Transkript
RHEUMA TOP
Osteoporose
Neues für die Praxis
Im Zentrum des Vortrags von KD Dr. med. Diana P. Frey, Leiterin des Osteoporosezentrums am Universitätsspital Zürich, stand der monoklonale Antikörper Romosozumab. Die Referentin präsentierte unter anderem Daten zur Wirksamkeit von Romosozumab nach verschiedenen Vortherapien sowie ein Update zum kardiovaskulären Risiko bei der Anwendung des Antikörpers.
Der monoklonale Antikörper Romosozumab hemmt Sklerostin, was zu einer Verbesserung der Osteoblastogenese (osteoanabole Wirkung) und zu einer Hemmung der Osteoklastenaktivität führt (antiresorptive Wirkung). «Romosozumab ist damit im Moment das einzige Medikament, das Knochenneubildung und -resorption gleichzeitig in die Richtung beeinflusst, die wir uns wünschen. Alle anderen Medikamente fördern zwar den Knochenaufbau, steigern mittelfristig meist aber auch die Knochenresorption. Oder sie hemmen die Knochenresorption, vermindern mittelfristig dann aber ebenso die Knochenneubildung», erklärte Frey. Die Behandlung mit Romosozumab beinhaltet eine 1-mal monatliche subkutane Applikation von 210 mg, verteilt auf 2 Dosen (2 Fertigspritzen/Fertigpens à 105 mg). «Die Therapiedauer beträgt 12 Monate. Danach sollte ein Antiresorptivum gegeben werden, um die Wirkung zu erhalten», erläuterte die Referentin und machte deutlich, dass das Präparat eine befristete Zulassung bis zum 30. April 2023 hat. «Sollten Sie jetzt eine Therapie mit Romosozumab beginnen, müssen Sie spätestens im April nächsten Jahres überprüfen, ob es weiter zugelassen ist, da die Krankenkassen die Kosten sonst nicht mehr übernehmen», betonte sie und wies bei dieser Gelegenheit auf die geltende Limitatio hin. Eine Vergütung von Romosozumab erfolgt bei einem Einsatz als Monotherapie (mit Ausnahme einer Kalzium- und Vitamin-D-Supplementation) zur Behandlung einer schweren Osteoporose bei postmenopausalen Frauen mit (1): • imminentem (unmittelbarem) Frakturrisiko gemäss den
Empfehlungen der Schweizerischen Vereinigung gegen Osteoporose (SVGO) 2020, das heisst mit einer Vorgeschichte einer typischen osteoporotischen Fraktur (major osteoporotic fracture [MOF]: Wirbel, Hüfte, Becken oder Humerus) innerhalb der letzten 24 Monate in Verbindung mit einem T-Score ≤ –3,5 (gemessen an Wirbelsäule oder Hüfte) • Vorgeschichte von ≥ 2 typischen osteoporotischen Frakturen • sehr hohem Frakturrisiko gemäss den SVGO-Empfehlungen 2020, das heisst, die 10-Jahres-Wahrscheinlichkeit für eine MOF, bewertet mittels FRAX-Tool, muss altersunabhängig mindestens 20 Prozent über der Behandlungsschwelle liegen. Wie Frey erläuterte, könne es schwierig sein, einen T-Score ≤ –3,5 zu erreichen, vor allem bei älteren Patientinnen mit degenerativen Erkrankungen der Wirbelsäule. «Diese haben
oft falsch hohe Werte. An der Hüfte ist ein T-Score von –3,5 oder weniger recht selten anzutreffen.»
Stoppt Romosozumab den DenosumabRebound?
