Transkript
EAACI
Umweltmedizin
Klimaerwärmung fördert Atemwegsallergien
Verlängerte Pollensaison, heftige Gewitter, hohe Feinstaubbelastung – all diese gesundheitsbelastenden Faktoren sind Ausdruck des Klimawandels. Auf dem Kongress der European Academy of Allergy and Clinical Immunology (EAACI) wurden die verschiedenen Aspekte der Klimaveränderungen und deren Einfluss auf allergische Atemwegserkrankungen erläutert.
«Wir müssen aufhören, den Planeten zu zerstören!», appellierte Prof. Dr. Athanasios Damialis aus Thessaloniki (Griechenland). Doch beim EAACI-Kongress ging es nicht um die Rettung der Korallenriffe oder des Regenwaldes, sondern um unsere Gesundheit – genauer gesagt um die Einflüsse, die klimatische Veränderungen und die Umweltverschmutzung auf die Atemwege haben. Wie es bei einem Allergologen-Kongress nicht anders zu erwarten ist, standen die allergischen Erkrankungen wie Asthma im Fokus.
Pollen fliegen früher
«Die Luft, die wir atmen, ist lebendig», sagte Damialis. Schliesslich enthält die Luft jedes Atemzugs Bakterien, Viren, Sporen und Pollen. Weil Letztere die häufigsten Auslöser von allergischen Atemwegserkrankungen sind, ist die Forschung besonders auf die Pollen ausgerichtet. Was aber haben Pollen mit dem Klimawandel zu tun? Das erläuterte Prof. Dr. Stephen Holgate aus Southampton (GB). Eine US-amerikanische Arbeitsgruppe kam nach Auswertung der Daten von 60 Pollenmessstationen in den USA und Kanada (1990 bis 2018) zu dem Schluss, dass der Pollenflug mittlerweile etwa 20 Tage früher beginnt. Die Pollenkonzentration erhöhte sich in Nordamerika um 21 Prozent. Der Klimawandel trug zu ungefähr 50 Prozent zur Verlängerung der Pollensaison bei (1).
Pollenmenge steigt …
In Europa lässt sich dieser Trend ebenfalls beobachten. Umweltforscher Damialis hat mit seiner Arbeitsgruppe gleichfalls eine Erhöhung der Pollenmenge über die Jahre gemessen. Von 1987 bis 2005 wurden die langfristigen Trends der atmosphärischen Pollenkonzentration in Thessaloniki untersucht. Dabei ergab sich eine Zunahme der Pollenkonzentration bei 12 von 16 untersuchten Pflanzenspezies: Im Durchschnitt verdoppelte sich die Pollenkonzentration in der Atmosphäre alle 10 Jahre. Allerdings fiel diese Rate bei einigen Arten mit Verdopplungszeiten von weniger als 5 Jahren deutlich höher aus. Zu den Pflanzen mit dem höchsten langfristigen Trend in der Pollenkonzentration des städtischen Umfelds gehören die Baumarten Zypressen, Platanen, Eichen und Pinien (2). Bei den Kräutern sei das nur bei der Familie der Brennnesseln (Urticaceae) festzustellen gewesen, so Damialis.
… in Zukunft vermutlich noch weiter
Und es kommt in Zukunft womöglich noch schlimmer. Künftig könnte sich dieser Trend der Pollenzunahme und der verlängerten Blühsaison noch verstärken, wie Holgate erläuterte. Ein US-Forscherteam hat mittels eines Emissionsmodells für die Pollen von Laubbäumen, Nadelbäumen und Ambrosia hochgerechnet, dass bis zum Ende dieses Jahrhunderts die Frühlingsemissionen noch einmal um 10 Tage früher beginnen und sich die Sommer- und Herbstemissionen von Unkräutern und Gräsern um 5 bis 15 Tage verlängern werden – somit werden die gesamte Pollensaison und damit die Leidenszeit der Allergiker deutlich länger dauern. Möglicherweise könnte sich die Pollenemission um bis zu 200 Prozent erhöhen, wobei dieser Anstieg weitgehend der CO2-Erhöhung geschuldet sein werde, so die US-Wissenschaftler (3).
