahrung sammeln. Die ECCO-Leitlinien empfehlen heute bei Colitis ulzerosa als first-line-Behandlung die TNF-Inhibitoren Infliximab, Adalimumab und Golimumab sowie Vedolizumab, Ustekinumab und Tofacitinib. Ein britischer Kollege merkte dazu an: «Das hilft uns bei der Wahl des richtigen Medikaments nicht wirklich weiter.»
der Studie zeigte sich ein Riesenunterschied zwischen Pouch-Anlage und Ileostoma nach Kolektomie, was mich sehr beeindruckt hat. Das Risiko, letztlich wegen einer PSC lebertransplantiert werden zu müssen, erwies sich bei den Stoma-Patienten als nur halb so hoch wie bei den Pouch-Patienten. Bis jetzt haben wir standardmässig bei allen Patienten nach Kolektomie einen Pouch empfohlen. Vielleicht müssen wir jetzt tatsächlich bei PSC-Patienten im Sinne der Erhaltung der Leberfunktion doch eher ein Ileostoma empfehlen. Das wird wohl unsere Praxis verändern.
Unerwartete Forschungen gab es zur Fibrose ... Rogler: Es gibt Hinweise, dass ein neues Medikament, nämlich ein Antikörper gegen TLA-1, auch antifibrotisch wirken könnte. Diese neuen Phase-II-Daten fand ich sehr spannend und überzeugend. Zwar braucht es noch ein bisschen Zeit bis zur Zulassung, aber die Phase-III-Studie läuft demnächst an. Das zeigt uns, dass aus ganz neuen Ansatzpunkten sehr gute Ergebnisse geliefert werden und daraus eventuell wirksame Medikamente gegen Fibrose entstehen können.
Neues gab es auch zu bakteriellen Abbauprodukten und der Entstehung von Entzündungen bei Morbus Crohn-Patienten. Rogler: Ja, zum Mikrobiom wurde eine Arbeit vorgelegt, nach der die überschiessende Vermehrung von Bakterien mit spezifischen Eigenschaften dazu führt, dass bestimmte Kohlenhydrate zu Succinat abgebaut werden. Wenn sich dieses
Sind denn Kombinationstherapien eine Lösung? Rogler: Das ist spannend. Es wurden ein paar Daten einer Post-Hoc-Analyse zur Kombination von Guselkumab und Golimumab präsentiert. Das wird die Zukunft sein. Es gibt jetzt zum Beispiel Firmen, die Studien zur Kombination von Upadacitinib mit Vedolizumab planen. Das sind die Studien, die wir brauchen. Allerdings dürfen dadurch die Kosten nicht aus dem Ruder laufen; da stehen wir schon in der Verantwortung.
... zum Schluss noch ein Tipp für den Hausarzt?
Rogler: Momentan ist es so, dass beim Hausarzt so lange eine
Therapie durchgeführt wird, bis man nicht mehr weiter-
kommt. Dann wird an den Gastroenterologen oder an das
Spital übergeben. Ich glaube, dass sich dies ändern wird.
Denn wir werden mehr prädiktive Marker und eine deut-
lich grössere Auswahl an Medikamenten und auch Kombi-
nationsmöglichkeiten haben. Damit werden die Behand-
lungen viel komplexer und viel individualisierter. Deshalb
wird die primäre Therapiestrategie in Zukunft am Zent-
rum oder von den Spezialisten festgelegt und dann beim
Hausarzt überwacht. Das wird dann natürlich eine engere
Zusammenarbeit notwendig machen, aber ich würde mich
darauf freuen.
s
Interview: Klaus Duffner
Quelle: Interview mit Prof. Dr. Dr. Gerhard Rogler am Rande des 18. Kongresses der European Crohn’s and Colitis Organisation (ECCO), 1. bis 4. März 2023 in Kopenhagen.
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