«Wenn eine Behandlung mit Denosumab gestoppt wird, kann es zu einem Rebound-Effekt mit schnellem Verlust an Knochendichte und einem erhöhten Risiko für Wirbelfrakturen kommen», sagte Frey weiter. Die Frage sei nun, ob Romosozumab diesen Rebound allenfalls verhindern könne. Daten dazu gibt es bisher jedoch kaum, einzig den Bericht einer 60-jährigen Patientin, die in Japan aufgrund vorbestehender Wirbelfrakturen (BWK [Brustwirbelkörper] 6 und 8) während 2,5 Jahren mit Denosumab behandelt worden war (2). Dann wurde Denosumab auf Wunsch der Patientin gestoppt (T-Score beim Stopp: –3,8 an der Lendenwirbelsäule [LWS]). Die Behandlung mit Romosozumab wurde 9 Monate nach der letzten Denosumabapplikation gestartet. Nach 3 Dosen kam es spontan zu schweren Rückenschmerzen aufgrund neuer Frakturen an BWK 12 sowie LWK (Lendenwirbelkörper) 2, 3, 4 und 5. «Bei diesem Fall wurden auch Knochenauf- und -abbaumarker gemessen», berichtete Frey. Der Knochenabbaumarker (tartratresistente saure Phosphatase 5b, TRACP-5b) reduzierte sich unter der Denosumabtherapie bis weit unter den Normalwert und blieb auf diesem tiefen Niveau. 6 Monate nach Denosumabstopp war der Wert bereits wieder angestiegen, lag jedoch noch im Normalbereich. Beim Auftreten der Rückenschmerzen lag der TRACP-5b-Wert dann aber deutlich über dem Normalwert. «Der Wert wurde 3 Monate nach Auftreten der Frakturen erneut gemessen und war noch weiter angestiegen», ergänzte Frey und meinte: «Zumindest in diesem Fall konnte Romosozumab den Denosumab-Rebound nicht bremsen. Allerdings muss man einschränkend sagen, dass es sich um einen Einzelfall handelt und dass die Romosozumabbehandlung erst 9 Monate nach dem Denosumabstopp gestartet wurde, als der Rebound womöglich schon im Gange war.»
Einfluss der Vortherapie auf die Romosozumabwirkung
Weiter stellt sich die Frage, ob eine vorgängige Therapie einen Einfluss auf die Wirksamkeit von Romosozumab hat. «Grundsätzlich kann Romosozumab als Erstlinientherapie gegeben werden. In der Praxis setzen wir es aber eher bei Patientinnen ein, die schon alle möglichen Vortherapien hat-
14 CongressSelection Rheumatologie | November 2022
RHEUMA TOP
Kein Vitamin D bei Gesunden
Eine Zusatzstudie zur Vitamin-D- und Omega-3-Studie (VITAL) ergab, dass die zusätzliche Gabe von Vitamin D3 das Frakturrisiko bei gesunden Männern ab 50 und Frauen ab 55 Jahren nicht reduzierte (7). «Das heisst, kein Vitamin D bei gesunden Personen und keine Messung des Vitamin-D-Spiegels, wenn kein explizierter Grund dafür vorliegt», betonte Dr. Frey. Seit dem 1. Juli 2022 wird die Bestimmung von Vitamin D nur noch unter gewissen Voraussetzungen und nur noch maximal 1-mal alle 3 Monate von den Krankenkassen übernommen.
ten», so Frey. Eine prospektive, nicht randomisierte Beobachtungsstudie an 6 japanischen Zentren (Romosozumab wurde zuerst in Japan zugelassen) schloss 55 therapienaive Patientinnen ein, 37 mit Bisphosphonat-, 45 mit Denosumab- und 17 mit Teriparatidvortherapie (3). Alle erhielten für 12 Monate Romosozumab, danach folgte Denosumab für 12 Monate. Nach 24 Monaten wurden Knochenmineraldichte (bone mineral density, BMD) und Knochen-Turnover-Marker bestimmt. Die BMD (LWS und Hüfte) nahm bei den therapienaiven Patientinnen, das heisst unter Erstlinientherapie mit Romosozumab, am meisten zu. Am schlechtesten hinsichtlich BMD-Zunahme schnitten jene Patientinnen ab, die mit Denosumab vortherapiert waren. «Vermutlich hatten diese Patientinnen anfangs einen Rebound und haben erst danach auf Romosozumab angesprochen», kommentierte Frey. Bei 3 Patientinnen in der therapienaiven Gruppe, 6 in der Bisphosphonat-, 1 in der Teriparatid- und 4 in der Denosumabgruppe kam es zu Fragilitätsfrakturen. «Es ist natürlich zu berücksichtigen, dass die untersuchte Gruppe klein war. Es fiel aber auf, dass es einzig bei den mit Denosumab vorbehandelten Patientinnen zu multiplen Wirbelfrakturen kam», sagte die Referentin und folgerte: «Die Vortherapie hat einen Einfluss auf die Wirkung von Romosozumab. Am besten würden wir den Antikörper wohl als Erstlinientherapie oder allenfalls nach Teriparatid oder Bisphosphonaten einsetzen. Nach Denosumab sollte er wohl nicht verwendet werden.»