Mehr Ambrosia-Allergien
Doch nicht nur für die USA wird hochgerechnet, wie sich die Pollenbelastung und die Morbidität entwickeln. Holgate berichtete über die Ergebnisse einer englischen Arbeitsgruppe, die ein Modell für die Entwicklung der Ambrosia-Allergie erstellt hat. Ambrosia (Ragweed) ist in Europa nicht heimisch, sondern wurde aus Amerika im Zuge des globalen Handels eingeschleppt. Die Modellrechnungen ergaben, dass sich die Sensibilisierung gegenüber Ambrosia in Europa 2041 bis 2060 von 33 auf 77 Millionen Menschen mehr als verdoppeln wird. Die Sensibilisierung in Ländern mit einem bestehenden Ambrosia-Problem (z. B. Ungarn, Balkan) wird zunehmen, aber der grösste proportionale Anstieg wird in Ländern erfolgen, in denen die Sensibilisierung noch selten ist (z. B. Deutschland, Polen, Frankreich) (4). Höhere Pollenkonzentrationen und eine längere Pollensaison können auch die Schwere der Symptome erhöhen.
Verlängerte Pollensaison durch Erderwärmung
Wie Damialis weiter ausführte, seien die nach vorn verschobene Blühsaison und die verlängerte Pollensaison den höheren Temperaturen, vor allem im städtischen Umfeld, und dem erhöhten NO2-Ausstoss geschuldet. Anders ausgedrückt: Die erhöhten Temperaturen bedingen den früheren Beginn (und die Verlängerung) der Pollensaison und der NO2-Ausstoss das erhöhte Pollenaufkommen.
2 CongressSelection Allergologie | Pneumologie | Dezember 2022
EAACI
Russ belastet nicht nur die Lunge
Das vermehrte Pollenaufkommen hängt im Wesentlichen mit den steigenden Temperaturen zusammen. Auch Russ habe seinen Anteil am Klimawandel, wie Holgate betonte. So hat der Russ aus Holzverbrennung (Waldbrand), Heizungs- und Dieselabgasen einen bis zu 1500 höheren Anteil an der Erderwärmung als der CO2-Ausstoss. Und der schwarze Kohlenstoff beeinflusst direkt das Wetter: So kann der Ausstoss von Russ den Monsunregen in Indien oder Ostafrika vermindern, weil das Aufheizen bestimmter Bereiche in der Atmosphäre die Wolkenformation verhindert. Dürren wären die Folge. Weiter wird die Schmelze von Gletschern und Polkappen durch Russ beschleunigt, weil die schwarze Decke auf dem Eis mehr Sonnenlicht absorbiert.
Pollen fliegen hoch
Noch ein weiterer Aspekt des Klimawandels trägt zur vermehrten Pollenkonzentration und somit zur stärkeren Gefährdung von Allergikern bei: die grössere Gefahr von Wetterextremen. Wie Damialis nachweisen konnte, bleiben Pollen nicht dort, wo sie freigesetzt werden. Vielmehr können sie über weite Strecken und grosse Höhen transportiert werden. Vor allem Kiefern- und Eichenpollen liessen sich noch in Höhen über 2000 m feststellen (5). Offenbar können sich Pollen auch zu regelrechten Wolken zusammenballen. Damialis zeigte das Bild eines geradezu apokalyptisch anmutenden grünlich-gelben Wolkenteppichs aus Kiefernpollen, der sich im Frühjahr 2019 über North Carolina ausbreitete.
Asthmaanfall wegen Gewitter
Solche Pollenkonzentrationen in grossen Höhen sind Teil der Ursache eines Phänomens, das in Mitteleuropa noch selten, aber in Australien und den USA durchaus ein Problem ist: das «Thunderstorm-Asthma». Unter gewitterbedingtem Asthma versteht man das gehäufte Auftreten teilweise schwerer Asthmaanfälle im Zusammenhang mit Gewittern. Untersuchungen in Australien, Nordamerika, Italien und Grossbritannien hätten ergeben, dass vermehrte Asthmaanfälle bei Gewitter mit einer erhöhten Konzentration verschiedener Pollen- und Pilzsporenarten in der Luft einhergingen, so Damialis. Erklärungsansätze zur Entstehung von gewitterbedingtem Asthma beinhalten ein Zusammenspiel verschiedener Mechanismen: So wird vermutet, dass Pollen in den Gewitterwolken und Pollen, die durch Böen im Vorfeld eines Gewitters verstärkt aufgewirbelt werden, mit atmosphärischer Feuchte in Kontakt kommen und dann osmotisch bedingt bersten. Dabei entstehen viele kleine lungengängige Partikel (0,6 bis 2,5 µm). Diese könnten durch die Abwinde der Gewitterzelle in Bodennähe akkumulieren, was eine starke Allergenkonzentration in der Luft bedeutet. Die Folge: Die Allergenexposition für Allergiker erhöht sich massiv, Asthmaanfälle häufen sich (6). Mittlerweile wird an Vorhersagemodellen für diese potenziellen Asthmaexazerbationsrisiken gearbeitet.
Feinstaub belastet
Nicht nur die Pollen, auch die Luftverschmutzung, insbesondere der Feinstaub, belasten bekanntlich die Atemwege. Wie sehr sich diese Belastung generell auf die Gesundheit aus-
wirkt, wurde in einer epidemiologischen Studie aus den USA deutlich. Wie Holgate berichtete, wurden die Daten von über 60 Millionen Personen aus dem Krankenkassensystem Medicare in Beziehung zur Exposition mit Feinstaub der Partikelgrösse 2,5 µm (PM2,5) und mit Ozon in Beziehung gesetzt. Für jeden Versicherten wurde anhand der Postleitzahl seines Wohnsitzes mithilfe von zuvor validierten Prognosemodellen die Belastung geschätzt. Das Sterberisiko wurde für eine Exposition von 10 µg pro Kubikmeter für PM2,5 und 10 Teilen pro Milliarde (ppb) für Ozon berechnet – laut Holgate Werte, die deutlich unter den landesweiten Durchschnittswerten liegen. Ergebnis: Die Erhöhungen der PM2,5-Konzentration um 10 µg/m3 und der Ozonkonzentration um 10 ppb waren mit einem Anstieg der Gesamtmortalität um 7,3 Prozent beziehungsweise um 1,1 Prozent verbunden. Wurde die Analyse auf Personenjahre mit einer PM2,5-Exposition von mehr als 12 µg/m3 und einer Ozonexposition von mehr als 50 ppb berechnet, war das mit einem Anstieg des Sterberisikos von 13,6 Prozent beziehungsweise 1,0 Prozent verbunden (7).
Verbessert Einhaltung von Grenzwerten die
Mortalitätsrate?
Wie lässt sich dieser Übersterblichkeit durch die Luftver-
schmutzung entgegenwirken? Holgate glaubt, dass die Ein-
haltung der neuen Zielwerte zur Luftqualität (Air Quality
Guidelines = AQG) der WHO (World Health Organization)
bis zum Jahr 2030 einiges bewirken könnte. Diese Zielwerte
betragen z. B. für Feinstaub PM2,5 5 µg/m3 im Jahresdurchschnitt oder für Ozon 100 µg/m3 innerhalb von 8 Stunden.
Für Grossbritannien würde die Einhaltung der AQG unter
anderem eine statistisch längere Lebenserwartung von 8 bis
9 Wochen bedeuten, etwa 20 weniger Fälle von plötzlichem
Kindstod pro Jahr, jährlich 3100 weniger Fälle von korona-
rer Herzkrankheit – und es würde der britischen Wirtschaft
einen Vorteil von 384 Milliarden Pfund bescheren.
Das Fazit von Holgate und Damialis: Die Anstrengungen
gegen den Klimawandel müssen auf allen Ebenen verstärkt
werden, nicht zuletzt um die Gesundheit der Menschen zu
bewahren. Oder wie es Damialis bereits zu Beginn sagte:
«Wir müssen aufhören, den Planeten zu zerstören.»
s
Angelika Ramm-Fischer
Quelle: Session «Environmental science in allergy and asthma» beim Jahreskongress der European Academy of Allergy and Clinical Immunology (EAACI), 1. bis 3. Juli 2022 in Prag.
Referenzen: 1. Anderegg WRL et al.: Anthropogenic climate change is worsening
North American pollen seasons. PNAS. 2021;118(7):e2013284118. 2. Damialis A et al.: Long-term trends in atmospheric pollen levels
in the city of Thessaloniki, Greece. Atmospheric Environment. 2007;41(33):7011-7021. 3. Zhang Y et al.: Projected climate-driven changes in pollen emission season length and magnitude over the continental United States. Nat Commun. 2022;13:1234. 4. Lake IR et al.: Climate change and future pollen allergy in Europe. Environ Health Perspect. 2017;125:385-391. 5. Damialis A et al.: Estimating the abundance of airborne pollen and fungal spores at variable elevations using an aircraft: how high can they fly? Sci Rep. 2017;7:44535. 6. D̕Amato G et al.: Thunderstorm allergy and asthma: state of the art. Multidiscip Respir Med. 2021;16(1):806. 7. Di Q et al.: Air Pollution and Mortality in the Medicare Population. N Engl J Med. 2017;376(26):2513-2522.
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