Neue Daten zum kardiovaskulären Risiko
In der Doppelblindphase der Zulassungsstudie von Romosozumab (Romosozumab vs. Alendronat, ARCH-Studie) wurde ein Ungleichgewicht bei den als schwerwiegend eingestuften kardiovaskulären unerwünschten Ereignissen beobachtet: 50 Patienten (2,5%) in der Romosozumabgruppe und 38 (1,9%) in der Alendronatgruppe wiesen solche Ereignisse auf (Odds Ratio [OR]: 1,31; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,85–2,00) (4). «Dies führte dazu, dass Romosozumab bei Patientinnen mit Myokardinfarkt oder Schlaganfall in der Vorgeschichte kontraindiziert ist», betonte Frey. Inzwischen wurden weitere Daten zu diesem Thema gesammelt. Eine Analyse der von Januar 2019 bis Dezember 2020 im Meldesystems für Nebenwirkungen der Food and Drug Administration (FDA) registrierten Ereignisse konnte unter über 3 Millionen kardiovaskulären Ereignissen 1995 identifizieren, die unter Romosozumab aufgetreten waren (5). «Insgesamt fand man unter Romosozumab prozentual mehr solche Ereignisse als unter anderen Medikamenten», berich-
tete die Referentin. «Die meisten Fälle wurden dabei aus Japan berichtet. Vor allem das Risiko für Myokardinfarkte und kardiovaskulär bedingte Todesfälle war erhöht», so Frey. Mögliche Gründe dafür sind, dass aus Japan mehr Männer mit solchen Ereignissen gemeldet wurden (Romosozumab ist dort auch für Männer zugelassen) sowie dass diese häufig älter waren und mehr kardiovaskuläre Vorerkrankungen aufwiesen. «In Japan erfolgte die Zulassung von Romosozumab anfänglich zudem ohne Warnung hinsichtlich eines kardiovaskulären Risikos», ergänzte Frey.
Einfluss des Sklerostinspiegels untersucht
Auf der Suche nach Gründen für das erhöhte kardiovasku-
läre Risiko unter Romosozumab konzentrierten sich ver-
schiedene Arbeiten auf einen möglichen Einfluss des Sklero-
stinspiegels. «Diverse Studien mit eher kleinen Kohorten lie-
ferten sehr widersprüchliche Ergebnisse zur Rolle des Skle-
rostins bei der Atherosklerose», so Frey. Eine grosse Quer-
schnittstudie mit 5070 Patientinnen zeigte auf, dass ein höhe-
rer Sklerostinspiegel mit einer tieferen glomerulären Filtra-
tionsrate, mit höheren Nüchternglukosewerten, tieferen
HDL- (high-density lipoprotein) und Apolipoprotein-A-Wer-
ten, höheren Triglyzeridwerten, schwereren Atherosklerosen
und einem höheren Risiko für Diabetes und kardiovaskulä-
ren Tod korrelierte. «Dies würde aber dafür sprechen, dass
eine Hemmung des Sklerostins, zum Beispiel mit Romosozu-
mab, eigentlich günstig sein müsste», kommentierte die Re-
ferentin diese Resultate. Wurden andere bekannte Risiko-
faktoren wie Rauchen, Alter und Body-Mass-Index (BMI)
ebenfalls berücksichtigt, ergab sich nur noch eine schwache
Korrelation. «Mit anderen Worten: Die Rolle von Sklerostin
bei kardiovaskulären Erkrankungen ist weiterhin unklar. Für
die Praxis sollten wir uns aber merken, dass wir die Kontra-
indikationen – Myokardinfarkt oder Schlaganfall in der Ana-
mnese – wirklich beachten. Auch bei Patientinnen mit ent-
sprechenden Risikofaktoren wäre ich sehr vorsichtig und
würde Nutzen und Risiken einer Behandlung mit Romosozu-
mab genau abwägen.»
s
Therese Schwender
Quelle: Rheuma Top, Pfäffikon, 22. August 2022.
Referenzen: 1. Spezialitätenliste, Bundesamt für Gesundheit. 2. Kashii M et al.: Romosozumab was not effective in preventing
multiple spontaneous clinical vertebral fractures after denosumab discontinuation: a case report. Bone Rep. 2020;13:100288. 3. Ebina K et al.: Effects of prior osteoporosis treatment on the treatment response of romosozumab followed by denosumab in patients with postmenopausal osteoporosis. Osteoporos Int. 2022;33(8):1807-1813. 4. Saag KG et al.: Romosozumab or alendronate for fracture prevention in women with osteoporosis. N Engl J Med. 2017;377:14171427. 5. Vestergaard Kvist A et al.: Cardiovascular safety profile of romosozumab: a pharmacovigilance analysis of the US Food and Drug Administration Adverse Event Reporting System (FAERS). J Clin Med. 2021;10:1660. 6. Frysz M et al.: Circulating sclerostin levels are positively related to coronary artery disease severity and related risk factors. J Bone Miner Res. 2022;37:273-284. 7. LeBoff MS et al.: Supplemental vitamin D and incident fractures in midlife and older adults. N Engl J Med. 2022;387:299-309.
CongressSelection Rheumatologie | November 2022
15